November wars und wieder einmal gibt es gute Vorsätze: Wie wäre es mit einem finanziellen Bücherkontingent pro Jahr? Also schlichtweg eine selbstauferlegte Begrenzung?
Nun, es war wieder SCHRIFTGUT Wochenende und dieses war sehr ergibig. Natürlich ergab es sich, dass ich mich beim Dresdner Buchverlag sehen ließ, schließlich hatte ich zwei Freikarten von Katharina Salomo erhalten. Der Verlagsstand war sowieso mein Ziel, denn den zweiten Band dieses Fantasyromans mit realen historischen Beschreibungen Germaniens und seiner Bewohner kurz nach Beginn der Zeitrechung wollte ich mir nun unbedingt beschaffen. RUNENZEIT II - Krieg um Germanien von Mark Bredemeyer gab es natürlich dort. Übrigens, die Rezension ist schon fertig.
Dann wollte ich die Reihe der historischen Biografien alter, oft fürstlicher Sachsen von Hans-Joachim Böttcher erweitern. Dirk Salomo empfahl mir ausdrücklich das Buch über Johann Georg IV. von Sachsen und Magdalena Sibylla von Neitschütz - Eine tödliche Liason. Böttchers Bücher sind für geschichtsinteressierte Sachsen wirklich zu empfehlen. Ein bereits besprochenes Beispiel gibt es hier.
Besonderes Erlebnis war, dass ich mich einige Zeit mit Frank Goldammer unterhalten konnte, der mit seinem Roman Der Angstmann in diesem Jahr schon einmal einen Volltreffer landete. Der Weg führte natürlich weiter. An einem einzelnen Stand stand ein vermutlicher Autor mit passendem T-Shirt, hinter ihm die Werbung für den Roman Mauerzwillinge - zu sehen das Blaue Wunder. Wir kamen ins Gespräch und das Buch fand den Weg in meinen Büchersack. Gelesen ist es auch schon - ich erspare mir weiteres bis auf den Hinweis, dass nach der Rezension der Roman Ruhrzaster in meinem Briefkasten landete, Uwe Wittenfeld hat meine Rezension gefallen.
Eine Dresdner Buchmesse hat natürlich Dresden im Mittelpunkt. Ein Treffen mit Mario Sempf und Thomas Zahn war natürlich zwingend notwendig, erhofft und auch zwangsläufig. Allein mit Mario, der als experimentierender Archäologe arbeitet, kann man sich stundenlang unterhalten, diesmal zum Beispiel um die Seilerei in vergangen Zeiten. Natürlich ging es im weiteren um das Buch Vom Hängen und Würgen, welches im nächsten Frühjahr erscheinen wird. Dresden zum Gruseln Nr. 2 hab ich von ihm bekommen, dazu folgt sicherlich bald eine Besprechung, hier als Rückblick schon mal die zu Band 1. (Wer nun denkt, die Experimente des Archäologen hätten etwas mit der Dresdner Scharfrichterei zu tun, den kann ich beruhigen, Mario ist ein verträglicher Typ, auch wenn er sich mit Illustrator Thomas Zahn gelegentlich Schwerter um die Ohren haut.)
Man muss sich auch auch mal an Unbekanntes wagen. Andreas M. Sturm war mir bisher unbekannt, aber er hat schon viele Dresden-Romane veröffentlicht. Vollstreckung ist so einer, hat mich neugierig gemacht, vielleicht ist indirekt doch der Mario Sempf dran schuld? Stammtischmorde III habe ich auch mitgenommen, da hat sich doch der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz dran beteiligt und nun bin ich auf den Inhalt gespannt.
Natürlich führte mich der Weg zum Traumfänger-Verlag. Ich traf da auf die etwas verloren wirkende Kerstin Groeper, sie wartete ungeduldig auf Wade Fernandez, einen indianischen Musiker und war ganz aufgeregt. Irgendwann waren die Musiker dann doch da. Was folgt daraus? Natürlich: Eine CD in meinen Beutel. Und ein Krimi von Kerstin. Der Palio des Toten Politikers ist dann mal kein Indianerroman, italienische Commissarios sind in Deutschland doch ziemlich beliebt. Brita Rose-Billert hat hier auch schon mehrfach eine Rolle gespielt und nun war Mord auf Pine Ridge, ein Krimi um eine indianische Ärztin namens Maggie Yellow Clowd auf dem Bücherstapel gelandet. Danke Kerstin für die Gabe.
Zu den Krimis kam nach der Lesung von Patricia Holland Moritz noch Kältetod dazu. Kein Dresdner sondern ein Berliner Krimi um die Droge Chrystal Meth. Die Lesung war sehr angenehm und Spannung verspricht der Buchdeckel. Ein sympatische Autorin, da bleibe ich mal aufmerksam.
Was gab es noch? Bereits im Vorjahr fiel mir "Der mit dem Hut liest" auf. Andreas M. Buchwald befindet sich augenscheinlich im Buchwald und arbeitet im Eigenverlag namens (der) AndereBuchVerlag. Das ist schon ein Kauz und diesmal nahm ich nach der leider nur wenig besuchten Lesung drei Bändchen im Schuber namens Deutschland - Vom Eise befreit? mit. Wird noch ein Weilchen dauern, aber dann lese ich los. Ohne Hut.
Das Buch rechts stammt allerdings nicht von der Buchmesse, dieses erwarb ich in der Neubrandenburger Thalia-Buchhandlung. Dieser Roman, Durchbruch bei Stalingrad, von Heinrich Gerlach ist erst vor kurzem in Geheimdienstarchiven Russlands aufgetaucht. Den habe ich gerade angefangen zu lesen.
So, das war´s. Stoff genug bis zum Jahresende, wenn nicht darüber hinaus.
Ein raffiniertes literarisches Spiel mit Fiktion, Wirklichkeit und Identität
Zwei Frauen lernen sich auf einer Party kennen. Die zurückhaltende
Delphine, die sich mit fremden Menschen meist sehr schwer tut, ist
sofort fasziniert von der klugen und eleganten L., die als Ghostwriter
arbeitet. Aus gelegentlichen Treffen werden regelmäßige, man erzählt einander das eigene Leben,
spricht über Familie und Freunde, vor allem über Freundinnen. Und
natürlich über Bücher und Filme, die man liebt und bewundert. Delphine
ist glücklich über die Gemeinsamkeiten und fühlt sich verstanden wie
schon lange nicht mehr. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit gibt sie in einem
Gespräch über das Schreiben die Idee für ihr nächstes Buch preis. L.
reagiert enttäuscht: Wie nur könne Delphine ihre Zeit auf eine erfundene
Geschichte verschwenden? Eine Autorin ihres Formats müsse sich der
Wahrheit verschreiben. Delphine ist entsetzt. L.s leidenschaftlich
vorgetragene Forderung löst eine tiefe Verunsicherung in ihr aus. Bald
kann sie weder Papier noch Stift in die Hand nehmen. L. scheint völlig
unglücklich über das zu sein, was sie in der Freundin ausgelöst hat.
