Ein zarter, bewegender Roman, der davon erzählt, dass es manchmal fast ein ganzes Leben dauert, bis man das Glück findet – in dem einen Menschen, den man zum Leben braucht.
Gustav Perle ist ein zurückhaltender Mann. Er wuchs in den 1940er-Jahren allein bei seiner Mutter Emilie in ärmlichen Verhältnissen im schweizerischen Matzlingen auf – und schon damals hat er gelernt, nicht zu viel vom Leben zu wollen. Als Anton in seine Klasse kommt, ein Junge aus einer kultivierten jüdischen Familie, hält mit ihm auch das Schöne in Gustavs Leben Einzug. Anton spielt Klavier, und seine Familie nimmt Gustav sonntags mit zum Eislaufen. Emilie sieht das nicht gerne, lebt sie doch in der Überzeugung, dass die Bereitschaft ihres verstorbenen Mannes, jüdischen Flüchtlingen zu helfen, letztlich ihr gemeinsames Leben ruiniert hat. Doch Anton ist alles, was Gustav braucht, um glücklich zu sein. Umso härter trifft es ihn, als Anton – beide sind längst erwachsen – Matzlingen verlässt, weil er seine große Chance als Pianist wittert. Gustav widmet sich seinem Hotel Perle, das er inzwischen mit Erfolg führt – doch er ist einsam und verspürt eine große Leere in seinem Leben. Bis Anton, gescheitert, zurückkehrt – und beide erkennen, dass das Glück vielleicht schon immer direkt vor ihnen lag.
(Klappentext Verlag Suhrkamp und Insel)
- Gebundene Ausgabe: 333 Seiten
- Verlag: Insel Verlag; Auflage: 1 (8. August 2016)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Christel Dormagen
- ISBN-10: 3458176845
- ISBN-13: 978-3458176848
- Originaltitel: The Gustav Sonata
ZWEI EINSAME LEBEN...
Gustav Perle erlebt seine Kindheit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen Ort in der Schweiz und wächst als einziges Kind einer mittellosen, alleinerziehenden Mutter auf. Doch nicht die Armut ist es, die ihm eine Lektion erteilt, sondern die Haltung seiner Mutter Emilie. Stark soll er sein, sich beherrschen und zusammenreißen, komme was da wolle. Doch obwohl er rasch begreift, vom Leben nichts erwarten zu wollen und obgleich er früh lernt, seine Gefühle zu unterdrücken, buhlt er mit jeder Faser um die Liebe seiner Mutter.
"Dennoch dachte er sehr oft an seine Kindheit. Und jedes Mal ergriff ihn eine Traurigkeit, die absolut und umfassend zu sein schien - als könne kein Kummer der Welt ihn noch einmal so heftig treffen. Diese Traurigkeit legte sich wie ein grauer Dämmer um seine alte Kindheitsvorstellung, dass er unsichtbar sei: die quälende Erinnerung daran, dass der Knabe Gutstav immerzu versucht hatte, sich ins Licht zu rücken, damit seine Mutti ihn besser sah. Aber sie hatte ihn nie wirklich gesehen. Sie hatte sich für die Person, die er war, im Grunde blind gestellt." (S. 214)
In die Vorschule geht Gustav gern. Dort lernt er eines Tages Anton Zwiebel kennen, der neu ist in der Klasse und gar nicht aufhören kann zu weinen. Aus Bern ist der Sohn wohlhabender jüdischer Eltern nach Matzlingen gekommen und muss sich nun in seinem neuen Leben zurechtfinden. Mit Gustav an seiner Seite fällt das nun ein kleines bisschen leichter. Denn der hat von Anfang an das Gefühl, Anton beschützen zu müssen. Den kleinen Anton, der in der Welt nie so recht zu Hause zu sein scheint, der Klavier spielt und als Wunderkind gilt, der von seinen Eltern sehr gefördert wird und der für selbstverständlich hält, dass er meist bekommt, was er will.
Trotz der Gegensätze ihrer Herkunft und obwohl Emilie die Freundschaft zwischen Gustav und Anton im Grunde nicht gutheißt - denn war es nicht die Gutherzigkeit von Gustavs Vater, seine Judenfreundlichkeit während des Zweiten Weltkrieges, die ihn letztlich sein Leben kostete? - verlieren sich die beiden Kinder nicht aus den Augen. Gustav lernt durch Anton das Schöne im Leben kennen, eine Ahnung davon, wie es auch sein könnte. Nur eben nicht für ihn...
