Mit einer gewissen Israel-
oder Palästina-Affinität kommt man an Jerusalem
nicht vorbei. Es ist schon eine faszinierende Stadt und ob man sich über das
Jerusalem vor 2000 Jahren, dem der Kreuzzüge vor 1000 Jahren oder dem 1967
wieder Vereinigten nähert, ist dabei fast unerheblich.
Selten ist ein Mensch 28 Jahre
Bürgermeister einer Stadt. Teddy Kollek war es von 1965 bis 1993.
1 Als er das Amt
aufgab oder aufgeben musste, war er 82 Jahre alt. Vor einigen Wochen drückte
mir ein Kollege sein Buch
EIN LEBEN FÜR JERUSALEM in die Hand.
In
diesem autobiografischen Buch, Mitautor Amos Kollek (Sohn), lernen wir nicht nur das Jerusalem der
Bürgermeisterzeit des in Veszprém, Ungarn, geborenen und in Wien aufgewachsenen
Teddy (Theodor nach Herzl 2 benannt) Kollek kennen, sondern
natürlich das Jerusalem, wie es nach der Staatsgründung Israels aussah. Vor
allem war es bis 1967 geteilt in einen israelisch-jüdischen und einen
jordanisch-arabischen Teil.
Kollek
selber war ein waschechter Zionist wie schon sein Vater. Er schloss sich der
zionistischen Jugendbewegung an und war ab dem Jahr 1937 Mitbegründer des
Kibbuz
Ein Gev am See Genezareth. Er hätte, vielleicht hat er ja auch,
das Vorbild für
Leon Uris Romanfigur Ari ben Kanaan
3 aus dem Roman
EXODUS abgeben können. Kollek reiste durch die Welt, verhandelte
vor allem mit US-Amerikanern aber auch mit lateinamerikanischen Diktatoren über
den Kauf von Waffen und veranlasste den Schmuggel dieser nach Palästina.
4
Als
Mitglied der Hagana war Kollek an der Rettung von Juden aus Europa beteiligt
und sprach in dieser Funktion mit
Eichmann 5 persönlich. Damit war er beteiligt an der
Entlassung von 300 Jugendlichen aus verschiedenen Konzentrationslagern.
6
In Bezug auf den Eichmannprozess schreibt er:
„In gewisser
Weise glaube ich, daß das bedeutsamste Ereignis in der neueren Geschichte nicht
die Gründung des Staates Israel war, sondern die Ausrottung von sechs Millionen
Juden. Sicherlich: Das eine ist ein positives Ereignis, das andere ein
negatives. Wenn man die beiden jedoch überhaupt miteinander vergleichen will,
dann hat das letztere — die grauenhafteste Tragödie für unser Volk — vermutlich
doch den tiefgreifenderen Einfluß auf den Lauf unserer Geschichte ausgeübt.
Doch wie dem auch sei — man kann keine historischen Ereignisse hassen, und auch
einzelne Menschen zu hassen hat keinen Sinn. Der Mensch Eichmann löste in mir
keine starken Haßgefühle aus. Ich kann sehr zornig oder enttäuscht sein, Haß
jedoch habe ich niemals verspürt, nicht einmal Antisemiten gegenüber. Während
des Zweiten Weltkrieges galt meine Wut mehr unserer eigenen Ohnmacht als den
Nazis, mehr der Tatsache, daß wir ihre Taten nicht verhindern konnten.“ 7
Bevor Kollek Bürgermeister von Jerusalem wurde, arbeitete
er im Ministerpräsidentenamt – als eine Art Kanzleramtsminister für
David Ben Gurion In diesem
Zusammenhang erzählt er von sich als Zionist und geht auf Öffentlichkeitsarbeit
und Tourismus ein:
„Seit Beginn
meiner Laufbahn im öffentlichen Leben — von der Zeit in der Jugendbewegung bis
zu meinem augenblicklichen Amt als Bürgermeister von Jerusalem — habe ich mich
in allererster Linie als Verfechter der zionistischen Sache gesehen. Ich halte
es für außerordentlich wichtig, der Welt den Zionismus zu erklären, und mir ist
das zur zweiten Natur geworden. Wenn es in meiner Macht stände, die Kompetenzen
in der Regierung zu verteilen, würde ich sämtliche Stellen, die etwas mit
Public Relations, Information, Medien und Tourismus zu tun haben, im
Ministerpräsidentenamt zusammenfassen. Sie sind von grundlegender Bedeutung und
sollten von dem Mann gesteuert und koordiniert werden, der auch Israels Politik
bestimmt.“ 8
Er erzählt von der Zehnjahresfeier der Staatsgründung, von
Kulturveranstaltungen, dem Besuch von
Papst Paul VI und dem „phantastischem
Public Relations Erfolg des Romans
EXODUS. Hierzu meint er, dass
„Buch und Film
ein idealisiertes Bild von Israel [schufen] als einem Land voller Helden und
Halbgötter – kurz ein Volk von ganz außergewöhnlichen klugen und kühnen
Menschen.“ Dies führte u.a. auch zu einer
gewissen Überheblichkeit und Sorglosigkeit, was in dieser gespannten Region zu
nicht unerheblichen Todesopfern führte.
