Freitag, 31. Januar 2014

BLOGPOST Nr. 2 - Januar 2014

Der Januar war wohl doch ein ziemlich produktiver Blogmonat. Schauen wir doch mal, was es alles gegeben hat:

Die Anne machte uns erst einmal Angst. Sie erzählt unter Neues Jahr - neue Challenges (► hier), was sie so alles vor hat. Eine Challenge ist eine Herausforderung und von diesen will sie in einem Jahr gleich mehrere bestehen. Ich sag da nur viel Spaß und freue mich, dass sie, da sie einen historischen Roman lesen muss, sich u.a. für Berlings DIE KINDER DES GRAL entschieden hat.



KaratekaDD dagegen hatte zuerst einen anderen historischen Roman bei der Hand. Ralf Günther erzählt in DER LEIBARZT (► hier) eine etwas schaurige Geschichte mit und über Carl Gustav Carus, Dresdner Maler und Frauenarzt in Dresden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Sodann konterte wiederum Anne Parden gleich zweimal. Einmal mit der Romanbiografie des Phantoms der Oper (► hier) in Das Phantom von Susan Kay. Ich dachte immer, dass das Musical eine ausgedachte schöne Geschichte oder gar ein Libretto zu einer komposition wäre. Auf jedenfall macht dieser POST neugierig.

Schon länger umschwärmen Buchgesichter und Blogger ein Buch des jungen Autors Markus Walther. Es heißt schlicht BUCHLAND (► hier) Mit ihrer Rezension macht Anne Parden dieses Buch weiteren Lesern und damit auch mir schmackhaft. Es liegt in meinem Stapel ziemlich weit oben, ist aber noch nicht dran. Auf jeden Fall ist es eine Geschichte für Bücherliebhaber und sogeannte Bibliophile, die gern in Antiquariaten stöbern gehen.

Einsam zieht unsere bücherverschlingende Blogmitstreiterin ihres Bloggerweges. Als nächstes hatte es ihr wieder mal ein Fitzek - Roman angetan. Sie berichtet von einer Tour de force aus dem Buch NOAH von Sebastian Fitzek.  Auf jeden Fall soll der Roman aktuelle Probleme aufwerfen wie Überbevölkerung und Ressourcenraubbau. Anne meint, es wäre mal ein anderer, aber auch ein empfehlenswerter Fitzek. (► hier)

In dem Beitrag mit dem Titel BLOGPOST 0: Verlagspost, schreibt KaratekaDD von den schönen Erlebnissen eines Bloggers, dessen Beiträge einen Verlag aufmerksam werden ließen. (► hier)


Klar, das Anne das Erstlingswerk eines gewissen Robert Galbraith lesen musste. DER RUF DES KUCKUCKS (► hier) behandelt die Geschichte eines Londoner Privatermittlers. die Autorin dieses Blogbeitrages meint, dass das Krimidebüt zwar nicht gerade überragend wäre, aber Potential nach oben hätte. Aber gelesen hat sie es wohl hauptsächlich, weil Harry Potters Mutter Lily den Roman geschrieben hat.*

Alte Städte sind ein schöner Anblick, auch wenn sie bereits im 17. Jahrhunder als Städteansichten gemalt wurden sind.
KaratekaDD vergleicht hier zwei Bücher mit solchen Abbildungen. Eines ist ein Faksimile namens CIVITATES ORBIS TERRARUM und das andere ein Buch des 20. Jahrhunderts. (► hier


Etwas wissenschaftlicher geht es in der nächsten Rezension zu. Oder aber zumindes in dem Buch DAS EINSTEIN - MÄDCHEN von Philipp Sington. Es spielt in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts und ist "eine beeindruckende Mischung aus Historie und Fiktion." Meint eine gewisse Anne Parden, welche uns blogmengenmäßig wohl in einen Sack stecken möchte. Aber dieses Buch habe ich mir auch vorgemerkt. (► hier)

Anne hat dann gleich weiter geschrieben und zwei Tage später das Buch DIE VERSCHWÖRUNG DER IDIOTEN rezensiert. Ein "politisch unkorrektes und witziges Buch" findet sie. Geschrieben hat es ein gewisser John K. Toole. (► hier)

Die Blogpost Nr. 1 erzählt dann von den Vorhaben des KaratekaDD, der es zwar ablehnt, an Challenges teilzunehmen, gerade eben aber das Gefühl zu entwickeln scheint, seine eigene Challenge beschrieben zu haben. Obwohl seine Herausforderung für dieses Jahr eher nichts mit Büchern zu tun hat.


Plötzlich und unerwartet, nein, sehnsüchtig erwartet, meldet sich anschließend TinSoldier zu Wort. Nicht etwa, dass er etwas anbietet, das man lesen kann. Nein, er will uns ein zugegebenermaßen bibliophiles Gesellschaftsspiel, DIE WELT DER BÜCHER (► hier) schmackhaft machen. Die zahlreichen Kommentare insbesondere auf unserer Facebookseite geben kund, dass das Spiel tatsächlich anspruchsvoll und ungewöhnlich ist. Außerdem soll es hochwertig sein. **

In der letzten Zeit kommen immer mehr Bücher aus der Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg heraus. Aber das hat nichts zu sagen bei der Rezension über den Roman DER UNGELADENE GAST von Sadie Jones. (► hier). Anne hat das Buch in gewohnt prägnanter Weise für den Blog "auseinander genommen" und sich beim Lesen "gut unterhalten" gefühlt.

WELTGESCHICHTE einmal anders beschreibt KaratekaDD und betrachtet dabei gleich noch ein wenig die Methodik des Geschichtsunterrichts vor über vierzig Jahren, wobei er mit der Problematik des Kalten Krieges in Berührung kommt. (► hier)


"Tiefe psychologische Einsichten in eine Frauenfreundschaft in einem bitterbösen und hochspannenden Debüt" der Colette McBeth (das kann doch bloß ein Pseudonym sein?) hat Anne Parden gewonnen. Der Roman heißt ZORNESKALT und die Rezension kann man ► hier nachlesen. Ich finde, der Name der Autorin sticht auf dem Cover so heraus, dass dies schon Absicht sein muss. Als Debüt an den großen William S. zu erinnern finde ich schon stark.

