Vor vielen Jahren hielt ein Kommandeur der Haganah eine Trauerrede auf den ermordeten Bürgermeister eines dem Kibbuz nahegelegenen arabischen Dorfes. Seid Kindesbeinen waren sie Freunde. Ermordet, weil er von seinen jüdischen Freunden nicht lassen wollte, des Verrats nicht fähig war. Die Geschichte von Ari Ben Kanaan und Taha kennt an sich die ganze Welt. 1958 schrieb Leon Uris diesen Roman, der erfolgreich unter dem gleichnamigen Titel EXODUS verfilmt wurde.
Knapp fünfundzwanzig Jahre später konnten die Leserinnen und Leser in einem anderen Roman mit dem Titel HADSCH einen Hadschi namens Ibrahim al-Sukari al-Wahabi folgen, der ebenfalls einen, nicht ganz so engen, jüdischen Gefährten hat, und den sein Weg bis nach Genf führt und in ein Flüchtlingslager in der Westbank bei Jericho. Im Jahre 2014 schrieb ich über beide Romane des US-amerikanischen Schriftstellers jüdisch-polnischer Herkunft.
Aus historischen Romanen lernen ist etwas für Nichthistoriker. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass man eben einen solchen Roman liest, der Begleitliteratur, Sachliteratur förmlich fordert. Zwischendurch, also bis heute, las ich dann auch mehr Sachliteratur und ein seit einigen Jahren ein literarisches Novum, einige graphic novels.
Der seit einem dreiviertel Jahr wieder aufgeflammte Nahostkonflikt lies mich wieder nach aktuellen Büchern greifen. So wurde ich auf Avi Primor aufmerksam, geboren 1935 in Tel Aviv, der von 1993 bis 1999 israelischer Botschaft in Deutschland war. BEDROHTES ISRAEL las ich und schieb hier darüber. Primor hat nun im Jahr 2020 einen Roman herausgebracht, in dem der Himmel sich weit über drei Familien wölbt, deren Geschichte bereits 1869 beginnt.
Inhalt: Aus Odessa im russischen Zarenreich kommen Neta und David Zemach. Es ist zu Beginn ein ziemlich ärmliches Leben, das sie aber genießen. David (Dimitrij) schreibt bald für eine zweiseitige hebräische Zeitung, unterstützt von seiner Frau „Nadja“. Der Herausgeber Pinchas Goren ist ihnen zugetan. Ihre Wege kreuzen sich mit den Muslimen Mustafa und Raissa Samara aus Jaffa und der deutschen Familie von Gertrud und Oswald Simon aus Baden-Würtemberg, die zu einer Templer-Vereinigung gehört, einer christlichen protestantischen Glaubensgemeinschaft. Als der österreichische Kaiser Franz Jerusalem besucht und dafür eine Kutschverbindung von Jaffa nach Jerusalem benötigt wird, entsteht unter den genannten eine Geschäftsidee: Ein Kutschen-Dienst. Und das, wo doch die Eisenbahn in vielen Ländern ihren Siegeszug hält. Aber warum nicht noch eine Eisenbahnlinie?
Kinder und Kindeskinder der genannten werden Freunde, Partner und Ehepaare. Die Zeitung spielt immer wieder eine Rolle, in Form von „Zeitungsartikeln“ webt Primor die historischen Ereignisse in die Geschichte. Sei es der Besuch von Kaiser Wilhelm II, oder Theodor Herzl.
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges bringt schwierige Zeiten. Das Osmanische Reich ist mit dem deutschen Kaiserreich verbündet, wir lesen von den Generälen Falkenheyn und Liman von Sanders. Bei den Templern unter Oswald regt sich auch ein wenig Stolz auf deutsche Erfolge.
Als die Engländer und Franzosen das Völkerbundmandat übernehmen, verspricht der britische Außenminister Balfour den Juden eine Heimstatt und den Arabern, dass die Einwanderung von Juden begrenzt werden soll. Ein Meilenstein der vielen Ereignisse, die mehr oder weniger ursächlich für den nicht erst seit der Staatsgründung Israels schwelenden Konflikt. Die drei Familien sind natürlich davon betroffen.
Bezeichnend für die komplexen Um- und Zustände ist die Begebenheit , als Juval, der Enkel Davids, einen gewissen Avraham Stern interviewt. Er gründete die IRGUN und dann die LECHI, ein jüdischer Extremist und Terrorist, der sogar versuchte, mit dem NS-Deutschland und dem faschistischen Italien zu kooperieren, um „denen“ die Juden für eine Staatsgründung in Palästina und im Kampf gegen die herrschenden Engländer „abzunehmen“. Die STERNBANDE war schon einmal Thema auf unserem Blog.
Avi Primor beendet das Buch kurz vor der Staatsgründung Israels. Die Familien wollen sich nach der UNO-Resolution im November 1947 treffen. In der Hoffnung, dass die Freundschaft bleibt, denk Saad Samara nur traurig: „Inschallah – So Gott will“...
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Das Buch: Die her genannten Bücher und andere, zum Beispiel die Sachbücher von Tom Segev zeigen auf, dass es die heile Welt in Palästina eigentlich nie gab und trotzdem war DER HIMMEL WEIT ÜBER PALÄSTINA das einmal EIN Palästina war (Segev).
Sie haben sich gegenseitig viel Leid angetan, die Juden und die Araber. Religiöser Fundamentalismus und Extremismus auf beieden Seiten machten so manche Hoffnung wieder zunichte. Hatten die in massen eingewanderten osteuropäischen Juden Wüsten und steinige Täler kultiviert und moderne Städte gebaut, wurde ihnen die Heimstatt in dem Landstrich, der schon vor tausenden Jahren von Juden bewohnt wurde nicht gegönnt. Und versuchten Rabin und Arafat mit US-Präsident Clinton die Zwei-Staatenlösung in Angriff zu nehmen, wurde der Israeli von einem jüdischen Extremisten 1995 ermordet.
Und heute? Heute brauchen wir denke ich solche Geschichten und Bücher um die Hoffnung nicht zu verlieren und uns zu erinnern. Die Menschen in Palästina natürlich noch mehr, aber deren Auseinandersetzungen finden in unserer globalen Welt auch auf unseren Straßen, in Hörsälen und den Medien ebenso statt.
Jerusalem 2009 |
Zugegeben, es war wieder das Buch eines Israeli, welches ich hier soeben besprach. Ob mit mal etwas ähnliches aus arabischer Feder begegnet?
Es ist kein kleines Paket zum Thema, welches unsere Leserinnen und Leser hier im Blog finden. Schaut einmal nach auf der Palästina-Seite: Zehn Jahre Lese- und Film Erlebnisse zum Thema.
Eine fürchterliche Entwicklung - und kein Ende in Sicht...
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