Montag, 24. Oktober 2016

Welskopf, Liselotte: Hans und Anna

Liselotte Welskopf 
und ihre Kinderbücher

heute: 

Hans und Anna





Da muss man ein halbes Jahrhundert alt werden, ehe man die Kinderbücher seiner Lieblingsautorin in der Hand hält.  Liselotte Welskopf hat in den fünziger Jahren paar geschrieben und da sie hier auf unserem Blog einen festen Platz inne hat, ist es wohl nur folgerichtig, diese auch zu besprechen.
Heute ist Hans und Anna dran.

Elisabeth Charlotte Henrich (1901 - 1979) ist eher bekannt unter dem Namen Liselotte Welskopf-Henrich. Dieser Name ist vor allem verbunden mit zwei Werken: Die Söhne der Großen Bärin und Das Blut des Adlers. Kinderbücher? Davon las ich erst vor einigen Jahren, als das "Adlerblut" neu herausgegeben wurde und ich zu stöbern anfing. Unter dem Wikipedia-Eintrag las ich von den drei, oben abgebildeten Kinderbüchern - heute nur noch antiquarisch zu erhalten.

Hans und Anna wurde 1954 im Kinderbuchverlag der DDR veröffentlicht. Dieser hatte sich auf die Fahnen geschrieben, nur gute Bücher für Kinder herauszugeben und damit zielte er ganz bewusst gegen die sogeannten "Schwarten" - die Wildwest- und Krimihefte, bei denen "nur ein dicker, aber leerer Kopf herauskommt... So sind die Schwarten: immer dieselbe spannend gemachte Dummheit für Dumme."

(Schwarten stimmte auf jeden Fall, vom ständigen weitergeben waren die ziemlich abgegriffen und speckig - wie Schwarte eben) 

Der Besitz derselben wurde in der Schule angeprangert und natürlich verboten: Derartiger Schund kam natürlich von drüben und insbesondere in Berlin, also Ost - Berlin, muss ein reger Tauschhandel geherrscht haben. Gelegentlich hatte ich auch mal eins in der Hand, aber weder verstand ich den Inhalt noch haben die Geschichten mich vom Hocker gerissen.
 Im Buch Hans und Anna fand ich diese Lesezeichen, die allerdings auf eine Reihe hinweisen, die erst in den sechziger und siebziger Jahren aufgelegt wurden.

Hans und Anna hätten schon gut dazu gepasst, den die zu Beginn wie eine Hänsel und Gretel Adaption anmutende dreiteilige Geschichte ist letztlich vor allem eins, zutiefst solidarisch und, ich komme darauf zurück, politisch.

* * *

Im Bergwerk
Drei Geschichten von Allezusammen. Hans und Anna lebten mit ihren Eltern in der Mitte des 19. Jahrhunderts in "einer Hütte aus Lehm, unter einem Dach aus Stroh." Anna musste den ganzen Tag spinnen und als der reiche Müller für den Vater keine Arbeit mehr hatte, schickten die Eltern ihre drei Kinder, Hans, Anna und die kleine Lisbeth (!) auf Wanderschaft, selber verlegten sie sich auf das Betteln. Die Kinder ziehen los, beim reichen Müller gibt es schon mal nichts zu essen, nur der Hofhund mag mit ihnen teilen. Sie begegnen einem König, aber der will nur die Anna haben. Sodann ziehen sie zum schwarzen Köhler in den tiefen Wald. dieser fleißige Mann, der selber kaum etwas hat, erzählt den Kindern von der Arbeit in einem Bergwerk. Die kleine Lisbeth bleibt beim Köhler und die älteren Geschwister ziehen los und bekommen dann auch Arbeit im Kohlebergwerk. Schläge und schwere Arbeit, ein weiterer Knabe erzählt ihnen von einem weisen Häuer tief unten im Berg. Die geschundenen Arbeiter gehen zu dem Häuer und Allezusammen! zwingen sie den Besitzer des Bergwerkes dazu, keine Kinder mehr im Berg schuften zu lassen. Hunderte haben gesiegt, Tausende müssen es werden. Hans und Anne ziehen, nachdem sie ihre Eltern wiedersahen, los, um überall das Wort "Allezusammen!" zu rufen. "Damit alle Mut bekommen, miteinander gegen die Großmächtigen zu kämpfen."