TinSoldier beschäftigt sich in einem wahrlich sehr umfangreichen und tiefgründig recherchiertem Beitrag mit der Rennaissance. Stephen Greenblatt hat das Buch DIE WENDE - WIE DIE RENAISSANCE begann geschrieben. Dazu geht er tief in die Antike zurück - zu Demokrit und arbeitet sich dann durch die Philosophen in das Mittelalter vor. Es ist ein Bestseller, das Buch. Und dieser Blogbeitrag ► hier auch.

Wenn nicht in den nächsten 1,5 Stunden noch etwas passiert, dann war dies das letzte in diesem kalten Januar Monat hier rezensierte Buch, aber deswegen ist noch nicht gleich Schluss. Denn unser Blog beschäftigt sich zwar hauptsächlich mit Büchern, aber eben auch mit anderen kulturellen Begebenheiten, Konzerten, Veranstaltungen und nicht zuletzt mit Fotos. 

Anne hat MAASTRICHT besucht und in Maastricht eine Kirche besucht. Nicht irgendeine, sondern eine Bibliothekskirche, die POLARE MAASTRICHT. Nein, keine Kirchenbibliothek, das wäre wohl was anderes. Dabei sind viele schöne kommentierte Fotos entstanden, welche man ► hier bewundern kann. Die ungewohnt vielen Kommentare, für die ich mich auch stellvertretend für die Fotoberichterstatterin bedanken möchte, sprechen für sich.


Den letzten Beitrag im Monat Januar hat KaratekaDD dem Blog zugefügt. Dabei handelt es sich durchaus um ein für ihn bedeutendes Projekt, denn der Sohn seiner Lieblingautorin aus Kinder- und Jugendtagen gewährte ihm ein Interview in dem nun (Rudolf) WELSKOPF über WELSKOPF-HENRICH (Liselotte) und sie beide erzählt. Schön, dass das geklappt hat. Das Interview kann ► hier nachgelesen werden.





* * *
Alles in allem ein sehr produktiver Monat. Die Projekte werden aber gar nicht alle. Vielleicht wird die Rubrik Blogpost zu einer regelmäßigen "Posttille"?

© KaratekaDD

* Sorry, Lili Potter heißt natürlich auch nicht Robert Galbraith sondern J. K. Rowling.
** Nee du, ich will dich ganz bestimmt nicht verspotten und freue mich, dass du wieder da bist.

Sonntag, 26. Januar 2014

Aus berufener Feder...

Liselotte Welskopf - Henrich
Dr. Rudolf Welskopf auf einer Lesung













Welskopf 
über Welskopf-Henrich




Mehrfach habe ich es kundgetan: Die Bücher meiner Kindheit und Jugend sind wohl mehr als alle anderen die Indianerromane der ► Liselotte Welskopf-Henrich. Eigentlich muss ich nicht mehr betonen, dass es sich hierbei um
DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN und um
DAS BLUT DES ADLERS handelt.

Während der Arbeit an den durch den ► Palisander-Verlag ( ► Palisander auf FB) zur Verfügung gestellten Rezensionsexemplaren lernte ich durch die Vermittlung des Verlagschefs Frank ELSTNER, den Sohn der Autorin, Herrn Dr. Rudolf WELSKOPF kennen. Der gewährte unserem Blog nun ein Interview, welches ich mit großer Freude hier präsentieren möchte.

* * *

Als DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN erstmals veröffentlicht wurden, waren Sie ungefähr drei Jahre alt. Ab wann trat die Geschichte in Ihre Kindheit?

Ich kannte meine Mutter, seit ich mich an sie erinnern kann, als eine viel arbeitende Frau, im Beruf (Humboldt-Uni) und auch zu Hause. An mehreren Tagen in der Woche war eine private Sekretärin da, die sauber abschrieb, Korrespondenz und Ablage erledigte. Was die „Söhne…“ betrifft, beeindruckte mich zuerst der Schutzumschlag mit dem heldischen Tokei-ihto. Vorgelesen hat meine Mutter mir daraus nicht, vermutlich hielt sie mich im Vorschulalter noch nicht reif genug dafür. Aber sobald ich lesen konnte, habe ich natürlich darin geschmökert, etwa ab 6-7 Jahre.

Liselotte Welskopf-Henrich hat später das Märchen vom Steinknaben veröffentlicht. DIE LIEDER DER ALTEN DAKOTA muss sie gekannt haben. Hat sie Ihnen diese Geschichten erzählt?

Daran kann ich mich nicht erinnern.  

Auf den Wunsch vieler Leser hat Frau Welskopf-Henrich die Geschichte der Bärensöhne "fortgeschrieben". Das heist, sie hat die Vorgeschichte erzählt. Hatten Sie vielleicht einen gewissen Einfluss darauf?

Sie hat berichtet, dass die „Vorgeschichte“ schon lange roh fertig war, aber auf Grund der Schwierigkeiten, überhaupt dieses Thema zu veröffentlichen, hat sie es nur mit dem 3. Band (nach damaliger Zählung) ernsthaft versucht. Irgendwann „nervte“ ich sie aber mit dem Wunsch nach mehr Abenteuergeschichten. Da hatte ich schon einige Karl-May-Bände gelesen und wollte auch von Harka/Tokei-ihto mehr erfahren. Da die „Söhne…“ nun schon ein Bestseller geworden waren, war es kein Problem mehr, die Geschichte von Harkas Kindheit an zu publizieren. Da begann sie mir auch aus dem Manuskript, dass sie für die Veröffentlichung überarbeitete, vorzulesen.

In Erik Lorenz´ Biografie kann man lesen, dass ihr die filmische Umsetzung der Bärensöhne nicht sehr gefallen hat. Haben sie im Kreis der Familie über den Film diskutiert? Sie selbst waren da ja bereits 20 Jahre alt.

