Sonntag, 24. September 2017

Heinz Rein: Finale Berlin

Finale Berlin von Heinz Rein

entstand unmittelbar nach Ende des Krieges und ist deshalb ein authentisches Zeitzeugnis und ein packender Roman zugleich, der völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.
Finale Berlin:
Eine besonders schön gestaltete
Ausgabe der
Büchergilde Gutenberg
Die Beschreibungen der todwunden Großstadt Berlin kurz vor der "Stunde Null" sind bedrückend. Heinz Rein gibt uns, die wir den Krieg nur aus Büchern kennen, eine Ahnung davon, was Krieg und Zerstörung wirklich bedeuten. Diese Beschreibungen, eingebettet in die Schilderung von fiktiven, aber sehr glaubwürdigen Einzelschicksalen in jenen apokalyptischen letzten Kriegstagen des April 1945, sind in meinen Augen eine bedrückend realistische Interpretation der physischen Wunden des Krieges, die wir heute noch überall in Berlin sehen können, weil sie bewusst oder unbewusst erhalten wurden:
Ich denke an die noch heute in vielen Hausfassaden sichtbaren Einschusslöcher von Infanteriewaffen oder Granatsplittern, an die Ruine der Gedächtniskirche, an die Wände des Reichstagsgebäudes, auf denen noch heute die Graffitis russischer Soldaten sichtbar sind. Besonders auf den ersten Seiten: Vorfinale. Berlin April 1945 kommen in mir vage Assoziationen an Alfred Döblin´s Berlin Alexanderplatz auf, ohne dass ich explizit sagen könnte, warum.



Berlin 1945
Quelle: Internet

Zu unterschiedlich sind eigentlich die Sujets. Wenngleich: Hier wie da herrscht Trostlosigkeit und innere Zerrissenheit der Charaktere. Vielleicht sind es auch einfach nur die blanke Wucht der Sprache und die Duplizität des Handlungsortes Berlin...

Heinz Rein
1906 - 1991
Mein Vergleich mit Döblins Meisterwerk, den manche als deutschen Ulysses, dem großen Roman des Iren Joyce sehen, endet hier aber auch schon:
In Heinz Rein´s Roman sehen wir die Welt nicht durch die Brille von inneren Bewusstseinszuständen und Reflexionen der Protagonisten.
Das Buch konfrontiert den Leser vielmehr sehr plastisch mit den Folgen von Nationalsozialismus, Krieg und Unterdrückung exemplarisch am Beispiel einiger ganz verschiedener Menschen, deren Wege sich in Oskar Kloses Kneipe in der Straße Am Schlesischen Bahnhof kreuzen und die sich dort zu einer Untergrundorganisation zusammenfinden, die das Regime der Nationalsozialisten bekämpft. 
So erleben wir die gespenstische Atmosphäre jener letzten Kriegstage und Bombennächte im eingekesselten Berlin und werden konfrontiert mit den inneren Konflikten und psychischen Blessuren einer entwurzelten, politisch missbrauchten Jugend.

Ullstein
Paperback-Ausgabe


Es ist zugleich die spannende Geschichte von Menschen, deren heimlicher Widerstand exemplarisch für den zivilen Ungehorsam jener unbekannten, vergessenen Minderheit ganz normaler Menschen steht, die sich in einer Zeit der Unterdrückung unter ständiger Lebensgefahr gegen die Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes gestellt haben. 






Heinz Rein: Finale Berlin
Roman, 759 Seiten, gebunden
Ausgabe der Büchergilde Gutenberg

auch erschienen bei:

Ullstein, Berlin 2017
Broschur
Preis: 12,00 Euro


Samstag, 23. September 2017

Swann, Leonie: Gray - Hörbuch


Dr. Augustus Huff, Dozent in Cambridge, hat plötzlich einen Vogel – und ein Problem: Einer seiner Studenten ist beim Fassadenklettern in den Tod gestürzt. War es nur ein tragischer Unfall? Oder Mord? Augustus vermutet Letzteres und geht auf Spurensuche – unterstützt von Gray, dem Graupapageien des Verstorbenen. Der sprachbegabte Vogel erweist sich als vorlautes Federvieh, und zuerst stolpert Augustus bei seinen Ermittlungsversuchen von einem Fettnäpfchen in das nächste. Doch schon bald ist es Gray, der im Labyrinth der altehrwürdigen Universität die richtigen Fragen stellt. Augustus begreift: nur gemeinsam können sie es schaffen, diese harte Nuss von einem Fall zu knacken.

(Klappentext Verlagsgruppe Random House)

  • MP3 CD
  • Verlag: der Hörverlag; Auflage: Gekürzte Lesung (15. Mai 2017)
  • Laufzeit: 8 h 44 min
  • Sprache: Deutsch
  • Sprecher: Bjarne Mädel, Christopher Heisler
  • ISBN-10: 3844525327
  • ISBN-13: 978-3844525328









 

GAGA OH-LA-LA!



