»Heinrich Steinfest ist ein Meister der skurrilen Sprachbilder und alltagsphilosophischen Exkurse.« Der Spiegel
Sixten Brauns vollkommen normales
Managerleben implodiert, als in Taiwan ein Wal explodiert, und Sixten
von irgendeinem Teil des Wal-Innenlebens k.o. geschlagen wird. Kaum aus
dem Krankenhaus entlassen, stürzt er mit dem nächstbesten Flugzeug ab -
und überlebt abermals. Aber nicht ohne zwischendurch die große Liebe
erlebt zu haben. Und so kommt er Jahre später - Sixten hat sich längst
vom Manager zum Bademeister gewandelt - zu einem Kind, das auf gar
keinen Fall sein eigenes sein kann, es dann aber doch plötzlich ist …
Ein frisch verwaister Junge namens Simon. Ein Junge, der nicht spricht,
außer in seiner eigenen, nur ihm selbst verständlichen Sprache. Ein
Junge, der sich dann als ganz ungewöhnlich talentiert in ganz
ungewöhnlichen Bereichen erweist: Er kann klettern wie eine Gemse und
zeichnen wie Leonardo da Vinci. Auch liegt es an Simon, dass sich so
manche Gerade in Sixtens Leben zum Kreis schließt ...
- Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
- Verlag: Piper; Auflage: 4 (10. März 2014)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3492054080
- ISBN-13: 978-3492054089
FABULIERKUNST AUF HÖCHSTEM NIVEAU...
"Ein Oha! denken oder sagen oder
rufen kann eigentlich nur bedeuten, sich in einem Zustand der Verspätung
zu befinden. Und damit ist nicht allein die Straßenbahn gemeint, die
einem davonfährt. Sondern auch und vor allem die, die auf einen zufährt.
" (S. 11)
Nun, es ist nicht wirklich die Straßenbahn, die Sixten Braun sein "Oha!" denken lässt, sondern am frühen Morgen auf verkehrsarmer Straße in Taiwan ein ausgewachsener Pottwal, tot auf einem Lastwagen, genau in dem Moment explodierend, als er an dem Businessmann vorbeigefahren wird. Unglücklich von einem Stück des Innenlebens des Wals getroffen, fällt Sixten sogleich ins Koma - und sein Leben driftet in der Folge auseinander.
"...daß ich nicht wie andere Leute einfach mit einem fremden Auto zusammenstoßen kann, sondern mir dazu einen Wal aussuche, daß ich im falschen Flugzeug sitzen muß, daß ich nicht Vater werden kann wie andere auch und ein Ausflug aufs Land bei mir in eine Nazistollengeschichte mündet. Und daß ich nicht wie andere Bademeister schlichterdings Badegäste rette. Aber was sollte ich tun? Ab einem bestimmten Moment hatte mein Leben begonnen, eine komplizierte Figur zu beschreiben." (S. 308)
Ja, Heinrich Steinfest stürzt seinen sympathischen Helden von einer skurrlien Situation in die nächste, was dieser mit einer gehörigen Portion Pragmatismus und Alltagsphilosophie zu meistern sucht. Des explodierenden Wals nicht genug, driftet Sixten gleich darauf in eine ungewöhnliche Liebesbeziehung, stürzt mit dem Flugzeug ab, kann sich auf wundersame Weise gleich doppelt retten, scheitert in einer lieblosen Ehe, bricht alle Brücken hinter sich ab, eine neue Stadt, vom Manager zum Bademeister - all dies absolviert Sixten und mit ihm der Leser. Denn Sixten sieht gar keine andere Möglichkeit...
"Ich darf sagen, meine Philosophie war immer die: Alles was geschieht, ist ohne Alternative. Die Alternative bilden wir uns nur nachträglich ein. Das ist vielleicht überhaupt unsere eigene Freiheit zu phantasieren, wie es hätte sein können."
Selbst Jahre nach seinem Zusammenstoß mit dem Wal fordern die Abenteuer in Übersee noch ihren Tribut. Plötzlich wird ein Kind an Sixten herangetragen, das Kind von Lana, der Liebe seines Lebens, die starb, als das Kind noch sehr klein war. Simon, sieben Jahre alt inzwischen, soll nun bei Sixten aufwachsen, weil sich Lanas Freundin nicht länger darum kümmern kann. Und auch als nach dem ersten Blick auf Simon gleich klar wird, dass Sixten gar nicht sein Vater sein kann, entscheiden sich beide dafür, dass sie jetzt Vater und Sohn seien.