Meine Mutter war von der DEFA tief enttäuscht. Die hatten ja leider von der Materie keine Ahnung. Nach dem Drehbuch ließen sie bei der Umsetzung meine Mutter außen vor. Das Ergebnis stellte sie überhaupt nicht zufrieden. Sie zog ihren Namen als Drehbuch(mit-)Autorin zurück, so dass es nur noch hieß „Nach Motiven des Romans…“ . Außerdem führte sie ihre Gallenerkrankung auf den Ärger mit der DEFA zurück. Die Mitarbeit an weiteren Indianerfilmen bzw. die Verfilmung weiterer ihrer Romane lehnte sie strikt ab. Rückblickend würde ich sagen, dass die Erwartungen an die DEFA sicherlich zu hoch waren. Selbst in den USA gab es ja zu der Zeit erst wenige gute Filme dieses Genres. Gojko Mitic war zu der Zeit wohl auch noch mehr Stuntman und kein erfahrener Schauspieler, er hat sich seitdem sehr weiterentwickelt.

Prof. Dr. Liselotte Welskopf-Henrich hatte ja auch wissenschaftlich ein umfangreiches Werk zu bewältigen. Wann schrieb sie denn ihre Romane? Mussten Sie dann vielleicht besonders auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer schleichen?

Ja. … Die Schriftstellerei war Nebenberuf; ihren „Hauptberuf“ nahm sie sehr ernst. Die Alte Geschichte war wie viele akademische Disziplinen damals noch eine Männerdomäne, in der sie sich durchsetzen musste. Aber nach eigenen Worten war sie „unglaublich hartnäckig“. Wenn sie die Romane schrieb, geschah das vorwiegend nachts. In den 50ern, als vieles gleichzeitig lief, aß sie sogar Kaffeesatz, um sich wach zu halten. 


Nachdem meine Mutter sich als Althistorikerin etabliert hatte, hat sie einer ganzen Reihe von fleißigen und wissenschaftlich begabten jungen Frauen (nicht nur) den Weg geebnet. Als es dann einmal vorübergehend keine adäquaten Einstellungsmöglichkeiten an Universität oder Akademie gab, hat sie sie sogar privat beschäftigt mit Zuarbeiten für ein großes internationales wissenschaftliches Werk („Soziale Typenbegriffe im alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt“). Ohne Computer war das mit viel „Handarbeit“ verbunden. Da kam sogar einmal das Finanzamt zur Prüfung, ob sie von den MitarbeiterInnen sich die Indianerbücher schreiben ließe. Eine wahre Anekdote, die das Leben so schrieb.


Ab 1963 durfte Ihre Mutter mehrfach in die USA und nach Kanada reisen. Haben diese Reisen ihr eigenes Bild von den Indianergruppen, die sie beschrieb, geändert?

Ich glaube schon. So differenziert, auch in dem Sinne von Korruption und Mord und Totschlag, aber eben auch von Aufbegehren und Widerstand, konnte man das vorher und von Außen wohl nicht sehen. Ender der 60er und Anfang der 70er war ja in den Staaten überhaupt eine sehr aufgeregte Zeit. Kennedy war ermordet worden, Studenten protestierten, Black Panther… Sie war ja offiziell zu Gast an Universitäten (Reisen im Hauptberuf), ging auch zu Studenten-Demos. Ein Redner rief auf: „Ihr müsst euch alle Guns kaufen!“. Da verkrümelte sie sich lieber…

Weitere interessante und auch aufregende Erlebnisse gibt auch Erik Lorenz schön wieder.

(► Lorenz, Erik: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer)

Wie hat sie von den Reisen berichtet? Tat sie dies vielleicht auch öffentlich?

Ja auf Lesungen, bei der/den Interessengemeinschaft(en) für Indianistik in der DDR, auch gelegentlich in Pressebeiträgen.

Die ersten drei Bücher der Pentalogie DAS BLUT DES ADLERS entstanden bereits zwischen 1966 und 1969. Hatte sie vor den Reisen schon den Gedanken an eine Fortsetzung der BÄRENSÖHNE? 

Meine Mutter hatte diese Romane nicht geplant. Sie war einfach neugierig darauf, wie die Indianer zu der Zeit lebten. Ihre Eindrücke und Erlebnisse bewegten sie nach den Reisen zur "Verarbeitung" in den Romanen.

Heute sind Sie der Botschafter der Geschichten von Frau Liselotte Welskopf-Henrich. Was oder welches Thema liegt Ihnen dabei besonders am Herzen? 

Da ich – nicht zuletzt erfreulicherweise für neue Auflagen und Ausgaben, demnächst auch als ebook – immer wieder häufig und gründlich die Bücher lese, zu allererst eines: Die Romane sind große Literatur, sie sind Epen. Meine Mutter ist bei den alten Griechen, ich scheue mich nicht zu sagen, bei Homer, in die Lehre gegangen. Sie konnte ja auch die ersten Verse der Ilias auswendig hersagen. Harka - Tokei-ihto: vom Jungen zum Mann, vom Mann zu Helden. Dass dabei etwas überhöht wird, seine Kräfte manchmal übermenschlich erscheinen, das gehört dazu. Es ist ja keine Reportage, wohlgemerkt kein Tatsachenroman, aber auf Tatsachen basierend. Das ist das erste; das zweite: hört den Indianern selbst zu, lasst sie selbst ihre Geschichten erzählen und auch verfilmen. Das dritte: die USA, dieser Vorreiter der Menschenrechte, sind geboren aus einem Genozid, der bis vor 50 Jahren andauerte. Man denke an die Sterilisationen…


Quelle
In einem Interview haben Sie auf die Frage: "Wie war ihre Mutter als Mutter?" mal gesagt: "Je, wenn sie Zeit hatte und für den Sohn da war, war sie eine sehr intensive Mutter." Vielleicht können Sie dies noch ein wenig umreißen?

