Sonntag, 28. Juli 2013

Schilddorfer, Gerd: Falsch


Eine gnadenlose Jagd über die Kontinente und durch die Jahrzehnte. Ein blutiger Überfall im kolumbianischen Dschungel. Drei kodierte Botschaften, von Brieftauben in die Welt getragen. Ein Vermögen als Lohn für die Entschlüsselung der Nachrichten ... Der Abenteurer und Pilot John Finch macht sich in Begleitung der attraktiven Fiona Klausner und einer bunt zusammengewürfelten Truppe auf den Weg nach Europa, um ein spektakuläres Geheimnis aus der Nazizeit zu ergründen. Es beginnt ein gnadenloser Wettlauf gegen übermächtige Gegner.












Falsch ist an dem Buch gar nichts... 

 

Der Abenteuerer und Pilot John Finch wird in Kolumbien angeheuert, um ein mysteriöses Geheimnis aus der Nazizeit zu ergründen. Erstaunt über die Höhe der Summe, die ihm für den Fall des Erfolges in Aussicht gestellt wird, nimmt John Finch das Angebot schließlich an.
Schnell wird deutlich, dass verschiedene Leute und Gruppierungen die Nachforschungen sabotieren wollen, und das um jeden Preis. Und so beginnt ein Katz- und Mausspiel quer über die Kontinente und verwurzelt in verschiedenen Epochen, deren Ausläufer noch heute die Gegenwart berühren...

Dieses Buch ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Es beginnt schon damit, dass es statt einem sogar zwei Prologe hat, die hintereinander gesetzt scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Geschichte selbst fesselt dann sofort, wobei der häufige und schnelle Wechsel zwischen Zeiten, Orten und Personen anfangs etwas verwirrend sein mag, es aber durch die klaren Überschriften der kleinen Kapitel schnell immer wieder klar wird, an welchem Punkt man sich gerade befindet.
Ein eingängiger Schreibstil, flüssig und abwechslungsreich, dabei bildhaft und mit wenigen Pinselstrichen eine komplexe Szene vor Augen führend, lassen den Leser durch die Seiten fliegen. Eingestreut sind immer wieder auch humorvolle Einlagen, die eine willkommene Spannungspause bieten. Kleine Cliffhanger am Ende vieler Kapitel verleiten außerdem immer wieder dazu, doch noch ein wenig weiter zu lesen.

Unzählige Handlungsstränge, so scheint es anfangs, führt der Autor parallel immer weiter, ohne sich zu verheddern - und alleine dafür sage ich schon: Chapeau! Und ganz allmählich verweben sich die einzelnen Handlungsstränge zu etwas Ganzem, eng Verflochtenem, das schließlich ganz logisch zueinander findet.
Dabei gibt es immer wieder unerwartete Wendungen, die die Spannung erhöhen, bis hin zum allerletzten Wort des Romans, das den Leser noch einmal die Augenbrauen hochziehen lässt.

In jedem Fall sehr beeindruckend ist das vielschichtige Wissen des Autoren, der durch seinen ursprünglichen Beruf (Journalist) viel erfahren und recherchiert hat und sich dieser Erkenntnisse auch in der Geschichte bedient. Somit haben wir es nicht mit einem reinen Thriller zu tun, sondern mit einer sehr vielschichtigen Erzählung, in die das Wissen des Autoren fast spielerisch nebenher eingewoben ist.
So tauchen in dem Buch Geschehnisse vor und während der russichen Revolution auf, ebenso wie spektakuläre Ereignisse während der Nazizeit, die Geschichten berühmter Gebäude, das Schweizer Bankwesen, ein sog. "Savant" uvm. Beeindruckend! Insgesamt hält sich Schilddorfer an reale Gegebenheiten und Ereignisse, um die er seine Geschichte sich ranken lässt. Und so bleibt letztlich der Eindruck: es KÖNNTE so gewesen sein!

Wieviel Hintergrund hinter einem vermeintlich kleinen Kapitel steckt, durfte ich in einer Leserunde mit dem Autoren erleben, als ich bezüglich einer Szene anmerkte, wie berührend und dabei gar nicht kitschig ich sie fand.
Der Autor merkte hierzu an, dass er als Chefreporter der größten geschichtlichen Dokumentationsreihe des österreichischen Fernsehens in sechs Jahren mehr als 1000 Interviews geführt hat, schwerpunktmäßig auch mit Zeitzeugen des Dritten Reiches. Diese oft sehr berührenden Schicksale hatte Gerd Schilddorfer vor Augen, als er die Szene schrieb...

Bei dem E-Book, das mir vom Verlag für die Leserunde zur Verfügung gestellt wurde, handelt es sich um ein sog. "Enhanced E-Book", ein angereichertes E-Book, das über den Inhalt der klassischen Buchausgabe hinausgeht und die Geschichte auf unterschiedlichen Ebenen ergänzt.
Zahlreiche Fotos und Kartenmaterial sowie Links zu den Orten der Handlung reichern das Ganze beeindruckend an.

Insgesamt ein tolles Leseerlebnis, wobei die Leserunde hervorragend und intensiv durch den Autoren begleitet wurde. Dafür und für die Gelegenheit, dieses Buch zu lesen, meinen besten Dank!

Ich vergebe für dieses Buch 10 von 10 Punkten und nehme es in den Kreis meiner Favoriten auf! Außerdem freue ich mich schon auf Band 2 und 3 der Trilogie... Smiley3


© Parden    



                   




Gerd Schilddorfer
Bisher von ihm erschienen sind:
  •   "Die Novara" - Österreichs Traum von der Weltmacht (Schilddorfer & Weiss) 
  •  Die Trilogie  (Schilddorfer & Weiss)
1. "Ewig"
2. "Narr"
3. "Teufel"
  • Von der Trilogie um John Finch (Schilddorfer)
1. "Falsch"
2.  "Heiß" (ab August 2013)



 

 

Samstag, 27. Juli 2013

Riccarelli, Ugo: Der vollkommene Schmerz


Ende des 19. Jahrhunderts trifft in dem kleinen Dorf Colle in der südlichen Toskana ein neuer Lehrer ein. Der glühende Anarchist genießt bald im Dorf großes Ansehen. Ugo Riccarellis großartiger Roman bebildert Ungerechtigkeit und Freiheitsliebe, Schönheit und Grausamkeit, die Vergänglichkeit der Träume und die Dauerhaftigkeit der Hoffnung. Einer der Söhne des Maestros, Cafiero, wird Annina heiraten, die resolute Tochter des Schweinezüchters Odysseus Bertorelli, und so entspinnt sich parallel die Geschichte einer zweiten Familie, vermischen sich die Schicksale von Idealisten und Pragmatikern, von Träumern und Geschäftemachern, von Gewinnern und Verlierern, die alle miteinander in große Ereignisse verwickelt werden, von der schrecklichen Grippeepidemie bis zu den Kolonialabenteuern der Faschisten, von der Besetzung durch die Deutschen bis zu den Partisanenkämpfen. 



