Montag, 31. Oktober 2016

Schilddorfer, Gerd: Der Nostradamus - Coup

Die Bücherraupe schaut da mal etwas betrübt auf die Flieger eines gewissen John Finch, der hier in diesem Blog bereits mehrfach eine Rolle spielte. Das schicke Wasserflugzeug ging ja leider in HEISS zu Bruch, bekannt war das Teil durch DIE UNENTBEHRLICHEN geworden, da flog das Ding ein "italienischer Hengst." John Finch aber ist ein Vollblutflieger, der diese Leidenschaft von seinem Vater hat. Seit dem flog er alles: Waffen, Spione, Sklaven, Drogen (?) von überallher und überallhin. Meist auf der Seite der Guten, wobei fraglich ist, auf welcher Seite er sich im Falklandkrieg befand, die Rolle Englands hierbei soll aber nun erst einmal nicht Thema sein. Allerdings wird klar, warum der Kerl auch mit Militärmaschinen klar kommt



Aber die DC-3 ist ja auch ganz schön, unser Abenteurer kauft sich so ein Teil auf einem in einer westlichen Ecke Libyens liegenden Flugplatz. Dass er dabei unfreiwillig Passagiere mitnehmen muss, behagt ihm gar nicht, einen davon entsorgt er nach gefährlichem Flugmanöver, welches selbst seine coole Copilotin nicht so gelassen hinnehmen kann wie sie tut, infolge Genickbruchs durch Hinauswurf. Passagier 2 landet bei tunesischen Sicherheitsbehörden und spielt dann keine Rolle mehr, der Typ hieß Gaddafi. Aha.






Passagier 1 hatte allerdings ein Notizbuch und in Folge dessen geht es um einen gewissen Michel de Nostradamé, bekannt als Nostradamus und seine Prophezeihungen. Dieses Notizbuch wechselt mehrfach die Besitzer, dank moderner Elektronik kann man sich auch ohne dieses mit dem Inhalt beschäftigen. Das dieses geschieht, dafür sorgt ein anderer Typ in Old England, Anne hatte in einer ihrer Rezensionen bereits das Erkennungszeichen in dessen Vorgarten aufgeklärt.



Et in Arcadia ego (Wikipedia)
Der Autor meinte auch in diesem Buch, dass er seine Leserinnen und Leser in verschiedene Zeitebenen führen muss, eine davon ist 1939. In diesem Jahr sucht eine Gruppe des sogenannten Ahnenerbes e.V. nach einem Schatz. Kenner wissen, da steckt der Reichsführer SS dahinter, man sucht nach verschollenen Dokumenten im Zusammenhang mit einem bekannte Spruch: ET IN ARCADIA EGO. Der Blogger hier bekam fast einen Herzkasper, denn seinerzeit hatte er es mit dem heiligen Gral und über diesen kam man ziemlich oft mit den Gemälden eines Nicolas Poussin in Berührung. Himmel dachte er, wo führt das hin? Himmler war doch auch immer scharf auf den Gral, und dass dieser mit dem Schatz der RITTER ZUM HEILIGEN GRAB, den Tempelrittern zusammenhängt, weiß inzwischen ja auch jeder, den diese teilweise gewaltigen Lügengeschichten faszinieren. Aber Gerd Schilddorfer schloss dann die Prieure de Sion schon mal aus. GOTT SEIS GEDANKT.



Jedenfalls spielen noch mit: ein Graf von Falkenstein, der sich als Kaiser Joseph II entpuppt, ein Fürst von Ligne, in der Zeit des 18. Jahrhunderts ebenfalls ziemlich bekannt, ein Kunstdieb der Kategorie Robin Hood, die Graue Eminenz und Chef des vatikanischen Geheimdienstes, die amtierende Chefin der Loge P4, welche mit ihrer wenig erfolgreichen Leibwächterin schläft, ein Paar computerbesessene mönchische Zwillinge,  Professoren und Professorinnen, von denen mehrere durch Gewaltanwendung zu verschiedenen Zeiten ihr Leben lassen, ein Pabst incognito, ein Papagei, zwei Tempelritter und ein ehemaliger Gymnasiallehrer, welcher eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird, was er allerdings nicht wissen kann. Und der, der im British Empire immer noch die Fäden, die Geheimdienstfäden, zieht. Wie schon in FALSCH und in HEISS. Den IS darf man auch nicht vergessen, der mordet sich auch durch diese Länder, allerdings bleiben die Typen namentlich anonym.



Das Ganze spielt sich in England, Frankreich, Italien, Österreich, Ägypten und Libyen ab. Ach ja und es endet in Belgien auf überraschende Weise, wobei der Autor dem geneigten Leserkreis unterschlägt, was denn da nun am Ende im Vatican und im British Museum eingelagert wird.  Daher bin ich so dumm wie zu der Zeit, als ich mit DER HEILIGE GRAL UND SEINE ERBEN erstmals mit solchen Geschichten in Berührung kam.



Ursache dafür ist wohl auch, dass die beiden Typen Finch und Lewellyn gerade mit einem LYNX AH-7 unterwegs sind und ein Attentat verhindern müssen. Man muss schon Finch heißen und den Gartenzwergtyp in der Hinterhand haben, um dieses auch nicht mehr ganz so junge Fluggerät auf einer amerikanischen Air Base von einer sommersprossigen First Lieutenant zu erhalten.



* * *

Zu was führt die Lektüre von Gerd Schilddorfer? Sie führt zum Beispiel zu Whisky. Zu besonders torfigem. Und Gerd ist nicht unschuldig daran, dass ich seit einigen Monaten einen Schrankkoffer besitze, der mit solchen Dingen gefüllt ist. Schuld daran ist eine Szene aus FALSCH, in der besagter Finch in einer Bar im brasilianischen Urwald sitzt und torfigen Laporaigh schlürft. Gerade schlürf ich einen Talisker, der ist aber nicht ganz so torfig, oder doch? Oder der Autor hatte noch eine andere Sorte parat. Ich merke, dieses Thema lenkt ab.




Zum anderen führt Gerd Schilddorfer meist zu einer Leserunde, welche wesentlich länger andauert als die Lektüre. Mal sehen, ob das nach HEISS mit NOSTRADAMUS auch so wird.

