Samstag, 12. November 2016

Wittenfeld, Uwe: Mauerzwillinge

"Die beiden Schaufelräder erzeugten nur ein
leichtes Plätschern, so dass an Bord des 126
Jahre alten Raddampfers nur die Gespräche
der Touristen zu hören waren, die sich an diesem
sonnigen Tag fast alle auf dem Oberdeck
drängten. Der Dampfer glitt aus dem Schatten
des Blauen Wunders, einer Brücke, die seit
117 Jahre die Dresdner Stadtteile Loschwitz
und Blasewitz verbindet, als die Idylle schlagartig
mit einem dumpfen Schlag zerstört
wurde. Eine Frau lag tot in einer Blutlache auf
dem Dach des Vorderdecksalons. Bei einer
Fallhöhe von weniger als fünf Metern sicherlich
ein ungewöhnlicher Ort für einen Suizid." (Seite 5)


Das ist wohl wahr. Da muss man sich schon das Genick brechen um so zu Tode zu kommen. Tief im Westen ruft Karl seinen Freund Hugo an: "Die Trixi ist tot!" Mit der war er einige Jahre verbandelt. Hugo ist ein waschechter "Ruhri" - wie der Autor dieses Romans, Uwe Wittenfeld, dem der gerade schreibende Blogger auf der diesjährigen Schriftgut begegnete. Wie kommt einer aus dem Ruhrpott an die Elbe?



© URDD


"Warum Dresden? Ich habe Dresden kurz nach dem Mauerfall auf einer Dienstreise kennengelernt und war schon damals fasziniert, auch wenn der größte Teil der Frauenkirche noch in nummerierten Einzelteilen in einem Stahlregal lag. Mittlerweile vergeht kein Jahr ohne mehrere längere Aufenthalte. Welche Stadt wäre besser als Handlungsort für das Thema dieses Romans geeignet."(Quelle)



Der Autor am Tatort (Quelle)



So schreibt er auf seiner Webseite. Die Dresden-Affinität merkt man dem Buch sehr deutlich an, da haben sich nur wenige klitzekleine Fehlerchen eingeschlichen**. Seine Vorlieben hat er gleich mit verarbeitet. Mazda MX5 fahren und Straßenbahnen. Den MX 5 fährt Hugo, die Straßenbahnen hat der Karl im Blick. Die Trixi hat eine Zwillingsschwester namens Jenny und die zieht nun zum Ermitteln mit den beiden los. Die beiden Frauen sind die "Mauerzwillinge". Ihre Eltern wollten 1975 die DDR über Saßnitz - Schweden verlassen, nur dem Vater scheint das gelungen zu sein. Die Mädchen landeten bei Adoptiveltern, die Mutter auf Schloss Hoheneck. Aber wer steckt nun hinter dem wahrscheinlichen Mord an der Trixi Schmidt? Wer zieht hier die Fäden? Selber lesen macht schlau...




© URDD

Ein "Wessi" (ich nehme den Begriff nur, weil Uwe Wittenfeld damit auch nicht sparsam ist) schreibt einen DDR-Roman. Aber warum nicht? Er beschreibt Dresden geradezu liebevoll, genau wie seine Heimat. Also ich wusste nicht, dass man dort für ein Volksfest auf 60 km die BAB 40 sperrt, damit man mal Fahrrad auf einer Autobahn fahren kann. Und die Bergbau-Industriedenkmäler werde ich wohl auch mal besuchen müssen, voran natürlich die Zeche Zollverein. Baukritisch ist der Autor selbst auch, die Bauhaus-Architekten, die diese wundervollen Industriebauten da im Ruhrgebiet hinstellten, hätten beim Industreibau bleiben und nicht damit beginnen sollen, die Leute in, auf immer höher gestapelten Betonwürfeln zu pferchen. 



Bezeichnende Darstellung auf der Webseite


Wenn die Handlung bis in das Jahr 1975 zurückreicht, dann ist der "Wenderoman" vielleicht auch schon ein sehr geschichtsträchtiger. Einer mit Stasi, CIA, Republikflucht, Computerhackerei, mit Mord und Totschlag und vor allem ein paar liebenswerten originellen Romanfiguren. Eigentlich fasse ich Wenderomane nicht so gern an, aber unser Gespräch (Tellkamp / Der Turm) auf der kleinen und feinen Dresdner Büchermesse Anfang November 2016 machte mich neugierig. Entäuscht wurde ich nicht. Wieder ein Buch, welches der Dresdner Bücherjunge gern gelesen hat und auf dem gleichnamigen Blog mit vorstellen wird.