Der vollkommene Schmerz - ein vollkommener Hörgenuss...  

(zuerst veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am  23.12.2010)

 

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Hörbuch ist eines der besten, die ich in diesem Jahr genießen durfte.

Der Roman beginnt in der Mitte des 19.Jahrhunderts in einem kleinen Dorf in Italien und bietet ein anschaulich entfaltetes historisches Panorama von über einhundert Jahren italienischer Geschichte. Er beschreibt das Leben in Italien während der ganzen Epoche der politischen Wirren von Beginn des 19. Jahrhunderts über den ersten Weltkrieg bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Ein Schauplatz, zwei Familien, mehrere Generationen.
Mittendurch verläuft die Eisenbahnlinie, die der italienischen Kleinstadt anfangs den intellektuellen Sozialrevolutionär, den Maestro, zuführt, ihr aber im weiteren Verlauf immer wieder Menschen entreißt. Die neue Ideen bringt, aber auch Verwerfungen. Ein Haselnussbaum wird zum Lebensretter. Eine Maschine mit ihren Einzelteilen und Verbindungselementen steht sinnbildlich für die handelnden Personen, ihre Lebensabläufe und wechselseitigen Beziehungen.

Alle Kinder und Kindeskinder der beiden Familien erfahren beim Leben, Lieben, Hassen und in Konfrontation mit dem Tod irgendwann einen fast "vollkommenen Schmerz" aber nie nimmt er ihnen die Kraft - im Gegenteil. Er ist für die einen Erlösung, für die anderen Anlass zur Veränderung oder zum Neuanfang.
Ugo Riccarelli lässt eine eigene Welt entstehen, schafft Atmosphäre - im Grundton elegisch und nostalgisch, hier und da mit surrealen Einblendungen. Weit mehr als nur Handlungsträger: die Sprache, bildreich, ungehetzt beschreibend, atmosphärisch dicht, sanft und doch eindringlich, mit verhältnismäßig wenigen Dialogen.

Anders als der Titel und die Cover-Illustration vermuten lassen könnten, ist dieser Roman vielleicht im Ton melancholisch, aber keineswegs voll Trostlosigkeit und Depression und traurig gefärbt. Im Gegenteil: es ist eine geradezu "barocke Hymne" an das Leben. Es ist ein kostbarer Roman, weil er letztlich die Freude am Leben zeigt, trotz des vollkommenen Schmerzes...
Ugo Riccarellis Familienepos ist vielleicht am ehesten mit dem weltbekannten Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez zu vergleichen.

Gert Heidenreich, der renommierte Sprecher des Hörbuches, verleiht der poetischen und klaren Sprache des Romans eine besondere Eindringlichkeit und lässt die Geschichte noch lange nachhallen.
Unbedingt empfehlenswert - und für mich ist klar, dass ich den Roman selbst auch noch lesen werde, da es sich bei dem Hörbuch um eine gekürzte Fassung handelt.


Ich vergebe für dieses Hörbuch 10 von 10 Punkten und nehme es in den Kreis meiner Favoriten auf!


© Parden  






Ugo Riccarelli

Im Alter von nur 58 Jahren verstarb am vergangenen Sonntag der Autor Ugo Riccarelli. 
Anslässlich dieses Ereignisses gibt es hier einen interessanten Nachruf.

Seine auf Deutsch erschienenen Bücher, von denen "Der vollkommene Schmerz" sicherlich der international bekannteste Roman ist, finden sich in der Deutschen Nationalbibliothek.
 





Montag, 22. Juli 2013

Ogawa, Yoko: Das Geheimnis der Eulerschen Formel


Seit einem geheimnisvollen Unfall währt das Kurzzeitgedächtnis eines Professors nicht länger als achtzig Minuten. Eine neue Haushälterin gewinnt sein Vertrauen, auch ihren zehnjährigen Sohn schließt er ins Herz. Über die faszinierende Welt der Mathematik kommen sie einander näher, und mit jeder neuen Gleichung, mit jedem neuen Zahlenrätsel entstehen zwischen ihnen Bande, die stärker sind als der Verlust der Erinnerung - bis die Schwägerin des Professors dem ein Ende setzt ... 













Die Poesie der Zahlen 
(zuerst veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am 17.07.2013)

Jeden Tag aufs Neue vergisst er, wer er ist: Seit einem mysteriösen Unfall währt die Erinnerung eines ehemals brillanten Mathematikprofessors nur mehr achtzig Minuten. Zurückgezogen lebt er auf dem Anwesen seiner Schwägerin. Erst einer neuen Haushälterin, deren zehnjährigen Sohn der Professor sogleich ins Herz schließt, gelingt es, sein Vertrauen zu gewinnen. Über die faszinierende Welt der Mathematik knüpfen sie zarte Bande, bis die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit ihre Wirkung entfalten und die Schwägerin des Professors ihrer Annäherung ein Ende setzt.
Eine berückend schöne Geschichte über Freundschaft und Verlust - und über die Poesie der Zahlen. 

Die Eulersche Formel

Anfangs ist es für die Haushälterin irritierend, die Arbeit für jemanden zu verrichten, der einerseits so überaus intelligent ist, andererseits aber ständig wieder alles vergisst, was länger her ist als achtzig Minuten. Doch weit davon entfernt, einfach nur Mitleid mit dem Professor zu haben, lässt die Haushälterin sich zugewandt auf sein So-Sein ein und gewinnt dadurch sein Vertrauen, auch wenn er sich am nächsten Tag nicht mehr an sie erinnern kann.
So erkennt die Haushälterin zunehmend, wie gut der Professor sich in der Welt eingerichtet hat trotz aller Schwierigkeiten. Dinge, die er nicht vergessen will, schreibt er auf kleine Notizzettel und heftet sich diese an seinen Anzug. "...die Notizen, die ihn wie ein Kokon umhüllten..." Er geht nach Möglichkeit nicht nach draußen und überspielt Unsicherheiten mit Hilfe seiner Welt der Zahlen. So wird die Haushälterin z.B. jeden Morgen mit der Frage begrüßt, welche Schuhgröße sie hat.