Jedenfalls zeigt Gerd Schilddorfer wiederholt, dass er viele Leser in seinen Bann ziehen kann. In einer literarischen Mischung aus Indiana Jones, The Extendables, James Bond und anderen führt er seine Leserschaft in viele Länder zu unterschiedlichen Zeiten, aus der Gegenwart in die Geschichte und wieder zurück. Nach jedem Kapitel lässt er Verwirrte zurück, deren Sinnen  nach einem Whisky und nach weiterschmökern steht. Es kommt dem Österreicher zu Gute, dass er eigentlich Journalist ist, dabei hat er vermutlich das Recherchieren gelernt, die Art und Weise Fäden zu spinnen, auseinander- und wieder zusammenzuführen scheint mit besonders schätzenswertes Talent zu sein. Einen Beweis gibt es hier.



Er hat versprochen, dass die alten Säcke Major Lewellyn und John Finch noch eine Weile weitermachen. Ich aber lege jetzt eine Pause ein und träume davon in Rom in einer Pizzeria mit den beiden, einem Kardinal und dem amtierenden Pabst eine solche zu verspeisen, höchst geheim natürlich, und höchstens unterbrochen von einem Papagei namens Sparrow.

 * * *

Verlagsseite
Was tut es da noch, dass ich hoffe, dass Gerd im nächsten "Finch" auf (mir) unbekanntem Terrain stöbern wird? Es, das Thema,  kann ja meinetwegen "archäologisch" sein, oder so etwas interessantes wie die  KALASHA in Pakistan aufwerfen, die waren mir vollkommen unbekannt, aber keine Templer und ähnliches bitte. Davon werde ich immer noch und immer wieder neu infiziert.

* * *
Gerd Schilddorfer wurde 1953 in Wien geboren. Als Journalist arbeitete er bei der Austria Presse Agentur und danach als Chefreporter für verschiedene TV-Dokumentationsreihen (Österreich I, Österreich II, Die Welt und wir). In den letzten Jahren hat er zahlreiche Thriller und Sachbücher veröffentlicht. Gerd Schilddorfer lebt und arbeitet in Wien und Stralsund, wenn er nicht gerade auf Reisen für sein neues Buch ist. (siehe Verlag) - Das Angebot mit ihm mal Wien zu durchstreifen werde ich unbedingt verwirklichen. Vielleicht vor, vielleicht nach dem nächsten Finch.

Es grüßt alle Fans und in die Leserunde, PROST



der KaratekaDD

 ► DNB / Bastei Lübbe / München 2016 / ISBN: 978-3-404-17425-6 / 796 S.


Mittwoch, 26. Oktober 2016

Doerr, Anthony: Memory Wall


Unser Leben, unsere Welt werden durch unsere Erinnerungen zusammengehalten. Was geschieht mit uns, wenn wir sie verlieren, und welche Möglichkeiten tun sich auf, wenn andere unsere Erinnerungen wiederbeleben können? 
Der 74-jährigen Alma Konachek, die in einem Vorort von Kapstadt lebt, widerfährt genau dies. Sie verliert ihr Gedächtnis. Unbekannte brechen mehrfach in ihr Haus ein, auf der Suche nach Hinweisen zu einem spektakulären Fossilienfund ihres plötzlich verstorbenen Mannes. Denn Alma hat eine Wand voller Fotos, Gedächtnisstützen, Speichermedien, in der sich irgendwo der fehlende Hinweis zu dem gesuchten Fossil befindet.In dieser lichten, wunderschönen Novelle gelangt schließlich ein Junge in den Besitz des Geheimnisses dieser alten Frau und ihres Mannes, einer Episode aus ihrer Vergangenheit mit der Macht, ein Leben zum Guten zu wenden. Der Junge reist dazu in die Karoo-Wüste und setzt sich dieser wilden Landschaft aus. Wie alle Werke Doerrs zeugt auch dieses von der Größe des Lebens – von der geheimnisvollen Schönheit der Fossilien, Wolken, Blätter - vom atemberaubenden Glück, in diesem Universum zu leben. Die Vorstellungskraft und Sprachmacht, das Einfühlungsvermögen und die Erzählkunst Anthony Doerrs sind unvergleichlich.

(Klappentext C.H. Beck Verlag)

  • Gebundene Ausgabe: 135 Seiten
  • Verlag: C.H.Beck; Auflage: 1 (10. Februar 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence
  • ISBN-10: 3406689612
  • ISBN-13: 978-3406689611
  • Originaltitel: Memory Wall













EIN GANZES LEBEN...


Die Memory Wall befindet sich im Hause der reichen Witwe Alma Konachek. Vor vier Jahren starb ihr Ehemann Harold, und seither kümmert sich nur noch ihr treuer schwarzer Diener Pheko um sie. Alma lebt in einem wohlhabenden Vorort oberhalb des Zentrums von Kapstadt - und leidet mit ihren 74 Jahren an einer fortschreitenden Demenz. Die Wand der Erinnerungen in ihrem Schlafzimmer ist geradezu gepflastert mit Fotos, vollgeschriebenen Notizzetteln - und Kassetten.

Dies sind jedoch keine gewöhnlichen Kassetten, sondern Erinnerungsbewahrer. Ein wenig fühlte ich mich hier an Harry Potter und das Denkarium von Professor Dumbledore erinnert - nur dass es sich hier um das Produkt einer neuen (fiktiven) medizinischen Methode handelt. Nach einer Operation am kahlrasierten Kopf, bei der vier Löcher bis zum Gehirn gebohrt wurden, ist es nun möglich, dort einen Port anzuschließen und so mittels eines technischen Gerätes Erinnerungen abzuzapfen, die anschließend auf Kassetten gespeichert werden. So kann Alma täglich in ihren Erinnerungen schwelgen, auch wenn ihr Gehirn längst nicht mehr in der Lage dazu ist, selbst diese Erinnerungen hervorzurufen.


"Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis zu verlieren, und sei's nur stückweise, um sich darüber klar zu werden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist (...)" (S. 7)


Doch ist diese Novelle nicht einfach eine der traurigen Erzählungen um einen demenzkranken Menschen. Hier gibt es ein ganzes Geflecht an Themen, die aufgrund der Kürze der Novelle nur angerissen werden können - und die dennoch beim Lesen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das gewachsene Verhältnis von Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Jung und Alt spielt hier ebenso eine Rolle wie die Frage nach dem Wesen des Menschseins, dem Sinn des Seins, der Schicksalhaftigkeit oder des Determinismus des Lebens.

Kein erhobener Zeigefinger schleicht da durch die Zeilen, doch gerade wegen der leisen Töne und der bildhaften Beschreibung der Szenen stehen die angerissenen Fragen um so deutlicher vor Augen. Trotz einger surreal anmutender Passagen konnte ich mich einer einnehmenden Eindringlichkeit nicht erwehren. Die hervorgerufene Stimmung ist oftmals düster, und doch vermag Anthony Doerr mit seinem teils klaren, teils mit Metaphern gespickten Schreibstil zu überzeugen.