Wer sich fragt, was die durchgeknallte Überschrift dieser Rezension bedeuten soll, dem sei gesagt, dass dies eine Zeile aus Lady Gaga's Song 'Bad Romance' ist, die der sprachgewandte Graupapagei Gray ständig singt. Doch dabei belässt er es nicht. Durchaus nicht uneigennützig lässt Gray ständig Kommentare los wie 'Keks', 'Traube' oder 'Nimm 'ne Nuss'. Und bald schon merkt Dr. Augustus Huff, der als vorübergehender Halter des Vogels fungiert, dass der Graupapagei überaus intelligent zu sein scheint. Oftmals antwortet dieser nämlich nicht nur passend, sondern beherrscht auch Kategorisierungen - so kann er z.B. äußern, aus welchem Material etwas besteht und welche Farbe es hat, aber auch, was gleich ist und was nicht zu den anderen Dingen passt. Kein Wunder also, dass Dr. Augustus Huff zunehmend den Eindruck gewinnt, dass ohne Gray der Fall nicht zu lösen ist.

Denn ein Fall scheint der Tod des Studenten Elliot Fairbanks zu sein, der dem Papagei all seine Sprachkünste beigebracht hat. Elliot war ein begabter Student aus bestem Hause, doch lag er eines Morgens tot am Fuß der King´s Chapel in Cambrige - abgestürzt oben vom Dach der Kapelle. Wurde zunächst von einem Unfalltod oder aber einem möglichen Suizid ausgegangen, häufen sich schließlich die Anzeichen, dass der junge Student womöglich ermordet wurde. Doch weshalb und von wem? Dr. Augustus Huff macht sich auf die Suche nach Antworten, auf Schritt und Tritt flankiert von Elliots Graupapagei, der auf Augustus Schulter ein neues Zuhause gefunden zu haben scheint...

Ein originelles Ermittlerduo hat Leonie Swann hier geschaffen. Für kriminalistische Ermittlungen sind Unauffälligkeit und Diskretion im Normalfall empfehlenswert, doch mit dem lautstarken und auffälligen Vogel gerät Dr. Augustus Huff doch oft eher in brenzlige und, ja, auch in komische Situationen. Gray, der kein Blatt vor den Mund nimmt, der Stimmen imitiert, der bei den Verdächtigen mit seinen respektlosen Kommentaren nicht immer erwünschte Reaktionen hervorruft, schafft es schließlich doch, Dr. Augustus Huff auf Umwegen auf die Spur des Mörders zu führen. Der Graupapagei stößt Denkprozesse an, stellt die richtigen Fragen und tut auch so einiges für Augustus' Selbstbewusstsein. Der scheue, ordnungsliebende, pedantische und zeitweise zwanghafte Akademiker lernt über vorlauten Sprüchen und unerträglichen Kekskrümeleien, dass das Leben auch ohne aufgeräumten Schreibtisch lebenswert ist.

Hier steht eindeutig eher das ungewöhnliche Ermittlerduo im Fokus des Geschehens als der Kriminalfall selbst. Eine Menge absurder und komischer Szenen haben mich beim Hören richtiggehend amüsiert, und v.a. Gray  ist mir dabei rasch ans Herz gewachsen. Diese Mischung aus Intelligenz, großer Klappe und Frechheit auf der einen, Unbeholfenheit und Hilflosigkeit auf der anderen Seite erscheint überaus charmant. Und die wachsende Freundschaft zwischen Augustus und Gray ist einfach nur herzlich. Der Kriminalfall selbst plätschert phasenweise etwas vor sich hin, was ich aufgrund des unterhaltsamen Miteinanders der Hauptcharaktere aber als nicht sonderlich störend empfand. Bis zum Schluss war mir nicht klar, wer hier der Täter sein könnte, aber womöglich habe ich mich auch nicht ausreichend auf den Fall konzentriert, sondern eben auf das Geschehen um den Dozenten und seinen Papagei.

Gelesen wird die leider gekürzte Hörbuchfassung (8 h 44 min) in erster Linie von Bjarne Mädel, ergänzt von vereinzelten Tagebucheintragungen gelesen von Christopher Heisler. Beides wirkt gekonnt und - passend zu dem unbeholfenen Dr. Augustus Huff - auf eine trockene Weise erheiternd.

Für mich ein schönes Hörerlebnis, das vor allem durch seine Charaktere punkten konnte.


© Parden
















Die Verlagsgruppe Random House schreibt über die Autorin:

Leonie Swann wurde 1975 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft in München und Berlin. Mit ihren ersten beiden Romanen „Glennkill“ und „Garou“ gelang ihr auf Anhieb ein sensationeller Erfolg: Beide Bücher standen monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten und wurden bisher in 25 Sprachen übersetzt. Leonie Swann lebt heute umzingelt von Efeu und Blauregen in England und Berlin.

übernommen von der Verlagsgruppe Random House

Dienstag, 12. September 2017

Silberer, Renate: Das Wetter hat viele Haare


Eine Beziehung eskaliert, ein Kind wird geboren, eine Spurensuche beginnt: 11 Erzählungen kreisen um die Familien- und Lebensgeschichten der zwei Paare Annemarie und Manfred, Hanni und Karli. Realistische, oft auch traumhafte Momentaufnahmen beleuchten Aspekte ihrer Biografien und folgen den Spuren der Erinnerung. Die Geschichten gleichen Mosaiksteinen: Sie zeigen die Figuren in unterschiedlichen Konstellationen ihres Lebens, erzählen von innerem Aufruhr, ihrem Scheitern, ihrem Aufbegehren und bewegenden Ereignissen. Am Ende entsteht ein neues Bild, zusammengesetzt aus den Splittern der Vergangenheit.

