Was erwartet uns in einem Comic – Buch, einer sogenannten Graphic Novel, welches DIE STERN – BANDE heißt? Ein Jugendbuch? Eine Gangstergeschichte? – Nichts dergleichen, denn ein ernsteres und obwohl in der Vergangenheit der Mitte liegendes geschichtliches Ereignis ist die Grundlage des Comic Buches aus dem Panini Comic Verlag. Autor des Buches ist Luca Enoch, die Zeichnungen stammen von Claudio Stassi.
Im Jahre 1940 bildete Avraham
Stern (genannt YAHIR – der Erleuchter) die LECHI – Kämpfer für die Freiheit Israels – und spaltete sich damit
von der IRGUN ab, eine Organisation,
die schon terroristische Akte gegen die Araber und gegen die britische
Mandatsmacht ausführte. Die wichtigsten Leute neben Stern waren: Jitzchak Schamir, Nathan Yellin-Mor und Israel
Eldad. Stern und seine Anhänger betrachteten die Briten als den Hauptfeind
und darum standen sie der Annäherung der IRGUN an die britische Macht nach Ausbruch
des Zweiten Weltkrieges ablehnend gegenüber.
* * * zum Inhalt * * *
Es ist der 17. September 1948. In einem Vorort Jerusalems
steht ein Jeep mit „Soldaten“. Zwei Jungs wollen mit ihnen ins Gespräch kommen…
Die Soldaten errichten eine Straßensperre und warten. Einer
fragt den anderen, ob es stimmt, dass er YAHIR persönlich kennengelernt hat. Yehoshua Cohen (Avner) bestätigt, ja,
er war mit dem LECHI Gründer zusammen, nachdem dieser die IRGUN verließ.
Und er erzählt von den Jahren ab 1938, als er der IRGUN beitrat und von ihrem „Kampf“ gegen Araber und Briten, von Attentaten und vom Hass zwischen den Völkern, von der Balfour – Deklaration, davon, dass STERN selbst mit Deutschland verhandeln wollte, um die massenweise Einwanderung von Juden zu ermöglichen, was die Briten durch Einwanderungsminderung verhindern wollten… Er erzählt, wie YAHIR gefangen genommen wird und stirbt und von der Illegalität, vom Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem und von der Staatsgründung am 14. Mai 1948, nachdem die UNO am 29. November 1947 die Teilung Palästinas beschloss…
Und er erzählt von den Jahren ab 1938, als er der IRGUN beitrat und von ihrem „Kampf“ gegen Araber und Briten, von Attentaten und vom Hass zwischen den Völkern, von der Balfour – Deklaration, davon, dass STERN selbst mit Deutschland verhandeln wollte, um die massenweise Einwanderung von Juden zu ermöglichen, was die Briten durch Einwanderungsminderung verhindern wollten… Er erzählt, wie YAHIR gefangen genommen wird und stirbt und von der Illegalität, vom Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem und von der Staatsgründung am 14. Mai 1948, nachdem die UNO am 29. November 1947 die Teilung Palästinas beschloss…
Bilder rechts: aus wikipedia |
Karte aus wikipedia |
An diesem 17. September 1948 ermorden die „Soldaten“ den
Vermittler der UN in Palästina, den Grafen
Folke Bernadotte, weil er öffentlich das Recht der palästinensischen
Flüchtlinge vertrat, in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Bild Bernadotte und Text aus wilipedia |
„Avner“ Cohen
flüchtet in die Negev und gründet später dort den Kibbuz von Sede Boker. Im
Jahr 1960 spricht er dort mit David Ben Gurion, dem ersten Ministerpräsidenten
Israels auch über die Auflösung der LECHI…
Wiki: Ben Gurion & Yehoshua Cohen |
* * * Zum Hintergrund * * *
Was wissen wir schon über Palästina? Unser Bild ist geprägt
von dem Widerstreit zwischen HAMAS, FATAH
und der israelischen Regierung, von Raketen aus GAZA und dem Libanon,
von annektierten Gebieten wie den Golan-Höhen, dem Westjordanland als palästinensisches
Gebiet, von Wehrsiedlungen und deren Rück- bzw. Wiederaufbau und fortgesetzten
Terrorakten.
Aber wie sah das Palästina aus vor der Staatsgründung
Israels? Immer mehr legal und illegal einwandernde Juden, vor allem aus
Osteuropa kauften auch z.B. mit Spenden Land von den ansässigen Arabern und
kultivierten Sümpfe, stautrockene Täler, bauten Dörfer, gründeten Kibbuze und
brachten durchaus Wohlstand in das Land. Die Mandatsmacht versuchte den Ausgleich
und versprach den Juden die Einwanderung und den Arabern die Begrenzung. Der
Großmufti von Jerusalem verbündete sich mit Adolf Hitler und hätte es sehr gern
gesehen, wenn das Afrikakorps die Briten niedergerungen hätte und damit der Einwanderung
von weiteren, inzwischen systematisch verfolgten Juden Europas Einhalt geboten
wurden wäre. Immer wieder kam es zu Aufständen von Seiten der Araber und zu
Terrorakten. Die Juden gründeten Selbstverteidigungsorganisationen wie die HAGANAH und deren militärischen Teil,
den PALMACH, aber auch radikale
Organisationen wie die IRGUN, von
der sich die STERN-BANDE dann
trennte.* Von der erzählt dieses Buch.
