Freitag, 18. Juli 2025

McCann, Colum: American Mother

 

2021 sitzt Diane Foley, Mutter des 2014 durch den IS enthaupteten US-Journalisten James Foley, im Gefängnis einem Briten namens Alexanda Kotey gegenüber, der sich soeben des Kidnappings, der Folter und der Ermordung ihres Sohnes in Syrien schuldig bekannt hat. Mit dieser ungeheuerlichen Begegnung beginnt American Mother , Colum McCann hat Diane Foley für dieses Erinnerungsbuch seine Stimme geliehen. Gemeinsam lassen sie das Leben des Getöteten Revue passieren und setzen einem Mann ein Denkmal, der als Journalist über die Killing Fields dieser Welt berichtete, angetrieben vom Streben nach Wahrheit. Diane Foley will sich nicht im Hass verlieren, will nicht im Schmerz verharren. Sie kämpft für die Angehörigen von Geiseln, gegen die Trägheit der Institutionen und ruht nicht, bis sie am Ende dem Mörder ihres Kindes ein Eingeständnis entlockt hat – und ihm die Hand reicht. (Verlagsbeschreibung)

DNB / rowohlt / 2024 / ISBN: 978-3-498-00386-9 / 272 Seiten
 
Colum McCann bei Litterae Artesque: Verschwunden 
 

Kurzmeinung: Erst unfassbar emotional, dann zunehmend sachlich-distanziert - die Mutter eines von der IS entführten und enthaupteten Journalisten erzählt...

 









TO REMEMBER...



Dieses Buch entstand sicherlich zum Gedenken an James Foley, einem von der IS in Syrien zunächst entführten und zwei Jahre später enthaupteten Journalisten. Aber es dient auch als Anklageschrift gegenüber der gängigen amerikanischen Politik und zeigt auf, was Hartnäckigkeit, Gemeinschaft, Einfluss und Geld so bewirken können! Die Geiselpolitik der USA verändert zu haben und dafür zu sorgen, dass andere Angehörige von amerikanischen Geiseln nicht so alleine bleiben wie die Foleys seinerzeit, das kann sich Diane wahrhaft auf die Fahne schreiben. Und das Buch zeigt eine bei aller Trauer und Verzweiflung starke Frau, die auch schreckliche Begegnungen nicht scheut...

Das Buch beginnt und endet mit der Begegnung Diane Foleys mit einem der mutmaßlichen Mörder ihres Sohnes. Sie spricht nicht nur mit ihm, sie geht respektvoll mit ihm um (wie mit jedem anderen Menschen), vermeidet Vorwürfe, versucht zu verstehen - und Alexanda Kotey zu einem Eingeständnis zu bewegen. Nach der letzten Begegnung - unfassbar - gibt sie ihm sogar die Hand. Eines der Dinge, die ich wohl niemals über mich bringen würde, selbst wenn ich denken würde, dass mein Sohn das so gewollt hätte. Übermenschlich beinahe.

Diese Begegnungen mit dem Täter bilden den Rahmen des Geschehens und wirken deutlich eindringlicher als der Mittelteil. Literarisch aufbereitet und in auktorialer Perspektive stammen der Anfang und das Ende wohl aus der Feder Colum McCanns, während der deutlich längere Mittelteil in der Ich-Perspektive vermutlich von Diane Foley selbst verfasst wurde.

Leider muss ich gestehen, dass mir die Familie Foley nicht wirklich nahe kam, wobei die Mutter und ihr Sohn James, genannt Jim, im Mittelpunkt stehen. Weder mit Diane mit ihrem starken Glauben noch mit ihrem Sohn mit ADHS und einem gewissen Hang zum Kamikaze wurde ich vertraut - viele der geschilderten Züge waren für mich persönlich befremdlich. Tatsächlich empfand ich den Glauben der Mutter auch stets arg herausgestellt, Jims Charakterzeichnung eindeutig überhöht - aber es sind Dianes Erinnerungen, es ist ihr Leben, ihr Halt. Wer wäre ich, dies zu verurteilen? Und andersherum: welchen Halt hätte ich an ihrer Stelle - ohne diesen gefestigten Glauben? Diane kann sich also diesbezüglich glücklich schätzen, ebenso hinsichtlich der intensiven familiären Bande und der vielseitigen wichtigen Kontakte.

Und es ist ihr Recht anzuklagen, zu hadern, sich zu wünschen, dass von Seiten der Regierung in der Angelegenheit der Geiselnahme anders gehandelt worden wäre. Von außen betrachtet ist die Position der Regierung allerdings eher verständlich, finde ich jedenfalls. Durch Dianes Engagement und ihre zahlreichen Unterstützer hat sich die Geiselpolitik mittlerweile allerdings verändert, was bemerkenswert ist. Jims Mutter liefert jedenfalls eine sehr akribische Chronologie der Ereignisse, gespickt mit vielen Namen und Organisationen und angereichert mit persönlichen Wertungen.

So entsteht nach und nach das Bild einer überaus engagierten Frau, die tief im amerikanischen Leben und ihrem starken Glauben verwurzelt ist. Und die mit ihrem abschließenden Händedruck mit dem Mörder ihres Sohnes ein deutliches Signal hinterlässt: den Hass nicht vertiefen, sondern irgendwie aufeinanderzugehen. Ist das wahrhaft ihre innere Überzeugung? Ich weiß es nicht. Aber es ist definitv eine eindrucksvolle, wirksame Geste.

Die Wahrheit einer Mutter - und als solche zu respektieren. Ob man mit ihren grundsätzlichen Überlegungen zu den verschiedenen Themen übereinstimmt, sei mal dahingestellt. Sie hat gemeinsam mit Colum McCann ein Erinnerungsbuch für ihren Sohn geschrieben und ausführlich erläutert, was nach seiner Hinrichtung entstanden ist. Erfahrungen, die ich niemandem gönne. Und eine Stärke, die ich anerkenne.


© Parden




Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitete als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. Für seine Romane und Erzählungen erhielt McCann zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Hennessy Award und den Rooney Prize for Irish Literature. Zum internationalen Bestsellerautor wurde er mit den Romanen Der Tänzer und Zoli. Für den Roman Die große Welt erhielt er 2009 den National Book Award. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in New York. (Quelle: rowohlt)

  

Diane Foley ist die Mutter des Kriegsjournalisten James Wright Foley, der 2012 vom IS gekidnappt und nach langem Leiden 2014 vor der Kamera ermordet wurde. Foley wurde in der Folge eine leidenschaftliche Stimme der Angehörigen von Opfern politischer Entführung, sie trieb Gelder auf, betrieb Lobbying, gründete mehrere Organisationen. Ursprünglich hatte Diane Foley Pflegewissenschaften studiert; fast 20 Jahre lang arbeitete sie als Familienkrankenpflegerin. Sie steht seit deren Gründung der James W. Foley Legacy Foundation vor. (Quelle: rowohlt)


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