In ihrem Prosadebüt zeigt Renate Silberer ihr breites Repertoire an Erzählweisen. Dialogreiche Passagen wechseln sich ab mit lyrischen, oft surrealen Szenerien. Die Wirklichkeit ist dann nur mehr in Andeutungen zu erkennen, doch entfaltet sich dadurch eine eigene Welt, die es ermöglicht, tief in die Seele ihrer Figuren einzudringen.


(Klappentext Kremayr & Scheriau)

  • Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
  • Verlag: Kremayr & Scheriau; Auflage: 1 (17. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3218010810
  • ISBN-13: 978-3218010818













LEBEN IN SPLITTERN...




Ich lasse mich immer wieder gerne auf Neues und Unbekanntes ein, und da mir hier das Cover (das Weltall in Scherben oder Splittern) sehr gefiel und der ungewöhnliche Titel mich neugierig machte, freute ich mich, als ich die Möglichkeit erhielt, hier mitzulesen. Der Klappentext sowie die Leseprobe zeigten mir bereits, dass mich der Schreibstil von Renate Silberer sehr ansprechen würde.

11 Erzählungen erwarten den Leser hier, erzählt aus wechselnden Perspektiven - Geschichten von Paaren, Kindheitserinnerungen, Freundschaften, gescheiterten Beziehungen, Krisen. So unzusammenhängend, wie die Erzählungen zunächst erscheinen, hängen sie auf eine besondere Art dennoch zusammen. Denn die Personen tauchen in verschiedenen Konstellationen immer wieder auf, als Geschwister, als Freunde, als Paare, als Eltern. Und erzählen Splitter ihrer Vergangenheit, treffen sich in ihren Erinnerungen. Ein gemeinsamer Nenner ist, dass hier jeder irgendwie unglücklich und unvollständig ist, auf der Suche, in psychischen und emotionalen Ausnahmezuständen. Jeder ist vereinzelt und wird von den anderen nicht wahrgenommen, nicht gesehen, nicht gehört, oft auch nicht ernst genommen.

Die Art der Erzählung variiert dabei von Kapitel zu Kapitel teilweise ganz erheblich. So waren meine Empfindungen zu den einzelnen Erzählungen auch ganz unterschiedlich. Im ersten Kapitel beispielsweise war ich sehr angetan von dem Schreibstil. Nicht anklagend oder voller Selbstmitleid, was die Schilderung der Schicksale anbelangt, und doch kam etwas Dunkles, Schweres rüber. Verknappt wirkte hier die Erzählung auf mich und doch schwang auch vieles zwischen den Zeilen mit. Und manche Sätze wirkten auf mich sehr poetisch und ansprechend:


"Umgeben von Mutterhaut und Knochen blickte ich auf ihren Mund (...) Alles die Mutter, ich konnte mich nicht in ihr finden." (S. 11)


Andere Kapitel waren dagegen eher verwirrend für mich. Dort domnierten dann abgebrochene und unvollständige Sätze, Reales vermischte sich mit Traumartigem und Surrealem, oftmals geriet der Text sehr symbolbefrachtet, aber auch unverständlich, z.T. selbst für den erzählenden Hauptcharakter. So etwas überfordert mich, und ich fühle mich dabei eher unwohl als dass ich die Schreibkunst oder die möglicherweise ausgefeilte Symbolik bewundern könnte. Wenn Texte zu symbolbefrachtet sind, das Surreale überhand nimmt und alles nur noch eine Frage der Interpretation wird, verliere ich persönlich ein wenig die Freude am Lesen. Zwischenzeitlich hatte ich dementsprechend zunehmend Schwierigkeiten mit dem Buch.

Gegen Ende konnte ich mich mit dem Erzählband aber wieder versöhnen. Es gab dort kaum noch surreale Szenen, die Sätze wurden vollständiger, das Geschehen zunehmend in der Realität verankert. Die lyrischen Passagen haben mir dabei besonders gefallen.

Renate Silberer zeigt in ihrem Prosadebüt eine große Experimentierfreude. Je nach Gemütszustand passt sie die Erzählweise an, die die Gedankenwelt so im Grunde spiegelt. Eine interessante Mischung, die mich allerdings nicht durchgängig begeistern konnte.


© Parden





Der hier gelesene Text ist auch Bestandteil des o.g. Erzählbandes...







Kremayr & Scheriau schreiben über die Autorin:

Renate Silberer, 1975 in Braunau/Inn geboren, lebt in Linz. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaften war sie als Feldenkraislehrerin in freier Praxis tätig. Ihre Texte wurden in Literaturzeitschriften und Anthologien (kolik, Jahrbuch der Lyrik, etc.) veröffentlicht. Sie erhielt mehrere Preise und Stipendien, u.a.: Start-Stipendium des BMUKK, Projektstipendium des BKA, Förderungsstipendien der Stadt Linz und des Landes Oberösterreich, Finalistin beim Literaturpreis Floriana. „Das Wetter hat viele Haare“ ist ihr erstes Buch, für eine frühere Fassung der Erzählung „Konrads Umkehrversuch“ erhielt sie den Rauriser Förderungspreis.