Eine nachhallende Novelle, die trotz des geringen Umfangs nicht einfach so heruntergelesen werden sollte. Ein beeindruckendes Stück Erzählkunst...


© Parden







Im amerikanischen Original sind sogar sechs Geschichten in dem Band versammelt - im deutschen Werk nur eine.







Der C.H. Beck Verlag schreibt über den Autor:

Anthony Doerr, 1973 in Cleveland geboren, lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Boise, Idaho. Neben Erzählungsbänden wie „Der Muschelsammler“ (2007) veröffentlichte Doerr die Romane „Winklers Traum vom Wasser“ (2005) und „Alles Licht, das wir nicht sehen“ (2014), für den er 2015 den Pulitzer Prize erhielt. Der Roman, der in den USA annähernd 2 Millionen Exemplare verkaufte, wurde auch in Deutschland zu einem Bestseller, und in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Für seine Erzählungen hat Doerr bislang vier Mal den renommierten O. Henry Prize erhalten, neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er auch drei Mal den Pushcart Prize. Im Jahr 2007 wurde Anthony Doerr von der Britischen Literaturzeitschrift Granta auf die Liste der „21 Best Young American Novelists“ gesetzt.

übernommen vom C.H. Beck Verlag

Montag, 24. Oktober 2016

Welskopf, Liselotte: Hans und Anna

Liselotte Welskopf 
und ihre Kinderbücher

heute: 

Hans und Anna





Da muss man ein halbes Jahrhundert alt werden, ehe man die Kinderbücher seiner Lieblingsautorin in der Hand hält.  Liselotte Welskopf hat in den fünziger Jahren paar geschrieben und da sie hier auf unserem Blog einen festen Platz inne hat, ist es wohl nur folgerichtig, diese auch zu besprechen.
Heute ist Hans und Anna dran.

Elisabeth Charlotte Henrich (1901 - 1979) ist eher bekannt unter dem Namen Liselotte Welskopf-Henrich. Dieser Name ist vor allem verbunden mit zwei Werken: Die Söhne der Großen Bärin und Das Blut des Adlers. Kinderbücher? Davon las ich erst vor einigen Jahren, als das "Adlerblut" neu herausgegeben wurde und ich zu stöbern anfing. Unter dem Wikipedia-Eintrag las ich von den drei, oben abgebildeten Kinderbüchern - heute nur noch antiquarisch zu erhalten.

Hans und Anna wurde 1954 im Kinderbuchverlag der DDR veröffentlicht. Dieser hatte sich auf die Fahnen geschrieben, nur gute Bücher für Kinder herauszugeben und damit zielte er ganz bewusst gegen die sogeannten "Schwarten" - die Wildwest- und Krimihefte, bei denen "nur ein dicker, aber leerer Kopf herauskommt... So sind die Schwarten: immer dieselbe spannend gemachte Dummheit für Dumme."

(Schwarten stimmte auf jeden Fall, vom ständigen weitergeben waren die ziemlich abgegriffen und speckig - wie Schwarte eben) 

Der Besitz derselben wurde in der Schule angeprangert und natürlich verboten: Derartiger Schund kam natürlich von drüben und insbesondere in Berlin, also Ost - Berlin, muss ein reger Tauschhandel geherrscht haben. Gelegentlich hatte ich auch mal eins in der Hand, aber weder verstand ich den Inhalt noch haben die Geschichten mich vom Hocker gerissen.
 Im Buch Hans und Anna fand ich diese Lesezeichen, die allerdings auf eine Reihe hinweisen, die erst in den sechziger und siebziger Jahren aufgelegt wurden.

Hans und Anna hätten schon gut dazu gepasst, den die zu Beginn wie eine Hänsel und Gretel Adaption anmutende dreiteilige Geschichte ist letztlich vor allem eins, zutiefst solidarisch und, ich komme darauf zurück, politisch.

* * *

Im Bergwerk
Drei Geschichten von Allezusammen. Hans und Anna lebten mit ihren Eltern in der Mitte des 19. Jahrhunderts in "einer Hütte aus Lehm, unter einem Dach aus Stroh." Anna musste den ganzen Tag spinnen und als der reiche Müller für den Vater keine Arbeit mehr hatte, schickten die Eltern ihre drei Kinder, Hans, Anna und die kleine Lisbeth (!) auf Wanderschaft, selber verlegten sie sich auf das Betteln. Die Kinder ziehen los, beim reichen Müller gibt es schon mal nichts zu essen, nur der Hofhund mag mit ihnen teilen. Sie begegnen einem König, aber der will nur die Anna haben. Sodann ziehen sie zum schwarzen Köhler in den tiefen Wald. dieser fleißige Mann, der selber kaum etwas hat, erzählt den Kindern von der Arbeit in einem Bergwerk. Die kleine Lisbeth bleibt beim Köhler und die älteren Geschwister ziehen los und bekommen dann auch Arbeit im Kohlebergwerk. Schläge und schwere Arbeit, ein weiterer Knabe erzählt ihnen von einem weisen Häuer tief unten im Berg. Die geschundenen Arbeiter gehen zu dem Häuer und Allezusammen! zwingen sie den Besitzer des Bergwerkes dazu, keine Kinder mehr im Berg schuften zu lassen. Hunderte haben gesiegt, Tausende müssen es werden. Hans und Anne ziehen, nachdem sie ihre Eltern wiedersahen, los, um überall das Wort "Allezusammen!" zu rufen. "Damit alle Mut bekommen, miteinander gegen die Großmächtigen zu kämpfen."

Die beiden Swinegel
Die zweite Geschichte handelt von zwei kleinen Buben Jahrzehnte später. Die beiden heißen Jan und Klaus, sind Söhne eines armen Bauern aus der Lüneburger Heide und begegnen eines Tages einem Wanderburschen, der heißt Hans. Der gibt ihnen das Wort "allezusammen" mit auf den Weg. Wieder ist ein Märchen verwoben, das vom Hasen und dem Igel. Die beiden noch kleinen Jungs tricksen einen reichen Bauernlümmel auf die bekannte Art und Weise aus.