Eine der zwar nicht handlungsbestimmenden aber gleichwohl sehr interessanten Aussagen ist die gleich folgende, die der Autor aber selbst wiederlegt. Er schreibt nämlich des öfteren vom guten Essen, welches irgendwie immer in Menüform daherkommt und gelegentlich unverkennbare sächsische Zutaten aufweist: Mit einem Blick auf die Gemüse und Obststände in Barcelona lässt er den Hugo an zu Hause denkend sagen: "Ich werde bedauern, in einem Land zu leben, in dem die eigentliche Aufgabe des Essens hauptsächlich als preiswerte Energiezufuhr gesehen wird." (Seite 328) Das muss man wohl bestätigen. Allerdings ist Eierschecke zwar ein ursächsischer Quarkkuchen als Torte oder auf dem Blech, es ist aber nicht wahr, dass dieser so oft nach dem Essen verspeist wird. Dafür aber weiß ich jetzt auch, wo ich mal eine "ruhrige" Bratwurst essen muss.

Endlich mal wieder ein Roman, der mit der geteilten und der gemeinsamen deutschen Geschichte so umgeht, dass sich Ost und West auf Augenhöhe begegnen.

Uwe Wittenfeld hat auch noch den Roman Ruhrzaster geschrieben, mal sehen, was der Diplom-Ingenieur und Diplomsozialpädagoge mit Straßenbahnfimmel, zukünftig noch so verzapft, greuft man zu, greift man auf jedenfall nicht daneben.

Ein Tipp an den Autor: Besucht doch mal das Kulturkraftwerk Mitte.


© Bücherjunge


*PS: 
  • Ein Hauptmann im MfS dürfte nicht ganz so vielseitig eingesetzt wurden sein, wie hier beschrieben, der war mit diesem Dienstgrad eher ein kleines Licht und vor allem nicht "fachübergreifend" tätig. Denke ich. Übrigens kenn ich "Guck und Greif" eher als "Horch und Guck". Aber das ist regional vielleicht unterschiedlich.
  • Die Regale mit den Trümmersteinen der Frauenkirche wurden erst Mitte der neunziger Jahre aufgestellt.
  • Nicht jeder Sachse isst nach opulentem Mal immer Eierschecke, gleichwohl mag er diesen Kuchen
  • Sächsische Kartoffelsuppe und Sauerbraten mit Rotkohl haben wirklich Tradition, das stimmt.
  • Als "Dubceks letzte Rache" bezeichneten wir allerdings früher die Tatra-Straßenbahnen, weil die so schwer waren, dass die Gleise später unter dem Niveau der Straßenbelags lagen.
  • Der Kulturpalast mag zwar einem Wessi hässlich erscheinen, er fügte sich aber gut in das Nachkriegsstraßenbild und die Bebauung ein. Um den riesigen und äußerst vielseitigen Saal ist es sehr schade. Das wird von vielen Dresdnern bedauert. 
  • Der Vergleich des Kulturpalastes mit "Erichs Lampenladen" in Berlin hinkt. Auch dieser Palast war in seiner Vielseitigkeit einzigartig, ob das nun entstehende Gebäude mit Schlossfassade ein wirklich guter Ersatz ist, werden wir sehen. Auf dem Wort Ersatz würde ich aber bestehen bleiben.
  • Gleichwohl sind wir Dresdner wohl alle auf das "Kulturkraftwerk Mitte" und die neue Operette gespannt.
  • Das Dresden den Weltkulturerbe-Titel verlor, liegt nicht an der Waldschlößchenbrücke, deren zukünftiger Standort schon feststand, als die Titelvergabe gerade erst diskutiert wurde. Der Titel beinhaltete nämlich bereits den Brückenstandort. Das der Oberbürgermeister hier nicht umfiel, ist wichtiger als der Titel.




2 Kommentare:

  1. Ruhrpott meets Dresden? Vergleichbares sollte doch auch anderweitig mal zu realisieren sein... ;) Schöne Bebilderung Deiner Buchbesprechung!

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  2. Neuer Kontakt aus den Ruhrpott. Und eine büchersendung.

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