übernommen von Kremayr & Scheriau


Montag, 11. September 2017

Hurwitz, Gregg: Orphan X


1. Gebot: Keine voreiligen Schlüsse

Das schwarze Satellitentelefon klingelt. Am anderen Ende ist ein Mädchen, das von einem korrupten Cop verfolgt wird. Evan Smoak wird ihr helfen.

4. Gebot: Es ist nie persönlich

Evan ist ein Absolvent des Orphan-Programms, in dem Waisenkinder zu hocheffizienten Killern ausgebildet wurden. Nach Jahren des Mordens für die Regierung ist er in den Untergrund gegangen. Er hilft nun den Verzweifelten, die nicht zur Polizei gehen können. Dabei hält er sich strikt an seine eigenen Gebote. Doch diesmal muss er gegen eine Regel nach der anderen verstoßen, damit die allerwichtigste unangetastet bleibt:

10. Gebot: Lasse niemals einen Unschuldigen sterben


(Klappentext HarperCollins Verlag)


  • Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
  • Verlag: HarperCollins; Auflage: 1 (10. März 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Mirga Nekvedavicius
  • ISBN-10: 3959670249
  • ISBN-13: 978-3959670241
  • Originaltitel: Orphan X
  • Reihe: Evan Smoak (Bd. 1)






Ich danke dem HarperCollins Verlag ganz herzlich für die Zusendung dieses Rezensionsexemplars!







DIE GEBOTE DES KILLERS...



Evan Smoak - so heißt er jedenfalls heute - ist einer der weltweit am meisten gesuchten Menschen. Doch niemand kennt seinen Namen, sein Gesicht oder seinen Aufenthaltsort, denn er operiert unsichtbar. Evan ist einer der gefährlichsten Killer der Welt, ausgebildet in einem geheimen Programm der Regierung für ganz besondere Aufträge jenseits der Legalität. Bereits mit 12 Jahren geriet Evan als Waisenkind in die Fänge des Orphan-Programms, dessen harte Schulung er durchlief, bevor er begann, im Auftrag der Regierung zu morden. Doch irgendwann begannen Zweifel in Evan zu wachsen an der Richtigkeit seines Handelns, und letztlich beschloss er, das Orphan-Programm zu verlassen. Auf der Flucht vor seinen ehemaligen Auftraggebern lebt Evan seither im Untergrund.

Auch heute noch profitiert der ausgebildete Killer von seiner harten Lehrzeit und den gesammelten Erfahrungen, denn Evan nimmt auch jetzt noch Aufträge an. Doch statt für die Regierung arbeitet er nun für absolut verzweifelte Menschen, die die Polizei aus welchen Gründen auch immer nicht um Hilfe bitten können und sonst keinen Ausweg mehr sehen. Nach eingehender Prüfung regelt Evan das Problem für sie und folgt dabei seinen ganz eigenen Geboten wie z.B. "Ziehe keine voreiligen Schlüsse" oder auch "Es ist nie persönlich", vor allem aber "Lasse niemals einen Unschludigen sterben". Als Bezahlung für seine besonderen Dienste verlangt Evan einzig und allein, dass der erlöste Auftraggeber nach erfolgreichem Abschluss einem anderen Verzweifelten die Nummer von Evan gibt, damit die Kette nicht abreißt.


"Finde jemanden, der mich braucht. Gib ihm meine Nummer: 1-855-2-NOWHERE." - "Die weiß ich doch noch. Klar weiß ich die noch." - "Es ist egal, wie lange du dafür brauchst. Wichtig ist nur, dass du jemanden findest, der in einer genauso ausweglosen Situation ist, wie ihr es wart. Erzähl ihm von mir. Sag ihm, dass ich am anderen Ende der Leitung auf ihn warte." - "Das ist alles?" - "Das ist alles." - "Mehr verlangen Sie nicht?" - "Gib meine Nummer nur einer Person. Nur einer. Anschließend vergisst du sie wieder. Dies ist ein einmaliger Service, nicht die Telefonseelsorge."



Evan geht bei allem überaus vorsichtig und umsichtig zu Werke. Er hat mehrere Wohnungen, in die er sich zurückziehen kann, verschiedene Autos, die er ständig wechselt, und ein ganzes Arsenal an Waffen sowie die neuesten technischen Errungenschaften. Zudem ist er bestens in allen Kampftechniken bewandert, verfügt über beneidenswerte Reflexe und über die Fähigkeit der Konzentration selbst im Auge des Sturms. Evan ist auf alles vorbereitet, so dass ihn nichts und niemand überraschen kann - so hofft er jedenfalls. Doch irgendwann beginnt es  gewaltig schief zu laufen. Da wächst nicht nur plötzlich die Zahl derjenigen, die dringend Evans Hilfe benötigen, sondern mit jedem Schritt, den er tut, häufen sich die Anzeichen, dass da jemand mit viel Einfluss hinter ihm her ist. Da wird aus dem Jäger plötzlich ein Gejagter, und ein Katz- und Mausspiel der besonderen Art nimmt schließlich seinen Lauf. Wer auch immer ihn verfolgt - er ist Evan ebenbürtig. Wem kann er überhaupt noch vertrauen?