Selbstlos übernimmt sie die Beantwortung von E-Mails, das Absagen von
Lesungen und Interviews, das Vertrösten des Verlags, der auf einen neuen
Roman wartet. Und all das in Delphines Namen. Keiner weiß davon, keiner
kennt L., und so ist Delphine allein, als sie feststellt, dass L. ihr
immer ähnlicher wird …
Nachdem ich vor einigen
Monaten begeistert mein erstes Buch von Delphine de Vigan gelesen hatte
('Das Lächeln meiner Mutter'), war ich sehr gespannt auf das neue Buch
der Autorin. Zu meiner großen Überraschung hatte dieses jüngste Werk
einen direkten Bezug zum vorherigen Roman, so dass ich nun um so
neugieriger war.
Schon
mit den letzten Seiten des ersten Abschnittes begann ich darüber
nachzudenken, ob L., die mysteriöse Frau, die sich so in Delphines Leben
schleicht und sich darin festsetzt, vielleicht nur das Alter Ego von
Delphine sein könnte und für ihren inneren Disput steht, was für ein
Buch denn tatsächlich nach 'Das Lächeln meiner Mutter' möglich wäre. Da
ist etwas, das Delphine daran hindert, einfach das nächste Buch zu
schreiben. Muss sie nicht eigentlich in der Richtung weitermachen, wie
bei 'Das Lächeln meiner Mutter?' Wäre das eigentlich geplante - und
fiktive - Buch nicht ein totaler Bruch? Unglaubwürdig in den Augen ihrer
Leser? Wie kann man eine fiktive Geschichte schreiben, nachdem man vor
der Welt sein Innerstes nach außen gekehrt, sein Leben ausgebreitet hat?
'Nach einer wahren Geschichte' könnte eine Überleitung sein - von der
autobiografischen Haltung zurück zur Fiktion. Der Leser nimmt hier Teil
an der inneren Zerrissenheit der Autorin, und indem sich diese derart
öffnet, ebnet sie sich die 'Erlaubnis' - von sich selbst und von anderen
- sich demnächst wieder anderen Themen zuwenden zu 'dürfen'.
Tatsächlich habe ich nach der Lektüre von 'Das Lächeln meiner Mutter'
gedacht: was soll da jetzt noch kommen?
"Darauf
pfeifen die Leute. Sie haben genug von Märchen und Figuren. Mit
romanhaften Wechselfällen und plötzlichen Umschwüngen sind sie zur
Genüge gefüttert worden. Die Leute haben die gut geölten Geschichten mit
ihren geschickten Aufhängern und Auflösungen satt. Sie haben genug von
den Sandmännchen und Geschäftemachern, die am laufenden Band Geschichten
erfinden, um ihnen Bücher, Autos und Joghurts anzudrehen. In großer
Zahl produzierte und unendlich abwandelbare Geschichten. Glaub mir, die
Leser erwarten etwas anderes von der Literatur, und damit haben sie sehr
recht: Sie erwarten Wahres, Authentisches, sie wollen, dass man ihnen
vom Leben erzählt, verstehst du? Die Literatur darf nicht auf das
falsche Territorium geraten." (S. 74)
Und
wirklich dreht sich in diesem Roman vieles um Belange der Literatur und
des Schreibens, um die Frage von Fiktion und Wirklichkeit, von Wahnsinn
und Normalität - und auch immer wieder um das Rätsel um L., die
mysteriöse Frau, die das Leben von Delphine okupiert. Ist sie wirklich
vorhanden oder aber das Alter Ego der Autorin - halt, nein, des
Hauptcharakters des Buches? Denn wie der Roman letztendlich lehrt:
selbst wenn man über die Wahrheit schreibt, ist es Fiktion. In der
Leserunde zum Buch kam dann die interessante Theorie auf: L.
ausgesprochen = frz. 'elle', also 'sie' - was wiederum passen könnte zu
den Zitaten aus Stephen Kings Roman 'Sie', die den einzelnen Abschnitten
vorangestellt sind. Eine andere Idee betraf das Pseudonym der Autorin:
unter Lou Delvig veröffentlichte sie bereits frühere Romane - L. wäre
damit möglicherweise die Initiale dieses Pseudonyms. All diese Thesen
und Gedanken verdeutlichen sicherlich, wie meisterhaft Delphine de Vigan
hier das Verwirrspiel von Wahrheit und Fiktion beherrscht.
"Aber
es gibt keine Wahrheit. Die Wahrheit existiert nicht (...) Sobald man
Dinge auslässt, etwas ausdehnt oder verdichet, Lücken füllt, ist man im
Reich der Fiktion (...) jedes Schreiben über sich selbst ist ein Roman.
Der Bericht ist Illusion. Kein Buch dürfte diese Bezeichnung tragen."
(S. 76)
Der Schreibstil ist sehr
anspruchsvoll. Die oft langen, ineinander verketteten Sätze, der
analytische Blick, das Sezieren der Gefühlslagen, Gedankengänge,
Zustände - sehr gekonnt, aber eben auch sehr fordernd. Dieser
Schreibstil und das Nachdenken über das Gelesene bewirkten, dass ich -
wie übrigens auch schon bei 'Das Lächeln meiner Mutter' - beim Lesen
ausgesprochen und ungewohnt langsam voran kam. Die Handlungsarmut der
Erzählung ermüdete mich dabei zusätzlich - die Innenschau des
Hauptcharakters war intensiv aber eben oftmals langatmig und
ausschweifend und damit auch anstrengend. Immer wenn ich glaubte,
endlich einmal gut vorangekommen zu sein, belehrte mich die Seitenzahl
eines Besseren. Maximal zwanzig Seiten habe ich hier am Stück gelesen,
bevor ich das Buch erst einmal wieder zur Seite legte. Die letzten 50
Seiten allerdings schlugen mich wieder richtig in ihren Bann und sorgten
noch für eine interessante Überraschung. Selten zuvor habe ich ein Buch
gelesen, das ich am Ende mit einer Gänsehaut schloss. Hier ist es mir
so ergangen.
Ein außergewöhnlicher Roman, der mit einer
verwirrenden aber faszinierenden Geschichte aufwartet, undurchschaubar
bis zum Schluss. Anspruchsvolle Lektüre, die den Leser aber zum
Nachdenken bringt, auch über die Geschichte hinaus, und die Delphine de
Vigans Perfektion in Sachen Verwirrspiele zur Geltung bringt.
