Samstag, 12. Juli 2025

Aitmatow, Tschingis: Djamila


Die Lieblingsbücher der Kat Menschik. Immer mehr davon werden auch zu meinen Lieblingsbüchern. Zuerst waren es die so passend illustrierten Auskopplungen MITTE und MOABIT der Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher, die mir überaus gefielen und wegen denen ich den Lieblingsbüchern der 1968 geborenen Zeichnerin immer wieder begegne. Auf der Leipziger Buchmesse stand in den Regalen des Berliner Galiani – Verlags ein Buch, welches mir als Schullektüre sofort wegen einer einzigen Szene erinnerlich war, dazu aber komme ich zum Schluss.

Inhalt:    Djamila (die Schöne, die Hübsche) ist eine Novelle von Tschingis Aitmatow (1928 bis 2008), er schrieb diese im Jahre 1958. Wir begegnen dem jungen Said (15) im zweiten Kriegsjahr 1943 in den Steppen Kirgisiens. Seine Brüder stehen an der Front, Saul muss auf den Feldern arbeiten. Der Krieg ist trotzdem weit weg, nur wenn er das gedroschene Korn zur Bahnstation fährt, sieht er die Züge und die roten Fahnen und Soldaten...

Djamila (Dshamilja) – Dshene – ist die Frau seines älteren Bruders, der ebenfalls Soldat geworden ist. Natürlich braucht sie Begleitung, wenn sie an Stelle der Männer nun das Korn zum Bahnhof kutschieren soll. Da bietet es sich an, das Said, der Kitschine bale (kleiner Junge), Djamila zur Bahnstation begleitet.

Der Junge liebt die junge Frau, die im Aul (Dorf) am Fluss Kurukeu seiner Mutter zur Hand geht. Vor wenigen Generationen waren die beiden Familien noch Nomaden. Fällt ein Ernährer aus, dann werden die Höfe zusammengelegt.

In das Aul ist Danijar zurück gekehrt, kriegsversehrt. Diese drei treffen zusammen. Danijar ist ein verschlossener Mann, doch als er eines Abends auf der Rückkehr von der Bahnstation singt, erreicht er Djamilas Herz...


Said, der zu gern als Beschützer, als Mann, als Dshigit gelten möchte, beobachtet das Paar und erkennt ihre Liebe. Seine eigene Zuneigung zu Djamila ist weitaus größer als der Gedanke, dass ihr Verhalten den Traditionen der Dorfgemeinschaft entgegensteht...

Das Buch:   Tschingis Aitmatow, Kirgise, schreibt seine Bilder der Jugend und erzählt diese mit den Augen des Jungen Said. Im Jahre 1943 war Aitmatow fünfzehn Jahre alt. Es sind archaische Bilder, die Menschen arbeiten zwar bereits in einem sowjetischen Kolchos, einziges Bild von Industrie ist die entfernte Bahnlinie. Und so ist die Landschaft geprägt von Steppe, reißenden Flüssen und Bergen. Kornweite Felder in gleißender Sonne – schon der Einband des Büchleins lässt das Sonnenlicht zwischen den Ähren flimmern, kornsonnenhell.

Mit Danijars Gesang beginnt das Verstehen Saids.
„Aber er war nicht einfach in einen anderen Menschen verliebt – sondern es war eine andere, alles umfassende Liebe zum Leben und zur Erde. Diese Liebe erfüllte ihn ganz, sie klang aus seinen Liedern, sie war sein Leben. Ein gleichgültiger Mensch hätte nie so singen können...“ (Seite 64)
Die Lieder erwecken in Said den Hang zum Zeichnen und Malen. Sein erstes Bild ist eine Skizze von Djamila und Danijar, doch zu Beginn der Novelle schaut der erwachsene Said auf ein Bild, mit dem er einen Blick auf die Heimat bewahrt, er hat es in seiner Einfachheit nie zur Ausstellung gebracht.

Der Junge ist das Bindeglied zu einer (etwas) moderneren Zeit, denn er akzeptiert im Gegensatz zu dem Ältesten im Aul, das Djamila ausbricht wegen einer neuen wahren Liebe, er hat einen Blick ins Leben erhascht, welches ihn selbst weiter bringt.