Ja, wenn sie Zeit hatte, und auch im gemeinsamen Urlaub, ließ sie sich ganz auf mich ein, wir spielten, wir fantasierten Geschichten zusammen… Zur Zeit meiner Kindheit dachte sie sich auch für mich Märchen aus und schrieb sie dann nieder für die Veröffentlichung. Nicht nur den Steinknaben, auch die Weltreise der „Drei Wassertropfen“ und andere.

Zum Schluss: Kennen Ihre Kinder (?) und Enkel (?) die Bücher? Lesen diese sie auch?

Mein Sohn kennt sie natürlich, er betreibt auch die facebook-Seite „Liselotte Welskopf-Henrich“. Der Enkel ist gerade erst 2 Jahre alt.

Und ganz zum Schluss: Haben Sie als Kind Indianer gespielt?
Nein, eigentlich nicht. Das Thema war irgendwie zu ernst. Habe natürlich mit Spielkameraden irgendwelche Bandenkriege gespielt, aber nicht in den Rollen Cowboy/Indianer.

* * *
Recht vielen Dank, lieber Herr Welskopf für ihre Antworten auf unsere Fragen. Dies bedeutet für uns eine sehr schöne Ergänzung der bisherigen Beiträge. Einige stehen noch aus....

© Bücherjunge

Samstag, 25. Januar 2014

Blog on Tour - Polare Maastricht




Was macht diese von außen eher unscheinbare Kirche im Zentrum von Maastricht - einer der ältesten Städte der Niederlande - zu etwas ganz Besonderem?


Maastricht hat 53 Kirchen, viele davon wirklich sehenswert:







Aber was macht eine Stadt von etwa 120.000 Einwohnern mit 53 Kirchen? Nun, in einem Artikel von "Zeit Online" fand ich folgende Antwort:

Schon während der französischen Besatzung im 18. Jahrhundert wurden etliche von ihnen entweiht, dienten als Pferdeställe, später als Fahrradgaragen – oder standen einfach leer. Vor einigen Jahren begannen die protestantischen und katholischen Gemeindeverwaltungen, verstärkt nach neuen, weltlichen Mietern zu suchen. Die Universität Maastricht samt Bibliothek, Vorlesungssälen und Verwaltungsgebäude, das Naturhistorische Museum und das prunkvolle Theatercafé La Bonbonnière sind allesamt in ehemalige Gotteshäuser umgezogen. 


Auch die Kirche, die hier näher vorgestellt werden soll, dient nicht mehr dem ursprünglichen Zweck. Noch vor 200 Jahren beteten dort  Dominikanermönche, dann aber wurde sie anderen Verwendungszwecken überlassen. 
So beschreibt ein Artikel in "Was Liest Du?":

Seit weit über 200 Jahren wird die Kirche nämlich nicht mehr als Kirche genutzt, sondern mehr oder weniger funktionell: In der Kirche fanden Weihnachtsmärkte ebenso statt wie Boxkämpfe und Autoshows. Die Kirche diente bereits als Abstellraum für Fahrräder - und es wurden sogar schon Karnevalssessionen darin abgehalten.


Wer sich darüber jetzt wundern oder gar empören mag, der wird vielleicht mit der heutigen Nutzung der Kirche eher einverstanden sein, dem Polare Maastricht.

Wer sich jetzt immer noch nicht wirklich etwas darunter vorstellen kann:



Hinter der unscheinbaren Fassade der Kirche befindet sich eine der schönsten Buchhandlungen der Welt...

Grund genug, für einen Blogbeitrag hier noch einige Fotos mehr zu machen.

 



2006 wurde die Filiale der Buchhandelskette Selexyz auf einer Verkaufsfläche von 1000 Quadratmetern als Selexyz Dominicanen eröffnet.


In benanntem Artikel der "Zeit online" heißt es weiter:

Ton Harmes sagt, dass es beim Umbau eine große Herausforderung gewesen sei, die 50.000 Buchtitel in der Vertikalen anzuordnen. Denn der sakrale Raum bietet vor allem Platz in der Höhe. Die Freiheit zum Himmel unter dem 23 Meter hohen Deckengewölbe galt es zu bewahren und zu nutzen. Deshalb wurden die üblichen Büchertische bei Selexyz Dominicanen nur im Eingangsbereich aufgestellt. Wer mehr will, muss Stufen erklimmen oder den Aufzug nehmen. Vor den Regalen sind frei im Raum Stege installiert, auf denen man in die einzelnen Abteilungen gelangt. Schwindelfrei zu sein ist von Vorteil. (...)  
»Falls es mal wieder anders kommen sollte, hätten wir nichts zerstört, eher wiederhergestellt.« Sämtliche Regale lassen sich wieder abbauen, ohne Spuren an dem denkmalgeschützten Gemäuer zu hinterlassen. Nichts wurde an die Wände geschraubt oder genagelt.


Seit 2013 heißt die Buchhandlung nun Polare Maastricht. Aufgrund wirtschaftlicher Probleme wurde nämlich die Selexyz-Kette von einer Investorengruppe gekauft und fusionierte anschließend mit der Gebrauchtbuchkette "De Slegte" unter dem Namen "Polare" (aktuell mit über 30 Filialen in den Niederlanden vertreten).







Und wer erschlagen von den ganzen Eindrücken eine Pause benötigt, wird auch hier fündig. Im Lesecafé, das sich ebenfalls in der Kirche befindet, dem gemütlichen Coffeelovers. Hierzu wieder die "Zeit Online":

Dort, wo einst der Altar stand, sitzt die Kundschaft an kleinen Tischen und einer lang gezogenen, kreuzförmigen Tafel bei Latte macchiato und Schokomuffins, mit einem Buch in der Hand. Das Coffeelovers residiert unter einem gewaltigen, mühlenradartigen Kronleuchter und ist ebenso wie der Buchladen auch sonntags geöffnet. Wie es sich für ein Kirchengebäude gehört.









Ein Besuch, der sich gelohnt hat, wie ich finde. Auch wenn ich aufgrund der Anderssprachigkeit in dem Fall auf den Kauf eines Buches verzichtet habe...