Beeindruckend, einmal mehr.
P. S.:
Roman Polanski wird 'Nach einer wahren Geschichte' verfilmen, das
Drehbuch wird Olivier Assayas schreiben. Dies ist der Homepage des
Dumont Verlags zu entnehmen. Ehrlich gesagt kann ich mir eine Verfilmung
dieses Stoffes in keinster Weise vorstellen. Um so gespannter bin ich
auf diesen Film - und Polanski ist ja immer für beeindruckende Filme
gut. Der Kinobesuch ist vorgemerkt!
Delphine de Vigan, geboren 1966, gelang mit ›No & ich‹ (2007) der
Durchbruch als Schriftstellerin. Seit dem Roman ›Das Lächeln meiner
Mutter‹ (2010), der wochenlang die französische Bestsellerliste
anführte, zählt sie zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren
Frankreichs. Sie lebt mit ihren Kindern in Paris
Ein Serienmörder treibt sein Unwesen – und ein altes Kinderbuch dient ihm als grausame Inspiration.
»Wenn Sie innerhalb von 48 Stunden herausfinden, warum ich diese
Frau entführt habe, bleibt sie am Leben. Falls nicht – stirbt sie.« Mit
dieser Botschaft beginnt das perverse Spiel eines Serienmörders. Er
lässt seine Opfer verhungern, ertränkt sie in Tinte oder umhüllt sie bei
lebendigem Leib mit Beton. Verzweifelt sucht die Münchner Kommissarin
Sabine Nemez nach einer Erklärung, einem Motiv. Erst als sie einen
niederländischen Kollegen hinzuzieht, entdecken sie zumindest ein
Muster: Ein altes Kinderbuch dient dem Täter als grausame Inspiration –
und das birgt noch viele Ideen ...
Reihe: Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez (Bd. 1)
48 STUNDEN ZEIT...
Sabine Nemetz arbeitet beim Münchner Kriminaldauerdienst, wird aber in
den neuesten Mordfall mehr als erträglich hineingezogen. Trotz ihrer
persönlichen Betroffenheit - oder vielleicht auch gerade deswegen -
setzt sie alles daran, den Täter zu überführen. Sie staunt jedoch nicht
schlecht, als ihr nach einer heimlichen Anfrage in einem ihr eigentlich
nicht zugänglichen Computersystem des BKA, plötzlich ein Fallanalytiker
dieser Bundesbehörde gegenübersteht: Maarten S. Sneijder. Obwohl Sabine
Nemetz eigentlich nicht an den Ermittlungen beteiligt werden soll,
beweist sie eine rasche Auffassungsgabe und forsche Unerschrockenheit,
so dass Sneijder schließlich auf ihrer Mitarbeit besteht.
"Wenn
Sie innerhalb von 48 Stunden herausfinden, warum ich diese Frau
entführt habe, bleibt sie am Leben. Falls nicht – stirbt sie."
Der
Mordfall in München entpuppt sich rasch als Teil einer ganzen
Mordserie, die an Brutalität kaum zu überbieten ist. Dabei finden die
Morde an vollkommen unterschiedlichen Orten statt, die Opfer haben
anscheinend nichts miteinander zu tun, und die Tötungsart ist jedesmal
eine andere. Verhungernlassen gehört ebenso zum Spektrum der grausamen
Morde wie das Ertränken in Tinte oder das Umhüllen des noch lebenden
Opfers mit Beton. Der vom BKA abgestellte Fallanalytiker Maarten S.
Sneijder und die junge Ermittlerin Sabine Nemetz entdecken schließlich
trotz aller Unterschiede ein Muster hinter den Taten. Der Serienmörder
lässt sich von dem alten Kinderbuch 'Der Struwwelpeter' inspirieren - er
setzt die Darstellungen der drastischer Bestrafung kindlichen
Fehlverhaltens einfach in die Tat um. Doch was ist das Motiv des Täters?
Und wie um Himmels Willen sollen sie ihn stoppen?
Was für ein
Thriller! Er beginnt schon rasant und behält dieses Tempo auch
weitgehend bei. Dabei springt das Geschehen in den kurzen Kapiteln von
einem Schauplatz zum anderen, aber auch zwischen Gegenwart und
Vergangenheit - und sorgt dadurch für zusätzliche Verwirrung. Der
flüssige Schreibstil lässt einen neben der zunehmenden Spannung geradezu
von Kapitel zu Kapitel fliegen. Dabei hält das Gefühl einer wachsenden
Bedrohung an, und vor allem Sabine Nemetz kommt zunehmend an die Grenzen
ihrer Belastbarkeit. Doch als unerwarteter Protegé des aalglatten
Maarten S. Sneijder, der es hervorragend versteht, die Kollegen vor Ort
mit wachsender Begeisterung vor den Kopf zu stoßen, wächst Sabine
geradezu über sich hinaus.
"Er war so charmant wie eine giftsprühende Kobra, die noch nicht gefrühstückt hatte."
Maarten
S. Snijder - damit hat Andreas Gruber einen Ermittler kreiert, der
seinesgleichen sucht. Als erfahrener Fallanalytiker des BKA wird der
Niederländer immer wieder bei der Klärung schwieriger Mordserien von den
Dienststellen vor Ort herangezogen, doch eilt ihm inzwischen sein Ruf
voraus. Ein regelrechtes A...loch ist er bei aller Genialität, ein
Kollegenschw...in, das am liebsten alleine arbeitet und seine Ruhe
verlangt. Kollegen als gleichberechtigt anzusehen, kommt ihm gar nicht
erst in den Sinn, sein arrogantes Verhalten ist legendär. Um so
erstaunlicher mutet es an, dass er die toughe Sabine Nemetz schließlich
unter seine Fittiche nimmt und ihr sogar kleine Einblicke in sein
Privatleben gewährt. Vanilletee und Hasch gehören ebenso zu dem
exzentrischen Ermittler wie Akkupunkturnadeln und Diebstähle in
Buchhandlungen. Trotz allem mochte ich Sneijder zunehmend gerne, und
seine junge Kollegin Sabine Nemetz erlebte ich als beherzt und
sympathisch. Beide Charaktere waren für mich authentisch und
glaubwürdig.
Ein für mich rundum überzeugender Thriller mit
ungewöhnlichen Mordarten, einem spannenden Wettlauf mit der Zeit und mit
einem überaus schrägen Ermittler. Ich freue mich schon auf ein
Wiederlesen mit Maarten S. Sneijder & Co. Zum Glück gibt es schon
Fortsetzungen...