In der dritten Geschichte werden die Bösen besiegt. Diese tragen schwarze Uniformen mit einem Totenkopf an der Mütze und bewachen ein Lager, aus dem zwei Kinder, Klaus und Anna, fliehen können. Sie treffen einen Mann mit einem Roten Stern an der Mütze. Der kennt das Wort auch. Nun wird die Geschichte des Aufbaus eines zerstörten Landes erzählt, noch nicht alle aber viele arbeiten "allezusammen". Beim Aufbau der Städte und gegen die Großbauern.

* * * 

Wen es erstaunt, ein solches Buch hier rezensiert zu sehen, der mag daran denken, dass die Autorin mit anderen Büchern weit bekannter und berühmt wurde. Deutlich zu erkennen dürfte sein, dass es sich hier um ein zutiefst politisches Kinderbuch handelt. Die erste Auflage erschien im Jahr 1954 und auf diese Art und Weise wollte Liselotte Welskopf den Kindern in der DDR erklären, was letztlich Sozialismus bedeutet. Der Stil ist durchaus an einige bekannte Märchen angelehnt und sehr symbolhaft. Die Schläge im Bergwerk, in dem Kinder ausgebeutet werden, der Totenkopf, der rote Stern, weiße Blusen und blaue Halstücher sowie blaue Hemden, auch rote und blaue Fahnen...

Ich hatte eine Reihe Kinder- und Jugendbücher, die das Leben in Stadt und Land der DDR beschrieben und in dem meisten Fällen nicht schlecht. Ob FRANK von Karl Neumann oder DEN WOLKEN EIN STÜCK NÄHER von Günter Görlich, ob DIE REISE NACH SUNDEVIT oder TAMBARI von Benno Pludra, sie handelten von Kindern und Jugendlichen, die natürlich Pioniere waren bzw der FDJ angehörten. So wie die meisten von uns. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, je ein Buch für jüngere Kinder (für Leser von 9 Jahren an) in den Händen gehabt zu haben, welches derart zielgerichtet und so klar und deutlich herausstellte, welches Ziel der inzwischen fünf Jahre alte Staat propagierte. Ideologie? Natürlich. Heute jedoch wissen wir, dass dieses Ziel sicherlich ein erstrebenswertes war, der Weg hingegen nicht einfach nur steinig, sondern auch von Stacheldraht gesäumt war und daher in diesem Staat der weißen Blusen, der blauen Hemden und der roten und blauen Fahnen nicht bis an das Ziel reichte.

Liselotte Welskopf-Henrich starb 1979 - ob sie geahnt hat, dass der Weg, den sie in ihren Romanen von ZWEI FREUNDE, DIE WEGE TRENNEN SICH, DAS WIEDERSEHEN, JAN UND JUTTA und BERTOLDS NEUE WELT erzählte, nicht zum Ziel führte? Vermutlich, denn der zuletzt genannte Roman wurde nicht wie ursprünglich gewollt fortgesetzt, zu widersprüchlich waren die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem deutschen Staat und damit auch die Verhältnisse für die Verlage.
 
DNB / Kinderbuchverlag Berlin / Berlin 1954 /  87 Seiten.

© KaratekaDD



Sonntag, 23. Oktober 2016

Steinhöfel, Andreas: Rico, Oskar und die Tieferschatten


Eigentlich soll Rico ja nur ein Ferientagebuch führen. Schwierig genug für einen, der leicht den roten oder den grünen oder auch den blauen Faden verliert. Aber als er dann auch noch Oskar mit dem blauen Helm kennen lernt und die beiden dem berüchtigten ALDI-Kidnapper auf die Spur kommen, geht es in seinem Kopf ganz schön durcheinander. Doch zusammen mit Oskar verlieren sogar die Tieferschatten etwas von ihrem Schrecken. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ...

(Klappentext Carlsen Verlag)

  • Taschenbuch: 224 Seiten
  • Verlag: Carlsen (1. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3551316031
  • ISBN-13: 978-3551316035
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 10 Jahren
  • Reihe: Rico und Oskar, Bd. 1












TIEFBEGABT...


http://bilder.buecher.de/zusatz/32/32561/32561376_scre_6.jpg
Mit herrlichen Illustrationen von Peter Schössow

Rico heißt eigentlich Frederico Doretti und lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter in der langen und geraden Dieffenbachstraße in Berlin. Diese Straße hat seine Mutter vorsorglich für Rico gewählt, denn es fällt ihm schwer, rechts und links außereinanderzuhalten - und da wo er wohnt, muss er nun meistens einfach nur geradeaus gehen. Denn Rico ist tiefbegabt.


"Ich sollte an dieser Stelle wohl erklären, dass ich Rico heiße und ein tiefbegabtes Kind bin. Das bedeutet, ich kann zwar sehr viel denken, aber das dauert meistens etwas länger als bei anderen Leuten. An meinem Gehirn liegt es nicht, das ist ganz normal groß. Aber manchmal fallen ein paar Sachen raus, und leider weiß ich vorher nie, an welcher Stelle. Außerdem kann ich mich nicht immer gut konzentrieren, wenn ich etwas erzähle. Meistens verliere ich dann den roten Faden, jedenfalls glaube ich, dass er rot ist, er könnte aber auch grün oder blau sein, und genau das ist das Problem." (S. 11)


Obwohl Rico ein Förderzentrum besucht, hat sein Lehrer bemerkt, dass der Junge sich gut ausdrücken kann - und nun soll er ein Ferientagebuch führen. Akribisch beginnt Rico die Ereignisse der Ferientage zu notieren - und es werden aufregendere Tage, als er geglaubt hat.

Als er auf der Straße eine Nudel findet und sich kriminalistisch daran macht herauszufinden, wie diese Nudel dort im Dreck gelandet ist, lernt Rico seinen ersten und einzigen Freund kennen: Oskar. Klein, ängstlich, kaum einmal ohne seinen blauen Schutzhelm unterwegs, bis zum Bersten angefüllt mit Faktenwissen und hochbegabt, ist Oskar das passende Gegenstück zu Rico. Unversehens geraten die beiden dann auch noch auf die Fährte des seit langem gesuchten ALDI-Kidnappers, der erst Kinder entführt und dann für ein erstaunlich geringes, discounterpreisverdächtiges Lösegeld wieder freilässt.


