Nachdem ich von seinem Roman '6 Uhr 41' recht angetan war, wurde ich neugierig, als ich die Möglichkeit erhielt, dieses Buch zu lesen. Ich gewann den Roman im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks, worüber ich mich sehr gefreut habe.
Diesmal will ich es kurz halten: dieses Buch gehört definitiv zu meinen Highlights im vergangenen Jahr! Weshalb? Das kann hier ausführlich nachgelesen werden:
Inhalt: (Quelle: Hanser Literaturverlage)
Ein Ereignis, das alles verändert für den Pariser Studenten
Victor ... Ein sensibler und zärtlicher Roman von Bestsellerautor
Jean-Philippe Blondel
Victor hat die Provinz hinter sich gelassen und ist zum Studium nach Paris gezogen. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, der Druck an der Uni ist hoch. Victor ist einsam und fühlt sich unsichtbar. Einzig mit Mathieu, einem Jungen aus dem Kurs unter ihm, raucht Victor hin und wieder eine Zigarette. Als Mathieu in den Tod springt, verändert sich für Victor alles. Plötzlich wird er, der einzige Freund des Opfers, sichtbar. Seine Kommilitonen interessieren sich plötzlich für ihn, und langsam entwickelt er zu Mathieus Vater eine Beziehung, wie er sie zu seinem eigenen Vater nie hatte. „Ein Winter in Paris“ ist ein sensibles und zärtliches Buch über das, was uns Menschen zusammenhält.
WENDEPUNKTE...
Paris im Winter (Quelle: Pixabay) |
Es gibt Erlebnisse, die
stellen einen Wendepunkt im Leben dar - einen Knall, der unaufhaltsam
alles verändert, was zuvor war, der alles hinterfragt, der Beziehungen
verschiebt, Wertungen neu fokussiert und zuweilen ganze Lebensläufe
umlenkt. Solch ein 'Knall' steht im Mittelpunkt des neuen Romans von
Jean-Philippe Blondel und mit ihm der 19jährige Victor.
"Wir halten wesentlich mehr aus, als wir immer denken." (S. 10)
Tatsächlich
ist der Buchtitel treffend gewählt - und diesmal auch wörtlich vom
französischen Original übernommen: 'Un hiver à Paris'. Denn es geht in
diesem Roman hauptsächlich um die Ereignisse in diesem einen Winter, in
dem Victor sich in seinem zweiten Jahr der Vorbereitungsklasse des
literarischen Zweiges befindet, in der man sich auf das Auswahlverfahren
für eine der elitären Écoles normales supérieures vorbereitet.
Das
erste schwierige Jahr liegt bereits hinter Victor, das ihm aufgezeigt
hat, dass er als ein Junge aus der Provinz nicht wirklich dazu gehört,
weil er in seiner Kindheit und Jugend nicht wie die meisten anderen
Studenten mit Kultur gefüttert wurde. Auch ansonsten fehlen ihm die
Zugangscodes, die dafür sorgen würden, auf Feten eingeladen oder auch
überhaupt nur angesprochen zu werden. So war das erste Jahr nicht nur
mit einem immensen Lernpensum gefüllt, sondern für Victor vor allem
eines: einsam.
"Als
ich die Ergebnisse der Notenkonferenz erfuhr, habe ich jedoch keinen
Freudensprung gemacht. Schließlich bedeutete das nur, dass ich ein
weiteres Jahr an diesem Lycée, an dem ich ein Niemand war, ignoriert
werden würde." (S. 23)
Zu
Beginn seines zweiten Jahres am Lycée lernt Victor in den Pausen
Mathieu kennen, ein Außenseiter wie er selbst und eine Klasse unter ihm.
Während sie gemeinsam rauchen, entdecken sie die Ähnlichkeiten ihrer
Rollen, doch über einen anfänglichen Kontakt kommen sie nicht hinaus.
Denn mit einem Schrei stürzt sich Mathieu bald darauf aus einem Fenster
der Schule und kommt so zu Tode.
Dies
ist der 'Knall', der alles scheinbar Festgefügte ins Rutschen und
Victor gehörig aus dem Gleichgewicht bringt. Oft wacht er nachts auf,
weil er den Schrei wieder hört, doch plötzlich ist Victor auch für seine
Mitstudenten sichtbar. Als vermeintlicher Freund des Opfers ist er nun
auch selbst ein Opfer und damit interessant für die anderen. Er wird
angesprochen, eingeladen, wahrgenommen. Und beginnt dies bei aller
Irritation allmählich auch zu genießen.
