Donnerstag, 11. Juli 2013

von Strauß und Torney, Lulu: Die Tulipan



Die Tulipan

Es gehen so viele Straßen ins Land hinein,
Straßen wie weiße Bänder im Sonnenschein, 
Straßen, darüber die Blitze des hohen Sommers stehn, 
Straßen, darüber in Wolken Staub und Regen wehn. 
Und wer auf den weißen Straßen einen Sommer lang zieht, 
der schreitet mit rüstigen Füßen und frischem Lied, 
Und wer zwei Jahr und dreie wandert her und hin, 
Dem werden die Sohlen müde, und friedlos der Sinn, 
Und wer da liegt auf den Straßen sieben Jahr und mehr, 
Dem verweht im Staube der Straßen das Glück und die Ehr! - 

Es wandern zwei durch die Heide, die rot in Blüte steht,
Die waren vom Winde der Straßen zusammengeweht:
Ein brauner Schmiedegeselle mit krausem Haar;
Der zog über die Landstraßen im siebten Jahr,
Der andre ein junger Gärtner. Der spricht und lacht:
"Was daheim wohl die Mutter für Augen macht!
Meine lederne Katze ist von Gulden schwer,
Ich komme weit aus der Fremde, von Holland her.
Mir schenkte mein guter Meister, als ich wandern ging,
hier diese Samenzwiebel, ein edel selten Ding,
Die trägt eine feine Blume, wie keiner im Dorf sie kennt,
Die zwischen den grünen Blättern rot wie Feuer brennt!
In meiner Mutter Garten, bei Minz und Majoran,
Da soll mir wachsen und blühen die Blume Tulipan!"
Der Braune schritt ihm zur Seite und horchte stumm,
Drei Birken standen am Wege, da sah er sich spähend um,
Es glomm ihm unter den Brauen, ein gieriges Feuer an,
Es kam eine böse Stunde über den fahrenden Mann.
Er riß aus dem breiten Gurte den Schmiedehammer hervor, -
Kein Auge hat‘s gesehen, gehört kein menschlich Ohr:
Er scharrte eine Grube im Laub am Straßenrand,
Und vergaß die tote Tulipan in der wächsernen Totenhand. -

Im letzten Haus im Dorfe, da ging es kling und klang,
Das Rot der Funkenregen über die Straße sprang.
Es stand die junge Meisterin und spähte in Sonne und Wind:
"Du fremder brauner Geselle, was läufst du so geschwind?
Sie trugen um die Lichtmeßzeit zu Grabe mir den Mann,
Was sprichst du in der Schmiede nicht das Handwerk an?" -
Die Erntesicheln gingen über das falbe Land,
Als der fremde Geselle zuerst am Amboß stand,
Die raschelnden Blätter stoben im kalten Winde hin,
Da küßte er Feierabends seine Meisterin,
Und als die Straßen im Lande lagen weiß verschneit,
Da nähte die junge Wittib sich wieder ein Hochzeitskleid. -

Es singt die blonde Meistersfrau den lieben langen Tag,
Und horcht vom Herd herüber auf den Hammerschlag.
Es führt der neue Meister den Schmiedehammer gut,
Er steht mit nackten Armen in roter Flackerglut,
Er sitzt an eignem Tische vor Weib und Hausgesind,
Als hätte sein Herz vergessen, der Straßen Sonne und Wind.
Und stampft vor seiner Schmiede ein eisenloses Pferd,
Es ist des Reiters Woher, Wohin ihm keiner Frage wert,
Und kommt ein fechtender Bruder vorbei mit staubigem Schuh,
Er schlägt mit zornigem Gruße vor ihm die Türe zu.

Es singt die blonde Meistersfrau, so lange die Sonne lacht,
Was stört sie auf vom Kissen in mancher Nacht?
Dumpf die Luft in der Kammer, die Wand von Mondlicht fahl,
Der Meister fährt vom Schlafe auf in irrer Qual,
Er schreit, als würgt ihm das Grauen die Kehle zu:
"Liegt Einer am Straßenrande, der gibt nicht Ruh!"
"Mann, wer gibt nicht Ruh!" Sie fliegt am ganzen Leib.
Da schüttelt er wild die Fäuste: "Verflucht dein Lauschen, Weib!"
Grau der Wintermorgen, der ins Fenster scheint.
Finster des Meisters Stirne. Die Meisterin sitzt und weint.