In allem, was ihn umgibt, entdeckt der Professor den Zauber der Zahlen. Er erweist sich als geduldiger und einfühlsamer Vermittler mathematischen Wissens - und neben einem wachsenden Verständnis für derlei Zusammenhänge erlebt die Haushälterin zunehmend die Poesie, die der Professor aus den mathematischen Gegebenheiten zieht. "Mich überkam das Gefühl, dass sich mir in diesem Augenblick das Geheimnis des Universums offenbarte." (S. 69) Gerade im ersten Drittel des Buches konnte ich als Leser die Faszination der Haushälterin verstehen - stellenweise war ich richtig berührt. Wer hätte das gedacht: so ein trockener Stoff wie die Mathematik gewinnt durch diese Art der Darstellung etwas absolut Bezauberndes, Poetisches, fast Philosophisches. Und das ohne große Worte oder viel "Chi Chi"...
Ganz allmählich und trotz immerwährenden Vergessens entwickelt sich zwischen der Haushälterin, ihrem 10jährigen Sohn und dem Professor eine Freundschaft und von gegenseitigem Respekt geprägte Verbundenheit. Schön finde ich, wie es der Autorin gelingt, die Situation des Professors nahezubringen ohne dabei zu sehr ins Melancholische abzudriften. Um ihn nicht traurig werden zu lassen, versuchen die Haushälterin und ihr Sohn stets, die Illusion für ihn aufrecht zu erhalten. Denn wenn er merkt, dass er etwas vergessen hat, reagiert er irritiert und tief traurig, und das wollen die beiden um jeden Preis verhindern. Denn jeder Morgen ist für ihn schon schlimm genug, wenn er den wichtigsten Notizzettel immer wieder neu entdeckt: "Mein Erinnerungsvermögen dauert nur 80 Minuten".

Die Geschichte mag einige logische Fehler aufweisen, und teilweise erscheint die Erzählung vor allem im letzten Drittel etwas sprunghaft. Zudem ist dem europäischen Leser die japanische Mentalität sicherlich etwas fremd, so dass ein Rest an Distanz zu den Charakteren bleibt.
Doch insgesamt ist es ein derart anmutiges und bewegendes Buch, dass ich hierfür die volle Punktzahl vergebe und es in den Kreis meiner Favoriten aufnehme. 


© Parden 



Ich danke LovelyBooks und dem Aufbau-Verlag ganz herzlich für die Möglichkeit, dieses Buch im Rahmen einer Leserunde lesen zu dürfen.



Yoko Ogawa
Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Tanizaki-Jun'ichiro-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri- Preis. Yoko Ogawa lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo.

Auf Deutsch erscheint ihr Werk im Münchner Liebeskind-Verlag.




MANN, Thomas: Autorenseite


Biografisches & Bibliografisches






Kurzbiografie:
  • Thomas Mann wird am 06. Juni 1875 in Lübeck geboren
  • Eltern: Thomas Johann Heinrich Mann, Kaufmann und Senator in Lübeck und Julia Mann, geb. da Silva-Bruhns
  • Geschwister: Heinrich, Julia, Carla und Viktor Mann
  • 1891: Der Vater stirbt 
  • 1894: Thomas Mann legt die "Mittlere Reife" nach 9-jähriger Schulzeit ab, seine Leistungen werden als "mäßig bis sehr mäßig" eingestuft, er beginnt ein Volontariat bei einer Versicherung
  • Ebenfalls 1894 veröffentlich er seine erste Novelle (Gefallen)
  • 1895 beschließt er, als Schriftsteller und Journalist zu arbeiten und beendet seine Tätigkeit für die Versicherung. Er besucht Vorlesungen an der TH München
  • 1896 wird er 21 und damit volljährig. Er erhält monatlich 180 Goldmark aus den Zinsen des väterlichen Vermögensnachlasses, was ihm ein Leben als freier Schriftsteller ermöglicht
  • 1896 folgt er seinem Bruder Heinrich nach Italien. Mit ihm veröffentlicht er dort das Bilderbuch für artige Kinder
  • im gleichen Jahr beginnt er seinen ersten Roman Buddenbrooks; er schreibt einige Novellen, u.a. Der kleine Herr Friedemann
  • 1888/1889: Mitarbeit in der Redaktion des Simplicissimus
  • 1901: Buddenbrooks erscheint als 2-bändige Ausgabe und findet wenig Beachtung, erst die einbändige Ausgabe von 1903 bringt den Durchbruch
Katia Mann mit ihren 6 Kindern 1919
(Quelle: Wikipedia)
  • 1904 lernt Thomas Mann seine spätere Frau Katia Pringsheim kennen
  • 1905: Heirat mit Katia Pringsheim. Aus der Ehe gehen 6 Kinder hervor, darunter die Schriftsteller Erika Mann, Klaus Mann und Golo Mann.
  • 1912: Ein Sanatoriumsaufenthalt Katia Manns in Davos inspiriert Thomas Mann zu seinem Buch Der Zauberberg (1913 begonnen, aber erst 11 Jahre später vollendet)
  • 1914: Die Familie bezieht eine Villa im Münchener Stadtteil Herzogpark
  • 1922: Mann für die Weimarer Republik ein: Mitgliedschaft in der Deutschen Demokratischen Partei
  • 1924: Der Zauberberg erscheint
  • 1929: Für die Buddenbrooks wird ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen
  • 17. Oktober 1930: Thomas Mann hält im Berliner Beethovensaal seine Deutsche Ansprache (Appell an die Vernunft) und gibt sich damit als Gegner der Nationalsozialisten zu erkennen
  • 1933: Die Famile kehrt nach der nationalsozialistischen Machtübernahme von einem Auslandsaufenthalt nicht nach München zurück. Es folgen Aufenthalte in Frankreich und in der Schweiz. Die Nationalsozialisten beschlagnahmen sein Münchener Haus samt Inventar und begründen dies mit angeblichen Steuerschulden 
  • 1934/35: Erste Reisen in die USA
  • 1936: Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, Entzug des Bonner Ehrendoktorats. Thomas Mann wird die tschechische Staatsbürgerschaft verliehen
  • 1938: Emigration in die USA, Antritt einer Gastprofessur an der Universität Princeton
  • 1944 nimmt Thoas Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft an
  • 1945 vertritt Thomas Mann die sog. "Kollektivschuldthese" in seinem offenen Brief "Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre"
  • 1949: Erster Besuch im Nachkriegsdeutschland
  • 1952: Thomas Mann wird von einem kalifornischen Abgeordneten kommunistischer Gesinnung angeklagt. Er verlässt daraufhin die USA und übersiedelt in die Schweiz
  • 1955: Thomas Mann erhält den Orden "Pour le mérite" für Wissenschaft und Kunst.
  • Er stirbt am 12. August 1955 in Zürich
                 
Werke (u.a.):

Buddenbrooks (1901)
Der Tod in Venedig (1912)
Der Zauberberg (1924)
Lotte in Weimar (1939)
Dr. Faustus (1947)
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Fragment, 1954)


Rezensionen










































Sonntag, 21. Juli 2013

Mann, Thomas: Buddenbrooks

Dallas, Denver-Clan und Buddenbrooks 

eine Rezension von TinSoldier


Plakat zum Film Buddenbrooks 
Welch ein Gegensatz:
Die Geschichte vom Niedergang einer Familie ist gleichzeitig  ein Aufschwung, ja eine Sternstunde der deutschsprachigen Literatur am Beginn des 20. Jahrhunderts!