Die beiden Swinegel
Die zweite Geschichte handelt von zwei kleinen Buben Jahrzehnte später. Die beiden heißen Jan und Klaus, sind Söhne eines armen Bauern aus der Lüneburger Heide und begegnen eines Tages einem Wanderburschen, der heißt Hans. Der gibt ihnen das Wort "allezusammen" mit auf den Weg. Wieder ist ein Märchen verwoben, das vom Hasen und dem Igel. Die beiden noch kleinen Jungs tricksen einen reichen Bauernlümmel auf die bekannte Art und Weise aus.


In der dritten Geschichte werden die Bösen besiegt. Diese tragen schwarze Uniformen mit einem Totenkopf an der Mütze und bewachen ein Lager, aus dem zwei Kinder, Klaus und Anna, fliehen können. Sie treffen einen Mann mit einem Roten Stern an der Mütze. Der kennt das Wort auch. Nun wird die Geschichte des Aufbaus eines zerstörten Landes erzählt, noch nicht alle aber viele arbeiten "allezusammen". Beim Aufbau der Städte und gegen die Großbauern.

* * * 

Wen es erstaunt, ein solches Buch hier rezensiert zu sehen, der mag daran denken, dass die Autorin mit anderen Büchern weit bekannter und berühmt wurde. Deutlich zu erkennen dürfte sein, dass es sich hier um ein zutiefst politisches Kinderbuch handelt. Die erste Auflage erschien im Jahr 1954 und auf diese Art und Weise wollte Liselotte Welskopf den Kindern in der DDR erklären, was letztlich Sozialismus bedeutet. Der Stil ist durchaus an einige bekannte Märchen angelehnt und sehr symbolhaft. Die Schläge im Bergwerk, in dem Kinder ausgebeutet werden, der Totenkopf, der rote Stern, weiße Blusen und blaue Halstücher sowie blaue Hemden, auch rote und blaue Fahnen...

Ich hatte eine Reihe Kinder- und Jugendbücher, die das Leben in Stadt und Land der DDR beschrieben und in vielen Fällen nicht schlecht. Ob FRANK von Karl Neumann oder DEN WOLKEN EIN STÜCK NÄHER von Günter Görlich, ob DIE REISE NACH SUNDEVIT oder TAMBARI von Benno Pludra, sie handelten von Kindern und Jugendlichen, die natürlich Pioniere waren bzw der FDJ angehörten. So wie die meisten in der DDR. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, je ein Buch für jüngere Kinder (für Leser von 9 Jahren an) in den Händen gehalten zu haben, welches derart zielgerichtet und so klar und deutlich herausstellte, welches Ziel der inzwischen fünf Jahre alte Staat propagierte. Ideologie? Natürlich. Heute jedoch wissen wir, dass dieses Ziel sicherlich ein erstrebenswertes war, der Weg hingegen nicht einfach nur steinig, sondern auch von Stacheldraht gesäumt war und daher in diesem Staat der weißen Blusen, der blauen Hemden und der roten und blauen Fahnen nicht bis an das Ziel reichte. Es fehlte an Demokratie. Es fehlte an Freiheit - späte Erkenntnis.

Liselotte Welskopf-Henrich starb 1979 - ob sie geahnt hat, dass der Weg, den sie in ihren Romanen von ZWEI FREUNDE, DIE WEGE TRENNEN SICH, DAS WIEDERSEHEN, JAN UND JUTTA und BERTOLDS NEUE WELT erzählte, nicht zum Ziel führte? Vermutlich, denn der zuletzt genannte Roman wurde nicht wie ursprünglich gewollt fortgesetzt, zu widersprüchlich waren die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem deutschen Staat und damit auch die Verhältnisse für die Verlage.
 
DNB / Kinderbuchverlag Berlin / Berlin 1954 /  87 Seiten.

© Bücherjunge (01.11.2024)



2 Kommentare:

  1. Selbst Kinderbücher liefern zuweilen interessante historische Einblicke...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Bei diesem war ich selbst verblüfft. Vielleicht auch, weil es 11 Jahre älter ist als ich selbst.

      Löschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.