"Manchmal wacht man morgens auf, öffnet die Augen und es fällt einem sofort etwas Schönes ein. Es ist, als ginge im Bauch eine kleine Sonne auf, die einen innen drin ganz warm und hell macht." (S. 95)


Ein ungleiches Pärchen sind sie, Rico und Oskar, und doch ergänzen sie sich auf ganz wundersame Weise. Tiefbegabt und frohgemut der eine, hochbegabt und ängstlich verzagt der andere, findet der eine in dem anderen das, was ihm selbst zu fehlen scheint. Doch nicht nur die beiden sind von Andreas Steinhöfel wunderbar skizziert - alle Bewohner des Mietshauses, in deren Wohnungen Rico sich gerne umschaut, sind plastisch gezeichnet, eigen und unverwechselbar. Ein Mietshaus als Mikrokosmos zu wählen, erweist sich hier als gelungener Kunstgriff  – dem Autor gelingt hier eine ganz besondere Milieuschilderung, die weder diskriminierend gegenüber den Figuren, noch überfürsorglich pädagogisierend gegenüber seinen jungen Lesern ist, sondern einfach nur treffend und liebevoll.


"HORIZONT: Die Stelle auf der Welt ganz hinten, wo die Erde und der Himmel aufeinanderstoßen. Oder das Meer und der Himmel. Erde und Meer geht nicht, außer senkrecht, aber das heißt dann garantiert anders. Zum Beispiel Merizont." (S. 70)


Die Erzählung beinhaltet eine angenehme Mixtur aus Spannung und Humor. Die Suche nach dem Kindesentführer ist dabei gelungen verwoben mit Ricos unverfälschtem und originellem Blick auf seine Mitmenschen, was zuweilen auch recht berührend sein kann. Ein besonderes Vergnügen war für mich dabei die persönliche Fremdwortsammlung Ricos, in der er sich einige Wörter auf eine sehr eigene Art erklärte. So manches Mal musste ich da beim Lesen laut lachen.

2009 erhielt dieses Buch den Deutschen Jugendliteraturpreis - 2013 erhielt der Autor den Sonderpreis für sein Gesamtwerk im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Von Rico und Oskar gibt es bereits drei Bücher, von denen das vorliegende der erste Band ist. Alle drei Erzählungen sind inzwischen auch schon verfilmt worden.

In der Jurybegründung zur Preisverleihung heißt es u.a.:


"Steinhöfels Sprache schließlich vereint Figurendarstellung und Milieuschilderung zu einem modernen Sozialroman für Kinder. Um aus der Perspektive Ricos erzählen zu können, schafft er ein umfassendes und sprachschöpferisch ausgeklügeltes Vokabular für dessen Weltwahrnehmung. Ohne Beschönigung taucht Steinhöfel ein in Ricos innere und äußere Welt, eröffnet uns einen neue kinderliterarische Maßstäbe setzenden Kosmos und legt so einen Roman für Kinder vor, der in Figurenzeichnung, Plotgestaltung, sprachlicher Gestaltung und Aussage nichts zu wünschen übrig lässt – eben ein Roman eines ganz und gar nicht tiefbegabten Autors. "


Ein Buch, das meiner Meinung nach Kinder wie Erwachsene ansprechen kann und Freude am Lesen vermittelt. Empfehlenswert!


© Parden






Verfilmt wurde das Buch - ebenso wie die beiden Nachfolger - auch schon...







Der Carlsen Verlag schreibt über den Autor:

Andreas SteinhöfelAndreas Steinhöfel wurde 1962 in Battenberg geboren, arbeitet als Übersetzer und Rezensent und schreibt Drehbücher – vor allem aber ist er Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher, wie z. B. »Die Mitte der Welt«. Für »Rico, Oskar und die Tieferschatten« erhielt er u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis. Nach Peter Rühmkorf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer hat Andreas Steinhöfel 2009 den Erich Kästner Preis für Literatur verliehen bekommen. 2013 wurde er mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.

übernommen vom Carlsen Verlag

Samstag, 22. Oktober 2016

Bentow, Max: Die Totentänzerin


Ein Mann und eine Frau, entkleidet und in einer engen Umarmung vereint, die Körper mit einer Schnur aneinander gefesselt. Das Bett, auf dem sie liegen, ist blutdurchtränkt, davor auf bizarre Weise drapiert die Nachtwäsche der beiden Opfer. Dieser schaurige Anblick bietet sich Nils Trojan, als er am Tatort eintrifft. Welcher kranke Geist hat hier gewütet? Trojan ist schockiert, als ausgerechnet Theresa Landsberg, die Frau seines Chefs, in den Kreis der Verdächtigen gerät. Er will nicht an ihre Schuld glauben, und doch weiß er, dass er jede Spur verfolgen muss. Denn soeben wurde ein weiteres Liebespaar tot aufgefunden ...

(Klappentext Goldmann Verlag)
  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: Goldmann Verlag (15. Dezember 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3442481503
  • ISBN-13: 978-3442481507
  • Reihe: Nils Trojan (Bd. 3) 












LIEBESPAARE...



Der dritte Fall der Reihe präsentiert nicht nur eine Serie grausamer Taten, sondern stürzt Nils Trojan gleichzeitig in arge Gewissenskonflikte. Denn die Frau seines Vorgesetzten gerät zunehmend in den Fokus der Ermittlungen, und Nils entdeckt, dass sein Chef hier nicht mit offenen Karten spielt. Beweismittel verschwinden, Theresa Landsberg schließlich auch. Nils Trojan muss sich entscheiden: Loyalität zu seinem Vorgesetzten oder aber Pflichtbewusstsein? Ein Spagat, der wieder einmal mit Angstattacken einhergeht, unter denen der Kommissar immer wieder leidet. Doch auf die Hilfe der Psychologin Jana Michels kann er nicht mehr zählen, denn hier ist inzwischen eine Entscheidung gefallen. Die beiden leben eine Liebesbeziehung - wenn denn die Zeit dafür bleibt. Das schließt eine therapeutische Unterstützung für Trojan jedoch aus.

Wieder einmal spielt Max Bentow mit geschickt platzierten Perspektivwechseln. Der Leser begleitet so nicht nur Nils Trojan in seinen Ermittlungen, sondern u.a. ebenso die Verdächtige Theresa Landsberg, die unter Gedächtnisstörungen leidet und selbst nicht mehr zu wissen scheint, was geschehen sein kann und was nicht. Auch die Täterperspektive wird zwischendurch immer mal wieder präsentiert, so dass der Leser einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt desjenigen erhält, der die perfiden Morde begeht. Die Tatortbeschreibungen sind nichts für Zartbesaitete - abgesehen davon, dass man mitempfinden kann mit den Opfern, die in ihrem vermeintlich sicheren Zuhause angegriffen und in einer überaus intimen Pose getötet werden, wird hier an blutigen Szenen nicht gespart.

