Ein gänzlich anderes Buch führte uns im Oktober 2023 ins Albertinum, diesen Kunsttempel am Balkon Europas, der die Gemäldegalerie der neuen Meister enthält. Obwohl, so gänzlich unterscheidet sich das Büchlein über Emma Ritter von Inge Merkentrupp nicht, denn es geht um Malerei. Daher waren wir auf der Suche nach den „Brücke-Bildern“. Natürlich wurden wir fündig. Auf dem Weg durch die Räume begegneten wir alten Bekannten und verweilten im Saal der Romantik bei Carl Gustav Carus und Caspar David Friedrich. Von deren Freundschaft hatte ich in Kurt Arnold Findeisens Flügel der Morgenröte, in Ralf Günthers Der Leibarzt und in Uwe Tellkamps Die Carus-Sachen gelesen.
CDF. Wie oft stiegen wir vor Jahrzehnten an der Haltestelle der CDF-Straße in den Bus zu den Großeltern. So wurden die Haltestelle und die Straße, wo sich die Praxen der Poliklinik befanden, kurz genannt, obwohl doch Caspar David Friedrich gewidmet, in einem Viertel, dessen Straßen oft nach Malern benannt waren.
Die Betrachtung der Gemälde führte uns nach dem Besuch selbstverständlich in den Buchladen im Foyer, dort fand sich Florian Illies Buch Zauber der Stille. Schon einmal hatte ich Illies aus der Hand gelegt, denn sein Bestseller 1913 war für mich, der ich bildende Kunst, vor allem moderne, wenig oder gar nicht verstehe, einfach zu voll von Informationen.
Aber nun wollte ich es wissen und das Buch passt ja unbedingt in das Jubiläumsjahr, denn der Geburtstag des Malers jährt sich zum 250sten Male.
Auf dem Segler (1818) |
Illies hat keine Biografie geschrieben. Es sind Episoden, angelehnt an die Bilder des Malers und mit diesen wandert der Autor durch die Zeiten. Er erzählt von der Entstehung der Bilder, deren Weg, Verbleib und den Orten von Ausstellungen. Das fängt beim Umschlagbild an. Auf einem Schiff blickt ein Paar auf die Silhouette einer Stadt. Auf dem Segler blicken die beiden auf Dresden, Stralsund oder Greifswald zugleich, denn Friedrich malte, das erfahren wir in Illies Buch, seltener bildgetreu, selbst erkennbare Landschaften beinhalten oft Teile anderer Gegenden, als ob es Collagen wären.
Am Anfang des Buches wird die Geschichte der Heirat des inzwischen über 50jährigen Malers mit der 25jährigen Caroline Brommer erzählt. 1818 ungefähr entsteht das Bild und die beiden hatten eine Reise in die Heimat des in Dresden wohnenden und wirkenden Malers unternommen.
Viel später kommt Illies auf das Bild zurück und erzählt, dass ein russischer Großfürst, der spätere Zar Nikolaus I. das Gemälde erwarb, CDF war chronisch knapp bei Kasse und da er nur „unordentlicher“ Kunstprofessor (Illies) in Dresden werden konnte, auf den Verkauf von Bildern angewiesen. So kommt das Bild erst nach Pawlowsk und dann in die berühmte Eremitage in St. Petersburg.
Um die Jahre 2021 und 2022 findet in Dresden eine Ausstellung statt, die sinniger Weise „Träume von Freiheit“ benannt wird. Dafür wird das Bild nach Dresden ausgeliehen und der russische Außenminister Lawrow wird im Ausstellungskatalog die Romantik als „einzigartige grenzüberschreitende Kunstbewegung“ bezeichnen. Im Februar 22 kehrt das Bild zurück und die „Träume der Freiheit“ bekommen für den russischen Nachbarn Ukraine eine tiefgreifende aktuelle Bedeutung.