Buddenbrooks - Verfall einer Familie ist Thomas Manns Erstlingswerk, erschienen im Jahre 1901. 
Und es ist beides: Gesellschaftsroman und Sozialstudie einer großbürgerlichen Lübecker Kaufmannsfamilie des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Vor allem aber ist es ein wunderbares Buch!


Nüchtern und sachlich betrachtet,  beschreibt Thomas Mann in seinem Roman  einen über mehrere Generationen fortschreitenden Degenerationsprozess der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook, der sich sowohl in deren wirtschaftlichem Niedergang als auch in der zunehmend degenerierenden körperlichen und psychischen Verfassung der (männlichen) Familienmitglieder ausdrückt.
  
Mit dem Leserherzen anstelle von kühler Sachlichkeit betrachtet, handelt es sich hingegen um eine bewegende und wunderschön erzählte Familiensaga, deren Charaktere dem Leser schnell an´s Herz wachsen (die meisten jedenfalls - Figuren wie Bendix Grünlich dagegen wohl eher nicht - doch davon später mehr)...
Lübecker Gesellschaft mit Ehepaar Möllendorpf (Bild: Bavaria Film GmbH/Stefan Falke)
Die feine Lübecker Gesellschaft, angeführt von Ehepaar Möllendorpf, am Travemünder Strand
(Szene aus dem Film Buddenbrooks von Heinrich Breloer, 2008)
Möchte man es in heutzutage üblichen Kategorien ausdrücken, könnte man mit einiger Kühnheit auch sagen: Wir haben da einen Vorläufer von Dallas oder Denver Clan vor uns, wenn auch einen Vorläufer mit ganz wesentlich mehr Tiefgang als die beiden "Seifenopern" aus den 80´igern des vorigen Jahrhunderts ! 
Und ja, ich gebe zu, der obige Vergleich hinkt und ist zudem in doppelter Hinsicht problematisch: 
Weist er doch den erwähnten Seifenopern unverdientermaßen eine Bedeutung zu, die sie nicht haben (wenngleich vermutlich mehr Menschen sie sahen als jemals Buddenbrooks gelesen haben), und würdigt Thomas Manns Buch genau so unverdientermaßen herab, indem er es auf eine Stufe mit diesen stellt.
Wie auch immer:
Urteilen sie selbst; wenn Sie Buddenbrooks noch nicht gelesen haben - tun Sie es unbedingt. Sie werden es nicht bereuen!

Im Zusammenhang mit der oben aufgezeigten Parallele zu Dallas und Denver-Clan stellt sich auch die Frage nach der Authentizität der Handlung und des dargestellten Milieus.
Die Handlung ist natürlich in beiden Fällen - Buddenbrooks wie Dallas - fiktiv.
Ob das in Bezug auf die Wahrheitstreue der dargestellten Sozialmilieus auch zutrifft, ist jedoch eine ganz andere Frage. Im Falle von Dallas und Denver-Clan jedenfalls wollen wir uns wünschen, dass dies nicht so ist...
Im Falle der Buddenbrooks hingegen müssen wir konstatieren, dass Thomas Mann selbst aus einer wohlhabenden Lübecker Kaufmannsfamilie stammte. Er wußte also aus eigener Erfahrung genau, worüber er schrieb, denn er verarbeitete hier seine eigene Familiengeschichte. 
Und hier, in seiner Heimatstadt Lübeck und nicht zuletzt in seiner eigenen Familie, fand er auch die Vorbilder für viele seiner Buddenbrook´schen Charaktere.
Dies wissen wir sowohl aus seinen Briefen und Aufzeichnungen als auch aus den überlieferten, in vielen Fällen wenig erfreuten Reaktionen jener Personen, die als Vorbilder für seine Charaktere dienten:
In Lübeck verbreiteten damals Buchhändler sog. "Entschlüsselungslisten", die man sich ausleihen konnte. 
Am schlimmsten traf es seinen Onkel Friedrich Mann, der die unfreiwillige Vorlage für die Romanfigur Christian, das "schwarze Schaf" der Familie Buddenbrook, abgab.
Er veröffentlichte 1903 die folgende, viel belachte Zeitungsannonce:

„Wenn der Verfasser der ‚Buddenbrooks‘ in karikierender Weise seine allernächsten Verwandten in den Schmutz zieht und deren Lebensschicksale eklatant preisgibt, so wird jeder rechtdenkende Mensch finden, dass dieses verwerflich ist. Ein trauriger Vogel, der sein eignes Nest beschmutzt! Friedrich Mann, Hamburg.“

Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, diesen Aspekt hier weiter auszuführen. Der interessierte Leser kann jedoch, falls gewünscht, weitere Informationen zu dieser Thematik hier aufrufen!

1906 verteidigte Thomas Mann jedenfalls sein Werk und schrieb dazu in einem Essay

"Fragt nicht immer, wer soll das sein. […] Sagt nicht immer, das bin ich, das ist jener. Es sind nur Äußerungen des Künstlers gelegentlich Eurer. Stört nicht mit Klatsch und Schmähungen seine Freiheit".

Wir dürfen somit annehmen, dass Thomas Mann´s Milieuschilderungen in Buddenbrooks realistisch sind, d.h. die Lektüre vermittelt hier neben dem Lesevergnügen wirklichkeitsnahe Einblicke in die gesellschaftlichen Strukturen und Zustände der großbürgerlichen Gesellschaft in Lübeck zwischen 1835 und 1877. Dies fällt uns überall dort besonders in´s Auge, wo wir deutliche Unterschiede im Vergleich zu heutigen Zuständen bemerken, etwa in Bezug auf gesellschaftliche Konventionen, die Bedeutung und Stellung der Familie im gesellschaftlichen Umfeld, aber z.B. auch bzgl. der Rolle und Stellung der Frau.
Aber gemach, nähern wir uns dem Thema ruhig und auf konventionelle Weise:
Nämlich der Reihe nach und vom Anfang her!

"Was ist das. - Was - ist das..."
"Je, den Düwel ook, c´est la question, ma très chère demoiselle!"
Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weißlackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt...".