Schon lange war ich neugierig darauf, endlich einmal ein Buch von Gregg Hurwitz zu lesen, und als ich die Möglichkeit erhielt, mit Orphan X den Beginn einer neuen Reihe kennenzulernen, schlug ich begeistert zu. Obschon ich Action-Thrillern nicht unbedingt zugeneigt bin, konnte mich dieser Reihenauftakt doch positiv überraschen. Zwar drängten sich beim Lesen zeitweise Superheld-Gedanken auf, doch thematisiert Hurwitz dies z.T. selbst mit einem kräftigen Augenzwinkern. Und dass der Autor neben seinen Thrillern auch Drehbücher für Hollywood-Studios schreibt, lässt sich auch in diesem Buch merken - viele Szenen waren nahezu filmreif und entsprechend spannend.

Evan selbst ist nicht nur die Killermaschine, die er zunächst zu sein scheint, sondern trägt auch die leise Melancholie des einsamen Wolfes mit sich herum und kann tiefe Züge von Mitmenschlichkeit nicht leugnen. Diese Widersprüchlichkeit macht den Charakter so interessant, und wenn man die Idee eines Superhelden erst einmal zulässt, macht das Lesen einfach nur noch Spaß. In einzelnen Kapiteln gewährt Hurwitz zudem einen Rückblick auf die Vergangenheit Evans, auf seine harte Ausbildung zum Killer der Regierung und auf seinen Ausbilder Jack, der fast zu etwas wie einer Vaterfigur für Evan wurde.

Die meist nur wenige Seiten langen Kapitel sind jeweils passend betitelt - zunächst lässt sich mit dem Titel nichts anfangen, doch später findet er sich stets wortgenau im Text wieder und erschließt so seinen Sinn, was mir gut gefallen hat. Der flüssige Schreibstil, die bildhafte Sprache und die kurzen Kapitel, die zudem teilweise noch mit einem Cliffhanger enden, lassen die Seiten nur so vorbeirauschen, wozu die spannende Handlung natürlich auch ihren Beitrag leistet. Bis zur letzten Seite ist man vor Überraschungen nicht sicher, und tatsächlich klappte mir am Ende der Unterkiefer noch einmal richtig herunter.

Einen überaus gelungenen Auftakt zu der neuen Reihe hat Gregg Hurwitz hier abgeliefert. Spannend, unterhaltsam, humorvoll, durchdacht und filmreif - mit einem Wort: empfehlenswert!


© Parden















Der HarperCollins Verlag schreibt über den Autor:

Gregg Hurwitz schreibt neben Thrillern Drehbücher für die großen Hollywood-Studios sowie Comicbücher für so prestigeträchtige Verlage wie Marvel (Wolverine, Punisher) und DC (u.a. Batman). Mit seinen Büchern hat er den Weg auf die New York Times-Bestsellerliste gefunden und seine 15 Thriller sind mittlerweile in 22 Sprachen übersetzt worden.

übernommen vom HarperCollins Verlag

Sonntag, 10. September 2017

Ahern, Cecelia: Perfect - Willst du die perfekte Welt? - Hörbuch


Celestine wurde als »fehlerhaft« gebrandmarkt, sie gehört nun zu den Menschen zweiter Klasse. Doch statt sich den strikten Regeln des Systems zu unterwerfen, flieht sie. Denn Celestine ist auch ein Symbol der Hoffnung für alle anderen Fehlerhaften. Gelingt es ihr, den grausamen Richter Crevan zu überführen? Das wäre die Chance auf einen Neuanfang für die Fehlerhaften. Aber gibt es auch für ihre große Liebe eine neue Chance? Für Celestine geht es um alles – um Gerechtigkeit für sich selbst und alle anderen und um eine lebenswerte Zukunft.

(Klappentext argon hörbuch Verlag)


  • Spieldauer: 10 Stunden und 46 Minuten
  • Format: Hörbuch-Download
  • Version: Ungekürzte Ausgabe
  • Verlag: Argon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Anna Julia Strüh & Christine Strüh
  • Sprecher: Merete Brettschneider
  • Audible.de Erscheinungsdatum: 17. November 2016
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B01M35YWOP










WEM KANNST DU VERTRAUEN?



Zur Erinnerung: Schwarz und Weiß - in diese Kategorien ist die Welt aufgeteilt, in der die inzwischen 18-jährige Celestine lebt. Lässt man sich nichts zuschulden kommen, gehört man zu den Perfekten, doch ein Fehltritt reicht, um vor die Gilde gezerrt zu werden, die über die moralische Unfehlbarkeit der Gesellschaft wacht. Einmal verurteilt, wird man mit einem großen 'F' gebrandmarkt, das je nach Vergehen eine andere Körperstelle markiert. Nach einer Lüge wird das Brandeisen auf die Zunge gedrückt, fehlerhaftes Denken führt zu einem 'F' auf der Schläfe, ein Diebstahl zu einem Brandmal auf der Handinnenfläche. Seit einer Handlung aus dem Bauch heraus gehört Celestine zu den Fehlerhaften, gesellschaftlich geächtet und einer Vielzahl von Repressalien ausgesetzt.