"Matheius
Körper war nur ein Stein gewesen, den jemand in einen Teich geworfen
hatte. Der Aufprall hatte zwar einige Ringe erzeugt, die sich für einige
Sekunden ausbreiteten, doch danach war die Wasseroberfläche wieder
glatt geworden. Vielleicht hatten sich ein oder zwei Badende an diesem
neuen Hindernis, das im Boden steckte, in den Fuß geschnitten, doch die
Wunde hatte sich rasch wieder geschlossen (...) Das hätte Mathieu
eigentlich klar sien müssen. Ob er lebte oder tot war, machte keinerlei
Unterschied. Dann lieber leben." (S. 158)
Viele Aspekte werden in diesem gerade einmal 190 Seiten starken Roman angesprochen und beleuchtet. So
wird beispielsweise das Schulsystem nebenher kritisch hinterfragt, der
Druck, der auf den Studenten lastet, die Allmacht der Lehrer, die ihre
Neurosen oftmals ungestraft auf Kosten der Schüler ausleben können, das
elitäre Denken... Und es werden die Macht und Undurchlässigkeit sozialer
Unterschiede aufgezeigt, die einen nahezu entwurzeln lassen, wenn man
neue Kenntnisse und Kompetenzen erwirbt, die einen vom eigenen Ursprung
unwiderbringlich entfernen.
Doch es ist die persönliche Entwicklung Victors, die in diesem Roman zentral im Mittelpunkt steht,
seine anfängliche emotionale Unterkühltheit, seine Unsicherheit
bezüglich seines Lebensweges, seine große Distanz gegenüber seinen
Eltern - alles beginnt sich aufzulösen und zu wandeln. So bieten Victor und der Vater von Mathieu einander
nach dem Tod des jungen Mannes gegenseitig Halt, suchen dabei etwas
beim anderen, das sie womöglich nicht finden werden.
"Und
deshalb brauchten Sie ... ja, was eigentlich? Was kann man bei einem
Vater finden, der kürzlich seinen Sohn verloren hat?" - "Ich weiß nicht
... einen Platz?" (S. 171)
Jean-Philippe
Blondel gelingt es trotz der überschaubaren Seitenzahl viel
Inhaltliches zu präsentieren und auszudrücken. Der Schreibstil ist dabei
oft bewusst distanziert gewählt, entfaltet jedoch gleichzeitig eine
unglaubliche Intensität, der sich der Leser nicht entziehen kann. Die
Verwirrung, die Betäubung der Gefühle ist nahezu greifbar, die
Orientierungslosigkeit, die Suche des jungen Mannes nach seinem Platz im
Leben - erschüttert durch den Selbstmord eines eigentlich nur
oberflächlich bekannten Mitschülers.
Bei
derartigen Büchern beschäftigt mich immer der Gedanke, ob darin nicht
auch ein autobiografischer Anteil des Autors mitschwingt. Und
tatsächlich verrät Blondel in einem Interview mit dem Hanser Verlag:
"Im Oktober 1984 war ich zwanzig Jahre alt. Ich bereitete mich in einem großen Lycée in Paris auf das Studium vor. Einer der Studenten aus der Klasse gegenüber der unseren hat genau das gemacht, was Mathieu im Buch tut. Der Schrei blieb all die Jahre in mein Gedächtnis eingebrannt. Es passiert mir immer noch, dass ich nachts aufwache, weil ich ihn höre. Victor ist dem, der ich damals war, sehr ähnlich (auch wenn mein Leben viel komplizierter war). Er ist ein Doppelgänger, ein Bruder – ich habe ihn in mir leben/wiederaufleben gespürt, als ich den Roman geschrieben habe." (Quelle: 5 Fragen an Jean-Philippe Bondel)
Ein leiser Roman, sensibel und sprachgewaltig - beeindruckend!
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
- Verlag: Deuticke Verlag (24. September 2018)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Anne Braun
- ISBN-10: 9783552063778
- ISBN-13: 978-3552063778
- ASIN: 3552063773
- Originaltitel: Un hiver à Paris
Informationen zum Autor: (Quelle: Hanser Literaturverlage)
Jean-Philippe Blondel wurde 1964 im französischen Troyes geboren, wo er
auch heute als Autor und Englischlehrer mit seiner Familie lebt. Sein
Roman 6 Uhr 41
(Deuticke 2014) wurde ein Bestseller. Auf Deutsch erschienen außerdem
die Romane "Zweiundzwanzig", "Direkter Zugang zum Strand", bei Deuticke
This is not a love song (2016), Die Liebeserklärung (2017) und Ein Winter in Paris (2018).
Das schein ein gutes Buch zu sein. Interessant beschrieben.
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