Andreas Gruber, 1968 in Wien geboren, lebt als freier Autor mit seiner
Familie in Grillenberg in Niederösterreich. Er hat bereits mehrere
äußerst erfolgreiche und preisgekrönte Erzählungen und Romane verfasst.
Hanns Zischlers großartiges literarisches Debüt über das Erinnern, den Verlust und das Weitergehen.
Es
ist eine Geschichte, so zart, schimmernd und fragil wie ein
Orangenpapier: Sie handelt von Elsa, einem Mädchen, das es Mitte der
50er- Jahre mit seinem Vater von Dresden nach Bayern verschlagen hat.
Obwohl Elsa erst kurze Zeit in der kleinen Stadt an der Ache ist und sie
von vielen wegen ihres Dialekts belächelt wird, hat sie schon Freunde:
Asampauli, mit dem sie den Schulweg teilt; der Lehrer Kapuste, der
seinen Schülern seltsame Rätsel aufgibt; und die Obsthändlerin, die für
Elsa die exotischen Papiere auf bewahrt, in denen die Orangen
eingeschlagen sind. Auf die Idee, Orangenpapiere zu sammeln, hat
Kapuste Elsa gebracht. Vielleicht, weil er ahnt, dass sie einen
Fluchtpunkt benötigt, und eine Brücke, mit anderen über die Dinge zu
sprechen, die sie tief in sich verschlossen hält. Und tatsächlich, als
eine Neue in die Klasse kommt, beginnt für Elsa – langsam und tastend –
ein Aufbruch …
Elsa heißt das Mädchen, das hier im Mittelpunkt der episodenhaften
Erzählung steht. Mit ihrem Vater lebt sie Mitte der 50er Jahre seit
sieben Monaten in Marstein, einer kleinen Stadt an der Ache, in den
Bergen, unweit des Chiemsees. Geflüchtet sind die beiden aus dem
zerbombten Nachkriegs-Dresden, die Mutter Elsas kurz zuvor verstorben.
Die Trauer und die Fremde haben Elsa und ihren Vater sehr
zusammengeschweißt, und doch muss jeder seinen Alltag auf sich allein
gestellt bewältigen.
Während der Vater arbeiten geht, besucht
Elsa als Externe das Internat im hochgelegenen Schloss. Schon der
Schulweg ist nicht leicht, denn Elsa laboriert an einem Hüftleiden, das
ihr das Gehen erschwert. Aber auch sonst ist es nicht einfach an dem
neuen Ort - als Auswärtige, die die hiesige Mundart kaum versteht, ist
sie ein Außenseiter. Nur Pauli, ein Junge aus ihrer Klasse, hat nicht
gelacht, als Elsa als Neue in ihrem Dresdner Dialekt zu sprechen begann.
Zuflucht
vor der Einsamkeit und ihrer Trauer sucht Elsa in ihrer Sammlung von
Orangenpapieren. Vielleicht erinnert sich noch jemand daran:
Zitrusfrüchte wurden früher einzeln durch hauchzarte, federleichte, fast
transparente Papierchen geschützt und so verpackt in eine Stiege
gelegt. Diese Papierchen hatten stets ein aufgedrucktes Bild, das den
Flair des Südens, des ganz Besonderen, noch verstärkte. Und diese Bilder
der Orangenpapierchen kann Elsa stundenlang betrachten. In manchen der
abgebildeten Figuren meint sie gar ihr bekannte Personen
wiederzuerkennen.
Diese Orangenpapierchen setzt Hanns Zischler
als wundervolle Symbolik ein für die Schutzhülle, in die Elsa sich
flüchtet, wenn die Gefühle sie zu übermannen drohen. Und so wie die
Orange ausgewickelt wird und erst dann ihre ganze Pracht offenbart, legt
auch Elsa zunehmend ihre Schutzhüllen ab, in dem Maße, wie sie
Freundschaft und Zuwendung erfährt.
Auch sonst bedient sich
Hanns Zischler einer ausgesprochen bildgewaltigen und
metapherstrotzenden Sprache, die mir allerdings gelegentlich als etwas
zu bemüht erschien.
"(...) hat sie sich an den
Anblick der Berge nicht gewöhnen können. Manchmal will sie den Blick gar
nicht heben, zu erdrückend ist die Maßlosigkeit der dunklen Felsen und
Klüfte. Das Auge rutscht ab an den glatten, baumlosen Kanten, den
Brocken und Schründen. Fremd und kalt ragen die Berge auf, unerreichbar
und undurchdringlich (...) Auch die aufregenden Farbenspiele - das
Grauviolett des Himmels, die zentaurischen Wolken mit ihren jagenden
Schatten, die blaugrünen Nadelwaldhänge, die helle Tonsur der hoch oben
in den Wald eingekerbten Herzwiese - können die monumentale
Fremdartigkeit nicht vertreiben. Elsa findet hier keinen Halt. Alles
stürzt."
Durch die Genauigkeit der Beobachtung
und die Konzentration auf das Einzelne gelingt es Hanns Zischler, die
Atmosphäre jener Zeit einzufangen, die von Traumatisierung und Verlust
geprägt war. Gerade einmal 112 Seiten umfasst das schmale Büchlein, doch
durch das Aneinanderreihen von Episoden gelingt es dem Autor trotzdem,
eine Entwicklung Elsas darzulegen. Allerdings empfand ich manche
Episoden als sehr sprunghaft aneinander gesetzt, so dass das Bild Elsas
Risse bekam. Handlungen und Reaktionen erschienen mir dadurch nicht
immer gleich nachvollziehbar, eine plötzliche Offenheit des Mädchens
sehr überraschend.
Dennoch war das literarische Debüt Hanns
Zischlers, der mir eher durch seine schauspielerische Leistung bekannt
ist, insgesamt recht angenehm zu lesen.
Hanns Zischler, Jahrgang 1947, arbeitet neben seinem
Beruf als Schauspieler seit vielen Jahren als Publizist. Zu seinen Sachbüchern zählt u. a. die in viele Sprachen übersetzte Forschungsarbeit Kafka geht ins Kino. Bei Galiani erschienen von ihm die Sachbücher bzw. Bildbände Der Schmetterlingskoffer (2010, gemeinsam mit Hanna Zeckau), Berlin ist zu groß für Berlin (2013), Die Erkundung Brasiliens (2013, gemeinsam mit Sabine Hackethal und Carsten Eckert). Zuletzt erschien in dem Verlag sein literarisches Debüt Das Mädchen mit den Orangenpapieren (2014).