Abgesehen von dem Besuch dieser wundervollen Buchhandlung sei hier die Anmerkung gestattet, dass Maastricht auch ansonsten immer einen Besuch wert ist.



Einige besondere Funde seien hier auch nicht verschwiegen...

Ein Laden mit witzigen Teekannen...


Schuhe im Baum...

Jedenfalls freue ich mich schon auf den nächsten Beitrag von "Blog on Tour"! Mal sehen, was sich noch so Interessantes finden lässt...


© Parden

Donnerstag, 23. Januar 2014

Greenblatt, Stephen: DIE WENDE - Wie die Renaissance begann





„Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.“


Der dies sagte, war nicht etwa ein Zeitgenosse Albert Einsteins, Werner Heisenbergs oder Stephen Hawkings, sondern ein Mann mit dem Namen Demokrit von Abdera, geboren um 460 v. Chr. in Abdera in Thrakien im antiken Griechenland!




Demokrit
Das ist erstaunlich und eigentlich unfassbar! Man stelle sich vor, was das bedeutet: Da beschreibt ein Mensch gut 400 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung, also weit mehr als 2000 Jahre vor der ersten Kernspaltung, mit unheimlicher Treffsicherheit den Aufbau der Materie! Wie überragend und einzigartig, wie glänzend und strahlend ist die geistige Leistung, welche die Erkenntnis von der Natur der Materie allein durch Beobachtung und durch logische Deduktion aus dem Beobachteten gewann und zutreffend formulierte! 
Leider sind von den Schriften dieses großen griechischen Philosophen und Universalgelehrten, den man zu den Vorsokratikern zählt, nur Fragmente erhalten geblieben.

Winziger Atomkern, ein paar Elektronen und viel leerer Raum: 
Das Atom

Ein Heliumatom. Der Atomkern (rosa) ist in eine vergleichsweise große Wolke derElektronen (grau) eingebettet, die nicht maßstäblich zum Kern dargestellt ist (sonst hätte sie ungefähr 5 m Durchmesser und so lang wäre auch der Balken). Oben rechts noch einmal vergrößert der Kern (2 Protonen, 2 Neutronen), der in Wirklichkeitkugelsymmetrisch ist.
(Quelle: Wikipedia)


Epikur
Dennoch ist einiges von ihm und seinen philosophisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen überliefert. Dies verdanken wir u.a. einigen anderen großen Denkern der griechischen Antike, die seine Philosophie aufgriffen und weiterentwickelten. 
Einer von diesen war der griechische Philosoph Epikur (um 341 v. Chr. bis 271 oder 270 v. Chr), welcher ebenfalls ein Anhänger des Atomismus war. 

Aber Epikur hatte noch weiter interessante Ideen, die bereits zu seiner Zeit polarisierend wirkten. Er postulierte eine Welt, in der es zwar höhere Wesen, Götter also, gab, die aber an den Geschicken der sterblichen Menschen keinerlei Interesse zeigten und auch keinen Einfluss darauf nahmen. Insofern waren ihm und seinen Anhängern die Furcht vor göttlichem Zorn fremd. Diese eindeutige Positionierung gegen  Aberglauben und Gottesfurcht mutet selbst heute noch sehr modern an! 

Nach Epikur ist ferner alles Leben und Sein im Hier und Jetzt verhaftet, ein Leben nach dem Tode gibt es nicht, denn mit dem Tod eines Menschen komme auch seine Seele zur Auflösung:

„Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“

Auch hier also wieder ein Denkkonzept, das sehr rational anmutet und sich mit religiösen Vorstellungen nicht verträgt. 
Aus diesen Prämissen zog Epikur den Schluss, die Verstetigung der Lebensfreude sei ein höchst erstrebenswertes Lebensziel. Um jeden Tag, jeden Moment des Lebens  geniessen zu können, ist es nach Epikur notwendig,

"alle Beeinträchtigungen des Seelenfriedens zu vermeiden bzw. zu überwinden, die aus Begierden, Furcht und Schmerz erwachsen können. Die Lust am Leben stetig auszukosten, macht die Kunst des epikureischen Weisen aus" (Zitat Wikipedia).


Epikur gründete seine Schule in einem Garten (Kepos), über dessen Eingang die Worte prangten: 

"Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt".

Wegen des Strebens nach "Lebensgenuss", auch als Hedonismus bezeichnet, wurden die Epikureer sowohl von Zeitgenossen als auch von der Nachwelt oft als genusssüchtig verleumdet und ihnen wurden Schwelgereien, Orgien und Exzesse unterstellt, für die es, zumindest bezogen auf den Kepos des Epikur, nicht nur keine historischen Belege, sondern eher gegenteilige Indizien gibt, wie nachfolgendes Zitat aus einem Brief Epikurs beweist:

„Auch die Unabhängigkeit von äußeren Dingen halten wir für ein großes Gut, nicht um uns in jeder Lage mit Wenigem zufrieden zu geben, sondern um, wenn wir das Meiste nicht haben, mit Wenigem auszukommen, weil wir voll davon überzeugt sind, dass jene, die den Überfluss am meisten genießen, ihn am wenigsten brauchen, und dass alles Natürliche leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist und dass eine einfache Brühe die gleiche Lust bereitet wie ein üppiges Mahl […] und dass Wasser und Brot die höchste Lust bereiten, wenn man sie zu sich nimmt, weil man Hunger hat. Die Gewöhnung an einfache und nicht üppige Nahrung dient also einerseits in jeder Hinsicht der Gesundheit und nimmt andererseits auch dem Menschen die Sorgen angesichts der Grundbedürfnisse des Lebens, stärkt uns, wenn wir uns in Abständen an üppige Tafeln begeben, und macht uns furchtlos gegenüber dem Schicksal.“
(Brief an Menoikeus, zitiert nach Nickel 2005, S. 119 f.)