Nach dem spannenden Ende des ersten Teils war ich froh, dass ich den zweiten und damit letzten Teil der Dystopie bereits hier liegen hatte. Es erweist sich, dass es nicht einfach ist, als Fehlerhafter auf der Flucht zu sein. Ständig bringt Celestine so nicht nur sich, sondern auch diejenigen in Gefahr, die ihr helfen wollen. Die Gilde will das Mädchen unbedingt wieder in ihre Fänge bekommen, allen voran Richter Crevan, der seine Grausamkeit bereits unter Beweis gestellt hat. Celestine will zunächst nur ihre Ruhe, einen Ort der Sicherheit, an dem sie die Geschehnisse verarbeiten und sich überlegen kann, wie sie ihr Leben zukünftig gestalten will. Doch immer wieder wird sie aufgespürt und muss sich entscheiden, ob sie die zunehmenden Bestrebungen einzelner Gruppierungen unterstützen will, die sich gegen die Gilde und das bestehende System wenden wollen.

Viele bekannte Charaktere begegnen dem Hörer hier in Band zwei, aber es kommen auch einige neue Gesichter hinzu. Insgesamt hat Cecilia Ahern die Personen authentisch und glaubhaft ausgestaltet und agieren lassen, allen voran Celestine, die oftmals nicht weiß, wem sie trauen kann und will und wer sie aus welchem Grund auch immer vor seinen eigenen Karren spannen will. Doch sie merkt, dass sie selbst zunehmend stärker wird und dass der Kampf gegen die Gilde vielleicht tatsächlich eine realistische Möglichkeit ist.

Die Spannung bleibt hier im zweiten Teil der Dilogie fast durchgehend hoch. Immer wieder kommt es zu überraschenden Wendungen und unvermuteten Handlungen, die dem Mix aus Gesellschaftskritik, Verfolgung, Machtgeilheit, Verrat, Zivilcourage, Liebe, Zusammenhalt und der Frage, wer man eigentlich sein will, die besondere Würze geben.

Der Schreibstil ist flüssig und der jugendlichen Zielgruppe angemessen, und für mich erfreulicherweise kommt das für Cecilia Ahern so typische Thema 'Liebe' hier nur am Rande zu tragen. Merete Brettschneider liest das ungekürzte Hörbuch (10 h 47 min) gekonnt und passend zum Charakter der Celestine, aus deren Ich-Perspektive das Geschehen erzählt wird.

Das Ende war mir persönlich ein wenig zu weichgespült, passt damit aber wohl in das Konzept eines Jugendbuchs. Insgesamt jedoch war diese zweibändige Dystopie für mich tatsächlich ein großer Hörspaß und bekommt daher von mir eine klare Hörempfehlung.


© Parden














Bildergebnis für cecelia ahern
Der argon hörbuch Verlag schreibt über die Autorin:

Cecelia Ahern ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt. Mit 21 Jahren schrieb sie ihren ersten Roman, der sie sofort international berühmt machte: P.S. Ich liebe Dich, verfilmt mit Hilary Swank. Danach folgten Jahr für Jahr weitere Bestseller.

übernommen vom argon hörbuch Verlag

 


Der argon hörbuch Verlag schreibt über die Sprecherin:

Merete Brettschneider hat bereits Romane von u.a. Cecelia Ahern, E. L. James und Jennifer L. Armentrout eingelesen. Mit ihrer hellen, ausdrucksstarken Stimme beherrscht sie sowohl ruhige als auch dynamische Töne.

übernommen vom argon hörbuch Verlag

Samstag, 9. September 2017

Ahern, Cecelia: Flawed - Wie perfekt willst du sein? - Hörbuch


Celestines Leben scheint perfekt: Sie ist schön, bei allen beliebt und hat einen tollen Freund. Doch dann handelt sie in einem entscheidenden Moment aus dem Bauch heraus. Und bricht damit alle Regeln. Sie könnte im Gefängnis landen oder gebrandmarkt werden – verurteilt als Fehlerhafte. Denn Fehler sind in ihrer Welt nicht erlaubt. Nichts geht über die Perfektion. Auch nicht die Menschlichkeit. Jetzt muss sie kämpfen – um ihre eigene Zukunft und um ihre große Liebe.

(Klappentext argon hörbuch Verlag)

  • Spieldauer: 11 Stunden und 31 Minuten
  • Format: Hörbuch-Download
  • Version: Ungekürzte Ausgabe
  • Verlag: Argon Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Anna Julia Strüh & Christine Strüh
  • Sprecher: Merete Brettschneider
  • Audible.de Erscheinungsdatum: 29. September 2016
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B01LB81NEQ













FEHLERHAFT...




Schwarz und Weiß - in diese Kategorien ist die Welt aufgeteilt, in der die 17-jährige Celestine lebt. Lässt man sich nichts zuschulden kommen, gehört man zu den Perfekten, doch ein Fehltritt reicht, um vor die Gilde gezerrt zu werden, die über die moralische Unfehlbarkeit der Gesellschaft wacht. Einmal verurteilt, wird man mit einem großen 'F' gebrandmarkt, das je nach Vergehen eine andere Körperstelle markiert. Nach einer Lüge wird das Brandeisen auf die Zunge gedrückt, fehlerhaftes Denken führt zu einem 'F' auf der Schläfe, ein Diebstahl zu einem Brandmal auf der Handinnenfläche.

