Auf den ersten Blick ist es die Kulisse für ein großes Abenteuer: das
traditionsreiche Internat mitten in Wien, umgeben von einem Park mit
Hügeln, Sportplätzen und einer historischen Grotte. Aber Till kann weder
mit dem Lehrstoff noch mit dem snobistischen Umfeld viel anfangen.
Seine Leidenschaft sind Computerspiele, konkret: das
Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2. Ohne dass jemand aus
seiner Umgebung davon wüsste, ist er mit fünfzehn eine
Online-Berühmtheit, der jüngste Top-10-Spieler der Welt. Nur: Wie real
ist so ein Glück? (Verlagsbeschreibung)
SCHÜLERLEBEN...
Sehr gespannt war ich auf den Gewinner des Deutschen Buchpreises aus dem Jahr 2023. Und zu Beginn war ich auch sehr angetan: kein sperriger Schreibstil, ein chronologischer und gut verständlicher Aufbau, Gedanken und Gefühle des Protagonsiten, die man nachvollziehen kann, gesellschaftskritische Seitenhiebe - mit anderen Worten: lesbar! Keine Selbstverständlichkeit für einen Buchpreisträger...
Es geht um das Schülerleben von Till, der nach der Volksschule in ein Wiener Eliteinternat wechselt, ohne wirklich zu denen zu gehören, die die traditionsreiche Schule üblicherweise besuchen: Töchter und Söhne von Ärzten, Anwälten, Politikern. Till fühlt sich von Beginn an nicht wirklich zugehörig, versucht sich unsichtbar zu machen, und hätte vielleicht auch Erfolg damit, wenn er nicht ausgerechnet an den strengsten und verknöchertsten Lehrer der alten Schule geraten wäre. Der Klassenlehrer lebt in alten Zeiten, hält alte Traditionen hoch und zeigt sich in allen Belangen äußerst engstirnig. Er wird auch nicht müde, die Fehler der Schüler vor der ganzen Klasse hervorzuheben, sie zu ständigem Fleiß anzuhalten und selbst die wenige Freizeit, die den Schülern bleibt, zu dominieren. Strafarbeiten, Zusatzstunden, überholte Lektüre - Alltag für die Schüler aus Tills Klasse.
Glücklicherweise findet Till einen Ausgleich zu diesem harten schulischen Alltag. Er liebt es, am PC zu sitzen und das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2 zu spielen. Er flüchtet in diese Welt, findet dort bald internationale Anerkennung und wird zur Online-Berühmtheit - ohne dass in seinem realen Umfeld irgendjemand etwas davon ahnt. Doch was hat er letztlich davon, der jüngste Top-10-Spieler der Welt zu sein?
Hier werden persönliche Belange wie die Schulzeit, die erste Liebe, der Verlust des Vaters oder auch die Pubertät beleuchtet - aber auch Themen aufgegriffen wie die nationalsozialistische Vergangenheit des Internats und bestimmter Wiener Kreise, Rassismus, patriarchalische Strukturen, das antiquierte Bildungssystem, Virtualität u.a.m. Schulpolitische wie gesellschaftskritische Seitenhiebe würzen die Einblicke in das alltägliche Leben von Till und haben mir gut gefallen:
"Das Besondere an Wien sind die Wahnsinnigen mit bürgerlicher Fassade, die weitgehend funktionieren, aber nie von hier wegziehen könnten, weil ihr menschenfeindliches Verhalten in keiner anderen Stadt so wenige Konsequenzen hätte. Menschen, die eben nicht außerhalb der Gesellschaft stehen, sondern in geschützten Bereichen mit beschränkter Haftung ihren Jobs nachgehen: in Magistraten, Privatschulen oder bei der Polizei, auch wenn sie psychisch prekäre Leben führen."
Eine Jugend zwischen Tradition und Gaming-Kultur - ein spannender Coming-of-Age-Roman? Leider letztendlich nicht. Nach einem durchaus interessanten Einstieg plätscherte das Geschehen für mein Empfinden doch zunehmend sehr vor sich hin, wiederholten sich ähnliche Szenen in der Klasse, wurde teilweise sehr ausführlich über das Strategiespiel berichtet, wozu ich eher weniger Zugang hatte, und auch Tills Leben verlief weitgehend wenig dramatisch. Treffend fand ich allerdings die Zeichnung der Charaktere, wobei ich mich in einigen wiedererkannte. So fühlte ich mich an die Jugend meines Sohnes erinnert - meine Gedanken zu seinem Spielverhalten fand ich im Buch wieder bei den Reaktionen der Mutter. Interessant fand ich, von der Perspektive des Jugendlichen demgegenüber zu lesen. Und selbst bei den Einstellungen des unangenehmen Klassenlehrers fand ich teilweise Parallelen zu mir selbst:
"Bei ihm ist keine Rede davon, englische Verben im Deutschen mit neuen Flexionsformen zu versehen, er wehrt sich schon gegen die Aufnahme von Ausdrücken wie checken und shoppen in den allgemeinen Sprachgebrauch..."
Finde ich auch, hm, gewöhnungsbedürftig.
Insgesamt zog mich das Gewinnerbuch leider nicht völlig in den Bann. Ich hatte zwischendurch sogar Mühe, mich zum Weiterlesen zu motivieren - für mein Empfinden über weite Strecken langatmig und wenig interessant, leider. Alles in allem gut lesbar, aber nichts, was bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte. Schade...
© Parden
Da geht es mir beim Lesen deiner Zeilen schon so. Doch lieber nicht? Aber ich habe genug auf Halde… ;) - Der BJ
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