Die Familie Buddenbrook: Tony, Christian, Konsul Jean, Thomas und Konsulin Bethsy
Szenenbild aus der TV-Fassung des Films von Heinrich Breloer

Mit dieser familiären Szene im Hause Buddenbrook im Jahre 1835 beginnt die tragisch - schöne Geschichte, und gleich hier begegnet uns in Tony Buddenbrook einer der schillernden Hauptfiguren des Romans, hier noch Kind, später erwachsene Frau.
Unmerklich fast, mit jedem Wort und mit jedem Satz, gleiten wir von Anfang an langsam aber stetig immer tiefer hinein in diese bewegende Geschichte einer alten und  traditionsbewußten Familie, lassen uns faszinieren von der Erzählkunst des Autors und fesseln von  den Befindlichkeiten und den Schicksalen der Protagonisten, die wir bald mehr, bald weniger in unsere Herzen schließen.
Und hieran erkennen wir den Meister und das Meisterwerk: 
Nichts ist gekünstelt, nichts erscheint uns bemüht, sondern alles ist getragen von einer einzigartigen Gediegenheit in Form und Inhalt, einer einzigartigen Schönheit von Wort und Darstellung und von lebensechter Glaubwürdigkeit. 
Oder, wie es der Lektor seines Verlegers Fischer, Moritz Heimann, 1901 formulierte: Der Roman sei "eine hervorragende Arbeit, redlich, positiv und reich".
Mann hat seine Charaktere so lebensecht und einfühlsam gezeichnet, dass wir gar nicht umhin können, Anteil zu nehmen an ihren Gefühlen, ihren Gedanken, Motiven, Absichten, kurz gesagt also an ihren Schicksalen:

Konsul Jean Buddenbrook 
etwa ist das Familienoberhaupt und bestimmt sowohl der Geschicke der Familie als auch die des Buddenbrook´schen Handelskontors. Doch auch in ihm und in seinen Entscheidungen steckt bereits der vergiftete Samen des Buddenbrook´schen Abstiegs:
Bezeichnenderweise ist er es, der seine Tochter Tony, die wir am Beginn des Buches noch als Kind erlebten, zu der verhängnisvollen Heirat mit der vermeintlich guten Partie Bendix Grünlich drängt, der aber nichts als ein abgefeimter Mitgiftjäger, Betrüger, Bilanzfälsche und letztendlich Bankrotteur ist. 
Tony, die Grünlich verabscheut,  beugt sich am Ende dem väterlichen Willen; aber mehr noch der Buddenbrook´schen Familientradition zuliebe trägt sie schließlich nicht ohne Stolz  Ihre Verlobung mit Grünlich in die Buddenbrook´sche Familienchronik ein:

"Tony blickte lange Zeit auf ihren Namen und auf den freien Raum dahinter. Und dann, plötzlich, mit einem Ruck, mit einem nervösen und eifrigen Minenspiel – sie schluckte hinunter, und ihre Lippen bewegten sich einen Augenblick ganz schnell aneinander – ergriff sie die Feder, tauchte sie nicht, sondern stieß sie in das Tintenfaß und schrieb mit gekrümmtem Zeigefinger und tief auf die Schulter geneigtem, hitzigem Kopf, in ihrer ungelenken und schräg von links nach rechts empor fliegenden Schrift: „Verlobt sich am 22. September 1845 mit Herrn Bendix Grünlich, Kaufmann zu Hamburg.“

Thomas Mann´s Schilderungen der Buddenbrook´schen Familiengeschichte sind  breit angelegt und äußerst detailgenau, was sehr zum Umfang, besonders aber zur atmosphärischen Verdichtung des Romans beiträgt: 


Gerda, Konsulin Bethsy und Tony (Bild: Bavaria Film GmbH/Stefan Falke)
Gerda, Konsulin Bethsy und Tony bei der Senatoren-Vereidigung von Thomas Buddenbrook
Szenenfoto aus der Fernsehfassung des Films von Heinrich Breloer

Wie im richtigen Leben so verzweigen sich auch hier die Ereignisse und schicksalhaften Wendungen und bilden ein verästeltes Entwicklungs- und Beziehungsgeflecht, in welchem dem sozialen Leben in Lübeck sowie dem gesellschaftliche Milieu eine entscheidende Bedeutung zukommt: 
Die gesellschaftliche Stellung erweist sich als entscheidender Faktor im Leben, sie erfordert die volle Loyalität gegenüber der Familie und befördert das Streben nach Vermehrung von Reichtum und Ansehen. 
Das Großbürgertum ist zweifellos der "Adel" des 19. Jahrhunderts:
Großbürgerliche Standesdünkel und ein überlieferter großbürgerlicher Ehren- und Verhaltenskodex bestimmen das Leben der "feinen Kreise". Geld und Einfluss sind alles und untrennbar miteinander verknüpft: Hast du das Eine, erlangst du das Andere um so leichter!
Für dieses Konzept war man seinerzeit bereit, auch sein persönliches Lebensglück für "ein höheres Ziel" zu opfern:
Vor diesem Hintergrund wird die oben beschriebene, aus heutiger Sicht nicht ohne weiteres nachvollziehbare Entscheidung der Tony Buddenbrook verständlicher.
Andere Beispiele für die strenge Orientierung der Buddenbrooks an diesen gesellschaftlichen Regeln und Mechanismen lassen sich im Roman leicht und zahlreich finden, und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind, wie am Beispiel Tony Buddenbrook zu sehen, für die betroffenen Charaktere nicht immer schön.

Christian Buddenbrook, Enfant terrible der Familie, ist ein Bohémien par excellence, ein Außenseiter, der sich schon schon als Jugendlicher zur Halbwelt des Theaters hingezogen fühlt. Gegen die strengen Konventionen des Großbürgertums rebelliert er von Anfang an auf seine ganz spezielle Art und Weise und mit Verachtung. 
Nach langem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt, versucht er sich dennoch zunächst als Prokurist in der Firma. Für diese Tätigkeit erweist er sich aber bald als völlig untauglich, ja als unwillig. Seine Zeit verbringt er lieber als reicher Lebemann in den Clubs und im Theater der Stadt. 
Zu der Theaterstatistin Alina Puvogel unterhält er bald eine nicht standesgemäße Liebesbeziehung. Zum Ärger seines Bruder hält er diese Affäre jedoch nicht geheim, und seine Eskapaden liefern der Lübecker Gesellschaft bald reichlichen Gesprächsstoff. 
Auch zeigt er bald eine ausgeprägte Neigung zur Hypochondrie und seine (eingebildeten) Krankheiten und Beschwerden werden zu einem seiner beliebtesten Gesprächsthemen, was in seinem Umfeld zunehmend als peinlich, lächerlich und unangemessen angesehen wird.
Als Christian öffentlich äußert, eigentlich sei doch "jeder Geschäftsmann ein Gauner", kommt zu einem ersten Eklat. 
Seine Absicht, mit Alina die Ehe eingehen zu wollen, führt zu einem heftigen Streit und schließlich zum Zerwürfnis mit seinem Bruder Thomas:

"Nun, du wirst das alles nicht tun!" wiederholte Thomas Buddenbrook beinahe sinnlos vor Zorn, blaß, bebend und mit zuckenden Bewegungen. "Solange ich über der Erde bin, geschieht dies nicht - ich schwöre es dir! Hüte dich - nimm dich in acht! [...] Du hast der Familie genug der Blamage zugefügt, Mensch, als daß es noch nötig wäre, uns mit einer Kurtisane zu verschwägern und ihren Kindern unseren Namen zu geben. Ich verbiete es dir, hörst du? 
Ich verbiete es dir! [...] Ich lasse dich für kindisch erklären, ich lasse dich einsperren, ich mache dich zunichte! Zunichte! Verstehst du mich?!“

Die Figur des Christian Buddenbrook ist innerhalb des Buddenbrook´schen Familienclans diejenige, welche von Anfang an starke neurotische und degenerative Züge aufweist. Er scheint zu allem, nur nicht zum Geschäftsmann und honorigen Großbürger geboren zu sein und flüchtet sich schließlich in eine unablässige Abfolge von unbestimmten (eingebildeten?) Leiden, die ihm als Begründung für sein Versagen im Familienbetrieb und vor allem als stetes, bald von allen als peinlich empfundenes Gesprächsthema dienen. Seine psychische Disposition wirkt zersetzend und erweist sich für den Verfall der Buddenbrooks als Symptom, (Mit-)Ursache und Wirkung zugleich.
Schließlich macht die Zersetzung auch vor ihm selbst nicht halt: 
Zwar kommt es zwischen ihm und Thomas vor dessen Tod noch zu einer stillschweigenden Aussöhnung, wegen seiner Wahnideen und Zwangsvorstellungen wird er dennoch am Ende zwangsweise in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, und zwar auf Veranlassung von Alina Buddenbrook, geborene Puvogel...

Kein Geringerer als Thomas Johann Heinrich Mann, Thomas Manns Vater, war das Vorbild für die Figur des Thomas Buddenbrook:
Thomas Buddenbrook übernimmt von seinem Vater Jean Buddenbrook die Leitung der Familiengeschäfte und die Rolle des Familienoberhaupts.
Er ist erfolgreich, heiratet standesgemäß, baut ein neues Haus für sich, seine Frau und den 1861 geborenen Sohn Hanno und avanciert schließlich in Lübeck zum Senator.
Nach außen erscheint mithin alles in völliger Ordnung.
In Wahrheit aber verausgabt sich Thomas Buddenbrook im Laufe der Jahre psychisch und physisch dabei, die Geschicke der Firma und der Familie zu lenken und auch bei dem Versuch, den Schein nach außen zu wahren:
Geschäftliche Rückschläge und finanzielle Verluste mehren sich, der Buddenbrook´sche Stern hat seinen Zenit überschritten und beginnt zu sinken. Die Kosten für den Bau seines großzügigen Hauses sowie schlecht gehende Geschäfte tun ihr Übriges:

„Die Geschäfte gehen schlecht, sie gehen zum Verzweifeln, genau seit der Zeit, daß ich mehr als Hunderttausend auf mein Haus gewandt habe.“

Mit nur 48 Jahren schließlich ist er merklich gealtert, ausgebrannt und erfüllt von Todesahnungen: 

„Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod.“

Auch seine Frau Gerda, die in ihrer Rolle als Frau Senatorin Buddenbrook niemals aufgegangen war, ist ihm nun entfremdet, und Hanno, der Sohn, erweist sich als gänzlich unfähig, das väterliche Erbe zu übernehmen.
Bald erscheint ihm der Tod als willkommene Möglichkeit, Ordnung in das Chaos des irdischen Daseins zu bringen.

Thomas Buddenbrokk leidet nach einer mißglückten Zahnextraktion pochende Schmerzen, als ihn auf offener Straße der Tod ereilt:

 "Er vollführte eine halbe Drehung und schlug mit ausgestreckten Armen vornüber auf das nasse Pflaster. [...]
Er war auf´s Gesicht gefallen, unter dem sofort eine Blutlache sich auszubreiten begann. Sein Hut rollte ein Stück des Fahrdammes hinunter. Sein Pelz war mit Kot und Schneewasser bespritzt. Seine Hände, in den weißen Glacéhandschuhen, lagen ausgestreckt in einer Pfütze...".

So stirbt Thomas Buddenbrook, der Zeit seines Lebens auf ein tadelloses Äußeres geachtet hatte, einen unwürdigen Tod im Straßenschmutz.
Mit seinem Hinscheiden zerfällt die Kaufmannsfamilie Buddenbrook, der Niedergang ist unumkehrbar vollzogen, denn sein Sohn Hanno ist nicht zum Kaufmann geboren. 
Dieser zeigt zwar musikalische Talente, versagt aber letztlich auch darin.
Er resigniert in der Selbsteinschäzung, "dass aus ihm nichts werden könne" und stirbt schließlich im jugendlichen Alter von 17 Jahren in einem Internat an Typhus.





Thomas Mann zählt zu den größten deutschsprachigen Autoren der Neuzeit und seine Werke sind längst Teil eines nationalen und internationalen Kanons der Weltliteratur. Und "Buddenbrooks - Verfall einer Familie" begründete zu Recht seinen Weltruhm als Romanautor. Nicht zuletzt erhielt er für dieses Werk 1929 den Nobelpreis für Literatur.





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Samstag, 20. Juli 2013

LWH: Licht über weißen Felsen

Das Blut des Adlers II: Zukunft in Sicht?
Pentalogie von Liselotte Welskopf - Henrich
Rezension aus Anlass der Neuveröffentlichung des Palisander-Verlages im Jahr 2013

Band 1: Nacht über der Prärie
► Band 2: Licht über weißen Felsen
Band 3: Stein mit Hörnern
Band 4: Der siebenstufige Berg
Band 5: Das helle Gesicht

* * *

Die Handlung:


Die Hauptfigur des zweiten Bandes der Pentalogie ist der uns nun schon bekannte Joe Stonehorn King oder Inya-he-yukan, was "Stein mit Hörnern" heißt. In diesem Band, welchen Liselotte Welskopf-Henrich im Jahr 1967 im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale veröffentlichte, hat Joe vor, nicht nur seine kleine Bucking Horse & Buffalo Ranch rentabel zu machen, er möchte auch, dass "nebenan" eine Schulranch entsteht um etwas gegen die Arbeitslosigkeit vor allem jugendlicher Indianer in der Reservation zu tun. Aber die Schatten der Vergangenheit lauern. Hat er doch (siehe ►NACHT ÜBER DER PRÄRIE) zwei Perdediebe und Brandyschmuggler in Notwehr erschossen und nun kann nur noch Mary Booth, die Tochter des ehemaligen Nachbarn der Kings, Issac, mit ihrer Aussage helfen. Gegen die eigene Familie, gegen den Bruder, den Joes junge Frau Queenie erschossen hat, als er sie unter Alkohol nicht nur bedrängte sondern auch angriff.

