Der Titel des Stücks, sucht man nach diesem, irritiert anfangs etwas: „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“ schrieb Kästner einst für das Buch „Herz auf Taille“. Wer dabei an Goethe denkt, liegt bezogen auf den Titel nicht zu falsch, nur schrieb der im „Lied der Mignon“ in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von „Zitronen“.
Bezogen auf den Inhalt haben beide Dichter hier nichts miteinander zu tun, auch das Versmaß scheint nur oberflächlich ähnlich. Nun aber haben sich die Dramaturgen der „Serkowitzer Volksoper“ den Titel anders zu eigen gemacht. Es sind keine Kanonen, keine Zitronen, es sind Optionen geworden; Optionen der kleinen Leute in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Fünf Einakter und ein „gemeinsames Bühnenfinale“ bekommen wir am 23.Juni 2024 auf der „Zirkuswagenbühne“ in der Dresdner Saloppe zu sehen und zu hören.
Es ist nur eine Geschichte von fünf, die mir bekannt vorkommt, doch dazu später etwas mehr. Ein wenig Recherche zeigt, alle Geschichten stammen aus dem Erzählband „Der Herr aus Glas“. Welche Optionen haben denn die „tief verwurzelte“ Paula, der arbeitslose Geiger, die ausgebombte Mia oder der Beamte, der nie eine Kindheit hatte?
Als zweites ist der Junge dran, der seine kranke Mutter besuchen will. Gesungen und gespielt von Marie Hänsel, die zugrunde liegende Geschichte dürfte „Die Kinderkaserne“ sein, in der ein Gymnasiast das Internat unerlaubt verlässt um nach seiner kranken Mutter zu sehen. Ständig wird er vom aufsichtshabenden Primaner gequält und für Nichtigkeiten bestraft, seien nicht geschaffte Bauchwellen am Reck oder andere. Die Geschichte endet tragisch, denn am Abend, als die Mutter stirbt, stirbt dann auch der Primaner…
Um Mord und Totschlag geht es im Vortrag von Marie Hänsel nicht, sie erzählt singend die Geschichte von Mutter und Sohn. Ich aber werde daran erinnert, was Dr. „Justus“ Böck im „fliegenden Klassenzimmer“ den ihm anvertrauten Schützlingen aus eigener Kindheit erzählt: Wie er nämlich das Internat verlässt und ein Freund die Strafen auf sich nimmt, damit der Junge weiter seine Mutter besuchen kann. (Besonders plastisch übrigens in der Verfilmung von 2001).
Aus dem Programmheftchen |
Doch der erste ist der arbeitslose Dalg, dargestellt von Cornelius Uhle. Entlassen aus der Fabrik, ist er verzweifelt, wie er sich und Tochter samt Schwiegersohn durchbringen soll. In „Ein Menschenleben“ aus dem genannten Buch versucht er mehr schlecht als recht Geige zu spielen, das gelingt dem Cornelius Uhle wirklich gut, wenn er unter der begleitenden Musik gelegentlich auf der ramponierten Geige kratzt. In der Erzählung findet er nur eine Option für sich, einen Strick. Hier wird das etwas erzählt…
„Paula vorm Haus“ heißt die letzte Geschichte im Buch. Paula steht und wächst dort vor dem Haus, wahrlich tief verwurzelt, denn statt Füßen hat sie Wurzeln. Davon singt Dorothea Wagner, deren seltsame Hose dies andeutet. Paula hat in der traurig-fantastischen Geschichte keine Option, sie kann ja nicht weg…
Die ausgebombte Mia kommt berlinerisch daher. Im nachträglichen Lesen des Buches bemerkt man sofort, diese Geschichte folgt dem Text stark. Im etwas angestaubten 20er Jahre-Outfit kommt Julia Böhme zwischen den Zuschauern auf die Bühne zu, plötzlich dreht sie sich um: „ Halli und Hallo! Herbert! Was machst du denn im Reisebüro? Willst du dich auch verlagern?“ und setzt sich einem älteren Herrn in der dritten Reihe auf den Schoß… Anschließend sinniert sie, dass das Leben ja weitergehen muss. Ein Schüsselchen hat sie aus ihrem Hausrat gerettet. Das hat sie dabei. Ihre Option ist ganz klar: Sie muss anderswo hin, allerdings nimmt sie das alles leichter… Es ist auch der humorigste Teil der Einakter, der den Zuschauern diesen oder jenen Lacher entlockt. „Berliner Hetärengespräch 1943“ heißt die Erzählung im Buch.
- Wolf-Dieter Gööck - Aus dem Programmheft |
Aber auch Wolf-Dieter Gööck betritt den Kahn wie die Vier vor ihm, ist es die glückliche Reise in eine paradiesische Welt? Ich lese es, und weiß es nicht mehr. Gööck ist der „Opern-Opa“ und es ist vielleicht sein letztes Stück, aber Enkelin (?) Helene ist noch im Verein der Serkowitzer Volksoper dabei.
Es haben eben alle unterschiedliche Optionen. Vielleicht gibt es ja tatsächlich immer welche, manche scheinen eher philosophisch als praktisch oder machbar zu sein. Stellt man Buch und „Oper“ gegenüber, dann sieht man den Kästner schon, der gesellschaftlich-kritisch, manchmal depressiv und unendlich traurig dem Volk beim Leben zusieht und uns dies aufgeschrieben hat.
Mit der Inszenierung haben Gööck & Co den Erich Kästner auf ihre Art und Weise interpretiert. Das werden Zuschauer und Zuschauerinnen, Leserinnen und Leser gleichermaßen tun (müssen). Ich dachte zum Beispiel bei der ersten Figur, dem Dalg, an einen armen Geige spielenden Juden. Die Musik, also die Klarinette und und die stilisierte Geige erinnerten mich an Klezmer-Musik…
Alle Fünf sprechen und singen hervorragend. Klassischer Gesang in solch einem Stück. Die Besetzung, zwei Akkordeons, ein Xylophon, ein Saxofon, Klarinette, Keyboard und Percussion-Instrumente geben Takt und Ton. Auch den Musikerinnen und Musikern, passend im Matrosenlook, macht das alles Spaß. Milko Kersten, Hochschulprofessor und Dirigent, gibt den Takt an den schwarz-weißen Tasten vor. Der ehemalige Kruzianer hat sicher genug zu tun, aber im Sommer wird er zum „Serkowitzer Wiederholungsoperntäter“.
Ein nachdenklicher Abend mit vergnüglichen Elementen. Es gibt noch einige Vorführungen.
© Bücherjunge
Das war sicher ein schöner Abend...
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