Samstag, 5. Juli 2025

CABARET in Neubrandenburg

„Auf Grund der großen Nachfrage kehrt die umjubelte Inszenierung CABARET für das Neubrandenburger Sommerspektakel zurück... erleben Sie das Erfolgsmusical „Cabaret“ in einer einzigartigen Aufführung, die Sie mitten in das Geschehen katapultiert.“ (Theaterseite)
Link Theater

Vor nicht allzu langer Zeit sah ich im Theater Neustrelitz bereits CHICAGO, an einem Mittwoch jetzt CABARET. Nicht erwartet hatte ich, weil nur den Stückinhalt zurückrufend, dass die Zuschauer tatsächlich mitten hinein geworfen werden, denn sie sitzen im Varieté.

Willkommen, bienvenue, welcome!
Fremde, etranger, stranger.
Gluklich zu sehen, je suis enchante,
Happy to see you, bleibe, reste, stay.
Willkommen, bienvenue, welcome
Im Cabaret, au Cabaret, to Cabaret.

In der Mitte eine Musikinsel für acht (!) Musikerinnen und Musiker, die Piano, Toy-Piano und Akkordeon, Drums und singende Säge, Bass, Saxophon, Klarinette, Posaune und Violinen besetzen. Ein Mini-Orchester, welches spielen wird wie ein großes...


Inhalt: 
 Cliff Bradshaw, junger Schriftsteller aus den USA, reist Anfang der 30er nach Berlin. Er will einen Roman schreiben. Dort wohnt er bei Fräulein Schneider und gibt Sprachunterricht. Untergebracht hat ihn da der Ernst Ludwig, ein Schmuggler, welcher ihn in den Kit-Kat-Klub bringt. Dort singt und tanzt Sally Bowles.

Doch die Weltwirtschaftskrise überlebt nicht jeder Club, die Goldenen Zwanziger scheinen vorbei. Auf den Straßen sieht man immer mehr braune Uniformen. Doch Berlin macht sich über die SA und die Nationalsozialisten vornehmlich in den Clubs und Varietés eher lustig. Dort fühlen sich auch die Menschen etwas freier, die eher dem anderen Geschlecht zugetan sind. Emcee, der Conférencier im Kit-Kat-Klub, vertritt diese in Habitus und Gestalt. Eines Tages wird die sonst gefeierte Sally entlassen, sie zieht zu Cliff, der bisher eher Männern zugeneigt war.

In der Neubrandenburger Aufführung fühlt sich die Zimmerwirtin, Fräulein Schneider dem Obsthändler Schutz zugetan. Sie wollen sich verloben, doch durch den Ludwig, der Nationalsozialist geworden ist, kommt heraus dass Schultz Jude ist. Das Fräulein zieht das Heiratsversprechen zurück. Sie, die den Weltkrieg und die Krise überlebt hat, die Nazis, sollten sie an die Macht kommen ebenso wie die Kommunisten überstehen würde, tut genau dafür alles, was sie tun „muss“.

Cliff will Sally mit nach Amerika nehmen, doch die kann von Berlin nicht lassen. Das Kind, welches sie trägt (und nicht genau weiß, wer der Vater ist), lässt sie, ohne Cliff davon zu erzählen, abtreiben. So verlässt Cliff Berlin und Deutschland...

Zurück bleibt ein Korb voller roter Äpfel...

* * *

Das Stück.  Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer haben möglicherweise den Film von 1972, in dem Liza Minnelli und Michael York die Hauptrollen spielen, vor Augen, obwohl das Stück (1966) immer wieder an deutschen Theatern gespielt wird. Zurzeit in Graz (Österreich) in einer Inszenierung des St. Pauli Theaters Hamburg. Für die Theater Orchester Neubrandenburg Neustrelitz GmbH inszenierte Maik Priebe das Stück neu, die musikalische Leitung hat Thomas Möckel inne.



Bilder der Theater Webseite  



Der Kit-Kat-Klub füllt sich langsam
Im gesamten „Varieté“ spielen Tänzerinnen und Sänger, den Raum überall nutzend.
Die ursprünglich Bühne ist umrandet mit kleinen Clubtischen in Nischen, vor rot-schwarz gestalteten und beleuchteten Wänden. Gegenüber der Bühne eine Treppe mit rotem Belag, etwas schmal für eine Girls-Line, ausreichend aber für acht Kit-Kat-Girls. Die Treppe ist links und rechts gesäumt von Theaterbesucherinnen und Besuchern. Ständig ist Bewegung, die Akteure sehr nah und gleich wieder „weit“ weg. Wir erleben ein ausgewogenes Ensemble, aus dem Josefin Ristau (Sally) und Philipp Mauritz (Conférencier) stimmlich etwas herausragen.



