Mittwoch, 3. Juli 2024

Schreyer, Wolfgang: DIE LEGENDE - Was 09/11 geschah


Im alten Bücherschrank stehen nebeneinander die Thriller, Politthriller und Abenteuerromane zweier Autoren früherer Zeiten. So mancher ist dabei, der im DDR-Militärverlag herauskam und historische oder politische Begebenheiten zum Inhalt hat. Ich schreibe von Harry Thürk und Wolfgang Schreyer. 

Bisher hat es nur einer auf diesen Blog geschafft, DIE STUNDE DER TOTEN AUGEN von Thürk zählte zu den meistgelesenen Büchern in der DDR, weil er die Geschichte von deutschen Soldaten im zweiten Weltkrieg erzählte. „Ein für die DDR äußerst ungewöhnliches Kriegsbuch“ schrieb ich bereits im Oktober 2013 dazu.

Während Harry Thürk zumeist den asiatischen Raum für seine Dokumentationen und Romane bevorzugte, belegte Wolfgang Schreyer auf ähnliche Art und Weise beide Amerikas.

Hier soll es um einen der letzten Romane Schreyers gehen und das hat mehrere Gründe. Vor wenigen Tagen schrieb ich hier über Brigitte Reimanns DIE GESCHWISTER. Welche Verbindung besteht denn hier? Die junge Reimann (*1933 -1973) und der ältere, bereits erfolgreiche Schriftsteller Schreyer (*1927 – 2017) unterhielten eine umfangreichen Briefwechsel bis zu Tode der jungen Schriftstellerin; diesen hat Professor Carsten Gansel 2018 heraus gegeben (Ich möchte so gern ein Held sein), vor einem Jahr erschien von Gansel die neueste Brigitte Reimann Biografie Ich bin so begierig nach Leben.

Die lange Vorgeschichte führte zum Lesen der Ahrenshooper Begegnungen  (2008) von Schreyer und ich fand nebenbei den Roman DIE LEGENDE, um diesen soll es hier gehen.

Die Legende:  Was am 11. September geschah – DIE LEGENDE – so lautet der vollständige Titel des Romans, den der Verlag als „atemberaubend spannend und überraschend faktenreich“ bezeichnet. 

In Erinnerung der vor Jahrzehnten gelesenen Schreyer-Romane war ich skeptisch. Ein Roman über den 11. September? Aus dem Verlag DAS NEUE BERLIN von der EULENSPIEGEL VERLAGSGRUPPE

Ich hatte die Romane gern verschlungen, zum Beispiel ENDZEIT DER SIEGER, in dem es um den Abschuss des KAL-Jumbos 1983 durch einen sowjetischen Jagdflieger ging, der Roman erschien im Jahr 1989. 

Hier aber erwartete ich irgendwie eine Art Verschwörungserzählung nach dem Motto, dass die USA den 11. September provoziert wenn nicht verursacht hätten, um in Afghanistan einzumarschieren. So ähnlich wie die Idee, dass Roosevelt den Angriff auf Pearl Harbor zuließ um einen Kriegsgrund gegen Japan zu haben. Oder ganz aktuell, Netanjahu lässt das Massaker am 7.10.23 durch HAMAS -Terrorosten zu, um im Anschluss einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Strefen umzusetzen.

Schmarrn alles.

Schreyer hatte die USA und ihre Geheimdienst schon „immer“ auf dem Schirm, sei es in PRELUDIO 11 (Kuba) oder die United Fruits in DAS GRÜNE UNGEHEUER.

Trotzdem griff ich zu – und wurde nicht enttäuscht, denn Romaninhalt und Romanaufbau überzeugten tatsächlich.

* * *

Inhalt:  Der erste Teil des Buches besteht aus vier Kapiteln und beginnt damit, wie George W. Bush in einer Grundschule in Florida von den Flugzeugen erfährt, die in die Zwillingstürme des World Trade Center geflogen wurden. Wer erinnert sich daran nicht? Die Bilder aus New York und auch das Gesicht des US-Präsidenten gingen um die Welt. Michael Moore schrieb später THE WHITHE STUPID MAN und ließ sich darüber aus.