In seinem Kepos lebte Epikur unter seinen Schülern, die teilweise ohne jeglichen persönlichen Besitz zu ihm kamen. Auch Frauen, Ehepaare und Sklaven wurden, was unter damaligen Verhältnissen keinesfalls üblich war, als Schülerinnen und Schüler bei seinen Symposien aufgenommen.

"Sinnlichen Begierden" wurden nur begrenzt toleriert und sollten sich vornehmlich auf kleine und leicht erreichbaren Dinge des Lebens richten. 
An einen Freund schrieb Epikur:

"Schicke mir ein Stück Käse, damit ich einmal gut essen kann".

Es fällt schwer, für diesen Mann und sein Gedankengut nicht Bewunderung, ja Sympathie zu empfinden!

Einer, der offenbar auch so dachte, war ein gewisser
Titus Lucrezius Carus, meistens kurz Lukrez genannt.
Wie der latainisch klingende Name vermuten lässt, war Lukrez ein Italiener, die man damals aber noch Römer nannte.
Titelseite einer Ausgabe von
de rerum natura von 1675
Lukrez lebte vermutlich zwischen 99 und 94 und 55 oder 53 v. Chr. .
Er war ein römischer Dichter und Philosoph in der (wen mag es nach der obigen Vorbemerkung noch wundern) Tradition des Epikur. 
Über das Leben des Lukrez weiß man so gut wie nichts. Sein Werk, de rerum natura (Über die Natur der Dinge), ist jedoch überliefert, was wir wiederum einem gewissen Poggio Bracciolini verdanken. Jener Poggio Bracciolini wäre nach heutigem Verständnis ebenfalls ein Italiener, was aber zu seiner Zeit (er wurde geboren am  11. Februar 1380 im heutigen Terranuova Bracciolini und starb am 30. Oktober 1459 in Florenz) nicht so einfach zu bestimmen war: 
Gab es doch in jener mittelalterlichen Epoche längst kein römisches Reich mehr und einen Nationalstaat Italien würde es noch sehr lange nicht geben.
Poggio Bracciolini
Wie auch immer: 
Poggio war klug und begabt, schrieb und sprach fliessend Latein und brachte es vom Schreiber bis zum Privatsekretär von Päpsten und Gegenpäpsten, was, da er kein Priester war, aus heutiger Sicht der Stellung eines "zivilen" Angestellten der päpstlichen Kurie entsprach. Diese Stellung verschaffte ihm Einfluss und Wohlstand und sagt etwas über ihn aus: Nämlich dass er ein ziemlich kluger und fähiger Mann gewesen sein muss, da es ihm offenbar gelang, sich in dem "Haifischbecken" der päpstlichen Kurie  gegen Konkurrenten, denen zur Erreichung ihrer Ziele teilweise auch das Mittel der Intrige recht war, durchzusetzen. Seine Leidenschaft aber galt der lateinischen Sprache und dem Aufspüren und Kopieren überlieferter altgriechischer Texte, worin er es zu kriminalistischem Spürsinn (beim Auffinden der Schriften) und handwerklicher (handschriftlicher) Meisterschaft brachte. 

Der geneigte Leser wird bemerkt haben, dass wir uns nun langsam (im übertragenen Sinn) dem Corpus Delicti nähern, denn Bracciolini und de rerum natura sind ja Hauptakteur und Hauptgegenstand des hier rezensierten Buches 
"Die Wende - wie die Renaissance begann".

Vieles an Bracciolinis Geschichte erinnert an den bekannten Roman "Der Name der Rose" von Umberto Eco: Ebenso wie der Romanheld William von Baskerville besucht Poggio Bracciolini einsame Klöster, um mit kriminalistischem Spürsinn in den Klosterbibliotheken nach alten griechischen Schriften zu suchen. Hier wie dort geht es also (auch) um "verbotene" Bücher, denn auch in "Der Name der Rose" stellt sich ja am Ende heraus, dass ein mysteriöses griechisches Buch, nämlich "Das Zweite Buch der Poetik" des Griechen Aristoteles, welches von der Komödie handelt, der Auslöser für die schändlichen Verbrechen eines alten Mönches war.

Schönheit und Präzision der Handschrift Pogggio Bracciolinis setzten in der damaligen Kunst des Kopierens von Büchern neue Maßstäbe


Und hier stoßen wir auch schon auf einen  Widerspruch:

Im Mittelalter des Poggio Bracciolini, der zudem, wie bereits erwähnt, in der päpstlichen Kurie in Rom einen hohen Rang einnahm, waren die Werke altgriechischer Denker in aller Regel verpönt und verhasst, wenn
Scheiterhaufen der Inquisition
nicht gar verboten, weil sie als häretisch betrachtet wurden - und Häretiker endeten im Mittelalter nicht selten auf den Scheiterhaufen der Inquisition!

Wie konnte es also sein, dass Bracciolini solche aus Sicht der Christlichen Kirche häretischen Schriften vor dem Verfall, vor dem Vergessen rettete? Wie konnte es sein, dass ausgerechnet in christlichen Klöstern von christlichen Mönchen solche "sündigen" und gefährlichen Schriften aufbewahrt und oft sogar kopiert wurden?
Dies ist eine Frage, die sich nur damit erklären lässt, dass damals nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten - und die es konnten, waren in der Mehrzahl Mönche und Geistliche, die sich gegen die "verderbliche"  Wirkung häretischer Schriften gefeit glaubten. Außerdem nahm man wohl an, dass diese Schriften in den Klosterbibliotheken vor den Menschen gut verborgen und in sicherer Verwahrung waren.
Und schlussendlich darf man wohl annehmen, dass die Mönche in vielen Fällen schlicht und einfach bibliophil waren und es (Gott sei Dank!) wohl nicht über ihre Herzen brachten, solche bibliophilen Schätze zu vernichten, sondern sie verwahrten.
Zuguterletzt ist auch nicht auszuschließen, dass sie sich verhielten wie Forscher, die ein gefährliches Schlangengift aufbewahren, um es zu untersuchen und womöglich ein Gegenmittel finden zu können.