Die Lieder sind weltweit bekannt. Im Theater wird der Urtext in der Regel heute durch drei Songs erweitert, die für den Film geschrieben wurden. Neben dem oben erwähnten „Willkommen...“ und „Money, Money“ war mir vor alles „Tomorrow Belongs to Me“ (Der morgige Tag ist mein) in Erinnerung. Im Film singt diesen Song ein blonder, blauäugiger Hitlerjunge in einem Biergarten. Das Lied beginnt eher wie ein Volkslied, nostalgisch, an die deutsche Romantik erinnernd:
Die sonnige Wiese ist sommerlich warm
Der Hirsch läuft in Freiheit waldein.
Doch sammelt Euch alle, der Sturm ist nah
Der morgige Tag ist mein.
Die Bedeutung der Zeilen drei und vier werden wegen der eingehenden und etwas „einlullenden“ Melodie nicht sofort deutlich. Erst, als nach und nach die Gäste im Biergarten aufstehen und mitsingen, wird deutlich, was die Botschaft dies Liedes ist.

„Doch bald schon ein Flüstern: „Erhebe dich, erhebe dich“
(But soon, says a whisper, „Arise, arise“)
Als das Lied immer mehr Marschcharakter bekommt und der Hitlerjunge singt:

„O Vaterland, Vaterland, zeig uns den Weg,,,
Der Morgen kommt, wenn die Welt unser ist...
(The Morning will come when the world is mine,
Tomorrow belongs to me)

...wird deutlich, was kommt. „The Morning will come when the world is mine“ steht für „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“ – und sie sind geschlossen, erst im Biergarten und dann fast überall. Das der Sänger dann die Mütze auf den Kopf setzt und den rechten Arm hebt, ist „nur“ noch optische Unterstreichung.

Cliff begreift, dass der Faschismus nicht nur am Rande existiert, er ist bereits tief in der Gesellschaft verankert. Im Fil kennzeichnet die Szene den dramatischen Wendepunkt.



Filmszene Tomorrow belongs...

Im Theater wird das Lied durch eine Nebenrolle gesungen (Ben Schönfeldt). Er singt dies bei der bald geplatzten Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schultz. Das Ergebnis ist die Entlobung, ausgelöst durch die schleichende Radikalisierung der Gesellschaft – auch der aufkommenden Angst. Die Bühnenversion des Liedes ist hierbei subtiler als die überaus deutliche Filmszene, in der schon die Haltung und der Ausdruck des jugendlichen Sängers das Herannahen der dunklen Jahre anzeigen.

Die Wirkung des Liedes scheint ungebrochen, es wird gelegentlich von rechten Gruppen gecovert. Eine Verwendung fand es zum Beispiel in der Alternativwelt-Verfilmung des Romans von „The Man in the high Castle“ (Philip K. Dick).

Die Kostüme und die Masken kennzeichnen, anders als im Film, den Niedergang der Weimarer Republik und den aufkommenden Nationalsozialismus. Dekadenz, und wenig Schönheit, abblätternder Glitzer und Glanz unterstreichen genau dies. Eher verblüffend war in einer Szene, das da eine Figur in russischer Uniform tanzt, ein "Stalin" schmiegt sich an einen "Hitler". Auch hier wird einerseits die kommende Diktatur angekündigt, andererseits lacht man immer noch über die verrückten Braunhemden - bis einem das Lachen im Halse stecken bleiben wird. 

* * *

Fazit:   Ein Theaterabend in großer Hitze, aber mit kühlem (alkoholfreien) Weizen, in der Pause einen Currywurst-Snack im Hof, bekannte Lieder in hervorragender (reduzierter) Orchestrierung, vortreffliche Schauspieler und Sänger in einem außergewöhnlich gestalteten Theatersaal – all dies verbunden mit einem großen Thema, welches angesichts politischer Aktualitäten an Bedeutung nichts verloren hat.





© Bücherjunge


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