Das sind die Geschichten, die Illies erzählt, wie die vom „Tetschener Altar“ oder vom Brand im Münchner Glaspalast 1931. Über 3000 Kunstwerke fielen dem Feuer zum Opfer, darunter vier Gemälde von Carl Gustav Carus und neun Bilder von Caspar David Friedrich.
Illies beginnt das Buch mit einem „Vorwort“ oder „Prolog“, eben mit dem Bild des Ehepaares Friedrich „Auf dem Segler“. Sodann schreibt er vier Kapitel, die er nach den Elementen benennt: Feuer – Wasser – Erde – Luft. Daher ist die Geschichte vom großen Feuer in München gleich die nächste. Den Kapiteln sind bezeichnende Gemälde vorangestellt, auf dem ersten brennt allerdings Neubrandenburg, wo ein Teil seiner Familie wohnt.
So erlesen wir uns ein buntes Kaleidoskop durch die Zeit, bei dem der Autor gelegentlich, wenn auch selten, seltsame Querverbindung aufzeigt, wenn zum Beispiel die Hauptaufenthaltsorte von Caspar David Friedrich als Gebiet der ehemaligen DDR bezeichnet werden. Warum so etwas?
Diesen Zusammenhang hätte er mit einer anderen Episode herstellen können, die ein anderer erwähnt, wenn nämlich der Kurator der Dresdner Gemäldegalerie, Hans Joachim Neidhardt, zwei wichtige Gemälde für seine Ausstellung 1974/75 nicht erhält, obwohl er Dresdner Gemälde von CDF für eine Hamburger Ausstellung verliehen hatte: DER MÖNCH AM MEER und DIE ABTEI IM EICHWALD. Weil diese in der Stiftung preußischer Kulturbesitz hingen, hatte die DDR irgendwelche juristischen Rechtsansprüche geltend gemacht.
Der Mönch am Meer (1808-10) / Die Abtei im Eichwald (1809-10) |
Aber natürlich dürfen beide Gemälde in Zauber der Stille nicht unerwähnt bleiben, denn beide hatte sich der preußische Kronprinz nach dem Tode seiner Mutter Luise von Preußen in seiner Trauer vom Vater gewünscht, und der König erwarb diese auch.
Den „Mönch“ wird aus anderen Gründen noch ein weiterer Post erwähnen. So manches wäre noch zu bemerken, zum Beispiel das Thema „Menschen malen“ und die Rolle des Malers Clausen Dahl dabei, aber für die Buchvorstellung sollte dies genügen.
Diesmal habe ich den „Illies“ mit Freuden und großem Interesse gelesen, das Thema war ja auch „begrenzt“ auf einige wenige Maler. Deutlich wird, wie unterschiedlich ein solcher und seine Werke im Laufe der Zeit gesehen werden, vom zwischenzeitlichen vergessen werden bis zur Vereinnahmung der Nationalsozialisten als „den deutschen Romantiker“, obwohl sie doch sonst damit gar nichts am Hut hatten.
Es ist ein kurzweiliges Buch, welches durch die Geschichte, die Werke und das Leben des in Greifswald geborenen Dresdner Malers springt, vor und wieder zurück. Mit diesem Hintergrund kann man sich sehr schön in weitere Ausstellungen bewegen, man sieht Bilder plötzlich anders, ich habs probiert. Ein richtiges Stöber-Buch. Wenn man wissen will, was Walt Disneys BAMBI mit dem Maler verbindet oder vieles mehr, muss man das Buch lesen.
Carus und Friedrichs: In der Gemäldegalerie Neue Meister fotografiert. |
Florian Illies, geboren 1971, der in Oxford und Bonn Kunstgeschichte studierte, „verwebt in seinem besonderen Stil viele kurze Miniaturen zu großen historischen Epochenporträts.“ (Verlag) Das mit 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts begründete neue Genre erhält mit Zauber der Stille eine sehr schöne Fortsetzung.
Illies über CDF
- DNB / S. Fischer Verlag / FF a.M. 2023 / ISBN: 978-3-10-397252-8 / 256 S.
© Der Bücherjunge
CDF und Bambi? Das macht ja neugierig...
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