* * *
Luca Enoch schreibt am Schluss des Buches über seine
Motivation zu dieser Geschichte
„Es gibt Lücken in der Geschichte, oder zumindest in dem,
was wir von der Geschichte zu wissen glauben. Kaum gekannte Zeiten, verkannte
oder übergangene Zeiten. Und dies nicht aus Mangel an Historiografie oder
direkten Quellen. Es sind Zeiten, die uns nicht interessieren, von denen wir glauben,
dass sie uns nicht betreffen, da sie zeitlich und räumlich zu weit entfernt
sind; Zeiten, die uns verlegen machen, da sie womöglich mit wenig erbaulichen
Ereignissen der Vergangenheit unseres Landes in Zusammenhang stehen und von
denen wir bereitwillig die offizielle, meist selbstgerechte Version
akzeptieren; Zeiten, die uns Angst machen oder derer wir uns schämen und die
wir fernhalten wollen - ohne den Wunsch, sie tiefer zu ergründen. Ich weiß
nicht, zu welcher Kategorie das Ereignis gehört, das ich auf diesen Seiten
schildern wollte, doch mit Sicherheit handelte es sich um eine ziemlich große Lücke
in meinem Geschichtswissen.“
Für uns hier in
Mitteleuropa sind diese Geschehnisse auch noch räumlich weit weg. Zudem haben
wir, was diese Zeit von 1938 bis 1948 betrifft, meist mit uns selbst zu tun,
wir scheuen uns, „belastet“ durch den Holocaust, „verursacht“ durch unsere
Großeltern und Urgroßeltern, die jüdische Geschichte kritisch zu betrachten.
„Die Geschichte der
Lechi (oder der "Stern-Bande", wie sie von den
Briten bezeichnet wurde) hat mich besonders getroffen; eine sehr kleine
Bewegung, die nie mehr als ein paar hundert
Mitglieder zählte und extrem
brutal war, gegründet und ein paar Jahre
angeführt von einer
charismatischen Persönlichkeit mit messianischem Auftreten, der unter
seinen Mitgliedern auch einen zukünftigen, israelischen
Ministerpräsidenten hatte. Eine Bewegung, die in
der jüdischen Gemeinschaft in Palästina nie große Beliebtheit
erfuhr, sondern vielmehr als eine primitive,
bewaffnete Bande betrachtet wurde und
sicher nicht als eine heldenhafte
Gruppe von Patrioten. Obwohl sie von anderen Dissidentengruppen bekämpft und sogar verfolgt wurde, nur wenige Mittel hatte und keinerlei Protektion genoss, schaffte es diese spärliche Vereinigung Radikaler dennoch, ein paar sehr wirkungsvolle Schläge mit internationalem Widerhall durchzuziehen. Fehlschläge wohlgemerkt, ungeachtet des erreichten Aufsehens und der ausgeübten Gewalt. Denn trotz der Entschlossenheit,
mit der ihre Mitglieder eigene Strategien
verwirklichten, gelang es der Lechi nie, die politische
Diskussion und die Kriegsgeschehnisse in die gewünschte Richtung zu
steuern.“
Mehr muss man zur Geschichte der Geschichte, die uns hier in
Form eines „Bilderbuches“ vorliegt nicht sagen.
Die Erläuterungen des Autors wie auch der kurze Glossar mit
Begriffserläuterungen davor, sind schon notwendig, denn die Geschichte um eine
terroristische „Bande“, welche diese oben geschilderte Bedeutung hatte, wäre es
eigentlich kaum wert aufgeschrieben zu werden. Sie hätte sich wohl in der
Geschichte verloren, wenn es gelungen wäre, das EINE Palästina zu erhalten,
also den „jüdisch-arabischen“, also DEN palästinensischen Staat zu gründen.
Es ist paradox und auch bezeichnend: ►Jitzchak Schamir, eines
der Führungsmitglieder, wurde später Abgeordneter der Knesseth, später Außenminister
und als Nachfolger von Menachem Begin (ebenfalls ehemals IRGUN – Mitglied)
Ministerpräsident.
Quelle: wiki |
►Yellin-Mor wurde wegen des Mordes an Bernadotte schuldig
gesprochen, aber nach der Wahl in die Knesseth freigelassen. Er war es, der mit der Türkei und dem Deutschen Reich verhandelte, er wollte die Deutschen von den osteuropäischen Juden „befreien“ und Unterstützung im Kampf gegen die Briten. Er wurde aber später Pazifist und unterstützte Verhandlungen mit der PLO.
gesprochen, aber nach der Wahl in die Knesseth freigelassen. Er war es, der mit der Türkei und dem Deutschen Reich verhandelte, er wollte die Deutschen von den osteuropäischen Juden „befreien“ und Unterstützung im Kampf gegen die Briten. Er wurde aber später Pazifist und unterstützte Verhandlungen mit der PLO.