Hier nun erzählen Bush, sein Leibwächter Edward Jackson vom Secret Service, Daniel Shaw, ein Top-Berater Bushs, Brenda Delano, eine Journalistin der Washington Post und Linda Jackson, Edwards Ehefrau von den Ereignissen.

Für Jackson steht die Frage, ob zusätzlich zum schwarzen Dienstag, ein Attentat auf „Dabjah“ (abfällig benutzter Kosename Bushs) geplant gewesen sei, er wird dieser Idee alleinermittelnd folgen.

Delano, in der Tradition von Woodward und Bernsteins Berichterstattung zur Watergate-Affäre stehend, betreibt investigativen Journalismus und geht dabei eine Beziehung mit Shaw ein. Also der Stoff, aus dem Romane sind.

Am Ende wird Jackson in Afghanistan landen und Delano ein Buch schreiben. Aber eben keine alles enthüllende Reportage über Nebenbegebenheiten des 11. September, sondern einen Roman. Diesen hier.

* * *

Autor:  Das ist der Trick, mit dem der alte Profi Wolfgang Schreyer „die Felder Emotion, Perspektive und gelassene Sprache“ abarbeitet, während Sohn Paul umfangreiche Recherchen und Faktenchecks erledigt. Jemand gibt Delano (Schreyer) den Tipp, einen zweiten Teil, überschrieben mit „Fallout“ (Was übrig bleibt) anzufügen und so lesen wir einige sehr authentisch klingende Berichte rund um den die Welt verändernden Terroranschlag. Im übrigen geht es auch darum, ob die Russen in Afghanistan mit des US-Amerikanern zusammenarbeiten könnten – der Roman erschien 2006!

Wem das nicht genügt, der kann sich ja mit den 31 genannten Publikationen beschäftigen, die Schreyers drangehängt haben. Da ist der erste 9/11 COMMISSION REPORT genauso aufgeführt wie zwei Reportagen Bob Woodwards. Und vieles mehr.

* * *

Fazit: Geheimdienste haben schon viel Mist gebaut in der Welt, besonders dann, wenn sie Informationen zurück hielten, verfälschten, ungenügend verteilten oder falsch bewerteten. Es kam ja damals relativ schnell heraus, was zu den Terroristen alles bekannt war. Die anschließenden Kriege dienten wesentlich mehr Interessen als „nur“ der Entgeltung und dem Kampf gegen den Terror. Solches aufzudecken, gehörte schon immer zu Wolfgang Wolfgang Schreyers schriftstellerischen Profils.

Hier nun kann – darüber bin ich wie gesagt froh – nicht (weniger) von einer Verschwörungstheorie oder einem Verschwörungsroman gesprochen werden. Weder wurden die vier Flüge „zugelassen“, noch waren sie Fake, wie Leute behaupteten, die die Türme und WT7 gesprengt sehen wollten. Noch heute sind Menschen wie Ken Jebsen oder Daniele Ganser beschäftigt, krude Ideen auch zu 9/11 zu verbreiten. Ich würde dann lieber bei Woodward, Delano und Schreyer bleiben.

Wer Verschwörungsanhängern folgt, sollte den Roman lieber nicht lesen oder gerade. Er dürfte sicher unterschiedlich interpretiert wurden sein und werden. Hier ist es interessant, einige der Rezensionen zu lesen, die im Netz zum Buch kursieren. Man muss ja nicht allem folgen.

* * *

Ein äußerst geschickt „gebauter“ Roman um einen Stoff, der seit über 20 Jahren ins Weltgedächtnis geschrieben ist. Die meisten, die 2001, sagen wir, mindestens 10 oder 12 Jahre gewesen sind, können sich an die Fernsehbilder erinnern.

Wenn dies und das inzwischen verschüttet ist, dann hilft dieser spannende Roman sicher, etwas Schutt beiseite zu räumen. Aber Vorsicht: auch hier ist es vor allem eines – Fiktion.



© Der Bücherjunge

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