EIN MANN NAMENS JÓNAS...
Jónas, 49 Jahre alt, Midlifecrisis. Eingefahrene Abläufe, keine lohnenden Perspektiven mehr, die Mutter leidet an zunehmender Demenz und lebt im Altersheim, die Frau ist weg, die Tochter ist angeblich gar nicht seine, dabei liebt er sie ganz offensichtlich - und umgekehrt. Jónas weiß nur noch nicht genau, wie er sich umbringen will, dass er es tut, steht für ihn jedoch außer Frage. Nachdem er verschiedene Szenarien durchdacht hat, beschließt er, dass weder Nachbarn noch seine Tochter seine Leiche finden sollen, stattdessen geht er auf Reisen. Ziel ist ein Land, das gerade einen Krieg hinter sich hat, Spuren der Zerstörung überall – im Gepäck hat Jónas lediglich seinen Werkzeugkoffer.
"Sie erzählt, der Krieg habe zwischen Familien getobt, zwischen Nachbarn, deren Kinder in dieselbe Klasse gingen, zwischen Arbeitskollegen, zwischen Mitgliedern desselben Schachclubs, zwischen Stürmer und Torwart aus derselben Fußballmannschaft." (S. 75)
Die Hinweise deuten auf das ehemalige Jugoslawien hin, auf das heutige Kroatien – aber das ist im Grunde gar nicht wichtig. Wesentlich ist, dass sich Jónas in einem heruntergekommenen Hotel einquartiert, für Irritation sorgt, indem er verkündet, er mache dort Urlaub, und sich dann weitere Gedanken darüber macht, wann und wie er sich am besten umbringen könnte. Doch es gibt einige Dinge, die ihn stören, und schneller als gedacht, kommt sein Werkzeugkoffer zum Einsatz. Dusche, Lampe, Schranktür – überall hapert es, und Jónas wäre nicht Jónas, wenn er das nicht mal eben richten würde.
Seine Fähigkeiten sprechen sich schnell herum, und bevor er sichs versieht, setzt er sein handwerkliches Geschick auch für andere ein. Zunächst für die junge Frau, die mit ihrem Bruder das Hotel führt, später auch für andere Frauen im Dorf, denen er eine Zukunft baut. Dabei gewährt der Roman kurze, angerissene Einblicke in einzelne Schicksale, und da kann man auch schon mal schlucken.
"Mein Unglück ist allenfalls lächerlich..." (S. 111).
Jónas kommt nicht umhin, sein eigenes Leiden in Relation zu den Erlebnissen der Hotelbetreiberin und der anderen Frauen im Dorf zu setzen, den vielfachen Tod zu registrieren, der hier uneingeladen zahllose Menschen hinweggefegt hat, das Unglück, die Starre, das unfassbare, übergreifende Trauma, das alle Generationen erfasst hat.. Und auch, wenn Leidensformen und -ursachen nicht miteinander vergleichbar sind, verändert Jónas allmählich seine Perspektive. Zudem wird er wieder wirklich gebraucht, und er ist es, der mit dafür sorgt, dass in dem Dorf wieder ein kleiner Funke Hoffnung erscheint.
"Anstatt aufzuhören zu existieren, könntest Du aufhören, du zu sein, und ein anderer werden."
Stilistisch gesehen war ich vom Roman ebenfalls sehr angetan. Es gibt hier viele zitatwürdige Sätze, poetische Anklänge, die mich angesprochen haben, kleine skurrile und humorvolle Szenen, die die zuweilen doch sehr melancholisch-düstere Stimmung gekonnt durchbrechen – der Text entwickelte auf mich einen traumartigen Sog, der mich den Roman fast in einem Rutsch lesen ließ.
Das einfühlsame Porträt eines Mannes, dem das Leben abhandengekommen ist und der weit reisen muss, um wieder zu sich selbst zu finden, erinnert in seiner tragisch-komischen Art und mit seinen spröde-liebenswürdigen Charakteren vielleicht ein wenig an "Ein Mann namens Ove" von Fredrik Backman, entwickelt letztlich aber seinen ganz eigenen Stil.
Für mich eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Ernsthaftigkeit, Berührung und leisem Humor. In jedem Fall eine Empfehlung!
© Parden
Eine letztlich lebensbejahende Platzwahl...
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