Sonntag. Schauburg. Kuscheliges Kino mit altem Charme. Und weichen aber wegen kurzer Lehne doch unbequemen Sesseln. Wohin das Programm des Programmkinos führt, zeigt eine Bar auf halber Treppe namens Halbe Treppe. Da bin ich nun schon mal gespannt, ob eine Leserin, ein Leser damit etwas anfangen kann. Vielleicht sollte ich noch mal erwähnen, dass mich Freitags der interessierte Blick in den Blog einer Dresdner Bloggerfreundin dazu brachte, am Sonntag in eben dieses Kino zu gehen.
סיפור על אהבה וחושך
Aber eigentlich ist dies nicht unbedingt DER Beginn einer filmisch-buchigen Rezension zu EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS. Den Begriff "buchig" borge ich mir einmal aus von einem, ohne den ich auf Amos Oz vielleicht gar nicht aufmerksam geworden wäre. Und er ist es doch, ein Beginn. Es bleibt nämlich anzunehmen, dass der Film, in dem die Mitproduzentin Natalie Portman auch eine Hauptrolle und die Regie übernommen hat, es vermutlich nicht in die großen Kinos schafft und auf die sogenannten Programmkinos beschränkt bleibt. In Dresden in der Schauburg, in Mecklenburg (momentan) gar nicht, in Berlin aber an fünf Stellen und in München läuft er auch. Aber nicht in den Filmpalästen. Warum? Vielleicht wegen der erzählten Geschichte.
Filmplakat
Die Geschichte handelt von einer jungen Familie. Vater Arie ist Bibliothekar und wäre gern in die Fußtapfen seines Onkels, des Gelehrten Joseph Gedalja Klausner getreten und Akademiker geworden, die Mutter Fania ist eine gebildete junge Frau in einem Land, in welchem sie zunehmend nicht zurecht kommt. Arie und Fania haben einen Sohn. Amos, der sich später Oz nennen wird.
Fania ist eigentlich recht schweigsam, kann aber in Gesprächen mit Freunden und Bekannten diesen sehr geistreich ein Wendung geben und begeistert auch mit dieser Gabe, die sie selten einsetzt. Doch diese Erkenntnis hat der Blogger aus dem Buch EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS, welches der Junge Amos veröffentlichen wird, als er bereits 63 Jahre alt ist. Geboren wurde Amos im Jahr 1939, wir schreiben nun das Jahr 1945 / 1946, als Amos in die Schule kommt. Amos kommt in Jerusalem in die Schule, kurz bevor die UN-Generalversammlung die Resolution 181 zur Teilung Palästinas verabschiedet. In diesen Spannungen lebt die kleine Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, deren Wände hinter Bücherregalen vollständig verborgen sind.
Arie Klausner ist mit seinen Eltern 1933 nach Jerusalem gekommen. Dies ist die zweite Flucht, denn 1917 flüchteten sie von Odessa nach Vilnius, also von Russland (heute Ukraine) nach Litauen. Auch Fania ist kurz danach, einundzwanzigjährig, nach Palästina ausgewandert, sie wurde in Rowno, Ukraine geboren. Palästina: in ihren Gedanken und Gefühlen DAS Gelobte Land. Hier würden die Juden dieser Welt, nirgends gelitten, eine Welt, die sich lohnt aufbauen, lauter Menschen mit Kraft, Mut, Frohsinn und übermäßigem Willen. So wie sie es am jüdischen Gymnasium in Rowno einst träumte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus in Jerusalem.
Es gibt sie, die das Land aufbauenden Pioniere über die Amis einmal schreiben wird, was der Blogger bereits einmal hier zitierte, aber Fanias Träume erfüllen sich eher nicht.
Familienfoto aus dem Buch / Szenbild
Amos Eltern sind nicht reich. Fanias Vater war einst ein reicher Mühlenbesitzer in der Ukraine. Sie kommen zurecht. Mehr schlecht als recht, der Vater ist für praktische Sachen nicht sonderlich begabt, die Szene, wie sie auf kärglichem Boden hinter dem Haus versuchen eine Garten anzulegen ist bezeichnend. Dies ist eine der im Film sehr schön wiedergegebenen Szenen des Buches. Ebenso erzählt der Film die Geschichte des ersten Buches, welches Arie geschrieben. Zu gern wäre er in die Fußtapfen des berühmten Onkels getreten mit seinem Erstling über hebräische Novellen.
Liest man das Buch, dann fällt einem nicht unbedingt auf, dass der Autor vor allem die Geschichte der Familie und mehr noch, die Geschichte der Mutter-Sohn Beziehung erzählt. Erst nach und nach stellt sich heraus, dass der Autor genau dies wohl vor allem für sich verarbeitet. Gleichzeitig erzählt er die Geschichte von Vertreibung, Flucht, von Krieg, von einer Staatsgründung, von Idealen und Idolen in einer Dichte und in einem Umfang, dass dies ein Film wohl schwerlich einfangen kann.
Der Film greift allerdings hauptsächlich diese Mutter-Sohn-Beziehung auf. Einzelne Geschichten, einzelne Bilder dienen der Illustration. So erreicht Natalie Portman ihr Anliegen durchaus, genau diese Beziehung zu erzählen. In einem Zeit-Artikel war zu lesen:
"Vielleicht aus Ehrfurcht vor der literarischen Leistung des Autors,
vielleicht aus Rücksicht auf das private Unglück hängt sich Portman zu
sehr an ihre Vorlage. Statt eine eigene Bildsprache zu entwickeln, reiht
die Regisseurin in der ersten Hälfte des Films lediglich Szenen mit
Familie und Freunden aneinander. Später montiert sie dokumentarisches
Material in den Film, ohne jedoch die Zeitgeschichte atmosphärisch
verdichten zu können. Die Regisseurin Portman erliegt der Versuchung,
Literatur nachzuerzählen, statt sie mit den Mitteln des Films neu zu
denken. Sie will zu viel und wagt zu wenig." *
Dieser Aussage sollte man nicht unbedingt folgen. Es gelingt der Regisseurin nämlich durchaus, die zunehmende Einsamkeit und Traurigkeit der Fania Klausner darzustellen, die Bilder unterstreichen, dass diese Frau den so herbeigesehnten eigenen Frieden natürlich nur schwer finden wird. Das folgende Video unterstreicht das eher.
Natalie Portman hat den Film eigentlich auf hebräisch gedreht, er ist englisch untertitelt. Diese Idee hätte ich ausnahmsweise auch für die deutsche Version gut befunden. In den Trailern empfand ich die melodische Sprache als sehr schön passend. Die notwendigen Untertitel hätte ich in Kauf genommen, auch wenn sie vielleicht hier und da den Blick von den Bildern gelöst hätten.
