Donnerstag, 2. Januar 2014

GÜNTHER, Ralf: Der Leibarzt


Die erste SECTIO CAESARE in ELBFLORENZ?
auch unter buchgesichter.de am 02.01.2014

Bereits 2001 kam der historische Roman DER LEIBARZT des in Dresden lebenden Schriftstellers und Drehbuchautors Ralf Günther heraus. Um wen geht es? Um den sächsisch - königlichen Hofmedizinalrates Carl Gustav CARUS.

Mir begegnete der Namensgeber der Medizinischen Akademie Dresden, kurz MEDAK genannt, obwohl die als Universitätsklinikum zur Technischen Universität zählt, in den letzten Monaten öfter. Einmal wäre da der Roman FLÜGEL DER MORGENRÖTE von Kurt Arnold Findeisen zu nennen. Schon in diesem wurde CARUS in Verbindung mit seinem Freund Ludwig TIECK und dem Maler Caspar David FRIEDRICH genannt
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Inhalt. 
Die Aktrice, so nannte man früher die Schauspielerinnen, Friederike Mathilde BERNSTEIN [1] wird während einer illustren Zusammenkunft beim ehemaligen Hofdramaturgen Johann Ludwig TIECK, plötzlich ohnmächtig. Der soeben eingetroffene königliche Leibarzt und Leiter der Entbindungsanstalt CARUS stellt natürlich fest, das Fräullein ist in besonderen Umständen. Diese stellen sich zum Beispiel so dar, dass sie ihren schwangeren Leib schwer eingebunden hat um die Schwangerschaft zu verbergen. Aha. Währen einer Untersuchung im Institut bittet die Schauspielerin ihn, sie von dem Kinde auf "geeignete" Art und Weise zu befreien.[2]


Quelle
CARUS stellt bei der jungen Actrice einen sehr großen Kopf des Kindes fest und fürchtet Komplikationen. Er experimentiert mit Säuen, die er einem Kaiserschnitt unterzieht und danach Sau und Ferkel beobachtet.
 
Etwas später unternimmt die junge Frau einen Selbstmordversuch in der Theatergarderobe. Sie verliert soviel Blut, dass die Hochschwangere in das Entbindungsinstitut gebracht wird. CARUS entschließt sich unter Beisein seines Freundes TIECK und dreier französischer Ärzte zum Kaiserschnitt, da er noch Herztöne des Kindes zu hören glaubt. Somit nimmt das Unheil seinen Lauf…

Etwas später wird die Schauspielerin als Wasserleiche aus der Elbe geborgen. Jedoch ist die Leiche schwer misshandelt wurden. Ein Kaiserschnitt ist nicht mehr festzustellen. Der König beauftragt seinen Medizinalhofrat mit den Ermittlungen, damit das Königshaus entlastet wird… CARUS befindet sich in schweren Gewissensnöten… Als er glaubt, den Schuldigen gefunden zu haben, kommt dann doch alles ganz anders…

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Eine fiktive Geschichte und spannende Geschichte mit interessanten medizinischen Details hat Ralf Günther geschrieben. Die handelnden Personen sind nahezu alle auch historische Personen. Die Handlung ist erfunden. Sie scheint in Teilen auch weniger glaubwürdig. Der dichtende Freund TIECK erweist sich als ziemlich gewissenlos und intrigant. Nun, Gewissenlosigkeit und Intrigantentum sind wohl an einem Fürstenhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich, aber hier führt das zu kaum zu glaubenden Verwicklungen. Aber ich möchte nicht allzu viel verraten.  

In einem Artikel des HAMBURGER Abendblattes, welches den Roman vor 10 Jahren bereits abdruckte, kann man folgendes lesen:

"Vor allem die freie Art, mit der er [Ralf Günther] Carl Gustav Carus zum Protagonisten einer erfundenen Handlung macht, hat nach Erscheinen des Buches im Frühjahr in Dresden für Stirnrunzeln gesorgt. Und überhaupt - darf ein aus dem Westen Zugereister denn eine solche Geschichte schreiben?" [3]

Naja, der letzte Satz ist natürlich albern, wobei sich die Dresdner ungern belehren lassen. Ich muss das wissen, ich bin einer der unbelehrbaren Dresdner, der auf seine Stadt nichts kommen lässt und der zum Beispiel mit der UNESCO in einem bestimmte Fall auch nicht einverstanden war.

Aber ein wenig Stirnrunzeln gab es bei mir auch. Im selbigen Artikel ist auch die Rede von davon, dass der 1993 in Elbflorenz ansässig gewordene Autor eine Magisterarbeit zum Theatermilieu des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Nun, das passt ja schon mal.

"Später war ihm dann dieser in Dresden bis heute hoch verehrte Carus aufgefallen, eine Figur, die ihn immer mehr faszinierte: ein Arzt, der zugleich Intellektueller war, ein stolzer Bürger, der dennoch dem König als Hofarzt diente, ein Maler, der zum Kreis um Caspar David Friedrich gehörte, der medizinische und philosophische Abhandlungen schrieb, der regelmäßig Tagebuch führte und das Wichtigste dann doch verschwieg. Zum Beispiel, wie er es fertig gebracht und was er dabei empfunden hat, seine Lieblingstochter einen Tag nach ihrem frühen Tod eigenhändig zu sezieren. 

 

Günther hat die Schriften des Gelehrten gelesen, sich mit medizinhistorischen Details vertraut gemacht, seine Gemälde betrachtet, die Schauplätze seines Lebens besucht. Eine widersprüchliche Persönlichkeit sei er gewesen, vielfältig begabt, aber dennoch auf allen Gebieten nur zu durchschnittlichen Leistungen fähig, sagt Ralf Günther, der sich sein eigenes Bild von Carus gemacht hat. Dazu gehört auch die Liebe des Arztes zu der attraktiven Ida von Lüttichau, der Gattin des Intendanten des Hoftheaters. Ist das wahr oder ebenso erfunden wie die Affäre um den gewaltsamen Tod der Hofschauspielerin Bernstein, in die sogar ein Mitglied der königlichen Familie verstrickt sein soll?

„Wenn es einen Konflikt zwischen historisch Verbürgtem und dem gegeben hat, was für einen spannenden Plot notwendig ist, habe ich mich für die spannendere Variante entschieden“, sagt Ralf Günther und fügt dann hinzu: „Zwischen Carus und Ida von Lüttichau hat es aber tatsächlich etwas gegeben.“ Später, beim Spaziergang über den Trinitatisfriedhof, bleibt er vor dem gepflegten Grab des Arztes stehen und zeigt auf die verwilderte Gruft gleich daneben. Die Schrift auf dem verwitterten Stein ist kaum noch zu erkennen. „Dort liegt Ida von Lüttichau, Carus hat sich direkt neben ihr beisetzen lassen.“ " 
[4]

Ein spannender Plot ist es auf jeden Fall. Wenn auch der Krimi überwiegt, was der geneigte Leser über den ehemaligen Leiter der Dresdner Hebammenschule erfährt, welche Konflikte gerade im 19. Jahrhundert (und auch viel später) zum Thema Schwangerschaftsabbruch bestehen und welche medizinischen Kenntnisse zur damaligen Zeit erfahren kann, ist ebenfalls unbedingt wert, gelesen zu werden.

Was mich betrifft, so werde ich ganz bestimmt mal eine Biografie über Carus lesen.

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Das Buch ist also für Dresdenliebhaber natürlich zu empfehlen. Jeder Dresdner weiß mit dem Namen Carus etwas anzufangen und wenn es auch nur der Umstand ist, dass die MedAk nach ihm benannt ist. Manchem ist er auch als Maler bekannt. Wenn auch die Bilder seines Freundes Friedrich bekannter sind, so zählen beide neben anderen zu den großen bekannten deutschen Landschaftsmalern. Das ist doch auch schon mal ein Grund, sich mit Carus zu beschäftigen. Es gibt einen Kinofilm [5] von 1986 über Friedrich (Caspar David Friedrich - Grenzen der Zeit), in dem sein Leben und seine Arbeiten mittels anderer Figuren erzählt werden. Zum Beispiel eben seines Freundes Carl Gustav Carus. [6]

  
* * * 


Ralf Günther, der in Köln geborene und nun in Dresden lebende freie Schriftsteller schreibt Krimis, Kabarett-Texte, Hörspiel sowie Sach- und Kinderbücher. Der DIEB VON DRESDEN (2008) ist auch so ein Roman, der einen Krimi zur Zeit Napoleons in Dresden darstellt.

  • DNB / LIST / Berlin 2010 / ISBN: 978-3-548-60959-1 / 446 Seiten

© Bücherjunge (28.05.22)


[1] nein, diese ist allerdings keine historische Figur 
[2] Die geeignete Art und Weise würde in damaligen Zeiten bedeuten, dass der Schädel des Fötus geöffnet, das Hirn herausgesaugt wird, die Hirnschalen zusammengedrückt und dann der Fötus mittels geeigneter Instrumente aus dem Mutterleib gezogen wird. Die ► Sectio Caesera, der Kaiserschnitt, war zwar schon bekannt, führte aber in der Regel zum Tod der Mutter. 
[3] siehe Hamburger Abendblatt vom 09./10. Juni 2001,Seite 7; http://archiv.abendblatt.de/ha/2001/pdf/20010609.pdf/HAHA20010609lf000017.pdf 
[4] Ebenda; Der Autor hat also nicht nur frei Erfundenes miteinander verwoben. 
[5] wikipedia-Artikel zum Film: http://de.wikipedia.org/wiki/Caspar_David_Friedrich_%E2%80%93_Grenzen_der_Zeit 
[6] Der Regisseur des Films ist Peter Schamoni. Auch ein sehr guter "Kunstfilm" von ihm ist "Frühlingssinfonie" über das Leben und die liebe von Clara (Wieck) und Robert Schumann


5 Kommentare:

  1. Ich glaube, es wird allmählich Zeit, auch mal was zur Historie Dresdens zu lesen... Vielleicht nicht gerade dieses Buch... Aber ich habe da noch etwas anderes in petto. :)

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  2. Für irgendwelche amourösen Kontakte zwischen Carus und Ida v. Lüttichau kann ich weder in den vorliegenden Zeitzeugenberichten noch aus Idas Tagebüchern (Originale im Goethe-Schiller-Archiv Weimar) oder Briefen irgendwelche Hinweise finden. Vergleiche auch die von mir herausgegebene Dokumentation: "Wahrheit der Seele - Ida von Lüttichau".

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    1. Da werde ich bestimmt noch einmal drüber stolpern. Vielen Dank für die Bemerkung.

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    2. Ich habe mir die Dokumentation soeben auf den Rechner geladen. Das wird bestimmt interessant. Nochmals vielen Dank.

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