"Auf eine gewisse Weise war ich ganz einfach der logische und zwangsläufige Vater für dieses Kind. Es war so offensichtlich, wie sehr das Schicksal keinerlei Umstände gescheut und gleich zwei Bürokratien ausgetrickst hatte, um mich und dieses Kind zusammenzubringen. Das konnte etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten, aber es wirkte doch ungemein mächtig." (S. 115)
Trotz der absurden Einfälle und der skurrilen Personen, die den Roman bevölkern, ist die Erzählung ausgesprochen liebevoll, oftmals auf intelligente Weise komisch und sprachlich einfach nur ver- und bezaubernd. Auch wenn die Geschichte das fulminante Anfangstempo nicht halten kann, immer wieder auf Ab- und Nebenwege gerät, sich zwischendurch zu verhaspeln droht - für mich war es zu keinem Zeitpunkt langweilig oder befremdlich.
Für mich eine angenehm zu lesende Erzählung, schräg und humorvoll, dabei tiefgründig und voller alltagsphilosphischer Exkurse, die aber nicht erdrückend wirken. Und sprachlich - nun, Steinfest liebt es zu fabulieren. Und beweist hier, dass er es wirklich kann. Manchesmal war ich richtig berührt, gar nicht so sehr vom Inhalt her, sondern einfach, weil ich wieder auf eine wunderschöne Formulierung gestoßen war...
"Manche Dinge mußte man erst einmal fühlen und ahnen und riechen und schmecken und sich vor ihnen fürchten, bevor man sie irgendwann begriff." (S. 198)
Einzig die Wendung im letzten Teil, das zeitweise Abgleiten ins Esoterische und in die Welt der Träume konnte mich nicht so recht überzeugen. Es mag zur Erscheinung eines "Allesforschers" gehören (übrigens laut Nachwort eine Wortschöpfung von Steinfests Sohn, dem das Wort "Universalgelehrter" nicht gefiel), sich wirklich mit allen Themen des Lebens zu befassen, und so eben auch mit den genannten. Mir persönlich driftet die Geschichte dadurch jedoch schon ein wenig zu sehr ab, auch wenn sich am Schluss der Kreis schließt.
Insgesamt jedoch ein beeindruckender Roman, ungewöhnlich, skurril, voller bezaubernder Sprachbilder, humorvoll, weise und berührend. Sicherlich eines der Bücher, die haften bleiben und neugierig machen auf mehr aus der Feder des Autors.
© Parden
Nun, es ist nicht wirklich die Straßenbahn, die Sixten Braun sein "Oha!" denken lässt, sondern am frühen Morgen auf verkehrsarmer Straße in Taiwan ein ausgewachsener Pottwal, tot auf einem Lastwagen, genau in dem Moment explodierend, als er an dem Businessmann vorbeigefahren wird. Unglücklich von einem Stück des Innenlebens des Wals getroffen, fällt Sixten sogleich ins Koma - und sein Leben driftet in der Folge auseinander.
"...daß ich nicht wie andere Leute einfach mit einem fremden Auto zusammenstoßen kann, sondern mir dazu einen Wal aussuche, daß ich im falschen Flugzeug sitzen muß, daß ich nicht Vater werden kann wie andere auch und ein Ausflug aufs Land bei mir in eine Nazistollengeschichte mündet. Und daß ich nicht wie andere Bademeister schlichterdings Badegäste rette. Aber was sollte ich tun? Ab einem bestimmten Moment hatte mein Leben begonnen, eine komplizierte Figur zu beschreiben." (S. 308)
Ja, Heinrich Steinfest stürzt seinen sympathischen Helden von einer skurrlien Situation in die nächste, was dieser mit einer gehörigen Portion Pragmatismus und Alltagsphilosophie zu meistern sucht. Des explodierenden Wals nicht genug, driftet Sixten gleich darauf in eine ungewöhnliche Liebesbeziehung, stürzt mit dem Flugzeug ab, kann sich auf wundersame Weise gleich doppelt retten, scheitert in einer lieblosen Ehe, bricht alle Brücken hinter sich ab, eine neue Stadt, vom Manager zum Bademeister - all dies absolviert Sixten und mit ihm der Leser. Denn Sixten sieht gar keine andere Möglichkeit...
