Donnerstag, 17. Januar 2019

Schlosser, Patrizia: Im Untergrund


Im Untergrund (Original Podcast) Titelbild
"Sie leben seit mehr als 25 Jahren im Untergrund: Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg. Sie sind die letzten Überreste der Roten Armee Fraktion, die im deutschen Herbst die BRD terrorisierte. Obwohl sich die RAF längst aufgelöst hat, geistern die Drei noch immer mit bewaffneten Raubüberfällen durch die Republik.

Wo verstecken sie sich? Warum stellen sie sich nicht der Polizei? Und was hat sie überhaupt in den Terror und den Untergrund getrieben? Die Journalistin Patrizia Schlosser will das herausfinden und beginnt die Suche. Mit dabei: ihr Vater, der in der RAF-Ära Polizist war und den Terror hautnah miterlebte." (audible.de)





* * *

Ja, es stimmt, es ist eher ungewöhnlich, dass ich den "Klappentext" so vollständig wiedergebe. Hier dominierte die Kunst der knappen wie aussagekräftigen Inhaltsangabe. Besser wäre es mir nicht gelungen. Daher bin ich eben einmal faul.



Es ist nicht das erste mal, dass die RAF in unserem Blog vorkam. Im August 2013 rezensierte Rudolf alias TinSoldier hier das Buch PATENTÖCHTER, welches Susanne Albrecht und Corinna Ponto verfassten und in dem es um den Mord und die Folgen der terroristischen Tat in beiden Familien ging.
Zugleich erzählte Rudolf von seinen Gefühlen als junger Polizist während der Einsätze mit Fahndungsbezug zu den Mitgliedern der RAF: "Die oder wir!" so war die Stimmung. Angst, überdehnte Nerven:


"Mit einer entsicherten Maschinenpistole stand ich in jener Nacht etwas abseits und sicherte die kontrollierenden Kollegen. In einer solchen Situation bist du hochkonzentriert, weil du in Sekundenbruchteilen Situationen erkennen und bewerten musst. Du denkst daran, dass du vielleicht schießen musst und fürchtest dich zugleich davor! Ein Zeigefinger ist schnell gekrümmt, und ein Projektil, das den Lauf verlassen hat, kannst du nicht mehr zurückholen - wer aber im Ernstfall zu lange zögert, ist vielleicht tot!

 So ähnlich dachten wir, dachte ich damals. Also hatten wir bei Kontrollen eine Hand immer an der Waffe!
Viel Verantwortung für einen Zweiundzwanzigjährigen." (TinSoldier)


An dieses Buch und die Zeilen des Bloggerkollegen wurde ich erinnert, beim Hören dieses Podcasts der jungen Journalistin Patrizia Schlosser. Gesucht hatte ich danach nicht, auf audible wurde dieses Projekt plötzlich angeboten.

Im audible Magazin antwortete die Journalistin auf die Frage, warum sie sich mit dem Podcast bei audible beworben hat, so:


"Ich hab die Idee gar nicht gesucht, die kam zu mir! Die Polizei stellte 2015 die DNA von den drei mutmaßlichen RAF-Mitgliedern am Tatort eines Raubüberfalls in Niedersachsen sicher. Ich musste sofort an meinen Vater denken. Als ich noch ganz klein war, hat er als Streifenpolizist in München gearbeitet und musste während den Hoch-Zeiten der RAF immer wieder Straßenkontrollen machen. Als "Bullenschwein" hätte ihn die RAF vielleicht abgeknallt, wenn er ihnen begegnet wäre. Und jetzt, mit den Raubüberfällen, waren diese Gespenster aus der Vergangenheit meines Vaters plötzlich wieder da. Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Außerdem beschäftigt mich die Frage sehr: Wie schafft man politische Veränderungen? Darf man dafür auch Gewalt anwenden? Wie weit würde ich gehen für meine Ideale?"


Das sind schon so Parallelen, welche sich da auftun. Erinnert wurde ich so ganz schnell an die PATENTÖCHTER und an meinen blog-Kollegen. In der Tat, dass, was Vater Schlosser im Laufe der sechs Folgen zu Protokoll gibt, ähnelt stark der Darstellung von Rudolph, der sich angesichts des seinerzeit rezensierten Buches an seine Streifenzeit erinnerte. 