Die Schwachpunkte der beiden vorherigen Bände (Kommissar Zufall und Nils Trojan im Showdown als Superheld mit Superkräften) finden sich hier glücklicherweise nicht. Allerdings hatte ich ab einem bestimmten Zeitpunkt das (richtige) Gefühl, den Täter zu kennen - und das Motiv des Täters wirkte auf mich doch arg konstruiert. Für mich war es einfach nicht vorstellbar, dass ein solcher Hintergrund zu einer derart bestialischen Mordserie führen konnte. Dennoch war dieser dritte Band der Reihe für mich der bisher stärkste, und so runde ich die 3,5 Punkte gerne auf 4 auf, um den Unterschied zu den vorherigen Bänden zu unterstreichen.


© Parden









HIER geht es zum Portrait von Nils Trojan





Max BentowDer Goldmann Verlag schreibt über den Autor:

Max Bentow wurde 1966 in Berlin geboren. Nach seinem Schauspielstudium war er an verschiedenen Bühnen als Schauspieler tätig. Für seine Arbeit als Dramatiker wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Mit den fünf bisher erschienenen Kriminalromanen um den Berliner Kommissar Nils Trojan gelang Max Bentow ein großer Erfolg, alle Bücher standen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

übernommen vom Goldmann Verlag

Montag, 17. Oktober 2016

Hansen, Ule: Neuntöter


Berlin, Potsdamer Platz. Beim Klettern auf einem Baugerüst macht ein Junge eine grausame Entdeckung: Drei Leichen, einbandagiert in Panzertape, hängen in schwindelerregender Höhe an den Gerüststangen. Sie sehen aus wie Mumien und scheinen in dieselbe Richtung zu blicken, als würden sie auf etwas warten. Als die menschenscheue Fallanalystin Emma Carow auf den Fall angesetzt wird, ist ihr schnell klar, dass er für ihre Karriere entscheidend ist. Doch je fester sie sich verbeißt, desto mehr droht ein altes Trauma sie in den Abgrund zu ziehen.

(Klappentext Verlagsgruppe Randomhouse)

  • Broschiert: 496 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (29. Februar 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453438043
  • ISBN-13: 978-3453438040














MUMIEN

Verlagsgruppe Randomhouse


"Carow, Sie sind der unglücklichste Mensch, den ich kenne..."


Es gibt die Bücher, die man mit einem Seufzer schließt. Bestenfalls mit einem Seufzer des Bedauerns, weil das Buch einen aus der ihm innewohnenden Welt entlässt, bevor man wirklich bereit dazu ist. Schlimmstenfalls, weil die Erleichterung groß ist, das Buch endlich beendet zu haben. Dieser Thriller gehört für mich leider zur letzten Kategorie - und der Seufzer war groß.

Beim Überfliegen der bisherigen Rezensionen hatte ich schon entdeckt, dass das Buch - und allen voran vermutlich die Ermittlerin Emma Carow - polarisiert. Von vollkommener Begeisterung bis zur absoluten Enttäuschung ist da alles dabei. Ich kann die enttäuschten Stimmen leider nur zu gut verstehen. Allein aufgrund des interessanten Tathintergrundes vergebe ich hier zwei Sterne statt einem, so viel schon einmal vorweg...

Zunächst einmal zum Fall selbst: mumienartig verpackte Leichen baumeln tagelang unentdeckt an einem Baugerüst - und als sich herausstellt, dass die Opfer davor schon etliche Tage noch lebendig mit dem Klebeband umwickelt waren und dadurch langsam verhungerten und verdursteten, hat der Täter seinen Spitznamen weg: 'Neuntöter'. Im Mittelalter glaubte man nämlich dass der so benannte Vogel, der seine Beutetiere auf Dornen aufspießt, zunächst neun Opfer sammelt, bevor er sie verspeist.


"Warum tötet ein Mörder seine Opfer nicht?"


Diese Frage beschäftigt das Berliner Team um die Fallanalystin Emma Carow, und noch eine Reihe anderer Fragen dazu. Wie beispielsweise schafft es jemand, unerkannt mehrere Leichen oben auf ein Gerüst zu wuchten und sie dann aufzuhängen? Was könnte das Motiv hinter den Morden sein? Waren das schon alle Opfer? Doch diese durchaus interessanten Fragestellungen und der eigentlich brisante Fall geraten rasch in den Hintergrund, denn hier geht es vor allem um eines: um Emma Carow.

Schwer traumatisiert seit einer Vergewaltigung mit 19 Jahren, kann sich Emma zwar in komplizierte Mörderseelen hineinversetzen, vor Menschen im Allgemeinen hat sie jedoch Angst. Und so tappt sie sozial inkompetent von einem menschlichen Fettnäpfchen ins nächste und hat es nur der Fürsprache ihres Chefs zu verdanken, dass sie nicht längst hat umschulen müssen. Im Laufe der Erzählung gerät der Fall tatsächlich immer wieder aus dem Fokus, und Emmas Leben und Entscheidungen stehen im Mittelpunkt. Ihr Umgang mit Männern beispielsweise oder die wiederaufkeimende Angst, nachdem ihr Vergewaltiger nach einigen Jahren in Haft wieder auf freien Fuß gesetzt wurde - noch dazu mit einer Buchveröffentlichung, in der es um genau diese Tat geht, geschildert aus der Sicht des Täters.


"Wenn Emma ihre Nichte anschaute, sah sie ein kuscheliges Bündel Vertrauen, das rein zufällig dem sexuellen Ideal der meisten Exhibitionisten, Voyeure, Vergewaltiger und Mörder entsprach."


Langatmig, langweilig, viel zu ausschweifend und teilweise wenig glaubwürdig - so empfand ich diese Passagen um die Person Emmas im Wesentlichen. Dazu kommt, dass ich etliche Schlussfolgerungen, die Emma bezüglich des Falls zieht, selbst nach mehrfachem Lesen z.T. nicht nachvollziehen konnte oder schlichtweg nicht verstand. Die Zufälle, die den Fall mit dem Privatleben Emmas verquickten, waren für mich ebenfalls des Guten eindeutlig zu viel. Und die Handlungen Emmas waren für mich darüberhinaus oftmals mehr als fragwürdig. Insgesamt empfand ich die Figur der Fallanalystin als schwer gestört und sehe hier bei aller vermeintlichen Genialität in ihrem Fach eher einen Fall für die Psychiatrie denn eine geeignete Person für den Kampf gegen die Kriminalität.