Wie auch immer: Man darf vermuten, dass selbst heute noch in den Katakomben des Vatikans uralte Schriften lagern, die aus Sicht der christlichen Lehre Brisantes enthalten!

Bei Bracciolini verhielten sich die Dinge anders. Er, der Privatsekretär des Papstes, war kein christlich-religiöser Fanatiker (was er aber klugerweise für sich behielt) und fühlte sich zudem von der Scheinheiligkeit sowie den Intrigen und  dem ausschweifenden Leben am päpstlichen Hof und in der Kurie abgestoßen.

"Beim Himmel, hätten wir nicht Hilfe gebracht, schon am nächsten Tag wäre er verschwunden gewesen."
(Poggio Bracciolini zur Auffindung und Rettung des Quintilian-Manuskripts "Institutio oratoria" aus der Klosterbibliothek St.Gallen)

Es scheint, als sei ihm seine Tätigkeit am päpstlichen Hofe mehr Mittel zum Zweck als Berufung gewesen. Seine absolute Leidenschaft, der er sich zeitlebens mit voller Intensität hingab, galt den altgriechischen und altrömischen Klassikern. Und so machte er es, gemeinsam mit einigen anderen Personen aus seinem weiteren Umfeld, zu seiner Aufgabe, solche alten Schriften zu finden und, wenn möglich zu kopieren, um sie durch Abschrift dem Vergessen zu entreissen und vor dem Verfall zu bewahren.
In seinen zahlreichen eigenen Schriften bediente Bracciolini sich oft eines Tricks, um nicht als Häretiker entlarvt zu werden:
Ganz im Stile Ciceros verfasste er seine Traktate oft in Dialogform. So konnte er die Dialogpartner in seinen Schriften gegeneinander argumentieren lassen, ohne selbst die Position des Häretikers einnehmen zu müssen. Eine geschickte Kommentierung des Dialogs durch den Autor führte am Ende dazu, dass die bedenklichen Passagen nicht zwingend als Meinung des Autors auszulegen waren, sondern dieser eher als Moderator der Dialogpartner betrachtet wurde.

Die Epoche, in der Bracciolini lebte, war in vielerlei Hinsicht ein "dunkles" Zeitalter, das dennoch aber auch seine Höhepunkte und Lichtblicke hatte. 
Das Mittelalter (also etwa der Zeitraum vom 6. bis zum 15. Jahrhundert) steht heute gemeinhin in dem zweifelhaften Ruf, ein dunkles und barbarisches
Mittelalterliche Darstellung
Kaiser Ottos I.

Kapitel in der europäischen Geschichte gewesen zu sein; 
nicht umsonst, so scheint es jedenfalls, benutzen wir in unserem Sprachgebrauch manchmal das geflügelte Wort vom "finsteren Mittelalter". Zeitgeschichtlich gesehen ist das Mittelalter der Zeitraum zwischen dem dem Ende der Antike und dem Beginn der Neuzeit. Erscheint uns die Antike aus heutiger Sicht strahlend , erfrischend freiheitlich, kulturell unglaublich reich, fortschrittlich und mit überragenden Denkern gesegnet, so sehen wir im Mittelalter geradezu das Gegenteil: Eine
Mittelalterliche
Hexenverbrennung 1587
finstere, von dumpfem Aberglauben beherrschte Epoche, vom strengen christlichen Glauben geprägt zwar, aber gerade deswegen dogmatisch, engstirnig, abergläubisch, grausam, oft verlogen und fanatisch: 
Wir denken an Hexenprozesse, an die Verbrennung von "Ketzern" auf dem Scheiterhaufen, an Ablasshandel und an die Beulenpest, die Millionen dahinraffte. 
Kulturell gesehen war das Mittelalter nach den geistigen und kulturellen Höhenflügen der Griechen und Römer ein Rücksturz Europas in Primitivität, Aberglauben, Engstirnigkeit, Unwissen und religiösen Fanatismus, kurz: Ein Rückfall in Primitivität und Barbarei.


Baldassare Cossa
(Gegen-Papst Johannes XXIII.)
1413 wollte der deutsche König Sigismund die damals herrschende Kirchenspaltung (Schisma) beenden und zwang Johannes XXIII., das Konzil von Konstanz einzuberufen, das von November 1414 bis April 1418 tagte. Also reiste Johannes XXIII. alias Baldassare Cossa im Sommer 1414 in Begleitung seines Gefolges, darunter Poggio Bracciolini nach Konstanz. 
Das Konzil von Konstanz erlangte leider auch dadurch traurige Berühmtheit, dass der tschechische Theologe, Reformator und Rektor der Karls- Universität Prag, Jan Hustrotz Zusicherung freien Geleits durch König Sigismund verhaftet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Doch auch für Johannes XXIII. ging die Sache nicht gut, wenn auch nicht tödlich, aus:
Jan Hus auf dem Scheiterhaufen
Er wurde nach kurzer Flucht gefangen, inhaftiert und zur Abdankung gezwungen. 
Damit war unser Hauptprotagonist Poggio Bracciolini arbeitslos.
Womit wir am Anfang der Geschichte stehen, die Stephen Greenblatt uns in seinem Buch erzählt:
Es ist die Geschichte des Poggio Bracciolini und die Geschichte eines Fundes, die uns zeigt, dass die Richtungen, welche historische Entwicklungen durch die Jahrhunderte nehmen, von Zufällen bestimmt werden! 
Betrachtet man die Kausalkette der Historie, so sähe ohne Demokrit, Epikur und Lukrez (und all die anderen!), und ja, ohne Poggio Bracciolini unsere Gegenwart womöglich völlig anders aus und es wäre fraglich, ob z.B. in der amerikanischen Verfassung, die das "Recht auf Glück" als Menschenrecht postuliert und damit vollkommen dem epikureischen Hedonismus entspricht, enthalten wäre!

"Im Winter 1417 reitet Poggio Bracciolini durch die bewaldeten Täler und Höhen Süddeutschlands seinem fernen Ziel entgegen, einem Kloster, von dem es heißt, es beherberge ein geheimes Lager alter Handschriften."