Vater Schlosser wird damit durch seine Tochter konfrontiert. Bei aller generationsbedingten Konfrontation, dass Vater und Tochter sich gemeinsam in die Recherche begeben, ist das Faszinierende an der Geschichte, die ja von Beginn an droht, im Sande stecken zu bleiben. Beide kommen sich ganz nahe, die intensive Zusammenarbeit schweißt halt susammen. Sie erzählt in ihrer lockeren Art im Spiegel, dass sie ihren pensionierten Vater erst von der Couch runter bekam, als sie anfing nach Terroristen zu suchen. Das ist dem Bayern nicht geheuer...

Als die drei genannten, immer noch gesuchten Anhänger oder Mitglieder der RAF einen Raubüberfall versuchen und dabei per Videoaufzeichnung erkannt werden, will Patrizia Schlosser nach diesen journalistisch fanden. Sie fragt ihren Vater ob er sie unterstützt, er reagiert etwa so: 

" "Ja Himmelherrgott, Pati, i bin doch ned verrückt!", plus einem deftigen bayerischen Fluch ist dann auch die Reaktion meines Vaters als ich ihm von der Idee erzähle, die drei zu suchen und die ganze Sache mit einem Aufnahmegerät zu dokumentieren." (Spiegel)

Die Suche nach Staub, Klette und Garweg gestaltet sich schwierig, man staunt trotzdem, was die beiden alles so herausbekommen. Zum Beispiel werden linke Strukturen durchaus auf die Journalistin aufmerksam, weil die zum Beispiel diverse Leute, Ehemalige RAF-Sympatisanten und Verwandte anschreibt. dies führt auch zu Aufrufen, "keine Aussagen zu ehemaligen oder bestehenden Strukturen zu machen". Man warnt immer noch vor "Anquatsch-Versuchen", hier der investigativen Journalistin Patrizia Schlosser.

Gleichermaßen interessant wie der "Generationskonflikt" sind für mich die Erzählungen des Vaters, der während des Olympia-Attentates auf israelische Sportler im Jahr 1972 in den Einsatz gerufen wurde. Die jungen Bereitschaftspolizisten werden in dem Hubschrauber nach Fürstenfeldbruck geflogen, der dann von Schüssen zersiebt und Handgranaten zerfetzt, auf dem Flugfeld steht.
Für einen ehemaligen Polizisten ist der Pensionär doch sehr offen, er weiß ja, dass er so in die Öffentlichkeit tritt. Schlosser vertritt auch des öfteren den Verteidigungsanspruch des Staates und gerät damit in Konfrontation zu den Ansichten der Tochter. Auf der Suche nach Adressen und Kontakten kommen sie auch auf die Hafenstraße in Hamburg, Platz fortwährender Polizeieinsätze. Während die Tochter es gut findet, dass sich Hausbesetzer auch mal durchsetzen, erzählt der Vater von den Straßenkämpfen. "Pati, du bist net in einem Bananenstaat. Der lässt sich das nicht gefallen."

Er ist nicht der einzige Polizist, der sich zum Einsatz in Fürstenfeldbruck äußert, wie man in der Münchener AZ lesen kann, der dortige Augenzeuge tritt aber anonym auf. 

Die Journalistin hat ständig ihr Aufnahmegerät dabei und was dabei herauskommt, ist ein sogenannter Podcast, ein Medium, welches mir bisher weniger unterkam. Was ist das eigentlich, ein Podcast? Das Wort setzt sich aus Broadcast und iPod zusammen. Broadcast = Sendung / Rundfunk / Übertragung / Ausstrahlung Rundruf bezeichnet eine Nachricht die in einem Netzwerk verbreitet wird. Wenn man mit einem iPod zum Beispiel abbonierbare Mediendateien empfängt, dann wird aus dem Ganzen ein Podcast. (vgl. wikipedia) Aber an sich handelt es sich bei Im Untergrund um ein sechsteiliges Hörspiel, in dem Dramaturgie eine nicht unwesentliche Rolle spielt. 





Dieses Produkt erscheint einerseits sehr locker und offen, aber es steckt viel Ernst hinter dem Thema der in den Erzählungen des Vaters immer deutlicher wird. Erinnerungen, die über 45 Jahre zurückliegen haben auch komische Momente. so heißt ein Teil Dem Strauß sein Arsch und behandelt eine Szene im engen Tower in Fürstenfeldbruck, in dem der bayerische Ministerpräsident während der Schießerei in Deckung gehen muss. Eine Art ziemlich ernsthaften Lachens.