9 Von Optimismus zeugt
allerdings eine Geschichte, wonach ein Konzert mit
Isaak Stern in Ein Gev nahe
der syrischen Grenze stattfand, obwohl in Syrien gerade eine Revolution
ausbrach und auf den Golan-Höhen gekämpft wurde. Das war 1951. „Sowohl die
Schüsse als auch Isaaks Geigenklänge waren typisch für die Zeit.“
10
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mit Gurion und Moshe |
Gerade in aktueller Zeit wird viel über demokratische
Wahlen diskutiert. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang die Meinung
Kolleks zu indirekten und direkten Wahlen, letztere zieht er bei weitem vor: „Das
allerwichtigste für die Wähler ist jedoch zu wissen, wen sie wählen, und für
den Gewählten, unmittelbaren Kontakt zu einer klar umrissenen Wählerschaft zu
haben und ihre Interessen zu vertreten. So wie die Dinge heute laufen, werden
die Kandidaten für die Knesset von Parteisekretären ausgesucht, und zwar
zumeist eher aufgrund von Loyalität als aufgrund von Fähigkeit, wobei die Wünsche
der Wähler Überhaupt nicht berücksichtigt werden. Rückt die nächste Wahl näher,
haben die Wähler, falls sie meinen, daß ein bestimmter Abgeordneter der
besonders gut oder auffällig schlecht war, keinerlei Möglichkeiten der
Einflußnahme. Sie können den Stellenwert des Betreffenden auf der Parteiliste
nicht ändern. Außerdem vertreten Knessetabgeordnete derselben Partei oft ganz
unterschiedliche Ansichten, so daß die Wähler nicht wissen, welche Politik denn
nun eigentlich verwirklicht werden wird. Das System produziert außerdem eine
große Anzahl kleiner Parteien und schließt die Wahl einer verantwortlichen
Mehrheitspartei vollständig aus.“ 11
Jedenfalls hat sich Kollek nicht nur unter seinen eigenen
Mehrheitsverhältnissen gut halten können. 12
Die
Presse: Das ist schon ein Kreuz mit der Presse, ob er nun im
Ministerpräsidentenamt arbeitet oder als Bürgermeister, den im Jahr 1966 ein
deutscher Pressemann besucht, der selbst und dessen späteres Imperium immer
kritisch gesehen wurden:
Axel Springer. Schon damals sehr erfolgreich im
zwanzigsten Jahr nach Kriegsende, stiftete Springer Eine Million Dollar für
einen Flügel des Israel-Museums in Jerusalem. Die beiden mochten sich.
Bezeichnend ist aber auch, dass es Ratsmitglieder gab, die des Deutschen Namen
nicht öffentlich erwähnt haben wollten, darüber gab es einen riesen Krach.
Springer selbst soll für antideutsche Gefühle mehr Verständnis gehabt haben.
13
Das
Jahr 1967 ist vielleicht das wichtigste Jahr während der Bürgermeisterjahre des
Autors. Es begründete wahrscheinlich dessen lange Amtszeit. Es war der
Sechstagekrieg, der am 05. Juni 1967 ausbrach. ** Nach dem Präventivschlag der
Israelis auf die ägyptische Luftwaffe rückten dann am nächsten Tag israelische
Truppen in Ostjerusalem ein und bis an die
Klagemauer vor.