Ich gehöre jedenfalls zu denjenigen, denen sich der (geschürte) Hype um das Buch in keinster Weise erschließt. Von einem Thriller erwarte ich mehr: mehr Spannung, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Authentizität, mehr Ausgewogenheit zwischen Fall einerseits und Ermittlerhintergründen andererseits. Für mich hatte das Ganze etwas von 'Durchquälen'. Sehr schade...


© Parden



















Ule Hansen
Die Verlagsgruppe Randomhouse schreibt über die Verfasser:

Ule Hansen ist das Pseudonym eines Berliner Autorenduos. Astrid Ule ist zudem Lektorin, Eric T. Hansen freier Journalist. Gemeinsam haben Sie bereits mehrere Dreh- und Sachbücher verfasst. Sie teilen eine Leidenschaft für nächtliche Gespräche bei gutem Whisky, exzentrische Halloweenpartys und ziellose Streifzüge durch die vergessenen Ecken der Stadt. NEUNTÖTER ist ihr erster Thriller.

übernommen von der Verlagsgruppe Randomhouse





zum SPECIAL zu »Neuntöter« von Ule Hansen, Heyne Verlag

 

Sonntag, 16. Oktober 2016

Johansson, Lars Vasa: Anton hat kein Glück



Holla, die Waldfee 

Ein Anruf seiner Eltern und eine E-Mail vom Elektrodiscounter sind die einzigen Glückwünsche, die Anton zu seinem 45. Geburtstag erhält. Aber der grummelige Berufszauberer mag Menschen sowieso nicht besonders. Seit Jahren tingelt er mäßig erfolgreich mit seinen Auftritten von Altersheim zu Einkaufszentrum. An und für sich würde ihn all das gar nicht stören. Wäre da nicht sein Erzfeind Sebastian, der mit seiner spektakulären Zaubershow in ganz Schweden Erfolge feiert. Ausgerechnet mit Charlotta an seiner Seite, Antons Ex-Freundin.
Früher waren Anton und Sebastian befreundet und haben gemeinsam gezaubert, nun sieht Anton überall die riesigen Plakate, die Sebastians und Charlottas Tournee ankündigen und auf denen groß in silbernen Buchstaben Together in Magic Forever steht. Es liegt auf der Hand: Für Anton läuft es nicht gut. Im Grunde läuft es überhaupt nicht. Aber niemand ist besser darin als er, sich das Leben schönzureden. Bis er sich eines Nachts im Wald verirrt und ein seltsames Mädchen trifft. Danach scheint Anton plötzlich vom Pech verfolgt zu werden. Als ernsthafter Zauberer glaubt Anton natürlich nicht an Magie. Aber langsam dämmert ihm, dass er etwas an seinem Leben ändern muss…


(Klappentext Rowohlt Wunderlich Verlag)


  • Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
  • Verlag: Wunderlich; Auflage: 1 (21. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung:  Ursel Allenstein, Antje Rieck-Blankenburg
  • ISBN-10: 380520387X
  • ISBN-13: 978-3805203876
  • Originaltitel: Den stora verklighetsflykten













DAS ROTE SOFA...



Manchmal sind es ungeahnte Kleinigkeiten, die das Leben vollkommen umkrempeln. Bei Anton ist es ein rotes Chesterfield-Ledersofa, mit dem er auf einer einsamen Landstraße in einer abgelegenen Gegend Schwedens frontal zusammenstößt. Und das einen Tag nach seinem 45. Geburtstag. Statt einfach nur nach Hause zu fahren, sitzt Anton jetzt irgendwo im Nirgendwo fest und läuft los, um Hilfe für sein ramponiertes Auto zu suchen. Als ihn auf einer Waldlichtung ein kleines Mädchen anspricht und ihn bittet, ihm einen Blumenstrauß zu pflücken, hat Anton weiß Gott besseres zu tun und stapft weiter auf der Suche nach einem Haus mit Telefon. Was er jedoch nicht weiß: dieses kleine Mädchen ist kein gewöhnliches Kind - sondern eine Waldfee. Und eine nachtragende noch dazu.

Gunnar und Greta jedenfalls, auf deren Häuschen Anton kurz darauf stößt, teilen ihm mit, dass er mit dem Abschlagen der Bitte der Waldfee großes Unheil auf sich geladen habe. Auf ihm liege nun ein Fluch, der ihm nur noch Pech bescheide - bis er es nicht mehr aushalte und freiwillig den Tod wähle. Doch Anton, der als Berufszauberer mit allen Tricks vertraut ist und an vieles, aber jedenfalls nicht an Magie glaubt, kann angesichts dieser düsteren Drohung nur den Kopf schütteln. Er will sein Auto repariert haben und dann nichts wie nach Hause! Als sich die Missgeschicke zu häufen beginnen, versucht Anton zunächst, sehr pragmatisch mit den Geschehnissen umzugehen. Doch allmählich beginnt er zu ahnen, dass doch mehr an dem ist, was das verschrobenen alte Ehepaar erzählt hat, als er zu glauben bereit war...

Anton ist ein Zeitgenosse, der es einem schwer macht, ihn zu mögen. Das geht nicht nur den anderen Figuren im Roman so, sondern auch dem Leser. Im Laufe des magischen Abenteuers, das sich hier entpuppt, erinnert Anton ein wenig an den Ritter von der traurigen Gestalt - und die eingestreuten Rückblenden in seine Kindheit und Jugend machen deutlich, wie das aus ihm wurde, was er heute ist: ein erfolgloser Zauberer ohne Freunde und ohne Träume, von Neid zerfressen auf seinen ehemaligen Freund aus Kindertagen, der nun mit einer spektakulären Zaubershow durch Schweden tourt und dabei Charlotta an seiner Seite hat - Antons Ex-Freundin. Doch die Ereignisse im Zauberwald lassen die harte Kruste ganz allmählich bröckeln und sorgen für Veränderungen...

Der Roman lässt sich flüssig und leichtgängig lesen. Die Mischung aus den Geschehnissen der Gegenwart im Naturpark Tiveden und den Rückblenden in Antons Vergangenheit ist für mich gelungen, ebenso wie die Verquickung von realen Geschehnissen und Fantasyelementen. Auch der Humor kommt hier nicht zu kurz - so manche Szene ließ mich schmunzeln, und Sarkasmus und Ironie sorgten für mich für die richtige Würze. Es ist schwer, in der Fantasy-Welt noch viel Neues zu bieten, aber mit dem Lauschenden und dem Tratschenden Wald, dem Eissee, der auch im Hochsommer zugefroren ist, dem Nachtklopfer, dem Tränentriefer und dem Miststück hat Lars Vasa Johansson sich doch als sehr kreativ erwiesen.