Nun weht das linde Tauen ins Land hinein,
Es schmelzen die weißen Streifen am braunen Ackerrain,
Es geht ein Schwatzen der Stare über das Wiesenland,
Die Weidenkätzchen stäuben draußen am Straßenrand.
Draußen am Straßenrande wacht heimlich Leben auf:
Es hebt sich ein grüner Finger aus dürrem Laub herauf,
Der Finger reckt sich höher, wie wenn er droht,
Es bricht aus seiner Spitze ein dunkeltiefes Rot!
Kinder haben‘s gesehen, die kamen den Weg entlang,
Als der Küster Schule hielt, lief es von Bank zu Bank.
Der Schäfer trieb vorüber, der hob die Hand:
"Der Böse hat das Kraut gesät! Gott wende Krieg und Brand!"
Der Pfarrer aber schickt ins Feld des Meßners Sohn hinaus:
"Geh, grab mir für mein Gartenbeet das Herrgottswunder aus!" -

Der Bub hat um sein Messer die braune Faust gepreßt:
Wie hält die Schwarze Erde so zäh ihr Eigen fest!
Und wie die Schollen bröckeln, da blink ein fahles Weiß,
Und wie die Klinge tiefer gräbt, da wird ihm kalt und heiß, -
Er kommt im letzten Abendschein schreiend heimgerannt:
"Es wächst die Blume Tulipan an einer Knochenhand!"

Nun geht im Dorfe ein Fragen und Raunen an:
"Wo draußen die Birken stehen, ist schwere Tat getan!
Aber der heimliche Frevel hat nicht geruht:
Es wuchs eine rote Blume aus ungesühntem Blut!
Gott weiß, wohin des Weges, Gott weiß, woher er kam,
Der hier an offner Straße so böse Abfahrt nahm!
Gott weiß, wo eins im Lande um ihn in Sorgen geht!
Gott weiß, wo eine Türe umsonst ihm offen steht!
Und liegt er verscharrt im Sande wie ein verreckter Hund,
Wir wollen ein Grab ihm schenken in geweihtem Grund!"

Lehrling und Geselle liefen ins Dorf hinein,
Am Amboß in der Schmiede der Meister ist allein.
Er schlägt, wie wenn der Amboß in Stücke springen soll:
Die gottverdammten Glocken! Was bimmeln sie so toll?
Sie läuten den zur Ruhe, der an der Straße lag!
Es springen die roten Funken bei jedem Hammerschlag,
Der Meister hört den Hammer und sonst nicht Laut noch Schritt, -
Was war das für ein Schatten, der über den Amboß glitt?
Und wie er jäh sich wendet, die Stirne naß von Schweiß,
Steht eine auf der Schwelle, bis in die Lippen weiß.
Die roten Flammen knistern, sonst keinen Laut umher,
Es fallen ihre Worte wie Tropfen bang und schwer.
Aug in Auge schauen die zwei sich an:
"Der dir nicht Ruh gegeben, - ist‘s der mit der Tulipan?"
Stille. Ein hartes Lachen aus des Meisters Mund.
"Jetzt muß er wohl Ruhe geben in geweihtem Grund!"
Wieder Schweigen. Und Glocken in das Schweigen herein, -
In den Augen des Mannes lauert ein böser Schein.
Er schließt die Faust um den Hammer wie spielend zu:
"Schwatzhaft ist Weiberzunge. Wann gibt die Ruh?"

Da schreit sie in jähem Schrecken, ihr Blut gerinnt,
Sie jagt hinaus und das Dorf entlang wie taub und blind,
Sie hört nicht die wirren Stimmen rufen hinter ihr,
Sie sieht nur des Pfarrers weißes Haar, vor seines Hauses Tür,
Da bricht das Weib in die Kniee und schluchzt auf seine Hand:
"Hilf Gott, er will mich erschlagen, - wie den am Straßenrand!"

Die Richtstatt ist hoch am Berge und droht ins Land hinein, -
Da gehen die weißen Straßen im Sonnenschein.
Straßen, darüber die Blitze des hohen Sommers stehn,
Straßen, darüber die Wolken Staub und Regen wehn,
Straßen, von denen zum Himmel heimliche Bluttat schreit,
Auf denen Einer verloren Ehre und Seligkeit!
Und wenn sie den Leib da droben richten mit dem Schwert, -
Gott sei gnädig der Seele, die ihre Straße fährt!



(Lulu von Strauß und Torney, 1873 - 1956)



5 Kommentare:

  1. Jatzt habe ich erst mal nachgelesen, wer diese Lulu eigentlich war...

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  2. Düster und gruselig... Aber etwas Besonderes.

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  3. Ich kann nicht sagen, dass mir diese Ballade nun gefällt. Seltsames Versmaß, seltsame sprünge finde ich. Allerdings, dieses Gedicht (?) oder eben Ballade gibt einen schönen Blick frei auf das ausgehende 19. Jahrhundert. ansonsten erinnert es mich an die Sammelbände der "Gartenlaube" die früher immer bei meiner Oma rumlagen und mich faszinierten. Wahrscheinlich weil die gebundenen Zeitschriften so groß waren...

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