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Seit 1967 ununterbrochener Schutz der Klagemauer |
Bürgermeister
einer geteilten Stadt und dann im Krieg zu sein war sicherlich eine gewaltige
Herausforderung. Interessant auch um Hinblick auf kontroverse Ansichten ist das
Thema des Moghrabi-Virtels . Im Wikipedia-Artikel liest man dazu folgendes: „Nach der
Eroberung Ostjerusalems im Jahre 1967 ließ Israel das marokkanische Viertel
zerstören, um besser an die Klagemauer zu gelangen. Kollek war
Hauptverantwortlicher für die Räumung der Häuser.“ 14
Bei
Kollek liest sich dies etwas anders: „Die einzige Lösung des Problems war der
Abriß der Elendsquartiere des Moghrabi-Viertels. Ich... bat Ya'acov Yanai,
Yigael Yadin, den Architekten Arieh Sharon und noch ein paar andere zu einer
Besprechung. Ein dominierendes Gefühl erfüllte mich: Es muß getan werden — so
soll es jetzt geschehen, bevor es zu spät ist. Um zu einem formellen Beschluß
zu kommen, wandte ich mich an meine eigene Verwaltung, die genauso dafür da
war. Dann zogen die Archäologen und anderen Fachleute zur Mauer und zeichneten
genau auf, was abgerissen werden sollte und was nicht. Wir fanden passende
Wohnquartiere für die Leute, die in den Elendshütten gehaust hatten.
Samstagabend, den 10. Juni 1967, begannen wir mit der Planierung des
Moghrabi-Viertels. Nach zwei Tagen war die Arbeit geschafft — fertig, sauber!“ 15
Dies geschah innerhalb von zwei (!) Tagen, sechs Tage nach
Beginn des Krieges, sechs Tage nach dem Sieg. Auch im Wikipedia Artikel zu den
Altstadtvierteln wird nur die Vertreibung der Bewohner erwähnt, von Umsiedlung
liest man da erst einmal nichts.16 – Es galt, den Juden der Welt den
Zugang zur Klagemauer zu ermöglichen. Diese war zwar in den Nachkriegsverträgen
mit Jordanien, bis dahin Verwalter Ost-Jerusalems vereinbart, aber nicht
gewährleistet wurden.17 Vermutlich hat der sonst so besonnene
Bürgermeister West-Jerusalems, der der arabischen Politik seines Landes
durchaus auch kritisch gegenüberstand, hier doch gemeint, dass der Zweck die
Mittel heilige.
* * *
Das die nächsten 26 Jahre nicht einfach waren, dies erfährt man aus der weiteren Lektüre. Kunst, Kultur, das Schulwesen, das Miteinander und
gegeneinander der Kulturen und Religionen, die wechselnde Politik der jeweils
führenden Parteien, werden von ihm beschrieben. Wie ähnlich erscheint dabei dem
europäischen Leser die Rufe nach einem starken Führer wie
Menachem Begin in
den siebziger Jahren zu
Benjamin Netanjahu heute.
18 Es geht um sichere Grenzen, um Einwanderung
weiterer Araber und vieles mehr.
Im Nachwort beschreibt Kollek, wie er des ägyptischen
Präsidenten
Sadat in Jerusalem empfing und der spätere Friedensvertrag mit
Ägypten. Und all dies mit einem Ministerpräsidenten, der einst mit
terroristischen Mitteln
19 gegen Briten und Araber kämpfte.
Bei all diesen Widersprüchen findet sich dann auch die
Kritik an
Kreisky und
Brandt, denen er die Unterstützung Arafats vorwirft.
20
Das Buch enthält nun drei Nachworte. Eins von 1980 zur
deutschen Erstausgabe, eines von 1985 und eines von 1991, in dem dann von einem
Treffen der Außenminister der USA und der Sowjetunion,
Baker und
Pankin und dem
Bemühen um eine Nahost-Friedenskonferenz berichtet wird. Oder von der
Einwanderung Tausender aus der ehemaligen Sowjetunion.
21
Den Wunsch der Palästinenser, Jerusalem zu ihrer Hauptstadt
zu machen, findet Kollek aus praktischer Sicht utopisch. Zwei Verwaltungen
würden zur Spaltung der Stadt führen.