Buch und Film bilden eine Symbiose. Selten gehören Buch und Film so gut zusammen. Hat man den Film gesehen und liest anschließend das Buch, dann werden die literarischen Bilder, die sich aufblättern unterstrichen, hat man das Buch zuerst gelesen, dann versteht man die filmische Umsetzung gleich besser und Erinnerungen an das Lesen kommen einem bei jeder Szene.Hinzu kommt, dass die Kinder- und Jugendzeit des Elternpaares, die Gründe für die Auswanderung nach Palästina im Buch ausführlich beschrieben werden. Auch der übermächtige Einfluss des Gelehrten Josef Klausners wirkt nur im Buch und wird im Film nicht einmal erwähnt. Es sei allerdings betont, dass dies wohl den Rahmen gesprengt hätte.
Portman hat einen Film gedreht über den sich die Kritiker trefflich streiten. Es war ihr eine Herzenssache, sie ist selbst das Kind eines israelischen Vaters und einer jüdisch-amerikanischen Mutter. Ihre Großeltern wanderten selber 1930 nach Palästina aus, ihre Urgroßeltern wurden in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. (wikipedia)
Die Schauspielerauswahl ist auch gelungen. Portman und Gilad Kahana (Arieh Klausner) passen sogar zum Familienbild, ebenso wie Amir Tessler (Amos Klausner). In ihrem Spiel erkennt man die handelnden Personen des Buches wirklich wieder.
Die großartige Sprache des Amos Oz lud sie sicherlich ein, die komplexe
autobiografische Geschichte zu verfilmen. Es ist ihr gelungen. Es ist
kein Reißer, die Geschichte ist nicht einfach, die Bilder machmal schwer
und schlecht einzuordnen. Wie bereits bemerkt, wohl kein Film für die
großen Filmpaläste.
Eigentlich müsste Beatrice zufrieden sein. Sie hat das Antiquariat von
Herrn Plana übernommen, ihr Mann ist wieder gesund und der Verlag
wünscht sich ein neues Manuskript. Alles scheint in geordneten
Bahnen zu laufen. Doch dann taucht der kuriose Ladenbesitzer Quirinus
auf, der ihr ein Angebot macht, das sie einfach nicht ablehnen kann.
Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück in die tiefsten Regionen
des Buchlands.
Verlag: Acabus Verlag; Auflage: 1., Originalausgabe (19. Oktober 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3862824012
ISBN-13: 978-3862824014
Reihe: Buchland-Trilogie Bd. 2
REGENBÖGEN IM DUNKEL...
Was habe ich mich auf ein Wiederlesen mit Beatrice und dem Buchland
gefreut! Zwar gibt es Herrn Plana nun nicht mehr, doch Beatrice hat das
Antiquariat von ihm übernommen, und was spräche dagegen, das Buchland in
den unteren Gewölben auch ohne den mysteriösen Auktoral zu
durchforsten? Zu meiner großen Überraschung hat Beatrice diese
Möglichkeit jedoch seit dem Verschwinden Herrn Planas nie genutzt -
allein zum Zwecke des Auffüllens der Buchregale im Antiquariat hat sie
das Buchland gelegentlich einmal betreten, blieb jedoch stets in den ihr
gut bekannten Abteilungen.
"Sie wusste um das
mächtige Eigenleben des geschriebenen Wortes, wusste um die Magie, die
die Realität um die Fiktion krümmte wie das Weltall den Raum um die
Masse. Es gab hier Gänge, die sich verschoben, Bücher, die sich
bewegten, und Wesen, denen sie nie wieder begegnen wollte. Ja, sie
liebte das Buchland. Aber sie hatte auch einen höllischen Respekt vor
dem, was im Buchland zu finden war." (S. 58)
Auch
sonst hat sich Beatrice in ihrem Leben irgendwie eingerichtet. Mit
ihrem Mann Ingo versteht sie sich wieder recht gut, zumal er weiterhin
dem Alkohol abschwört. Zwar hat sie den Tod ihrer kleinen Tochter immer
noch nicht wirklich verwunden, doch schaut sie inzwischen wieder nach
vorne. Nach dem Erfolg ihres ersten Buches drängt der Verlag auf eine
Fortsetzung, doch ist Beatrice von der Idee nicht wirklich überzeugt.
"Ich
werde keine Fortsetzung schreiben. Fortsetzungen sind meistens kacke.
Nur weil 'Buchland' ein Fantasyroman geworden ist, muss das Teil ja
nicht gleich in Serie gehen. Nicht jeder Mist muss eine Trilogie
werden." (S. 39)
Dieses kleine Zitat zeugt
schon davon, wieviel schwarzer Humor hier immer wieder mal aufblitzt,
und auch, wie der Autor sich selbst immer mal wieder auf die Schippe
nimmt - und das sind schon einige der Gründe, weshalb mir dieses Buch so
gut gefallen hat. War Band eins der Trilogie noch vom
Überraschungseffekt geprägt, von all der Freude am Entdecken dieses
traumhaften Landes für alle Bücherliebhaber, so ist diese zweite Folge
deutlich düsterer. Denn das Buchland ist nicht mehr, was es mal war.
Unheimlicher ist es geworden, Schatten sind eingezogen, und das Böse
lauert - nur auf wen? Oder auf was?
"Während der
Zeiger langsam über das Zifferblatt ihrer Armbanduhr kroch, überkam sie
mehr und mehr ein Gefühl der Unruhe. Die Angst, dass etwas ihre Bücher
bedrohte, machte sich schmerzhaft spürbar in ihren Knochen breit. Da war
noch immer das Wispern um sie herum. Doch entgegen aller Erfahrungen,
die sie bislang zwischen den Büchern gemacht hatte, klang es nun
kläglich, geradezu krank." (S. 55)
Zunächst
einmal macht Beatrice die Bekanntschaft mit einem merkwürdigen Kauz.
Quirinus heißt er - nur Quirinus - und hat den Laden neben dem
Antiquariat erworben. Ein Geschäft für Kuriositäten, und wirklich schlau
wird Beatrice nicht aus dem Verhalten ihres neuen Nachbarn. Er möchte
etwas von ihr, das ist ihr nur zu bald klar, doch er verrät ihr nicht,
was es ist. Stattdessen stellt er ihr seine kleine Cousine vor, Chaya,
ein kleines, nettes Mädchen - und doch, auch an ihr ist irgendetwas
seltsam. Jedenfalls liebt dieses Mädchen Bücher. Über alles. Vielleicht
zu sehr?
