Der Name deiner erstgeborenen Tochter. Das Gesicht deines Mannes. Dein Alter. Deine Adresse. Was wäre, wenn du dich an all diese Dinge nicht mehr erinnern könntest? Was wäre, wenn es kein Gestern mehr gäbe, sondern nur noch den Zauber einzelner Augenblicke?
Neuerdings weiß Claire nicht mehr, welcher Schuh zu welchem Fuß gehört. Oder wie das orangefarbene Gemüse heißt, das auf dem Herd köchelt. Und manchmal geht sie im Pyjama spazieren. Sie weiß, dass das nicht normal ist. Und so schreibt sie, noch bevor die letzte Erinnerung verblasst, all die großen und kleinen Momente der vergangenen Jahre nieder. Wohl wissend, dass diese Gedankenschnipsel schon bald das Einzige sein werden, was ihrer Familie von ihr bleibt. Dabei gibt es noch so viel zu erledigen: Sie muss sich mit ihrer Tochter versöhnen und ihrem Mann zeigen, wie sie die Lieblingslasagne ihrer Kinder zubereitet. Sie muss ein letztes Mal leben, frei sein, sich vielleicht auch neu verlieben. Denn wenn die Zeit davonrennt, ist jede Minute kostbar.
- Broschiert: 416 Seiten
- Verlag: Piper Paperback; Auflage: 4 (11. August 2014)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung:
- ISBN-10: 3492060013
- ISBN-13: 978-3492060011
- Originaltitel: The Memory Book
DIE WELT IN TRÜMMERN...
Das Erinnerungsbuch... |
Unfassbar, aber Claire ist erst 40 Jahre alt, als sie die niederschmetternde Diagnose erhält: Alzheimer. Da gibt es nichts, auf das sie sich allmählich einstellen kann, denn lange hat sie es durch ihre Intelligenz geschafft, die bereits vorhandenen Symptome der Erkrankung zu kompensieren. Nun schreitet die Krankheit rasch fort und droht ihr Leben zu zerstören.
Sie muss ihren geliebten Beruf als Lehrerin aufgeben, verliert zunehmend ihre Selbständigkeit und den Bezug zur Realität.
"Die Welt um mich herum liegt in Trümmern." (S. 27)
Doch nicht nur Claire ist betroffen von der Alzheimer-Erkrankung, auch ihr Umfeld leidet zunehmend unter den Symptomen. Ihr Mann Greg, mit dem sie erst seit einigen Jahren verheiratet ist, wird ihr immer fremder, sie beginnt ihm zeitweise sogar zu misstrauen. Ihre älteste Tochter Caitlin, Anfang 20, die zwar erwachsen ist, aber zwischendurch immr noch Claires Unterstützung braucht, sieht sich plötzlich in der umgekehrten Situation, für ihre Mutter verantwortlich zu sein. Claires Mutter Ruth gibt ihr eigenes Leben auf, um für Claire zu sorgen. Und Claires und Gregs kleine Tochter Esther - wie lange wird Claire wirklich noch die Aufgaben einer Mutter für sie übernehmen können?
"Wird die Nebelwand heranrollen? Wird sie das, was ich wissen muss, verschlucken? Nicht zu wissen, was ich nicht weiß, verdirbt mir die Lust, überhaupt irgendetwas zu tun. Alles, was ich anfasse, ist potenziell zum Scheitern verurteilt. Und doch bin ich in dieser Sekunde immer noch ich. Mein Geist ist intakt. Wann wird er das nicht mehr sein? Wann werde ich nicht mehr ich sein?" (S. 85)
Rowan Coleman hat für diesen Roman einen schönen Aufbau gewählt. Sie erzählt kapitelweise aus wechselnden Perspektiven von den Ereignissen um Claire, wobei Claire und ihrer älteren Tochter Caitlin der Hauptanteil der Erzählung zukommt. Im Anschluss an fast jedes Kapitel findet sich zudem ein Auszug aus dem gemeinsamen 'Erinnerungsbuch', das ich für eine schöne Überlegung halte. Dort kommt fast jeder einmal zu Wort, und die Erinnerungen der einzelnen sind wirklich etwas ganz besonderes.
