Künstliche Intelligenz - ein Thema, das die Menschen schon lange beschäftigt, das aber immer noch nach Zukunftsmusik klingt. Doch ist das wirklich so? Liest oder schaut man entsprechende wissenschaftliche Beiträge, kann einem schon ganz anders werden - so weit weg ist das alles nicht mehr...
Bei Wikipedia ist zu lesen, dass McEwan es mag, "gewöhnliche Menschen mit ungewöhnlichen Situationen zu konfrontieren,
und (dabei) im Leser die Ahnung von
unmittelbar bevorstehenden Katastrophen zu wecken". Dieser Roman bestätigt diese Behauptung und verwebt dabei noch interessante Zeitfragen und philosophische Betrachtungen mit der Handlung. Eine anspruchsvolle Mischung also. Ob sie gelungen ist? Lest selbst:
Inhalt: (Quelle: Diogenes Verlag)
Charlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine
clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie
verlieben sich, gerade als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt,
einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt
es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken,
leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen
Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ - BEDROHUNG ODER CHANCE?
Quelle: Pixabay |
London, 1982: Großbritannien hat
gerade den Falkland-Krieg verloren, und dank der Forschung von Alan
Turing gibt es Anfang der achtziger Jahre schon Internet, Handys und
selbstfahrende Autos - und die ersten täuschend echten künstlichen
Menschen. Charlie, ein sympathischer Lebenskünstler Anfang dreißig, ist
seit seiner Kindheit von künstlicher Intelligenz fasziniert, Turing ist
sein Idol. Auch wenn es ihn ein kleines Vermögen kostet, kauft er sich
sofort einen der ersten Androiden, die auf den Markt kommen. Charlie
wünscht sich einen Freund, einen Helfer, einen interessanten
Gesprächspartner. Er erhält viel mehr als das: einen Rivalen um die
Liebe der schönen Miranda und eine moralische Herausforderung, die ihn
bis zum Äußersten reizt.
Charlie
hätte eigentlich lieber eine 'Eve' gehabt, aber die waren schon
ausverkauft. Doch auch der 'Adam' verspricht eine gehörige Veränderung
in seinem Leben, das bislang von wenig konstanten Berufs- und
Liebeserfahrungen geprägt ist. Mit seinen gerade einmal dreißig Jahren
hat Charlie seinen Weg noch nicht so recht gefunden, ist aber heimlich
in seine Nachbarin Miranda verliebt. Charlie erhofft sich, dass sich die
Beziehung zu Miranda positiv entwickelt, wenn er sie in das Abenteuer
'Adam' mit einbezieht. Gemeinsam programmieren sie daher die letzten
gewünschten Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen des Androiden,
bevor dieser tatsächlich an den Start geht.
Zu
Beginn ahnt Charlie nur, welch ein Potential in Adam steckt, doch nach
und nach zeigt sich das Spektrum, bei dem der Androide brilliert. Nachts
wird er an das Stromnetz angeschlossen, das gleichzeitig den Zugang zum
Internet ermöglicht - und in einem schlafähnlichen Zustand versorgt
sich Adam so nicht nur mit der notwendigen Energie, sondern auch mit
immer mehr Informationen. Sein neuronales Netz verzweigt und verknüpft
sich zunehmend, und bald schon hat er auch sein Verhalten so angepasst,
dass er von einem Menschen kaum noch zu unterscheiden ist. Als sich Adam
dann auch noch in Miranda verliebt, sieht Charlie größere Probleme auf
sich zukommen.
Natürlich
beschränkt Ian McEwan das Geschehen nicht allein auf die Triangularität
der Liebesbeziehungen. Dies ist nur ein kleiner Aspekt der Themen, die
hier einfließen. Er präsentiert die Möglichkeiten, die eine gut
entwickelte künstliche Intelligenz bietet - aber eben auch die damit
verbundenen Schwierigkeiten, womöglich gar Gefahren. Denn deutlich wird
rasch: Adam ist Charlie hinsichtlich Intelligenz und Kraft bald schon
weit überlegen.
Ein
besonderes Dilemma bietet bei der Erzählung die Emotionalität. Während
Charlie und Miranda in ihrem Handeln und ihren Entscheidungen oftmals
(menschlich eben) von ihren Emotionen und einer gewissen
Moralvorstellung beeinflusst werden, orientiert sich Adam rein rational.