Der Chefideologe ►Israel Eldad versteckte sich nach dem
Attentat, war später im Schuldienst tätig und vertrat ein Israel in den Grenzen
der Bibel.
Im Jahre 1980 wurde für ehemalige Mitglieder der Lechi ein
Traditionsabzeichen in Israel eingeführt.
Noch einmal Enoch:
„Die Geschichte, die
ich bei dem Vorhaben, meine Wissenslücken zu füllen, entdeckt habe, besteht aus
Immigration, persönlichen und kollektiven Tragödien, Gewaltausbrüchen,
Kulturstreitigkeiten, diplomatischen Auseinandersetzungen... und bewaffneten
Kämpfen. Ein erbarmungsloser Kampf, der oft die furchterregende Form des
Terrorismus annahm, wie wir ihn heute kennen, mit Bomben an öffentlichen Orten
und "gezielten Morden" an Gegnern und Kollaborateuren.“
Mir scheint, einer Gesellschaft, die letztlich so unkritisch
mit ihrer Geschichte umgeht, dürfte es schwerfallen, den immer noch oder auch
wegen dieser Geschichte weiterhin stattfindenden sogenannten Nahostkonflikt zu
beenden.*
* * * Das Buch * * *
Es ist eine spannende Geschichte, die Enoch und Stassi hier
aufgeschrieben und gezeichnet haben. Es dürfte allerdings nicht sehr leicht sein, diese
auch aus schon genannten Gründen zu rezipieren, was sonst bei Comics
eher der Fall sein sollte. Andererseits ist das Buch eine interessante Ergänzung
für Leute mit Interesse an der Geschichte Palästinas.
Die Bilder sind deutlich und eindrucksvoll gezeichnet, die
eingebettete Schrift ist nicht zu klein und lässt sich gut lesen. Vielleicht
wäre eine deutlichere Hervorhebung der jeweiligen Zeitschiene wegen der Rückblicke
gut gewesen.
Erzählt wird diese Geschichte von Yehoshua „Avner“ Cohen,
der den Leser damit an die Hand nimmt und „unmittelbar“ am Geschehen teilhaben
lässt. Das macht die Geschichte plastischer, wie Luca Enoch auch selber
vermerkt. Zudem ist Cohen tatsächlich am Mord an Bernadotte beteiligt gewesen.
Ein wenig erfährt der Leser damit auch von der Motivation eines jungen Juden in
Palästina, sich einer solchen Organisation wie der Irgun / der Lechi
anzuschließen und auch wie schwer es führ den selben Mann ist, sich Jahre
später mit seiner eigenen Geschichte und der seines Landes auseinanderzusetzen.
* * * Die Autoren * * *
C. Stassi Quelle |
L. Enoch Quelle |
Palermo 1978 geboren sind beide bekannte Comic Autoren in Mailand. Enoch zeichnet für den Mailänder Comic Verlag Bonelli Editore und Stassi lehrt an der Comic-Schule in Barcelona.
* * *
Was es nicht alles gibt: Eine Comic Schule! Aber nach der
Lektüre von ► ISRAEL VERSTEHEN IN 60 TAGEN ODER WENIGER von Sarah GLIDDEN,
ebenfalls im Panini Comic Verlag herausgekommen und nun diesem hier, muss ich
wohl anerkennen, dass Comics, neudeutsch auch „Graphic Novels“ genannt,
ernstzunehmende Themen aufweisen und damit wohl auch ernstzunehmende Literatur
darstellen können.
Vielen Dank an den ► Panini Comic Verlag für die Übersendung des
Rezensionsexemplars.
► DNB / Panini Comics / Stuttgart 2014 / ISBN: 978-3-86201-953-3 / 144 Seiten
► Karatekas Bücherblog: Palästina
© KaratekaDD
► DNB / Panini Comics / Stuttgart 2014 / ISBN: 978-3-86201-953-3 / 144 Seiten
► Karatekas Bücherblog: Palästina
© KaratekaDD
* siehe auch die Bücher von Tom Segev: ES WAR EINMAL EIN
PALÄSTINA und DIE ERSTEN ISRAELIS
Deine Sachkompetenz zum Thema ist erneut beeindruckend... die jügere Geschichte Israels gehört nicht zu meinen Schwerpunkten... und auch, wie du dich dem Genre Comic annäherst hilft dem Medium in der Rezeption.
AntwortenLöschenIch weiß, welch umfangreiche inhaltliche und gestalterische Arbeit in einem solchen Artikel steckt und finde ihn brillant und dem Buch wird es sicherlich sehr gerecht...
Danke für die freundlichen Worte. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das Medium nun als solches DAS Medium ist, aber es spricht zumindest Comic Leser an. Nehme ich an. Sicher bin ich mir nicht, alle Comic Leser, die ich kenne, haben einen völlig anderen Geschmack und eher wenig bis kein Geschichts- oder Politikinteresse, bzw. -großes Wissen. (Allerdings kenn ich insgesamt auch nicht viele)
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