Djamila steht für den Aufbruch in eine neue Zeit, die (archaischen) Traditionen brechen auch in Kirgisien (Kirgisistan) auf. Die neuen, wahren Dshigiten sind Said und Danijar. Der junge schaut in die Zukunft, der ältere hat die Schrecken des Krieges gesehen und bricht mit den Konventionen wie seine neue Gefährtin.

Kat Menschik und Tschingis Aitmatow:   Djamila ist vielleicht das berühmteste Werk des Schriftstellers, es war seine Abschlussarbeit am Literaturinstitut in Moskau. Bereits 1960 wurde die Novelle von Hartmut Herboth für den Verlag Kultur und Fortschritt (DDR) ins Deutsche übersetzt. Eine weitere Übersetzung unternahm Gisela Drohla, dieser liegt auch die vorliegende Ausgabe zu Grunde.
Aitmatow ist ein Beispiel dafür, dass Menschen sich in vielerlei Hinsicht in der Gesellschaft einbringen. Der Vater wurde in Folge der stalinschen Säuberungen hingerichtet, er war ein hoher Funktionär in der kirgisischen kommunistischen Partei. Tschingis selbst war Mitglied des Zentralkomitees der kirgisischen KP und Abgeordneter des obersten Sowjets der UdSSR. Später vertrat er die Sowjetunion als deren letzter Botschafter in Luxemburg und anschließend Kirgisistan als Botschafter in Frankreich und in Benelux-Staaten.

Seine Buch DIE RICHTSTATT zeigt auf erstaunliche Weise, dass so ein Lebensweg durchaus „unübliche“ Gedanken und Werke ermöglicht, denn in den Erzählungen des Werkes kritisiert er die stalinistisch/kommunistische Gesellschaft unteranderem in einem Vergleich mit eeinem fiktiven Gespräch von Pontius Pilatus mit Jesus von Nazareth. Schon Djamila erscheint ideologiefrei – der Grund für die weltweite Verbreitung, die Louis Aragon zu der Bemerkung verleitete, er schwöre „Djamila ist die schönste Liebesgeschichte der Welt.“ (Aragons Biografie zeigt im Gegensatz zu Aitmatow den westlichen Kommunisten, der in der zweiten Lebenshälfte mit so manchen „Gewissheiten“ bricht.)

Kat Menschik liebte diese Geschichte schon als Schülerin. In einem Lesebuch (vermutlich 10. Klasse) wurde ein Auszug abgedruckt. „Selbst noch fast ein Kind, war ich hingerissen von der Kraft und Wucht der Liebe, die sich über Traditionen und Regeln hinwegsetzt, einfach, weil sie es muss.“ (Nachwort)

Dreißig Jahre später empfindet sie mit ihren wunderschönen Zeichnungen die Geschichte nach, sie malt, an Said angelehnt, ihre Empfindungen nach. Der staubige Sommer, das goldene Korn, die Steppe, der Fluss und die Menschen der Novelle fließen aus ihrem Pinsel und ermöglichen dem sechzigjährigen Blogger einen neuen Zugang zu einer Novelle, die er einst, als 15jähriger noch nicht verstand.



* * *

Fazit:    Ein wunderbares Buch mit einer wunderschönen Geschichte, passend illustriert gehört damit auch zu meinen Lieblingsbüchern.

PS: Zu Beginn erwähnte ich die Schullektüre. Wir dürfen sicher davon ausgehen, dass 16jährige Schülerinnen über den Auszug im Lesebuch der 10. Klasse anders dachten als ihre männlichen Klassenkameraden. Gerade unter diesen ist vielleicht in Erinnerung geblieben, dass da von einer „abgebissenen Brustwarze“ die Rede war. In der vorliegenden Ausgabe las ich das nicht, wahrscheinlich lag das an der Übersetzung. Da ich mich zwar erinnerte, eine solche Stelle allerdings nicht fand, bemühte ich eine KI-App und die „bestätigte“ genau diesen Gedanken, dass unter den DDR-Schülern in der Pubertät diese Aussage haften blieb. Mit einem „weisen“ Lächeln denke ich an die Jugend zurück und schaue auf dieses sehr schöne Buch.

PPS:    Hannes Wader hat sich für sein Lied AM FLUSS von Aitmatows Novelle inspirieren lassen, das las ich mehrfach bei den Recherchen. Hier findet sich das Lied:






Vielen Dank an den den Galiani-Verlag, der mir aus dem Buchmessen-Regal die Novelle zur Rezension überreichte.

© Bücherjunge

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