Richtig ist richtig und falsch ist falsch, und dazwischen gibt es
nichts. Mögliche Konsequenzen erkennt der Androide zwar, aber diese
beeinflussen - wie auch immer sie ausfallen - seine Entscheidungen
nicht. Das Zusammenleben der drei gerät durch diese Unterschiedlichkeit
doch einige Male in gehörige Schieflage.
McEwan
gelingt es, dass der Leser Charlie in seinen Empfindungen Adam
gegenüber sehr empathisch folgt. Anfangs gleichermaßen fasziniert wie
befremdet, schleicht sich allmählich das Gefühl einer möglichen
Bedrohung ein. Wenn die künstliche Intelligenz wie bei Adam so rasant an
Wissen und Können hinzugewinnt und bald schon alle menschlichen
Möglichkeiten übersteigt - wird der Mensch dann nicht überflüssig? Und
dann kommt ein Moment des Staunens und des Innehaltens - gefolgt von
einem Gefühl von Wehmut und Nachdenklichkeit. Die Erzählung entwickelte
sich jedenfalls eindeutig anders als ich es vorher erwartet hatte -
grandios.
Der
Autor hat hier eine dystopische Science Fiction in die Vergangenheit
katapultiert, nämlich ins Jahr 1982. Dadurch kommt dem Leser vieles
bekannt vor, durch die veränderte historische Entwicklung, die McEwan
hier aber präsentiert, gleichzeitig auch wieder nicht. Alan Turing
beispielsweise, der seinerzeit einen großen Teil der theoretischen
Grundlagen für die moderne Informations- und Computertechnologie schuf,
dann aber aufgrund einer chemischen Kastrierung wegen seiner
Homosexualität in Depressionen verfiel und sich 1954 schließlich
umbrachte, wird von McEwan als wichtigster Entwickler der künstlichen
Intelligenz ins Jahr 1982 transportiert und gesteht ihm immer wieder
einmal einen Auftritt zu.
"Von
einem gewissen Standpunkt aus gesehen besteht die einzige Möglichkeit,
dem Leiden ein Ende zu setzen, in der kompletten Auslöschung der
Menschheit." (S. 95 f.)
Neben
dem spannenden Experiment KI beschäftigt sich der Autor - zuweilen doch
recht essayhaft - mit moralisch-philosophischen Fragestellungen, die
sich bei der Beschäftigung mit dem Thema KI fast zwangsläufig
aufdrängen. Was macht einen Menschen zum Menschen, wo ist die Grenze
Mensch-Maschine anzusiedeln beim Thema KI, ist der Mensch irgendwann
einmal überflüssig und wird durch seine eigene Erfindung abgeschafft,
was ist richtig und was ist falsch, kann man Lügen lernen, kann ein
künstlicher Mensch Emotionen empfinden u.v.m.? Spannende Fragen, mit
denen der Autor auch für den Leser reichlich Denkanstöße bereithält.
Gleichzeitig
lässt McEwan durch die Verlegung der Erzählung in die Vergangenheit
auch viele gesellschaftskritische Elemente einfließen. Die
Thatcher-Regierung, der Falkland-Krieg, die mögliche Abspaltung
Großbritanniens von Europa - viele auch aktuell kritische Bezüge, die
das ganze für mich zuweilen ein wenig überladen wirken ließen, McEwan
aber offensichtlich ein großes Anliegen waren. Manche
Passagen in dem Roman waren mir persönlich auch zu
technik-/wissenschaftslastig, da ich mich mit der Materie KI ansonsten
nicht beschäftige.
Alles
in allem ein beeindruckender Roman mit viel Stoff zum Nachdenken. Hier
schlägt man nicht das Buch zu und gut ist - hier hallt etwas nach. Viele
Fragen werden aufgeworfen - moralisch, ethisch, gesellschaftlich -, auf die es keine wirklichen Antworten gibt. Und das macht unruhig...
McEwan hat mit diesem Roman einmal mehr sein großes Können gezeigt!
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
- Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (22. Mai 2019)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Bernhard Robben
- ISBN-10: 3257070683
- ISBN-13: 978-3257070682
Informationen zum Autor: (Quelle: Diogenes Verlag)
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998
erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der
Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ›Abbitte‹ ist jeder
seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von ›Am Strand‹
(mit Saoirse Ronan) und ›Kindeswohl‹ (mit Emma Thompson) in die Kinos.
Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal
Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.
Da kann ich demnächst mit HELIX von Marc Elsberg etwas beisteuern.
AntwortenLöschenSo, beigesteuert.
LöschenDas Thema ist natürlich aktuell und wird von verschiedenen Autoren ganz unterschiedlich angegangen...
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