Dienstag, 15. Januar 2019

Hetze, Willi: Die Schwärmer

In einer hoffentlich fernen, besser noch, nie so eintreffenden Zukunft, scheint in einem kleinen Kaff im Norden noch alles beim alten zu sein. Bis mit einem Schlag keine Post mehr kommt. Die Chefin des Postamtes sendet ihren Sohn, der bisher als Postbote arbeitete, in die „Hauptstadt“. Er soll ergründen, was da los ist.

Es ist eine seltsame Stadt, in die Teo da kommt. Gleichsam fortbauend bewegt sie sich in der Fläche und in die Höhe. Das Hauptpostamt liegt irgendwo in einer der unteren Ebenen. Man braucht es nicht mehr, Briefe werden nicht mehr geschrieben, Pakete könnten mit Drohnen versendet werden. Nun regiert der SCHWARM.

„Der Ort der Macht war nie ein Palast oder Parlament, sondern immer schon das Hirn.“ (Seite 130)

Alle Menschen sind durch in diesen Schwarm durch ihren Funknerv verbunden. Den Funknerv bekommt man, indem man eine runde Kugel wie eine Pille schluckt. Nichts ist mehr geheim, nichts geht mehr verloren, selbst nach dem Tof sind die Gedanken, selbst die Gefühle für andere SCHWÄRMER abrufbar.




Teo trifft auf verschiedene Schwärmer, da ist zum Beispiel der Ingenieur. Der versucht zu überzeugen: 

„Du bist so misstrauisch. Senden nicht die Menschen schon mit der Schrift einander ihre Gedanken? Man kann Prothesen und Fahrzeuge mit Gedanken steuern, dank neuronaler Kartierung und Sensoren. Das Gehirne aber nicht nur mit Geräten, sondern auch miteinander kommunizieren können, ist nichts, was verwundern müsste. Es ist direkt und konsequent.“ (Seite 139/140)

Man kann alle Erinnerungen zurückrufen. Die Schwärmer nennen das das „Gestern“ der Ingenieur erklärt: 

„Der Funknerv verflicht sich mit dem Gehirn, So kannst du alles, was du siehst, im Schwarm speichern, alles was du hörst, riechst, schmeckst und fühlst. Er ist ein perfektes Gedächtnis in allen Sinnen, viel exakter als der unzureichende Speicher der Menschen.“ (Seite 144)



Es gibt noch ein paar ANALOGE, die das nicht mitmachen und dagegen kämpfen. Sie halten sich tapfer, sind aber nur wenige. Einer von ihnen, Aaron, der seinen Vornamen behalten hat und nicht auf seine Funktion (Ingenieur, Reporterin, Informatiker) reduziert wird, sagt etwas später im Buch: 

„Menschlich, künstlich - Intelligenz ist Intelligenz. Im Schwarm steht der Weiterentwicklung kein biologischer Organismus mehr im Weg. Diese Schwarmintelligenzen sind die Abschaffung des Körpers. Aber ich bin ein Körper und will nicht abgeschafft werden.“ (Seite 348)

Doch Teo macht sich seine eigenen Gedanken und bleibt skeptisch, auch wenn er selber einen Funknerv erhalten hat: 

„Der Schwarm ist so klung und so dumm wie alle Menschen, die in ihm schwirren. Dort mischen sich Tatsachen, Vermutungen, Glaube, Gefühl, Fehlbarkeit, bruchstückhafte Wahrnehmungen und Lügen.“ (Seite 160)

Mit diesen Gedanken fährt er nach Moorstedt zurück, in dem es noch keine „Funkabdeckung“ gibt – eine seltsame Ruhe breitet sich für eine Weile in seinem Gehirn aus.

Die „moderne“ Welt Krieg führt Krieg gegen einen angeblichen, unsichtbaren (?) Gegner. Die Befehle werden über den SCHWARM entgegengenommen und gegeben. Mit dem Krieg kommt Teo, gleichsam als Scout wieder nach Hause. Er ist Teil eines „Krieges um die digitale Evolution...“ Es zeigt sich aber auch, das militärische Führung keineswegs einfacher wird, wenn alles mit allem und jeder mit jedem verbunden ist.

Am Ende sind es die Katzen...

* * *

Salomo Publishers
Der Autor, Willi Hetze ist Mediensoziologe. Der Verlag, Salomo Publishing, erklärt auf seiner Webseite, Dr. Hetze wäre einer der interessantesten Jungautoren der „Digital Natives“. Der Duden sagt dazu aus, dies wären Personen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind. Das ist dann wohl richtig, denn Willi Hetze wurde 1985 geboren. 
Er beschäftigt sich „mit dem Einfluss digitaler Medien auf moderne Lebensentwürfe und der Vermischung virtueller und sozialer Wirklichkeiten."  