"Dort, wo sie gestern das Kinderbuch
eingeschoben hatte, lag ein klägliches Häuflein Staub. Wie konnte das
sein? Wie konnte ein Buch innerhalb so kurzer Zeit zerfallen? Das hatte
Beatrice noch nie erlebt. Schon gar nicht hier im Antiquariat. Hier
starben keine Bücher! Hier lebten sie auf. Egal, was es zu bedeuten
hatte: Es konnte nichts Gutes sein. Aber wenn sie Antworten finden
wollte, gab es nur einen Ort, an dem sie danach suchen konnte." (S. 54)
Noch
während Beatrice über die Veränderungen und möglichen Bedrohungen
nachsinnt, macht ihr Quirinus ein Angebot, das sie bei allem Misstrauen
einfach nicht ablehnen kann. Und wieder geht es tief hinein ins
Buchland, in Areale, von denen Beatrice nicht zu träumen gewagt hätte -
und doch ist alles von einer unheimlichen Atmospäre überzogen. Doch
neben beängstigenden Begegnungen gibt es auch wieder herrliche
Entdeckungen, wie beispielsweise die Geschichteneiche - mit Blättern aus
Buchseiten, in denen sich die Strahlen der Sonne weiß relektieren.
"Es
ist traurig, dass nicht jeder für diese Magie zugänglich ist. Manche
Köpfe sind einfach zu stumpf. Phantasie sollte zum eigenständigen
Unterrichtsfach erklärt werden. Weißt du, jedes Feuerwerk in deinem Kopf
kann grandioser und farbenfroher sein als eines, das du im 3D-Kino
siehst. Du musst dich nur darauf einlassen." (S. 123)
Einen
Mangel an Phantasie kann man Markus Walther nun wirklich nicht
vorwerfen. Wer wie Beatrice geglaubt hat, nach dem letzten Abenteuer das
Buchland zu kennen, wird hier rasch eines Besseren belehrt. Doch neben
all den phantastischen Elementen und den Geheimnissen, denen der Leser
mit Beatrice auf den Grund zu gehen versucht, gibt es hier eine Vielzahl
von philosophischen und moralischen Fragestellungen, mehr als einen
Hauch von Mythologie und einen ganzen Strauß von Anspielungen, die man
z.T sicher auch zu überlesen droht. Doch im Rahmen einer gemeinsamen
Leserunde mit dem Autor wurden wir auf so manche Stelle hingewiesen, die
zumindest für mich ansonsten verloren gegangen wäre.
"Seele?
Ein großes Wort. Und eines, das sich nicht genau definieren lässt. Ein
sehr ungenauer Begriff. Ist Seele der unsterbliche Teil eines Wesens?
Ist es der Lebensfunke? Dann wäre es mögich, dass es ihn gar nicht gibt.
Oder ist es Intelligenz und das Sich-Selbst-Bewusstsein? Die Fähigkeit
zu fühlen oder die Fähigkeit zu lieben? Wie poetisch! Von allem was?
Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht ist es auch nur der Wille
weiterzumachen. Lebenswille. Hoffnung. Hoffnung. Ja." (S. 217)
Von
der Seele der Bücher und sonstiger, hm, Dinge, ist hier die Rede, von
Trauer und Freude, von der Verwerflichkeit des Machbaren, vom Ursprung
des Bösen und von dem, was man zum Überleben braucht - die Hoffnung. Der
Glaube an Regenbögen im Dunkel.
Für mich einmal mehr ein ganz
besonderes Buch aus der Feder von Markus Walther. Zweimal habe ich es
gleich gelesen, denn ein einziges Lesen reichte mir nicht aus, um alles
zu entdecken - und vermutlich reichen auch die beiden Male nicht. Mehr
als ein Fantasybuch ist es in jedem Fall, denn wenn ein Roman es
schafft, einen zum Lachen zu bringen und zu Tränen zu rühren, sich die
Augen zuhalten zu wollen und zum Nachdenken bewegt - dann hat er viel
erreicht. Und genauso ist es mir mit diesem Buch ergangen.
Ich
wünsche dem Buch viele Leser, denn welcher Büchernarr mag nicht
eintauchen in das wundersame Buchland? Von mir gibt es jedenfalls auch
für diesen zweiten Band der Trilogie eine unbedingte Leseempfehlung!
Markus Walther, geboren 1972 in Köln, lebt seit 2006 mit seiner Frau und
zwei Töchtern in Rösrath. Als ausgebildeter Werbetechniker begeisterte
er sich bald für die Schriftgestaltung und machte sich 1998 als
Kalligraph selbstständig. Der Schwerpunkt seiner schriftstellerischen
Arbeit liegt in der Gattung der Kurz- und Kürzestgeschichte. Die
Gratwanderung zwischen Klischee und Pointe, Independent und Mainstream
führt ihn seither quer durch sämtliche Genres der Bücherwelt.
Die Zeitreise geht weiter und um eine solche handelt es sich ja. Leon Hollenbeck aus Bremen, der im Teil 1 nach Germanien verschlagen wurde, einige Jahre vor der Schlacht im Teutoburger Wald, heiratet Frilike, die Tochter des Chaukenhäuptlings Ingimundi. Do bevor er seinen Sohn in die Arme schließen kann, wird er nach einem Kampf mit den Römern "zurück geschickt": Er ist der Gegenspieler des Bliksmani, seines eigenen Onkels Armin, welcher ebenfalls im ersten Jahrhundert gelandet ist. (Der Name kommt einem ja auf jeden Fall bekannt vor)
Die Pläne der Hagedisen, einer Gruppe von Zauberinnen, kennt er noch nicht. Schwer verletzt von einem römischen Speer landet er wieder "zu Hause" - unabsichtlich schwer verletzt von einer Spitzhacke, die der Kriminalkommissar Paulus handhabte, kehrt er, gemeinsam mit diesem Paulus zurück und begibt sich nach zwei Jahren auf die Suche nach Frau und Sohn. Findet er sie auf einer abenteuerlichen Schiffsreise durch das Mare Fricisum?
Doch wo ist Armin?
* * *
Fantasy? Nun ja, eigentlich mag ich das weniger, zumal hier die erste Direktive der Sternenflotte gröblichst verletzt wird, denn der Gang der Geschichte wird durch die Handhabung moderner Gegenstände beeinflusst. Bliksmani, der Blitzschleuderer hat nämlich eine Kalaschnikow mit genommen. Deren Wirkung ist natürlich verheerend...
Trotzdem gelingt es Bredemeyer dem Leser auch auf solche Weise ein wenig Geschichte zu vermitteln, denn spannend ist die Reise des jungen Witandi (Leon) alle mal. Die Lebensweise der germanischen Stämme, zum Beispiel Ackerbau, Viezucht, Kampf und Krieg, ihre Kleidung, Nahrung, die verschiedenen Götter - all das wird sehr schön erzählt.