Eine skurrile Geschichte mit einem sperrigen Charakter, der einem letztlich doch irgendwie ans Herz wächst. Allerdings konnte mich der Roman nicht so berühren wie beispielsweise Fredrik Backmans Ove. Und da dieser Name hier im Klappentext auftaucht, muss sich das Buch um Anton den Vergleich wohl gefallen lassen.

Insgesamt jedoch konnte mich der Roman gut unterhalten, mich staunen, lachen, überraschen lassen - und selbst das Dankeswort sorgte noch für einen Schmunzler. Ein angenehmer Wohlfühlroman für einen gemütlichen Nachmittag auf dem Sofa.


© Parden














Der Rowohlt Wunderlich Verlag schreibt über den Autor:

Lars Vasa Johansson, geboren 1966 in Stockholm, ist Drehbuchautor, Musiker und einer der gefragtesten script doctors in Schweden. Er war an diversen Film- und Fernsehproduktionen beteiligt und arbeitete außerdem als Schlagzeuger und Komponist. "Anton hat kein Glück" ist sein erster Roman.

übernommen vom Rowohlt Wunderlich Verlag

Samstag, 15. Oktober 2016

Deaver, Jeffery: Letzter Tanz - Lincoln Rhyme (2)


Ein kaltblütiger Mörder hält Detective Lincoln Rhyme in Atem. Das einzige Erkennungsmerkmal des Killers ist seine Tätowierung - sie zeigt den Tod und ein Mädchen tanzend auf einem Sarg. Rhyme glaubt den Mörder zu kennen, und sollte sich sein Verdacht bestätigen, kennt er nur noch einen Gedanken: Rache - aus ganz persönlichen Gründen...

(Klappentext Goldmann Verlag)

  • Taschenbuch: 448 Seiten
  • Verlag: Goldmann Verlag; Auflage: Taschenbuch (1. Juli 2002)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Thomas Müller
  • ISBN-10: 344244571X
  • ISBN-13: 978-3442445714
  • Reihe: Lincoln Rhyme Band 2














SPANNUNG BIS ZUR GÄNSEHAUT...


Der querschnittsgelähmten Kriminalist Lincoln Rhyme und seine Assistentin Amelia Sachs liefern sich in ihrem zweiten Fall erneut einen Wettlauf gegen die Zeit, um einen Serienkiller daran zu hindern, weitere Morde zu begehen. 'Der Totentänzer' ist ein berüchtigter Auftragskiller, der niemals Spuren zu hinterlassen scheint und der den Ermittlern stets etliche Schritte voraus ist. Eine Tätowierung auf dem Arm - der Tod tanzend mit einem Opfer vor einem offenen Sarg - ist das einzige bekannte Merkmal des Täters und gab ihm dessen Spitznamen.

Rhyme und Sachs bemühen sich, die verbliebenen zwei Zeugen im Fall eines Waffenhändlers am Leben zu halten. Den dritten Zeugen hat der 'Totentänzer' bereits in einem Flugzeug in die Luft gesprengt. Doch nicht nur die Brisanz des Falls spornt Rhyme zu Höchstleistungen an - mit dem 'Totentänzer' verbindet ihn eine frühere bittere Erfahurng, und Lincoln setzt alles daran, den Killer zur Strecke zu bringen.

Zur Verdeutlichung des Countdowns steht zu Beginn jedes Kapitels die Zahl der verrinnenden Stunden bis zur angesetzten Gerichtsverhandlung, zu der die Zeugen nach Mögichkeit lebendig erscheinen sollen. Die Spannung stellt sich schon auf den ersten Seiten ein und lässt nur zwischenzeitlich etwas nach. Stellenweise kroch mir buchstäblich eine Gänsehaut den Rücken entlang hoch bis zum Nacken - und der Gedanke setzte sich fest: Das kann nicht sein, das kann gar nicht sein. Unmöglich zu erkennen, wie es da noch ein Entkommen geben sollte. Und zusätzlich zur Spannung ist Jeffery Deaver ein Meister der falschen Fährten. Während er den Leser immer wieder an den Gedankengängen des Täters teilhaben lässt, gibt es plötzlich eine Wendung, die noch einmal alles auf den Kopf stellt. Und selbst als am Ende alles klar zu sein scheint, holt Deaver noch einmal den Vorschlaghammer raus und haut alle Theorien kurz und klein - und plötzlich ist alles vollkommen anders. Und vollkommen logisch.

Bereits am Ende des ersten Bandes der Reihe war deutlich, dass Amelia Sachs nicht nur der Protegé des genialen Spurenlesers Lincoln Rhyme ist, sondern dass sich zwischen ihnen auch eine Freundschaft entwickelt - und vielleicht sogar etwas darüber hinaus. Hier gibt es ein Auf und Ab der Gefühle, für die jedoch eigentlich gar keine Zeit ist, die sich gelegentlich aber dennoch Bahn brechen. Irrungen und Verwirrungen sind da an der Tagesordnung, und nicht nur der Leser steht diesbezüglich lange im Nebel. Die Entwicklung am Ende von Band zwei ist dann jedoch nicht ganz überraschend - und lässt die Fortsetzungen mit Spannung erwarten.

Dieser Reihe bleibe ich jedenfalls treu. 'Letzter Tanz' ist für mich ein absolut gelungener Thriller!


© Parden

















Jeffery Deaver
Die Verlagsgruppe Randomhouse schreibt über den Autor:

Jeffery Deaver gilt als einer der weltweit besten Autoren intelligenter psychologischer Thriller. Wie kaum ein anderer beherrscht der von seinen Fans und den Kritikern gleichermaßen geliebte Jeffery Deaver den schier unerträglichen Nervenkitzel, verführt mit falschen Fährten, überrascht mit blitzschnellen Wendungen und streut dem Leser auf seine unnachahmliche Art Sand in die Augen. Seit dem ersten großen Erfolg als Schriftsteller hat er sich aus seinem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine Bücher, die in 25 Sprachen übersetzt werden und in 150 Ländern erscheinen, haben ihm bereits zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht. Die kongeniale Verfilmung seines Romans "Die Assistentin" unter dem Titel "Der Knochenjäger" (mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen) war weltweit ein sensationeller Kinoerfolg und hat dem faszinierenden Ermittler- und Liebespaar Lincoln Rhyme und Amelia Sachs eine riesige Fangemeinde erobert.

übernommen von der Verlagsgruppe Randomhouse