Eigentlicher Held der Geschichte ist aber ein kleiner Junge namens Byron BIGHORN, mit indianischem Namen WAKIYA-KNASKIYA. Wakiya lebt mit seiner Mutter und zwei kleinen Geschwistern ebenfalls in der Reservation nahe den Weißen Felsen, die das unbekannte Grab des Reiterführers Tashunka - witko aufnahmen. Die Mutter ist arbeitslos, der Vater an Diabetes gestorben. Er lehrte seinen Jungen die indianischen Gebräuche und die Religion. Wakiya glaubt daran, dass die Toten und die Büffel wieder kommen werden. Er muss in die Schule und lernt anfangs sehr gut. Sein großes Vorbild ist der immer noch verfemte Joe King, er begenet ihm an dem Tage, welcher Joe und Queenie zusammenführt. Aber der Junge ist auch krank. Ihn quält die Epilepsie. Oft kann er nicht zur Schule. nicht nur deswegen droht er sitzenzubleiben. Während eines Präriebrandes rettet Joe mit dem "Doc" EIVIE die Familie Bighorn vor dem Feuer und nimmt den Jungen später zu sich. Er darf in der vierten Klasse weiter lernen...

Wakiya, der die indianischen Traditionen und Glaubenssätze wie kein anderes Kind kennt, sieht, dass die Büffel auf Inya-he-yukans Ranch wieder gekommen sind. Auch lernt er den alten Inya-he-yukan kennen, der ihm weiter von den alten Mythen erzählt. Wie auch die Großmutter (Untschida) Tashinas, sie erzählt immer wieder die Geschichte vom Steinknaben. Der alte Indianer hat Joe geholfen und die Spuren des Kampfes mit den Pferdedieben beseitigt. Der Ankläger im Prozess gegen Joe King ist ein Verwandter von Byron. Wakiya wird seinem Wahlvater helfen, nicht nur aus dem Gefängnis entlassen, sondern auch des Mordes freigesprochen zu werden. Nur er, eigentlich ganz allein. Er beschließt, einmal Rechtsanwalt zu werden...

Schließlich wird auch sein Bruder HANSKA zu der Famile stoßen und mit ihrem Wahlvater besuchen sie die Wälder in den ehemaligen Jagdgründen der Siksikau (Schwarzfußindianer) , in denen Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger mit seinem Freund und Blutsbruder Stark wie ein Hirsch bereits auf Jagd gingen...

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Liselotte Welskopf-Henrich war der Junge so wichtig, dass sie seine Geschichte in einem Kinderbuch noch einmal veröffentlichte. Wakiya ist ein Denker, ein kleiner Geheimnismann, der schon als Vierjähriger mit einem solchen (großen) Geheimnismann zusammenkam. Er hat ein sehr gutes Gedächtnis und versteht auch die inneren Beweggründe, die seine Wahleltern in diesem Roman fast auseinanderbringen, als Queenie Tashina für ein Jahr auf die Kunstschule zurück geht um ihren Abschluss zu machen. Er ist es auch, der ihr später schreibt, dass sie zurück kommen soll, er braucht sie jetzt. Wakiya findet den richtigen Zeitpunkt.



Kinder spielen überhaupt eine sehr wichtige Rolle in der Pentalogie. Beispiel dafür ist, dass Joe und Queenie nicht nur eigene Kinder haben sondern auch mehrere Pflegekinder aufnehmen. Wakiyas Bruder Hanska und ihre Schwester Rotadlermädchen gehören dazu. Kinder bringen Joe, den dessen Vergangenheit in Kreisen weißer Gangsterbanden immer wieder einholt, noch am ehesten dazu, sich bei Auseinandersetzungen zurück zu halten und nicht zur Waffe zu greifen: Er hat jetzt eine neue Art von Verantwortung: Erst für Queenie, dann die Kinder und später der Stamm...



Welskopf-Hensich hat als Beispiel immer wieder die Geschichte des Steinknaben (1952 bereits veröffentlicht) verwendet, der alle Tiere abschießt, obwohl er soviel Fleich gar nicht braucht - so wird er zu Stein. Auch dieses Märchen, wurde zu einem eigenen Kinderbuch.

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Zur Geschichte: 
Wiederum zeigt sich, dass Liselotte Welskopf-Henrich unmittelbar an den Jugendroman DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN anknüpft. Die Wahleltern erzählen den Kindern die Geschichten von Harka und Stark wie ein Hirsch, nachdem der alte Inya-he-yukan die Stunde seines Todes wusste und nun auf dem alten Friedhof in der Nähe der King - Ranch begraben liegt. Als Joe mit Wakiya und Hanska nach Kanada fährt, jagen sie dort einen Adler genau an dem Sumpf, aus dem Stein mit Hörnern der Alte seinen Falbhengst holte, ein legendärer Mustang der Prärie. Immer wieder greift die Autorin darauf zurück. Die BÄRENSÖHNE sind der Schlüsseel zu der alten Lebensweise der Lakota ohne die auch die Reservationsindianer der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zu verstehen sind. Daher ist es zum Beispiel eben ein so großes LICHT ÜBER DEN WEISSEN FELSEN; als die Büffel wiederkommen. Grundlage des Lebens und Überlebens der Prärieindianer. Als es die Bisons nicht mehr gab, endete diese Lebensweise. Für den Liebhaber der BÄRENSÖHNE ist es eine große Freude, die "alten" Geschichten wiederzuhören.

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Mitten in South Dakota liegt die ► Pine Ridge Reservation. In der Nähe der ►Black Hills, in den Bad Lands. Auf der Satelittenkarte sind die weißen Felsen gut zu erkennen. Der Kartenausschnitt zeigt das Gebiet in der die Handlung des "elfbändigen" Roman spielt. Außer den Ausflügen zu den Verwandten nach Kanada.Zum näheren Verständnis habe ich dies noch einmal näher dargestellt.


NEW CITY steht für ► RAPID CITY, und rechts im roten Kreis, das ist das FORT NIOBRARA, das "Wirkungsgebiet" von Inya-he-yukan dem Alten. Hier gibt es noch die großen Prärien und inzwischen auch wieder große Herden von Bisons.





Das große Vorbild des alten und des jungen Indianers ist, ich hab es schon erwähnt, der Reiterführer ►Tashunka - witko. Heute entwickelt sich langsam ein etwas anderes Bild auf die eigentlichen Amerikaner. In den Black Hills wurde ähnlich des ►Mount Rushmore ein ►Denkmal für den obersten Kriegshäuptling der Lakota errichtet. Auch dies ist vielleicht ein Ausdruck dafür, dass LICHT ÜBER DEN WEISSEN FELSEN scheint. Hoffnung für die Indianer?

