Freitag, 16. September 2016

Wiseman, Ellen Marie: Die dunklen Mauern von Willard State


Zehn Jahre ist es her, dass eine schicksalhafte Nacht für Izzy Stone alles veränderte: Ihre Mutter erschoss ihren Vater während er schlief. Seitdem lebt die nun 17-Jährige bei Pflegefamilien. Als sie für ein Museum Gegenstände ehemaliger Insassen der alten und berüchtigten psychiatrischen Anstalt Willard State Asylum katalogisiert, stößt sie auf einen Stapel ungeöffneter Briefe und das alte Tagebuch einer gewissen Clara Cartwright. Je mehr sie über Claras Leben in Erfahrung bringt, desto mehr klären sich auch die Rätsel ihres eigenen Lebens … 

(Klappentext Piper Verlag)

  • Taschenbuch: 464 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (9. November 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Sina Hoffmann
  • ISBN-10: 3492307582
  • ISBN-13: 978-3492307581
  • Originaltitel: What She Left Behind














WILLKÜR...



Willard, 1995. Eine schicksalhafte Nacht vor zehn Jahren veränderte alles für Izzy Stone. Ihre Mutter erschoss ihren Vater und kam ins Gefängnis, und die inzwischen 17-jährige Izzy lebt seither bei wechselnden Pflegefamilien. Als ihre derzeitige Pflegemutter sie bittet, bei der Katalogisierung von Koffern und deren Inhalten aus einer leer stehenden psychiatrischen Anstalt zu helfen, stößt Izzy dabei auf das Tagebuch sowie zahlreiche ungeöffnete Briefe einer gewissen Clara Cartwright.

New York, 1929. Die 18-jährige Clara Cartwright ist das Kind wohlhabender Eltern und Luxus gewöhnt. Sie wurde einem Sprössling aus gutem Hause versprochen, doch Clara will ihrer großen Liebe Bruno treu bleiben und weigert sich daher, die arrangierte Ehe einzugehen. Kurzerhand schickt ihr Vater sie daraufhin in ein Haus für Nervenleidende - und ein Albtraum nimmt seinen Lauf.

In zwei parallelen Erzählsträngen präsentiert Ellen Marie Wiseman hier abwechselnd die aktuelle Geschichte der Jugendlichen Izzy Stone und die zeitlich weit davor liegende der Clara Cartwright, die von ihrem eigenen Vater in eine psychiatrische Anstalt geschickt wurde, weil sie es gewagt hatte, sich ihm zu widersetzen. Zunächst berühren sich die beiden Erzählstränge nur behutsam - durch das Tagebuch und die Briefe, die Izzy in dem Koffer von Clara findet, der zusammen mit den Gepäckstücken hunderter anderer Patienten auf dem Dachboden der inzwischen verwaisten und nahezu verfallenen Psychiatrie vor sich hin modert, von Patienten, die zeitlebens das Gelände hinter den dunklen Mauern nicht mehr verlassen haben. Später nähern sich die Erzählstränge zunehmend an, dadurch dass Izzy zum einen tiefer in Claras Geschichte eintaucht, zum anderen aber auch dadurch, dass sie sich nun ihrer eigenen Vergangenheit zu öffnen beginnt, die sie bisher stets zu verdrängen suchte.

Zwei Geschichten - zwei Wertungen. Ich gestehe, dass es vor allem Claras Schicksal war, das mich sehr berührte. Allerdings waren die Szenen, die aus der Sicht Claras geschrieben wurden und in der Psychiatrie spielen, teilweise für mich schier unerträglich. Wenn ein solcher Abschnitt anstand, ging ich da echt mit Bauchschmerzen ran, aus Sorge davor, welchen Drangsalierungen Clara dann wieder ausgesetzt sein würde. Für was man früher so alles in der Psychiatrie landen konnte - vor allem als Frau! Ehemann verlassen? Eingesperrt. Dem Vater widersprochen? Jahrelang hinter Gitter, oftmals für den Rest des Lebens. Ein einzelner Psychiater für tausende von Patienten. Man ahnt, wie die Zustände sein mussten. Dazu die 'Behandlungsmethoden': Sedierung, Fixierung, Isolierung, Eisbäder, Insulinschocktherapie, Elektroschocks. Und die Autorin schildert das so bildhaft, dass mir manchmal echt die Luft wegblieb. Will man das ganze in Schlagworten zusammenfassen, dann so: Willkür. Gewalt. Ohnmacht. Hier wurde Menschen nicht geholfen, hier wurden sie zerbrochen.

Die andere Geschichte rund um Izzy war auch nicht uninteressant, die Figur durchaus authentisch und sympathisch - das ganze wirkte jedoch auf mich von den Themen her zu überfrachtet. Neben der Erforschung der Koffer und der Hintergründe hat Izzy ihre ganz eigenen Probleme. Sie  muss sich nicht nur wieder bei einer neuen Pflegefamilie einleben und dazu noch in einer neuen Schule, sondern sich auch endlich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen. Seit der verhängnisvollen Nacht vor zehn Jahren hat sie ihre Mutter nicht mehr gesehen oder gehört und sich auch geweigert, ihre zahlreichen Briefe aus dem Gefängnis zu lesen. Immer schlummert in Izzy die Gewissheit, dass ihre Mutter verrückt sein müsse - und die große Angst, dass sie diese Veranlagung geerbt haben könnte. Doch als ob das noch nicht reicht, trifft Izzy noch auf ihre erste große Liebe und wird in der Schule nicht nur gemobbt, sondern gerät durch die Ausgrenzung aus der Klasse auch noch in eine große Gefahr. Für mich war das ehrlich gesagt zu viel des Guten, und erwartungsgemäß konnte den zahlreichen Themen auch nicht der Raum gelassen werden, der ihnen zugestanden hätte.

Trotz der Kritikpunkte an dem einen Erzählstrang fand ich den Plot insgesamt aber spannend und gut durchdacht. Das Ende wirkte auf mich zwar ein wenig arg bemüht, aber das Verweben der Geschichten gelang letztlich gut, und die Erläuterungen der Autorin am Ende des Buches lieferten noch einiges an interessanten Hintergrundinformationen. Viele historische Fakten wurden hier in den Roman eingeflochten.

Ein tiefer Blick in das dunkle Kapitel der Vergangenheit der Psychiatrien - gewoben um eine nette Jugendgeschichte. Erschütternd, bedrückend, gelungen.


© Parden













Ellen Marie WisemanDer Piper Verlag schreibt über die Autorin:

Ellen Marie Wiseman wurde in Three Mile Bay, einer kleinen Ortschaft im Bundesstaat New York, geboren. Sie besucht häufig ihre Verwandten in Deutschland und interessiert sich sehr für deutsche Geschichte und Kultur. »Die schwarzen Hügel von Coal River« ist der zweite Roman der Autorin. Wiseman lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und drei Hunden am Ufer des Lake Ontario.

übernommen vom Piper Verlag

2 Kommentare:

  1. Schon allein das psychiatrische Thema finde ich sehr verlockend, liebe Anne.

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    1. Das kann ich mir vorstellen, liebe Mirella. Ich glaube, Du arbeitest in dem Bereich?

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