22 Heute, im Jahr 2017, zehn
Jahre nach Teddy Kolleks Tod, scheint man keinen Schritt weiter gekommen zu
sein. Da ist es schon ein Zeichen, wenn der gerade gewählte und umstrittene
US-Präsident
Trump sich unmittelbar in seinem ersten Israelbesuch zu einem
Gebet an der Klagemauer begibt, anschließend dann zum Präsidenten der
Palästinenser
Abbas fährt. Alle Vorgänger und andere Staatsoberhäupter vermieden den
Besuch der Westmauer, wollten sie doch damit eine „Anerkennung“ vermeiden, denn
die Vereinigung der Stadt gilt international als unrechtmäßig. Klar, das
Netanjahu dem Beifall zollt.
Bei aller Zerrissenheit, Meinungsverschiedenheiten,
Kämpfen, Kriegen und Anschlägen, immer wieder erscheint irgendwo in Fünkchen
Hoffnung auf eine Lösung des jahrzehntelangen Konflikts. Es dürfte für Kollek
ein Schock gewesen sein, als
Jitzchak Rabin 1995 von einem extremistischen
Juden ermordet wurde, der ehemalige Stabschef war an der Eroberung Jerusalems
maßgeblich beteiligt und arbeitete 1967 auch mit Kollek eng zusammen. Ob Rabins
Händedruck mit
Yassir Arafat im Beisein von US-Präsident
Clinton seine
Zustimmung fand, wissen wir leider nicht.
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Jitzchak Rabi, Bil Clinton und Yassir Arafat 1993 |
Der Besuch der Klagemauer durch Trump allerdings hätte ihm bestimmt
gefallen.
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Vater und Sohn |
Selten gibt es Autobiografien, die so persönlich Geschichte erzählen. Die eigene und die eines Landes, einer Region, eine politische, ein kulturelle und eine zukunftsweisende. Ein wichtiges Buch.
► DNB / Fischer Taschenbuch Verlag / Frankfurt am Main 1992
/ ISBN: 978-3-596-11269-2 / 446 Seiten
© KaratekaDD
Abbildungen & Quellen:
Abbildungen:
- Abb1: Buchcover
- Abb 2, 4, 5, 6, 10, 11, 14: aus Kollek: Ein Leben für Jerusalem
- Abb 3: Buchcover Exodus
- Abb 7 und 9: Tempelberg, Klagemauer @URDD
- Abb 8: Von Olevy - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5389528
- Abb 13: Von Vince Musi / The White House - gpo.gov - Archived here. Site with better credit info here., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7273344
Quellen:
1 siehe: Kollek, Jerusalem, S. 198
4 zum Beispiel mit Präsident Somoza in Nicaragua. siehe: Kollek: Jerusalem, Seite 118
5 Später war er, als Chef des Ministerpräsidentenamtes unter Ben Gurion (eine Art Kanzleramtsminister) für die logistische Umsetzung des Eichmann-Prozesses verantwortlich. Persönlich besuchte er den Prozess nicht. Vgl. Kollek: Jerusalem, Seite 196 ff
6 vgl. wikipedia, a.a.O
7 siehe Kollek: Jerusalem, Seite 200
8 siehe / vgl. Ebenda, Seite 210
9 vgl. Ebenda, Seite 115
10 vgl. Ebenda, Seite 274/275
11 Kollek gehörte der „Israelischen Arbeiterliste“ – Rafi – an, einer Abspaltung der Arbeiterpartei Mapai. Im Jahr 1968 vereinigtern sich drei Parteien wieder. In Israel sind Spaltungen und neue Zusammenschlüsse von Pateien immer wieder auf der Tagsordnung.
12 vgl. Kollek, Jerusalem, Seite 290 ff
14 siehe Kollek: Jerusalem, Seite 309
16 vgl. Kollek, Jerusalem, Seite 308
17 Begin war in den vierziger Jahren Mitglied der terroristischen Levi Gruppe, auch Irgun genannt.
19 vgl. Lollek, Jerusalem, Seite 417
20 vgl. Ebenda, Seite 425 und 431 /
21 vgl. Ebenda, Seite 432
22 vgl. Ebenda, Seite