So beginnt das Buch, das uns in spannender und unterhaltender Weise die Lebensgeschichte des Poggio Bracciolini erzählt und uns dabei eben mit jenen Zusammenhängen und ineinander verflochtenen Wirkungen vertraut macht, welche die Beschäftigung mit der Historie so spannend gestaltet.
Dem Autor gelingt es, uns mit großer Sachkunde und mit seinem Erzählstil zu fesseln, so dass wir auf sehr angenehme Weise sowohl unterhalten als auch "gebildet" werden. 
Manchmal ist die Realität eben mindestens so spannend wie die Fiktion!


De rerum natura: Deutsche Übersetzung als Kindle-Edition
De rerum natura von Lukrez ist eine Darstellung des epikureischen Weltbildes in Versform und ist z.B. in einer kindle-Edition bei Amazon verfügbar. 
Stephen Greenberg gibt uns einen Überblick über den Inhalt dieses literarische Meisterwerkes der Antike, das nach seiner Wiederentdeckung durch Bracciolini eine durchschlagende Wirkung entfaltete und letztlich die Befreiung des menschlichen Geistes aus dem Kerker mittelalterlicher Dogmen und der Versklavung des Geistes durch den Klerus einläutete. 

"Jeweils denkst du vielleicht von den dräuenden Worten der Priester
Heftig bedrängt und bekehrt aus unserem Lager zu fliehen!
Denn was könnten sie dir nicht alles für Märchen ersinnen,
Die dein Lebensziel von Grund aus könnten verkehren
Und mit lähmender Angst dein Glück vollständig verwirren !
Und in der Tat, wenn die Menschen ein sicheres Ende vermöchten
Ihrer Leiden zu sehn, dann könnten mit einigem Grunde
Sie auch der Religion und den Priesterdrohungen trotzen.
Doch so fehlt für den Widerstand wie die Kraft so die Einsicht,
Da uns die Angst umfängt vor den ewigen Strafen der Hölle."
(Lukrez, de rerum natura, 1. Buch)

Klarer kann man es nicht formulieren. Das Textbeispiel zeigt zugleich, dass de rerum natura sowohl von sprachlicher Schönheit als auch von nüchterner Deutlichkeit ist. Lukrez breitet in dieser Form das gesamte Spektrum der Erkenntnisse des Epikur vor uns aus, wobei einem oft Zweifel kommen, ob dieser Text tatsächlich auf einer Philosopie beruhen kann, die 2400 Jahre alt ist!
De rerum natura ist in 6 Bücher und diese wiederum in Kapitel gegliedert. Beispielhaft seien einige der Kapitelüberschriften hier angeführt, um eine Ahnung von der unglaublichen Aktualität des Werkes zu geben:

-Naturforschung als Erlösung (!)
-II. Lehrsatz. Die unsichtbaren Atome
-III. Lehrsatz. Das Vakuum
-Unteilbarkeit der Atome
-Unendlichkeit des Raumes
-Krankheit und Tod
-Freude und Schmerz
-Unendlich viele Welten
-Torheit der Seelenwanderungslehre
-Vergänglichkeit der Seele
-Die Welt ein Werk der Natur
-Bildung von Sonne und Mond
-Entstehung der Pflanzen und Tierwelt
-Volksherrschaft !)
-Wesen und Wirkung des Blitzes...

...um nur einige zu nennen.

Mit der Wiederentdeckung von "de rerum natura" und der erneuten Verbreitung des Werkes leitete Poggio Bracciolini eine Entwicklung ein, die in das Zeitalter der Renaissance mündete.


Der Vitruvianische Mensch:
Proportionsstudie von
Leonardo da Vinci
Der aus dem Französischen entlehnte Begriff Renaissance (Wiedergeburt) wurde im 19. Jahrhundert geprägt und bezeichnet eine Epoche der europäischen Kultur, die den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit vollzog. In der Renaissance erleben wir ein Aufblühen der Wissenschaft und Geistesforschung ebenso wie der schönen und bildenden Künste. Die Liste der hervorragenden Persönlichkeiten der Renaissance reicht, um nur einige zu nennen,  von dem  Universalgenie Leonardo da Vinci über Künstler wie Albrecht Dürer, Tizian, Donatello, William Shakespeare und Dante Alighieri bis hin zu dem Staatsphilophen Macchiavelli und dem bedeutenden niederländischen Gelehrte und Humanisten Erasmus von Rotterdam.
Was wir in der Renaissance beobachten, ist ein Triumph des menschlichen Geistes, auf dessen Schwingen die Hochbegabten jener Zeit in den Naturwissenschaften, in der Kunst und in vielen anderen gesellschaftlichen Disziplinen zu neuen Höhenflügen ansetzten. Dieses Beispiel zeigt deutlich, welche enormen geistigen Kräfte freigesetzt wurden, als man den menschlichen Geist nach Jahrhunderten vom Joch geistiger Unterdrückung befreite!






Das vorgestellte Buch ist, ein gewisses Interesse an der Materie vorausgesetzt, eine außerordentlich lohnende und zu empfehlende Lektüre. Dem interessierten Leser lege ich die Lektüre also wärmstens und in der Überzeugung an´s Herz, dass die Erwartungen nicht enttäuscht werden! 
Dies gilt im Übrigen auch für die weiter unten empfohlenen E-Books, mit denen man sich für wenig Geld (4,95 Euro bzw. 95 Cent) einen guten Eindruck über die Originalquellen verschaffen kann.  

Tinsoldier, 
Januar 2014.  


DIE WENDE - 
Wie die Renaissance begann
vonStephen Greenblatt
Siedler Verlag 
(www.siedler-verlag.de)

DNB 


Weiterführende Literaturvorschläge:


 de rerum natura Epikur

Beide Bücher sind als Kindle-Edition für E-Book-Reader bei Amazon erhältlich!
       
Hinweis: Bei den Recherchen zu dieser Rezension hat Wikipedia geholfen!



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