Daher kann ich, der ich die Geschichte enes unbekannten Kriegers der Chauken genauso gern gelesen hätte, es verschmerzen, dass Bredemeyer ein bisschen an James Tiberius erinnert, der seinen Scotty im 20. Century auch technisch "zaubern" lässt.
Das Buch hat ein paar interessante Anhänge erhalten, die uns die Orte, dei Stämme, die römische und germanische Götterwelt sowie historische Personen, aber auch irische und keltische Begriffe erläutern.
Der Kampf um Germanien also ist ebenso zu empfehlen wie Im Feuer der Chauken, dem ersten Teil von Runenzeit.
* * *
Die Geschichte passt zum Autor Mark Bredemeyer. Der 1971 in
Bremen geborene Wirtschaftswissenschaftler und IT-Berater hat damit Zukunft und
Vergangenheit, mit seiner „Leidenschaft für germanische Geschichte“ verbunden.
Römische Trireme: Von F. Mitchell, Department of History, United States Military Academy - http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/gabrmetz/gabr0066.htm, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62610
Eine klassische Konstellation: der Vater, die Mutter und der Liebhaber.
Und das Kind, vor dessen Augen sich das Drama entfaltet. Aber so, wie
Ian McEwan sie erzählt, hat man diese elementare Geschichte noch nie
gehört. Verblüffend, verstörend, fesselnd, philosophisch – eine
literarische Tour de force von einem der größten Erzähler englischer
Sprache.
Zugegeben, bislang hatte ich noch keine Begegnung mit einem Buch von Ian
McEwan. Vorgenommen hatte ich es mir schon lange, aber irgendwie kam es
nie dazu. Doch hier, bei seinem neuesten Werk, wurde ich neugierig. Und
bereits auf den ersten Seiten wurde klar: das ist ein Roman für mich!
Worum
es geht, ist rasch skizziert: Mann, Frau, Liebhaber. Einer zu viel. Der
Stoff, aus dem große Dramen entstehen. Doch halt, so ganz neu ist der
Stoff wohl nicht. Schon die Namen einiger Personen deuten in die
Richtung, in der man suchen muss. Trudy heißt die Frau und Claude der
Liebhaber - und wem hier Hamlet von Shakespeare in den Sinn kommt (die
Königin Gertrude und Claudius, der Bruder und Mörder des Königs und
späterer Gemahl von Gertrude), ist auf der richtigen Spur. Auch bei
McEwan ist Claude der Bruder von Trudys Ehemann - und die beiden planen
die Ermordung des werten Gatten.
"Er merkt nicht,
wie ungeduldig sie darauf wartet, dass er wieder geht. Wie pervers die
Verbannung ist, die sie ihm (...) auferlegt. Ist er denn wirklich ein so
bereitwilliges Werkzeug seines eigenen Untergangs? (...) ein
Riesennarr, der es für klug hält, seiner Frau jenen 'Raum' zu geben, den
sie angeblich braucht." (S. 29)
Doch auch
Shakespeare hatte seinerzeit so seine Quellen - die Geschichte selbst
ist also noch viel älter. Mir hat die Entdeckung dieses Zusammenhangs
einfach viel Freude gemacht. Wichtiger jedoch ist nun zu schauen, worin
das Besondere in dem Werk von McEwan liegt.
Da wäre zunächst
einmal die überaus ungewöhnliche Perspektive zu nennen, aus der die
Geschichte erzählt wird. Eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste,
Person wurde bislang nämlich noch nicht benannt. Trudy ist im neunten
Monat schwanger - und das Ungeborene erzählt hier die Ereignisse um
seine Mutter, seinen Vater und seinen Onkel, all die Abgründe
menschlichen Lebens, eine Geschichte von Intrige und Verrat. Durch die
besondere Situation sind dem Erzähler die Hände gebunden, so dass er
nichts tun kann, um das geplante Verbrechen zu verhindern, was ihm
zwischenzeitlich sehr zusetzt.
Wer jetzt stutzt angesichts der
Erzählperspektive - ja, das Erleben hatte ich beim Lesen auch. Wie kann
denn ein Ungeborenes derart allwissend sein, die Situation analysieren,
Überlegungen anstellen? Und nicht nur das: es beschreibt sinnliche
Erfahrungen wie den Geschmack des Weins, den seine verantwortungslose
Mutter täglich in sich hineinschüttet, oder auch über das Erleben von
Farben. Darüber hinaus philosophiert das Ungeborene immer wieder auch
über die verschiedensten Themen fröhlich vor sich hin. McEwan selbst hat
die Antwort parat: Radio, Fernsehen, Podcasts, alles aufgesogen in den
neun Monaten seines Daseins im Bauch der Mutter. Natürlich ist das wenig
realistisch, aber irgendwie doch unwiderstehlich albern. Und das
Ungeborene ist in bester Erzähllaune, so viel sei hier verraten. Wenn es
gelingt, diese Erzählperspektive einfach als gegeben hinzunehmen, ist
das Lesen ein wahres Vergnügen...
"Nicht
jedermann weiß, wie es ist, den Penis des Rivalen seines Vaters nur
wenige Zentimeter vor der eigenen Nase zu haben. In diesem späten
Stadium sollten sie sich mir zuliebe eigentlich zurückhalten (...) Jedes
Mal, bei jedem Kolbenhub fürchte ich, er könnte durchstoßen, könnte
meinen weichen Schädel aufspießen und meine Gedanken mit seiner Essenz
besamen..." (S. 37)
Ian McEwan hat hier eine
besondere Mischung geschaffen aus Drama, Krimi und Satire, gewürzt mit
allerlei philosophischen Betrachtungen. Böser schwarzer Humor versüßt
dabei selbst die düstersten Darstellungen. Und bei all dem ist zu
merken, wie viel Vergnügen der Autor selbst beim Schreiben gehabt haben
muss.
Manche Passagen hinsichtlich der Reflexion des
Weltgeschehens oder über die Natur der Menschheit sind für meinen
Geschmack ein wenig zu ausschweifend geraten. Ein wenig so, als hätte
McEwan selbst noch ein Fläschchen Wein geöffnet und den Philosophen
rausgeholt, um über Gott und die Welt zu schwadronieren. Da geriet die
Handlung für mich zu sehr ins Stocken. Doch die Schreibkunst des Autors,
seine subtilen Beobachtungen zwischenmenschlichen Handelns, die hier
fein herausgearbeitet sind, versöhnten mich wieder mit diesen
Abschweifungen.
Insgesamt jedenfalls fühlte ich mich von dem
Roman bestens unterhalten und habe jetzt Lust bekommen, weitere Werke
des Autors kennenzulernen!
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998
erhielt er für ›Amsterdam‹ den Booker-Preis und 1999 den
Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein
Roman ›Abbitte‹ wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley
verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal
Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.