So gelingt es Coleman, zum einen die große Verwirrung, die Ängste, die Niedergeschlagenheit, die Zweifel Claires authentisch und glaubwürdig zu schildern, und auch ihr Bemühen darum, noch als Mensch wahrgenommen und nicht auf ihre Erkrankung reduziert zu werden. Zum anderen wird aber genauso deutlich, dass die Betroffenheit nicht einseitig ist, dass sich alles für alle ändert, und dass auch das Umfeld sehr zu kämpfen hat mit der Alzheimer-Erkrankung und ihren Folgen. Ignorieren, Leugnen, Wut, Trauer, Resignation - alles findet hier angemessen seinen Ausdruck.
"Es wäre wirklich eine Hilfe, wenn ich (...) mit fortschreitender Krankheit immer durchsichtiger würde, bis ich schließich nur noch so eine Art Gespenst wäre. Das wäre wirklich praktisch, das würde es mir und allen anderen erleichtern, wenn mein Körper einfach analog zu meinem Geist verginge." (S. 151)
Die Schreibweise ist flüssig, und gut gefallen hat mir, dass das Buch nicht in Tristesse badet, dass neben der Dramatik, die die Alzheimer-Erkrankung einfach mit sich bringt, auch ausreichend Platz blieb für humorvolle Situationen.
"Fröhlich winkt sie mit den Blumen. 'Duftdinger! Sind die nicht schön?' " (S. 61)
Allerdings habe ich bemerkt, dass mich das Buch anfangs zwar wirklich berührte, dass dies aber zunehmend nachließ. Es war immer noch flüssig zu lesen, es interessierte mich auch, wie es weitergehen würde - und doch...
Ich habe mal geschaut, was Rowan Coleman sonst noch so geschrieben hat - und das waren wohl bislang in erster Linie lustige Frauenromane. Und ein wenig hatte ich den Eindruck, dass sich dieses Muster trotz des ernsten Themas auch hier letztlich durchgesetzt hat, was ich persönlich schade finde. So gab es einen großen Nebenschauplatz, der mir persönlich zu viel Raum einnahm und die eigentliche Geschichte (um die es mir ging) zu sehr "verwässerte". Und teilweise - für manche vielleicht tröstlich und genau richtig - wurde es mir einfach zu "schnulzig".
"Liebe ist die wahre Einnerung. Liebe ist das, was bleibt, wenn wir nicht mehr sind. " (S. 318)
Zwar hat das Buch nicht ganz meine Erwartungen erfüllt, war insgesamt jedoch sehr angenehm zu lesen und hat mich über weite Phasen berührt. Rowan Coleman ist es gelungen, einen sehr authentischen Einblick in die Alzheimer-Erkrankung und ihre Bedeutung für die Betroffenen und ihre Umgebung zu vermitteln.
Ich freue mich jedenfalls, dass ich es im Rahmen einer Leserunde bei LovelyBooks lesen durfte! Vielen Dank dafür!
© Parden
Interview mit der Autorin Rowan Coleman
Rowan Coleman |
Rowan Coleman lebt mit ihrer Familie in Hertfordshire. Wenn sie nicht gerade ihren fünf Kindern hinterherjagt, darunter lebhafte Zwillinge, verbringt sie ihre Zeit am liebsten schlafend, sitzend oder mit dem Schreiben von Romanen. Da kann das Bügeln schon mal zu kurz kommen. Rowan wünschte, ihr Leben wäre ein Musical, auch wenn ihre Tochter ihr mittlerweile verboten hat, in der Öffentlichkeit zu singen. »Einfach unvergesslich« ist ihr elfter Roman. ► Quelle
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