Hat man den vorliegenden Roman gelesen, erschließt sich einem eine weitere Aussage des Verlages, wenn er seinem „Senior Public Relations Consultant“ eine poetischen und pointierte Sprache attestiert und die Texte surreale Dimensionen aufweisen. 


„Der Morgen haucht seinen grauen Atem in die Nacht.“ (S. 337) 
„Am Nachmittag zerknittert und vergilbt der Wolkenhimmel wie Pergament.“ (S. 328)
„Teo fuhr der weißen Morgensonne entgegen, die gleißend über den Kammwäldern den Wolkenthron bestieg.“ (S. 319)

Solche Sätze fallen nicht aus dem Rahmen, sie fallen einfach auf und bringen den Leser ein Stück in die reale Welt, welche allerdings Parallelen aufweist. Künstliche Intelligenz, heute und im jetzt als die Zukunft angepriesen, ist nicht ungefährlich. Was passiert, wenn der Datenschutz  vollständig aufgehoben ist, hier finden wir eine dystopische „Lösung“

* * *

Künstliche Intelligenz. Ich glaube, was das bedeutet kann man noch nicht richtig vorstellen. Die grausigste „Einführung“, finde ich, hat Willi Hetze hier aufgezeigt.


(Quelle)
Momentan ist man noch gespalten, was die KI betrifft. In einer Befragung haben 45 % ein ausgeglichenes Verhältnis von Nutzen und Risiko angenommen, aber 26 % bewerten das Risiko höher. Das betrifft die ältere Generation.
In dem Beitrag wird von Maschinen in Bewerbungsgesprächen gesprochen, was den subjektiven Faktor auschließen soll. Noch aber sind die meisten wohl dagegen. Interessant weiterhin Ablehnung intelligenter Waffensysteme, damit sind wir wieder dicht bei Willi Hetze angelangt. Die Steuerung von Waffensystem sollte lieber nicht in die „Hände“ von Computern gelegt werden, meinen 71 % der Befragten. (Quelle)


Die Bundesregierung hat eine KI – Strategie. Sie will Deutschland zu einem führenden Standort machen, „eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung sicherstellen“ und das Ganze auch ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft einbetten.

Mein Auto hat eine Spurhaltefunktion. Für eine kurze Zeit, bleibt es ohnen Anfassen der Lenkung auch in einer Autobahnkurve in der Spur. Aber noch meckert es und will nach kurzer Zeit, dass ich die Lenkung wieder übernehme. Ob aber Autos wirklich autonom am Verkehr zu meinen Lebzeiten „teilnehmen“ werden, glaube ich noch nicht. Das Navi in den selbstfahrenden Autos in Willi Hetzes Roman funktioniert aber immer noch genau wie meins. Ist die KI doch schon umfassender und näher als wir uns vorstellen können?



* * *

Es war nicht ganz einfach, diesem Roman zu folgen. Zeitweise hielt mich nur das Interesse an der Hauptfigur, diesem Teo bei der Stange. Nach einem Drittel des Buches allerdings, war ich doch voll bei der Sache. Nun, da ich nach Tagen hier an diesen Zeilen sitze, denke ich an das Lesen und auch an Willi Hetzes Vorstellung bei Dresden (er)lesen im Oktober 2018 zurück. 

Hetze schreibt „Googels Traum, in die Katastrophe gedacht“ und führt den Leser in einen „Sog der digitalen Dystopie“. So könnte man die Pressestimmen auf der Verlagsseite kurz umreißen. 



Es ist ein spannendes, ein Angst erzeugendes Buch. Es passt in unsere Zeit.

Die Tipps von Salomo Publishing waren immer gut. Ein Tipp an Dresdner Leser: Geht doch mal bei Shakespeares Enkeln vorbei. 

DNB / Salomo Publishing / Dresden 2018 / ISBN: 978-3-941757-84-4 / 375 S.
zuerst veröffentlicht auf Litterae Dresdensis am 13.01.2019

© Der Bücherjunge



2 Kommentare:

  1. Die selbstfahrenden Autos sind kaum noch Science Fiction... Dazu findet man zahlreiche Artikel. Erschreckend aber wohl unaufhaltsam.

    https://www.trendsderzukunft.de/schweden-schicken-selbstfahrende-autos-auf-die-strasse-pilotprojekt-auf-pendlerstrecken/

    http://www.spiegel.de/auto/aktuell/selbstfahrendes-auto-uber-bei-toedlichem-unfall-womoeglich-schuldlos-a-1198914.html

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