Niemals hätte Celestine sich vorstellen können, dass sie aus der Welt der Perfekten herausfällt, denn sie weiß einfach, was richtig ist und was falsch. Doch eine einzige Entscheidung aus dem Bauch heraus führt dazu, dass nichts mehr ist wie es mal war. Fortan gehört Celestine zu den Fehlerhaften, gesellschaftlich geächtet und einer Vielzahl von Repressalien ausgesetzt. Aber auch wenn das junge Mädchen zunächst das Gefühl hat, dass jetzt alles zu Ende ist, geht das Leben weiter. Und Celestine erkennt, dass es mehr gibt als Schwarz und Weiß, und dass es andere Werte gibt als die von der Gilde vorgegebenen...

Mit diesem ersten Teil der zweibändigen Dystopie beweist Cecilia Ahern, dass sie mehr kann als 'Liebesgeschichten'. Das Jugendbuch bietet mit Celestine einen Charakter, mit dem der Leser sich identifizieren kann, auch wenn das Mädchen anfangs kein wirklicher Sympathieträger ist. Absolut unkritisch lebt sie zunächst in der Welt der Wohlhabenden und Perfekten, ist unsterblich verliebt und hat bereits konkrete Zukunftspläne. Doch mit dem Prozess vor der Gilde beginnt Celestines Entwicklung, die Erkenntnis, dass die vorgegebenen Werte und Richtlinien nicht unbedingt die richtigen sein müssen, eine wachsende Menschenkenntnis und die Einsicht, dass sie selbst aktiv werden muss. Auch wenn mich die anfängliche Naivität Celestines etwas nervte, empfand ich die Entwicklung des Mädchens und ihren erwachenden Kampfgeist als authentisch und glaubwürdig.

Die Ausgrenzung von Teilen der Gesellschaft (hier sichtbar gemacht z.B. durch das erzwungene Tagen einer Armbinde) gemeinsam mit einem engmaschigen Kontrollsystem (hier gekennzeichnet durch die allgegenwärtigen Whistleblowers) ist sicher kein neues Thema. Doch Cecilia Ahern verwebt diesen Aspekt gekonnt mit der Fragestellung nach den moralischen Werten einer Gesellschaft, mit der Möglichkeit, eine ursprünglich gute Idee durch die Machtgeilheit einzelner ins Perverse zu verdrehen und mit der Frage nach der Zivilcourage der Menschen, die gemeinsam vielleicht etwas verändern könnten.

Kleinere Längen im ersten Drittel des 11 h 31 min langen Hörbuchs seien verziehen, da hier die Züge der dystopischen Welt plastisch dargestellt und damit greifbar werden. Der Schreibstil ist flüssig und der jugendlichen Zielgruppe angemessen, und für mich erfreulicherweise kommt das für Cecilia Ahern so typische Thema 'Liebe' hier nur am Rande zu tragen. Merete Brettschneider liest das ungekürzte Hörbuch gekonnt und passend zum Charakter der Celestine, aus deren Ich-Perspektive das Geschehen erzählt wird.

Das Buch endet schließlich mit einem Cliffhanger, der einem den zweiten (und gleichzeitig letzten) Teil der Dystopie nahezu aufdrängt. Hier kann ich auch nur sagen: aber gerne doch. Das Hörbuch zu 'Perfect - Willst du die perfekte Welt?' liegt schon bereit!


© Parden














Bildergebnis für cecelia ahern
Der argon hörbuch Verlag schreibt über die Autorin:

Cecelia Ahern ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt. Mit 21 Jahren schrieb sie ihren ersten Roman, der sie sofort international berühmt machte: P.S. Ich liebe Dich, verfilmt mit Hilary Swank. Danach folgten Jahr für Jahr weitere Bestseller.

übernommen vom argon hörbuch Verlag





Der argon hörbuch Verlag schreibt über die Sprecherin:

Merete Brettschneider hat bereits Romane von u.a. Cecelia Ahern, E. L. James und Jennifer L. Armentrout eingelesen. Mit ihrer hellen, ausdrucksstarken Stimme beherrscht sie sowohl ruhige als auch dynamische Töne.

übernommen vom argon hörbuch Verlag

Mittwoch, 6. September 2017

Szczygielski, Marcin: Flügel aus Papier


Ein spannend geschriebener Roman über den Holocaust, aber vor allem darüber, was im Leben wichtig ist: Liebe, Brüderlichkeit, Ehrlichkeit und Hoffnung.
 
Warschau um 1942: Rafal flieht vor der grausamen Wirklichkeit des Ghettos in die Bibliothek, in die Welt der Bücher. In H. G. Wells ›Zeitmaschine‹ entdeckt er Parallelen zwischen der Realität und der im Roman beschriebenen Welt. Schließlich gelingt es seinem Großvater, Rafal aus dem Ghetto zu schmuggeln. Er versteckt sich im Warschauer Zoo. Aber die Nazis sind ihm auf der Spur …


(Klappentext S. Fischer Verlage)

  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: FISCHER Sauerländer; Auflage: 1 (19. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Thomas Weiler
  • ISBN-10: 3737352127
  • ISBN-13: 978-3737352123
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 10 Jahren
  • Originaltitel: Arka Czasu












KINDGERECHT UND DOCH EINDRINGLICH...



