
Der Fürst des Elends
Was eigentlich ist ein Kolportageroman? Liest man die Definition, wir nehmen wikipedia zu Hilfe, dann passt das irgendwie zu der Schaffungsphase des Autors:
"Der Ausdruck Kolportage (frz.: porter à col, ‚am Hals/Kragen tragen‘, sinngemäß: ‚auf den Schultern tragen‘) bezeichnete den Vertrieb von Büchern in Einzellieferungen durch Hausierer (Kolporteure). Das Verb kolportieren bezeichnet in Anlehnung an seine ursprüngliche Bedeutung heute das Verbreiten von Gerüchten, unbelegten Nachrichten und Gesellschaftsklatsch, beispielsweise in Boulevardzeitungen und der Regenbogenpresse oder auch im Internet… Kolporteure stammten meist aus einfachen sozialen Verhältnissen und sahen nicht selten in der Kolportage die einzige Möglichkeit, ihr tägliches Brot zu verdienen. Mit kleinen Bauchläden zogen sie durchs Land und vertrieben auf schlechtem, billigem Papier gedruckte Schriften. Manchmal lasen sie auch daraus vor. Für die ländliche Bevölkerungsschicht des 18. und 19. Jahrhunderts waren Kolporteure die wichtigsten Literaturlieferanten und Nachrichtenüberbringer, denn kaum ein Bauer besaß eigene Bücher oder hatte Zugang zu Leihbibliotheken.“ [1]

Den zweiten dieser Fortsetzungsromane bekam ich irgendwann in den 80zigern in die Hände, eine Freundin meiner Schwester besaß die Bände Die Liebe des Ulanen. Ein Hoch auf die Preußen und immer drauf auf die Franzosen. Der Roman erzählte die Geschichte derer von Greifenklau und spielte von 1815 bis 1870/71. Nun ja… Inzwischen stehen die Bände tatsächlich sogar in meinem Regal.
Jahre später verbrachte ich einige Monate auf einem Lehrgang mit einem Kollegen, dessen Steckenpferd die Karl May Romane waren. Nun, eigentlich interessierten die mich nicht so sehr, aber der Hinweis, dass es neben den Amerika- und Orientgeschichten diese Fortsetzungsromane gibt, brachte mich dazu ein paar davon zu lesen. Darunter der nun hier zu besprechende Roman. Vor einigen Wochen fand ich die kostenlose eBook-Version in der Fassung von 1884 bis 1886. Der Lieferungshefte waren es 101. [2]
Was haben wir denn hier nun vorliegen?
Schauen wir mal kurz in die Geschichte.

Da der Roman es insgesamt auf 2411 Seiten bringt [3] muss es zu gewaltigen Verwicklungen kommen. Gustav wird von Franz des Doppelmordes bezichtigt, der Bräutigam und der Papa der Baroness liegen in ihrem Blute, ersterer erschossen aus Gustavs Büchse, die Kehle des zweiten machte Bekanntschaft mit Gustavs Rasiermesser. Fies…
Doch Gustav, verurteilt zum Tode, wird vom König begnadigt und kann auf dem Transport zum Zuchthaus fliehen, es helfen ihm zwei Pascher. Diese haben außerdem mit dem Ableben oder besser mit dem Überleben des hochadeligen Brüderchens zu tun.
Weitere Jahre später kommt ein schwerreicher Fürst von Befour nach Sachsen. Dieser sinnt auf Rache, man nennt ihn auch den Fürsten des Elends, der Zusammenhang ist aber nur einem alten Elternpaar und zwei Dienern des hohen Herrn bekannt…
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Das ist der Stoff, aus dem die Träume derer sind, die da im 19. Jahrhundert Zeit und Muße haben nach den Fortsetzungen des „großen sächsischen Lügenboldes“ (Herrmann Kant) förmlich zu lechzen.
Der Text des Kolportageromans ist „hochgelaahrt“ und strotzt von französischen Fremdwörtern und die Gedichte erst, die da ein junger erfolgversprechender Dichter verfasst, die haben es in sich. Aber aus einem eBook kann ja kein Schmalz herauslaufen.
„Ich will dich auf den Händen tragen
Und dir mein ganzes Leben weih´n.
Ich will in deinen Erdentagen
Dir stets ein treuer Engel sein!“ [4]
Und dir mein ganzes Leben weih´n.
Ich will in deinen Erdentagen
Dir stets ein treuer Engel sein!“ [4]
A propos Juden. Das 19. Jahrhundert. Der weitverbreitete Antisemitismus zeigt sich auch hier in der Rolle des ziemlich schmierigen und geldgierigen Händlers, Hehlers und Pfandleihers Salomon Levi, seiner Frau Rebecca und ihrer beider Tochter, der schönen Judith.
„Geld? Nur Geld? Ist Geld wirklich nur Geld? Nein! Geld ist Capital, ist Reichthum, ist Größe. Ist Glück, ist Seeligkeit. Man kann nur dann sein ein Mensch, wenn man hat Geld, viel Geld. Man darf es nicht hinausgeben mit Leichtsinn. Du aber hast dies gethan und wirst es verlieren, das ganze, ganze Geld!“ [5]
Dem gegenüber steht aber auch die Parteinahme Mays für die Armen und Ausgebeuteten, zum Beispiel der sächsischen Weber, den unschuldig ins Abseits gestellten, den von scheinheiligen, scheinfrommen Verwaltern fremden Besitzes verhöhnten Menschen, die die Wege der Alma von Helfenstein und des Gustav Brandt kreuzen. Das gelegentliche Pathetische des Textes wird in diesem Zusammenhang zu nüchterner, eindringlicher Beschreibung des Elends, zu dessen Beseitigung es allerdings eines Fürsten dieses Elends bedarf. Neunzehntes Jahrhundert.
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Übrigens hat Karl May die späteren Buchausgaben nicht autorisiert, gegen die Veröffentlichung hat er auch versucht gerichtlich vorzugehen. Außerdem wurden die Geschichten vom Karl-May-Verlag extrahiert unf in einzelnen Bänden heraus gegeben. Die ursprünglichen "Lieferungen" gliederten sich in fünf Teile:

Ein Doppelmord. (Heft 1 / Seite 1)
Zweites Kapitel: Das Opfer des Wüstlings. (Heft 5 / Seite 103)
Zweite Abtheilung: Die Sclaven der Arbeit.
Der Kampf um die Liebe. (Heft 21 / Seite 481)
Schlagende Wetter. (Heft 33 / Seite 780)
Dritte Abtheilung: Die Sclaven der Schande.
Ein Magdalenenhändler. (Heft 41 / Seite 961)
Eine Balletkönigin. (Heft 48 / Seite 1130)
Drittes Kapitel: Eine Tau=ma. (Heft 54 / Seite 1276)
Vierte Abtheilung: Die Sclaven des Goldes.
Am Spieltische. (Heft 61 / Seite 1441)
Zweites Capitel: Falschmünzer. (Heft 66 / Seite 1573)
Fünfte Abtheilung: Die Sclaven der Ehre.
Krachende Stammbäume. (Heft 71 / Seite 1698)
Zweites Capitel: Gottes Strafgericht. (Heft 79 / Seite 1885)
Drittes Capitel: Ende gut, Alles gut! (Heft 93 / Seite 2209) [5]

Manch einen interessieren diese Geschichten vielleicht noch. Der Mann der sie schrieb ist weltbekannt. Große Literatur schrieb er sicher nicht. Aber manch große Literatur erreichte entschieden weniger Leser.
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Dem kann ich nichts mehr hinzufügen...
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© KaratekaDD
Abbildungen & Quellen: