Sonntag, 4. September 2016

Leon, Donna: Venezianisches Finale (BR1)


 Dies ist der erste Fall des Commissarios Brunetti. 

Es ist das Jahr 1992. Donna Leon, US-Amerikanerin, die in Venedig lebt, hat sich eine Romanfigur ausgedacht. Sie nennt sie Guido Brunetti, macht ihn zum Commissario in der Questura Venedigs. Sie umgibt mit Paola, seiner Frau und mit Nachwuchs. Chiara ist dreizehn , ihr Bruder Raffaele ist fünfzehn Jahre alt.  Obwohl diese Informationen nicht allzu wichtig sind, merken wir sie uns für die Zukunft.  Alles Schreiben hat einen Anfang.

Im Teatro la Fenice tritt ab dem dritten Akt von La Traviata, der großen Oper von G. Verdi ein anderer Dirigent an. Maestro Wellauer, ein über ziebzigjähriger weltberühmter deutscher Dirigent hat das Pult verlassen. In seiner Garderobe richt es nach bitteren Mandeln. Zyankali? Zyankali! Mord? - Brunetti und die Beamten Miota und Alvise nehmen die Ermittlungen auf. Sie treffen vor allem auf

  • Signora Wellauer, die dreißig Jahre jüngere Ehefrau
  • Flavia Petrelli, gefeierte Sopranistin
  • Brett Lynch, Amerikanerin und Archäologin, Freundin der Petrelli und natürlich jede Menge Theaterleute.
Der Maestro hat eine illustre Vergangenheit. Seine Kariere begann bereits in den dreißiger Jahren in Deutschland. Aber hat seine relative Nähe zum Führer etwas mit seinem Tod zu tun? Oder seine Abneigung gegenüber homosexuellen Sängerinnen, Sängern und anderen Musikern? Oder hat der Maestro noch andere Vorlieben? Wieso war die Petrelli in seiner Garderobe und die Ehefrau auch nicht weit?

Brunetti stochert vorerst im Nebel. Der Leser wird später feststellen, der Commissario bedient sich, typisch italienisch (?) allerlei sonstiger Personen zum ermitteln. Zum Beispiel seine Frau. Die vermittelt einen Studienkollegen, der eine Menge Klatsch weiß. Und nicht schlecht schlucken kann. Wisky. Guido kennt da auch noch einen, dessen Vater ebefalls manches zur Person Wellauers beitragen kann.

Die Entscheidung des Commissarios am Ende dieser ersten Geschichte ist, sagen wir, italienisch. Menschlich. Verständlich.

* * *
"Bei einer Männer-Tombola wäre er ein echter Hauptgewinn: Er sieht gut aus, ist intelligent und humorvoll, warmherzig und unbestechlich, er hat einen nachsichtigen Blick auf die Welt und diese edle, melancholische Aura, die Frauen unwiderstehlich finden.

Erfreulicherweise ist der Mann Italiener und deshalb irdischen Wonnen sehr zugetan: Er ißt und trinkt gern - Huhn mit Artischocken, frische Pfirsiche, Wein und Grappa -, er zankt sich mit seinen heftig pubertierenden Kindern und liebt seine Frau Paola auch nach 17 Jahren Ehe mit großer Zärtlichkeit und regelmäßig.

Er kann aber auch richtig sauer werden, etwa angesichts der Touristenmassen, die das ganze Jahr über seine Stadt bevölkern und gelegentlich sogar seine Ermittlungen behindern: Guido Brunetti ist Commissario della Polizia in Venedig." [1]

Wie kam Donna Leon zu diesem Helden? "Er stieg aus dem Boot und war da." [2] 

"Er war ein überraschend gepflegter Mann: seine Krawatte war sogfältig gebunden, das Haar kürzer als derzeit Mode, und selbst seine Ohren lagen eng am Kopf, als wollten sie nur ja nicht auffallen. Die kleidung wies ihn eindeutig als Italiener aus. Der Akzent war unverkennbar venezianisch. Sein Blick war ganz der eines Polizeibeamten." (Seite 15)

Und wie kam sie zu dieser Geschichte? Anekdote: Sie war mit einem Freund im Theater, der anschließend den Dirigenten hätte umbringen mögen. Sie meinte nur: "Ich mach´s für dich, aber in einem Roman." Außerdem hatte sie auch Klatsch über  Herbert von Karajan gehört. [3]  So etwas war schon einmal da. Das kann man hier nachlesen.


Donna Leon liebt diese Stadt. Und sie beobachtet genau. Das schreibt sie natürlich auch in ihre Bücher: "In diesen Stunden [nachts] war die Stadt für Brunetti am schönsten, denn gerade dann konnte er, der durch und durch Venezianer war, etwas von ihrer früheren Pracht erahnen. Die dunkelheit verbarg das Moos, dass über die Stufen der Palazzi entlang des Canale Grande herauf kroch, macht die Risse in Kirchenmauern unsichtbar und deckte die Stellen zu, wo der Putz von öffentlichen Gebäuden blätterte. Wie so viele Frauen in gewissem Alter konnte die Stadt nur mit Hilfe trügerischen Lichts ihre verschwundene Schönheit wiedererlangen. Ein Boot, das am Tage schlicht eine Ladung Seifenpulver und Kohl transportierte, wurde bei Nacht zu einem mysterösen Gefährt, das einem geheimnisvollen Ziel entgegenglitt. Der Nebel, der in diesen Wintertagen so häufig war, verwandelte Menschen und Dinge; selbst kanghaarige Teenager, die an einer Gassenecke herumhingen und sich eine Zigarette teilten, wurden zu geheimnisvollen Phantomen aus der Vergangenheit." (Seite 47/48)


A propos Teenager. Chiara will endlich einen Computer. Ob da wohl der Opa einspringen muss, Vater ihrer Mutter und steinreicher Conte, der "im Finanzgeschäft" war? Raffaele zeigt sich gerade proletarisch. Er will nicht zur Schule. Da würde man nur systemkonform beeinflusst. Aber die ganze Familie spielt Monopoli. Der Mathestar Chiara geht pleite, Raffaele, Raffi, mausert sich zum Erzkapitalisten und die Paola beklaut ihre Tochter, die Bank, ihren Gatten, den Commissario dabei strahlend anlächelnd.  Es ist ein Genuss, dies zu lesen und wohl kaum eine Roman- oder TV-Ermittler "gibt" soviel Einblick in seine, ausnahmsweise mal "normalen" Familienverhältnisse.


Figuren / Darsteller

Auf dem Bild sehen wir oben links die Familie Brunetti mit Julia Jäger, Uwe Kockisch, Laura-Charlotte Syniawa und Patrick Diemling. rechts unten, die Besetzung der Folgen 1 bis 4: Joachim Król und Barbara Auer. Außerdem zu sehen Annett Renneberg als Signorina Elettra und Michael Degen als Vice-Questore Patta. Über Patta und Elettra wird noch zu berichten sein. Mir persönlich gefällt Kockisch in der Rolle des Brunetti besser als Król. Aber beide entsprechen nicht genau dem oben gezeichneten Bild des Helden. Das betrifft zumindest die Krawatte.






Sein letztes Konzert: Was war in dem Kaffee? Da liegt Maestro Wellauer. Wurde er ermordet?



Vice Questore Patta, Commissario Brunette und Signorina Elettra. Es fehlt Sergente Vianello. In fünften Film darf er zwar nicht fehlen, aber im ersten Band spielt die Figur noch gar nicht mit.



Abendstimmung in Venedig. Aktenstudium auf venezianisch. We sitzt in diesem Flugzeug?


Ich mach dann hier erst einmal Schluss. Schließlich muss ich mir bei 25 Bänden diverse spezifische Dinge einteilen. Fall 2 ist bereits in Arbeit.


© KaratekaDD


Quellen & Abbildungen



  • [1] Mord in Venedig. In Der Spiegel. 27.05.1996 /  http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8929321.html; 13.08.2016, 16:00 Uhr
  • [2] ebenda 
  • [3]  vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Venezianisches_Finale; 13.08.2016, 16:30 Uhr

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