Die Indianer der Reservation sind in zwei Lager gespalten, in den sechziger Jahren des noch nicht so lange beendeten Jahrhunderts. Es gibt die sogenannten Nichttrinker und die Trinker. Den Reservationsindianern ist es bei Gefängnisstrafe verboten, Alkohol zu trinken. Natürlich wird er geschmuggelt. Eine einzige Fabrik, in der Angelhaken in Fließband- bzw. Akkordarbeit hergestellt werden, gibt es in der Nähe, die Arbeitsplätze sind beschränkt. Kunsthandwerk ist noch unterentwickelt. Viele Indianer, die Schulbildung ist mangelhaft vor allem wegen schlechten Kenntnissen der englischen Sprache, kommen aus diesem Elend nicht heraus. Sie meinen, die "Wohlfahrt" der Weißen wäre angestammtes weil vertragliches Recht aus längst vergangener Zeit. Manch einer hat als Soldat in der amerikanischen Armee gedient (Frank Morning Star - stellv. Häuptling). Diese haben die Welt außerhalb der Reservation gesehen und versuchen nun die Lebensverhältnisse zu verbessern. Eine besondere Beachtung verdient das Verfahren, indianische Kinder in Schulinternate weit weg von der heimatlichen Reservation zu stecken. Manchmal gelingt das, wie bei Queenie, aber oft geht es schief. Diese Praxis wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. In LICHT ÜBER WEISSEN FELSEN geht es darum, ob HANSKA, der Pferdebub, wieder auf das Internat soll. Am Ende werden für ihn zwei (!) andere Kinder gehen, deren Eltern allerdings (Krankenschwester, Richter, Erfolgsrancher) vom Nutzen der Ausbildung überzeugt sind. Auch hier sind die Familien gespalten. [1]

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Das Buch:
Der zweite Band der Pentalogie ist ebenso spannend erzählt, wie der erste Band. Die Autorin verwendet wenig (vermeintliche) indianische Ausdrücke. Einen behält sie bei: Die Bekräftigung "HAU! Ich habe gesprochen". Geht es um Kunst oder Religion, dann sind es sehr oft kurze, sehr prägnante Ausdrücke ohne viele Worte. Dies kommt vermutlich auch daher, dass zum Beispiel abstrakte Begriffe der Lakotasprache eher fremd sind. Dies diskutieren die MENSCHEN (Indianer) auch einmal mit Schülern am Zeltfeuer. Welskopf-Henrich versteht es, dies anschaulich zu vermitteln. Andererseits verwendet sie in ihren Beschreibungen die ganze Palette der deutschen Sprache. Interessant dazu ist sicherlich ihre Auffassung zur deutschen Schriftsprache, die sie gegenüber einer Lektorin einmal sehr deutlich zum Ausdruck brachte:

"Ich vertrete die Auffassung, dass die Schriftsprache des Schriftstellers den Verarmungsprozess, dem unsere mündliche Sprache unterliegt, nicht zu unterstützen hat. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, die Sprache so reich wie möglich zu erhalten und zu gestalten, und er wird daher jedes treffende deutsche Wort, das ohne weiteres allen verständlich ist, auch dann anwenden, wenn es im mündlichen Verkehrnicht oder nicht mehr üblich ist..." [2]
Schon das ist doch ein Grund, die Romane unbedingt weiter zu empfehlen.

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Wieder sind es Drei- und Vierecke, die in grün bis beige den Schutzumschlag zieren. Der Adler ist das Tier, welches nun (wohl) über die WEISSEN FELSEN fliegt. Oder im Felsengebirge, weit oben in Kanada. Denn Joe jagd dort mit Wakiya und Hanska um seinem Ahnen neue Federn an den Grabschmuck zu hängen. Wieder eine Verbindung der beiden Romane, finde ich.

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Die Anhänge:
In den Anhängen finden wir diesmal einen Beitrag von Frank ELSTNER zu DER MANN DER HARRY OKUTE WAR. Herr Elstner gehört zu den Gründern (?) des Verlags und schreibt hier über das Zusammentreffen von Liselotte Welskopf-Henrich mit John Okute Sica 1963 in Kanada. OKUTE, dessen Name für den bürgerlichen Namen des Inya-he-yukan dem Alten verwendet wird, war ein Lakote, der 1890 geboren wurde und unter Männern aufwuchs, die Tatanka Iyotake (Tatanka Yotanka) und ► Tashunka - witko (Crazy Horse) noch kannten. Er wurde wenige Monate vor der Ermodung ► Tatanka Yotankas (Sitting Bull) geboren. Er hatte das Ziel, die alten Geschichten und Mythen, die er noch selbst erzählt bekam zu bewahren und wurde so zum Schriftsteller. Welskopf-Henricht traf kurz vor dessen Tod auf ihn und bekam von dessen Witwe das Manuskript seiner Aufzeichnungen. Die Handlung des letzten Romans der Pentalogie DAS HELLE GESICHT (Ite-ská-wi) ist in Teilen direkt auf John Okutes Erzählung ITE-SKÁ-WI zurückzuführen. [3] Von der Autorin selbst finden wir anschließend einen Aufsatz BEI DEN DAKOTA IN DEN WOODMOUNTAINS. Sie beschreibt hier diese Begegnung mit WOONKA-PI-SNI ("Wurde nicht niedergeschossen" - was sich wohl auf das Massaker von Wounded Knee bezieht).[4]

Im Anschluss findet sich ein Auszug (Das Buch einer Generation) aus dem schon erwähnten Buch von Erik Lorenz, in dem er die Begebenheiten um die ersten Ausgaben der SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN beschreibt. [5]
* * *
Die Gefahr der Wiederholung besteht, wenn ich schreibe, dass die Zusammenführung von DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN und DAS BLUT DES ADLERS in einer Edition aus meiner Sicht notwendig ist, dem Palisanderverlag aber auch jetzt bereits, bzw. nochmals für diese Auflage zu danken ist.

► Licht über weißen Felsen in der DNB
► LWH in der DNB
► LWH - Autorenseite
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[1] siehe dazu: ►www.buchgesichter.de vom 26.07.2009; Wortgeflüster zur amerikanischen Miniserie INTO THE WEST. Im fünften Teil wird das Problem Schulinternat im 19. Jahhundert eingehend und kritisch behandelt. Auch dies ein Zeichen für ein gewisses Umdenken in den USA zu den Indian Nations.
[2] LORENZ, Erik: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Eine Biographie; Palisander Verlag, Chemnitz, 2/2010, Seite 105; auch Anhang LICHT ÜBER...
[3] ELSTNER, Frank: Der Mann der Harry Okute war; In: LWH: Licht über weißen Felsen, Seite 441
[4] LWH: Bei den Dakota in den Woodmountains; In: LWH: Licht über weißen Felsen, Seite 446
[5] Lorenz, Erik, Ebenda; gekürzt in LWH: Licht über weißen Felsen; Anhang