"Ich darf sagen, meine Philosophie war immer die: Alles was geschieht, ist ohne Alternative. Die Alternative bilden wir uns nur nachträglich ein. Das ist vielleicht überhaupt unsere eigene Freiheit zu phantasieren, wie es hätte sein können."
Selbst Jahre nach seinem Zusammenstoß mit dem Wal fordern die Abenteuer in Übersee noch ihren Tribut. Plötzlich wird ein Kind an Sixten herangetragen, das Kind von Lana, der Liebe seines Lebens, die starb, als das Kind noch sehr klein war. Simon, sieben Jahre alt inzwischen, soll nun bei Sixten aufwachsen, weil sich Lanas Freundin nicht länger darum kümmern kann. Und auch als nach dem ersten Blick auf Simon gleich klar wird, dass Sixten gar nicht sein Vater sein kann, entscheiden sich beide dafür, dass sie jetzt Vater und Sohn seien.
"Auf eine gewisse Weise war ich ganz einfach der logische und zwangsläufige Vater für dieses Kind. Es war so offensichtlich, wie sehr das Schicksal keinerlei Umstände gescheut und gleich zwei Bürokratien ausgetrickst hatte, um mich und dieses Kind zusammenzubringen. Das konnte etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten, aber es wirkte doch ungemein mächtig." (S. 115)
Trotz der absurden Einfälle und der skurrilen Personen, die den Roman bevölkern, ist die Erzählung ausgesprochen liebevoll, oftmals auf intelligente Weise komisch und sprachlich einfach nur ver- und bezaubernd. Auch wenn die Geschichte das fulminante Anfangstempo nicht halten kann, immer wieder auf Ab- und Nebenwege gerät, sich zwischendurch zu verhaspeln droht - für mich war es zu keinem Zeitpunkt langweilig oder befremdlich.
Für mich eine angenehm zu lesende Erzählung, schräg und humorvoll, dabei tiefgründig und voller alltagsphilosphischer Exkurse, die aber nicht erdrückend wirken. Und sprachlich - nun, Steinfest liebt es zu fabulieren. Und beweist hier, dass er es wirklich kann. Manchesmal war ich richtig berührt, gar nicht so sehr vom Inhalt her, sondern einfach, weil ich wieder auf eine wunderschöne Formulierung gestoßen war...
"Manche Dinge mußte man erst einmal fühlen und ahnen und riechen und schmecken und sich vor ihnen fürchten, bevor man sie irgendwann begriff." (S. 198)
Einzig die Wendung im letzten Teil, das zeitweise Abgleiten ins Esoterische und in die Welt der Träume konnte mich nicht so recht überzeugen. Es mag zur Erscheinung eines "Allesforschers" gehören (übrigens laut Nachwort eine Wortschöpfung von Steinfests Sohn, dem das Wort "Universalgelehrter" nicht gefiel), sich wirklich mit allen Themen des Lebens zu befassen, und so eben auch mit den genannten. Mir persönlich driftet die Geschichte dadurch jedoch schon ein wenig zu sehr ab, auch wenn sich am Schluss der Kreis schließt.
Insgesamt jedoch ein beeindruckender Roman, ungewöhnlich, skurril, voller bezaubernder Sprachbilder, humorvoll, weise und berührend. Sicherlich eines der Bücher, die haften bleiben und neugierig machen auf mehr aus der Feder des Autors.
© Parden
Heinrich Steinfest über seinen Roman "Der Allesforscher"
Lesung und Gespräch mit Heinrich Steinfest anlässlich der Buchpremiere
Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart - das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Autors, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, erhielt den Stuttgarter Krimipreis 2009 und den Heimito-von-Doderer-Preis. Zuletzt erschienen seine Romane 'Die Haischwimmerin', 'Das himmlische Kind' und 'Der Allesforscher', der für den Deutschen Buchpreis 2014 nominiert wurde.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.
Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.