Warschau um 1942: Rafal lebt mit seinem Großvater im Ghetto. Er kann sich an ein Leben ohne Hunger, Angst und Not kaum noch erinnern. Nur wenn er liest, vergisst er die schreckliche Wirklichkeit um sich herum. So oft er kann, begibt sich Rafal in die Bibliothek, in die Welt der Bücher. Schließlich gelingt es seinem Großvater jedoch, seinen Enkel aus dem Ghetto zu schmuggeln. Im Warschauer Zoo findet Rafal Unterschlupf und freundet sich mit zwei anderen Kindern an, die auch untergetaucht sind. Zusammen planen sie ihre Flucht - abber die Nazis sind ihnen bereits auf der Spur...


"Es soll einmal  gar nicht so wichtig gewesen sein, wo jemand herkam, sondern es zählte nur, was er für ein Mensch war. Jeder wohnte, wo es ihm gefiel, ganz egal, wie er hieß, woran er glaubte oder welche Farbe seine Haut, seine Haare oder seine Augen hatten. Wieso kann ich mich nicht mehr daran erinnern?" (S. 27)


Dieses Kinderbuch spielt im Warschauer Ghetto und wird aus der Ich-Perspektive des achtjährigen jüdischen Rafal erzählt, der einerseits zwar schon gut lesen kann und mittlerweile auch nicht mehr nur Kinderbücher verschlingt, der andererseits aber die Geschehnisse um ihn herum noch nicht immer richtig mitbekommt und interpretiert und so in seiner Naivität auch vor dem Grauen ein wenig geschützt ist.  Der Großvater bemüht sich, Rafal vor so vielen Schrecknissen wie möglich zu bewahren und zieht allein mit seiner Geige, die ihm aus seiner Zeit in der Philharmonie geblieben ist, durch die Cafés, um ein wenig Geld und Essen für sich und seinen Enkel zu erhalten. Rafal dagegen bleibt bis auf die gelegentlichen Ausflüge in die Bibliothek des Ghettos in dem kleinen Zimmer, das er gemeinsam mit seinem Großvater bewohnt.

Der kleine Junge bemüht sich, seinen Großvater nach Leibeskräften zu unterstützen: er putzt, er kocht, er strengt sich an in den privaten Unterrichtsstunden bei seinem Großvater. Aber er flieht auch nur zu gerne in die fremden Welten der Bücher. Als er sich aus der Bibliothek 'Die Zeitmaschine' von H.G. Wells ausleiht, erkennt Rafal jedoch viele Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen. Fortan nennt er die Nazis die 'Morlocks' und versteht auch ein wenig besser, was um ihn herum geschieht. Doch kein Buch hätte ihn auf das vorbereiten können, was sein Großvater schießlich in die Weg leitet. Gegen viel Geld lässt dieser seinen Enkel aus dem Ghetto schmuggeln mit dem Ziel, den Rest des Krieges unter falschem Namen bei einer polnischen Familie unterzukommen. Doch etwas geht schief, und so landet Rafal schließlich im Warschauer Zoo, wo er auf andere flüchtige Kinder trifft. Und dort zeigt sich der Wert von Freundschaft und Hoffnung...

Ein Kinderbuch über den Holocaust zu verfassen, ist kein leichtes Unterfangen. Einerseits muss die kindliche Naivität des Hauptcharakters glaubwürdig ausgestaltet werden, andererseits müssen der Schrecken, die Angst und die allgegenwärtige Gefahr dieser Zeit auch ihren Raum finden. Kindgerecht und doch eindringlich - das ist Marcin Szczygielski in meinen Augen gelungen. Der Autor hat dazu noch einen besonderen Kniff eingebaut, der mich zunächst verwunderte, den ich schließlich aber liebgewann, denn er bot eine Ausflucht, wenn es zu schrecklich werden sollte. 'Die Zeitmaschine' von H.G. Wells, die Rafal als Lektüre so begeistern konnte, taucht in einigen Szenen auf und bringt Rafal kurzzeitig fort aus der alles in Frage stellenden Gegenwart. Ein wenig Fantasy oder Märchen in einer kaum erträglichen Realität - für Kinder sicher tröstlich.

Am Ende bleiben keine Fragen offen, manches erschien mir als Erwachsenem vielleicht etwas zu schön um wahr zu sein, für Kinder jedoch scheint mir dies eine gute Variante zu sein. Gut gefallen hat mir auch das Nachwort, in dem Marcin Szczygielski darauf eingeht, was in der Erzählung auf wahren Begebenheiten beruht und was fiktiv hinzugekommen ist.

Für Kinder ab 10 Jahren wird dieses Buch empfohlen, jedoch sollte man bei jüngeren Kindern doch lieber ein gemeinsames Lesen in Betracht ziehen. In jedem Fall bietet dieses Buch eine empfehlenswerte  und kindgerechte Zeitreise in einen Teil der deutschen Geschichte, den viele lieber vergessen würden, der aber niemals vergessen werden darf.


© Parden












Marcin Szczygielski
Die S. Fischer Verlage schreiben über den Autor:

Marcin Szczygielski, geboren 1972 in Warschau, ist ein preisgekrönter Journalist und Autor und seit 2009 auch ein sehr erfolgreicher Kinderbuchautor.

übernommen von den S. Fischer Verlagen