Über der Bühne winkt Walter Ulbricht, um den und andere gehts, denn Ilko-Sascha Kowalczuk stellt beide Bände seiner Biografie über den "erfolgreichsten Kommunisten Deutschlands" vor. Die Eingangsrede hält der Präsident der Gastgeberin, Christoph Markschies, er hat durchaus Beziehungen zu Ulbricht gefunden, denn in diesem Gebäude saß ehemals die Akademie der Wissenschaften der DDR. Nach einem Grußwort von Frank Ebert, trat Ilko-Sascha Kowalczuk an das Rednerpult und stellte zum Beispiel fest, dass es ein Verlag wie C.H. Beck sicherlich nicht so toll findet, wenn der Autor einer 2000seitigen Biografie sich eigentlich keinen Deut darum scheert, wie es denn um den Verkauf eines solchen Werkes stehen könnte. Ansonsten wäre der Verlag der "Olymp" für einen Historiker wie ihn.
Der Hinweis auf die Marx-Biografie des "großen marxistischen Historikers" Franz Mehring lies mich gestern das eBook besagter Biografie erwerben. Mal sehen, wie sich die über einhundert Jahre alte Biografie lesen lässt.
Dann fragte er noch, ob denn Geschichte überhaupt einen Sinn aufweist, und ob dann eine Biografie fragwürdig wäre, wenn dies nicht so wäre. Trotz des Bezuges auf Leute wie Sartre oder Popper, das Publikum wird schon einen Sinn darin gesehen haben, der Diskussion rund um die Buchvorstellung zu folgen.
Auf dem Podium saßen neben dem Autor der Regisseur Leander Haußmann, Marianne Birthler, die ehemalige Beauftragte für die Staatssicherheitsunterlagen und Wolf Biermann. Der bildet dann den Kontra- und gleichzeitigen Bezugspunkt zum Thema, ist er doch in der Runde der Älteste.
Hat sich der Autor an Walter Ulbricht abgearbeitet hauptsächlich aus Interesse an der Geschichte des Kommunismus in Europa, der Kommunistischen Partei Deutschlands und der DDR, so kam er seinem Protagonisten irgendwie näher, je mehr er von diesem wusste oder verstand. Ein wenig ging es so auch seinem Freund Wolf Biermann, der den einstigen Staatschef der DDR ursprünglich wie viele nur als "Witzfigur" sah, nun aber in der Lage sei, den Menschen zu erkennen und dabei Parallelen zur eigenen Familiengeschichte zu ziehen.
Das alles in seiner wohl typischen Art zu gestikulieren und seinen Text förmlich zu deklamieren. Für mich durchaus Erkenntnis bringend, denn dass ich Biermann mal "gegenübersitzen", ihn reden und singen hören würde, hätte ich vor wenigen Monaten nicht gedacht. (Und nun steht seine signierte Autobiografie im Regal - so kann es kommen mit diesem Kowalczuk und "seinem" Ulbricht).
Der bringt im Laufe der Diskussion ein, dass man 1919 und die darauffolgenden Jahre in der kommunistischen Bewegung eine junge Bewegung sehen muss, in der junge Leute wie damals der Leipziger Tischler Ulbricht die Basisarbeit machten, den "Dreck wegräumten" und sich so profilierten. Durch Arbeit. Es würde heute an jungen Leuten fehlen, die sich so wie er für seine Sache, für die Demokratie und Politik einsetzen würden (nicht dass es sie nicht gäbe, aber es könnten mehr sein).
So wurde Ulbricht folgerichtig Vorsitzender der berlin-brandenburgischen KPD, der wichtigsten kommunistischen Gruppe in Deutschland und sogar Europa.
Bis 1945 hätte keiner über Walter Ulbricht gelacht, der durchaus rhetorisch und schlagfertig gewesen sei, wie viele der späteren Politbüromitglieder, die aber allesamt diese Fähigkeiten "plötzlich" vermissen ließen: Es gab keine Gegner mehr, so wie im Reichstag oder den Landtagen in Preußen oder Sachsen. Auch das ist eine verblüffende Überlegung, die einem später Geborenen vermutlich gesagt werden muss.
Auch hier haut Biermann in die Runde, so wäre nun der Ulbricht "eine Fliege im Bernstein meiner Balladen", verweist noch einmal auf seinen kommunistischen Vater, der als Jude im Konzentrationslager ums Leben kam. "Der Weg in die paradiesische Welt des Kommunismus führte durch die Hölle."
Ein Exkurs in Bezug auf Wissenschaft und Kunst ging etwas schief in der von Harald Asel (rbb24) moderierten Runde, weil sich Leander Haußmann nicht so richtig einbringen konnte.
Ilko-Sascha Kowalczuk sprach gegen Ende davon, dass sich Sichtweisen, auch auf Walter Ulbricht durch junge neue Literatur bestimmt auch ändern könnten und würden, neue Rezeptionen entstehen würden. Aktuelle Literaturdiskussionen zeigen das an. (Ich denke, dies gilt auch für so einige Sichten auf die DDR).
Für mich persönlich bleibt, und daran hat dieser Wolf Biermann durchaus seinen Anteil, dass man, spricht man vom Kommunismus und der durch ihn installierten Diktatur, natürlich genau von den Folgen dieser sprechen und schreiben muss. Dass es in Art und Weise, in den Methoden Ähnlichkeiten und Unterschiede gab sind Fakten. Dass aber hunderttausende Kommunisten als Menschen wesentlich differenzierter betrachtet werden müssen und denen auch zugehört werden sollte, könnte auch in Hinsicht auf die weitere Geschichtsrezeption der DDR eine Bedeutung haben.
Und: Eine gelungene Biografie, eine anspruchsvolle interessante Veranstaltung.
Dazu gibt es vielleicht in der Rezension zum Band 2 der Biografie in einigen Wochen noch etwas zu sagen, hier bedanke ich mich bei Ilko-Sascha Kowalczuk für so mancher meiner (neueren) Einsichten, Wolf Biermann für ein unerwartet berührendes Lied und beim Verlag für das Vertrauen und zwei dicke Rezensionsexemplare.
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Wen du alles triffst! *staunt* Da bin ich ja gespannt auf deine weiteren Rezensionen!
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