Man muss schon zuhören, denn etwahige Hintergrundgeräusche bei Autofahrten oder Interviews oder gar im Flugzeug nach Jordanien machen das Ganze authentisch, einfach nebenbei hören ist unmöglich. Ebenso erzeugt die Machart auch Spannung, wenn z.B. Auszüge aus der TV-Sendung Aktenzeichen XY im Januar 2016, die auf die Raubüberfälle des Trios eingeht, eingeblendet werden.
Die Darstellung der Suche nach den weiterhin kriminellen Ex-Terroristen (?) wird natürlich komplettiert durch die Erzählung der Taten der ersten und zweiten und natürlich der dritten RAF-Generation. Eine besondere Art der Geschichtsrezeption.
Für den Podcast wurde auch Musik komponiert. Diese unterbricht die Gespräche, die Interviews bzw. die Berichte der Journalistin aus meiner sicht ssehr geschickt. Sie passt auch zum Thema.


* * *


"Patrizia Schlosser sind journalistische Abenteuer eigentlich nicht fremd. Als Journalistin arbeitete sie bereits in Israel und den Palästinensischen Gebieten, recherchierte im Iran und erhielt für eine Webserie über einen syrischen Flüchtling den Civis Medien Preis. Als Teil eines Rechercheteams des NDR und der ZEIT wurde sie mit dem Helmut Schmidt Preis ausgezeichnet und arbeitete bereits für dpa, SPIEGEL ONLINE, Deutschlandfunk und den BR." (audible)

PS, so heißt die Webseite der Patrizia Schlosser. Sie weist "nur" ähnliche Beiträge auf. PS bezeichnet sich gelegentlich schelmisch als das Schwarze Schaf der Familie und hat Iranistik (!) studiert. Für den Podcast Im Untergrund hat audible erstmals, bzw. der Sender FluxM und damit die Autorin, den Deutschen Radiopreis für die Beste Sendung 2018 erhalten, den wiederum erstmals ein solcher Podcast erhielt.

"Patrizia Schlosser ist es in ihrer aufwendigen Investigativ-Reportage auf beeindruckende Weise gelungen, das Beste aus der Tradition des deutschen Radiojournalismus mit dem Storytelling moderner Podcasts zu verbinden." (audible Magazin) Zwei Jahre hat man in diese Recherche und die Produktion gesteckt. Eine sehr Gelungene, wie ich denke und wieder mal ein Format, welches sich in Schulen durchaus als Geschichtsmedium verwenden lässt.

Vier Stunden und dreißig Minuten dauert diese Produktion, die am 15.12.2017 erschienen ist.

© Bücherjunge (29.02.24)



4 Kommentare:

  1. Das klingt in der Tat hörenswert! Podcasts habe ich bislang ehrlich gesagt ignoriert. Hm.

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    1. Ich auch. Aber dies war ein Angebot, welches ich dann einfach mitgenommen habe. Zum Glück.

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  2. Pünktlich zum 50. Jahrestag des Attentats auf israelische Sportler während der Olympischen Sommerspiele lädt auf Sky, und damit leider nur im Bezahlfernsehen, die Dokumentation "1972 - Münchens schwarzer September". Das Besondere hier, deshalb der Kommentar, in der Doku treffen Guido Schlosser und seine Tochter Patrizia die Witwe des Sportlers Spitzer, die so erstmals aus dem Mund eines Beteiligten hört, was sich in Fürstenfeldbruck zutrug. G. Schlosser muss sich von Israelis den Vorwurf von Befehlsverweigerung gefallen lassen, während Israelis auch mit dem Leben für ihr Land einstehen würden. Frau Spitzer allerdings versteht den damals jungen Bereitschaftspolizisten ohne Spezialeinsatzerfahrung.
    Der Bücherjunge

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  3. Gestern, am 28. Februar 2024, melden die Nachrichten die Festnahme von Daniela Klette in Berlin. Die Zielfahnder kamen durch Hinweise aus der Bevölkerung auf ihre Spur. Nun sitzt sie wegen der Raubüberfälle erst einmal in U-Haft. Sicher dauert es, bis wir, eventuell, Hinweise zu den Verbrechen der 3. Generation der RAF erhalten.

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