Zwei Leben in Fragmenten, so könnte man den Aufbau des Romans vielleicht beschreiben. Im ersten langen Abschnitt lernt der Leser die beiden Kinder kennen, ihre beginnende Freundschaft, die Gegensätze ihrer beider Leben, die Ungerechtigkeiten, die vor allem Gustav widerfahren, und leidet mit dem Jungen die hartherzig anmutende Kälte der Mutter. Der zweite Abschnitt katapultiert einen dann in eine Rückblende hinein, die sich mit Emilies Geschichte beschäftigt, wie sie Gustavs Vater kennenlernt und wie sich ihr Leben unter dem schweren Eindruck des Zweiten Weltkriegs zum Unerwarteten verändert. Und im dritten und letzten langen Abschnitt erfährt die Geschichte einen erneuten Zeitsprung: Gustav und Anton sind nun alt, ihr Leben tritt in die letzte Phase ein, und Sehnüchte blieben ungesagt.
"Er wusste tatsächlich nicht, ob er die Mahler-Symphonie mit ihrem herzzereißenden zweiten Satz durchstehen würde, denn er konnte ihn nie hören, ohne an Viscontis Verfilmung von Thomas Manns 'Tod in Venedig' zu denken. Die Leidensgeschichte der Hauptperson Aschenbach war ihm immer wie eine extreme Variante seiner eigenen erschienen. Thomas Mann hatte sehr genau begriffen, dass eine unerfüllte heimliche Leidenschaft zwangsläufig zum körperlichen Zusammenbruch führt und, mit der Zeit, zum Tod. Gustav fragte sich lediglich, wo und wann der Tod wohl ihn selbst erwartete." (S. 294)
Die eher distanzierte Art des Schreibens gefiel mir ausgesprochen gut - Andeutungen reichen hier oft, um die mitschwingenden Emotionen zu transportieren. Für mich mussten die gar nicht ausgeschrieben werden - denn ähnliche Situationen sind einem selbst oftmals bekannt und die Gefühle dazu abgespeichert. So kann der Leser beispielsweise stellvertretend für Gustav empört sein über das oft so lieblos anmutende Verhalten der Mutter. Denn auch wenn da beispielsweise nur kurz geschildert wird, dass Gustav seine Mutter lieber nicht in den Arm nimmt, weil sie eigentlich nur ihre Zigaretten und den Schnaps will - wer ahnt denn nicht zumindest, wie das Kind sich dabei fühlen muss?
Ein melancholischer, leiser Ton herrscht hier, der die Einsamkeit der beiden Hauptcharaktere messerscharf herausstanzt und einem beim Lesen unter die Haut kriecht. Dennoch empfand ich es nicht als Lektüre, die mich deprimierte, sondern als eine Erzählung, die mich letztlich mit einem Lächeln entließ. Ein wirklich besonderer Roman, der Liebhabern solcher Geschichten ans Herz gelegt werden kann.
© Parden
Der Verlag Suhrkamp und Insel schreibt über die Autorin:
Rose Tremain wurde 1943 geboren und wuchs in London auf. Sie studierte ein Jahr lang an der Pariser Sorbonne, ging zurück in ihre Heimat und begann ein Anglistikstudium an der University of East Anglia in Norwich, das sie 1967 abschloss. Dort lehrte sie später von 1988-1995 als Dozentin creative writing. Vorher war sie Lehrerin an einer Privatschule für Jungen. Rose Tremain veröffentlichte Romane, Kurzgeschichten, schrieb aber auch für Film, Funk und Fernsehen. Ihr Roman Zeit der Sinnlichkeit wurde 1995 mit Robert Downey Jr., Hugh Grant und Meg Ryan verfilmt (Restoration). Ihr Roman The Road Home, der im Suhrkamp Verlag unter dem Titel Der weite Weg nach Hause erschien, wurde 2008 mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Tremain lebt mit ihrem Lebenspartner, dem Biographen Richard Holmes, in London und Norwich. Ihr Werk erscheint auf Deutsch im Suhrkamp und Insel Verlag.
► übernommen vom Verlag Suhrkamp und Insel
Außerdem auf der Verlagsseite zu erfahren:
Die Idee mit den filmischen Erklärungen werde ich wohl ab und zu aufgreifen.
AntwortenLöschenJa, das gefällt mir zwischendurch auch immer gut! ☺
LöschenLiebe Anne,
AntwortenLöschenwerde deine Rezension später lesen, habe den Roman auch noch da liegen und freue mich schon darauf ihn zu lesen.
liebe Grüße, Tina
Liebe Tina,
Löschenda wünsche ich Dir viel Vergnügen mit dem Buch. Ich bin sehr gespannt auf Deine Meinung!
Liebe Grüße, Anne