Freitag, 3. Januar 2025

Werfel, Franz: Eine blassblaue Frauenschrift

Das spannende an dieser Reihe PERLEN DER LITERATUR ist, dass mir unterschiedlichste Genre, viele, mir bisher unbekannte Autoren in vermeintlich gleichartigen Büchern begegnen; ein Literaturerlebnis der besonderen Art, welches nun schon seit September 2022 anhält. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern dieses Blogs sind die blauen Bände mit der silbernen Prägeschrift vielleicht aufgefallen, dies ist der dreizehnte von mittlerweile dreißig Bänden.

Daher ist es womöglich unnötig, ausführlich zu erklären, dass die Bücher fadengeheftet sind, jedes andere Drucktypen und ein anderes Vorsatzpapier aufweist. Textstellen werden ansprechend kalligrafisch zum Blickfang wie auch die Bauchbinde, die als Lesezeichen verwendet werden kann und auf der man neben farbigen Schlagwörtern eine kurze Inhaltsbeschreibung und Autorendaten findet. In der Hoffnung, andere bibliophile Leute könnte dies ebenso interessieren, erwähne ich diese besondere Machart wiederholt.

Auf diesem hier fiel mir bald mehr als der unbekannte Titel eines unbekannten Autors dieses Schuld und Sühne auf, an Dostojewskis Roman erinnernd; nach Ende der Lektüre stellt der Blogger fest, so hätte auch diese Erzählung heißen können. 
Statt eines Schutzumschlages ziert diese Bücher besagte Bachbinde. Hier findet sich die Inhaltsangabe des Verlages.

Dieser Leonidas ist vor allem eins: Ein Beamter, genannt: „Herr Sektionschef!“ Als solcher hat er eine herausgehobene Position im Bildungsministerium. Dort beschäftigt man sich zum Beispiel mit der Besetzung von Lehrstühlen an der Universität. Wenn ein Kandidat allerdings jüdischer Herkunft ist, dann sind des fachlichen Qualifikationen offensichtlich zweitrangig. 

Gefühlt denkt der lesende Blogger irgendwie an das habsburgische Kaiserreich, tatsächlich aber haben in Deutschland bereits die Nationalsozialisten die Macht übernommen. Daher ist der Antisemitismus inzwischen mehr als offensichtlich, den Franz Werfel in diesem Buch offenlegt, wenn er Personen zum Beispiel durch den Protagonisten als „intelligente Israeliten“ bezeichnet, bei denen es trotz hoher persönlicher Entwicklung am Ende doch irgendwo hapert, und sei es am Takt.   

Zuvorderst ist „man“ aber Beamter: „Der geschulte Beamte besitzt ja die Fertigkeit, über jeden Sachverhalt einen ‚Akt zu errichten‘ und ihn damit dem Schmelzprozess des Lebens zu entreißen.“ (S. 41) - Seltsam aktuell: „Gleich den anderen höchsten Beamten des Staates hegt der Sektionschef keine besondere Hochachtung für die Herren Minister. Diese wechselten nämlich je nach Maßgabe des politischen Kräftespiels, er aber und seine Kollegen bleiben.“ (S. 65)
Der ganze Typ erscheint wenig sympathisch, sucht nach seinem Vorteil, windet sich unerträglich, wenn etwas nicht klappt, er in einen Fettnapf tritt und somit in ungünstigem Licht erscheint.  
Franz Werfel beschreibt damit einen Typus, der letztlich die Verantwortung, die er für politische Verhältnisse trägt, weit von sich schiebt. 

Als Vertreter eines „lyrischen Expressionismus“ schreibt Werfel in einem Stil, der heute nur noch selten zu lesen ist, seine Beschreibungen sind gelegentlich ausufernd und bunt:

„Nach hundert Schritten fiel er auf eine Bank. In diesem Augenblick arbeitete sich einstrahlender Oktobersonne durch und besprengte den Rasen gegenüber mit einem dünnen Schauer.“ (S. 61)

Der Monolog seiner Frau Amelie angesichts der „blassblauen Frauenschrift“, zeigt die Fabulierfreude des Autors, das ist es, was an Texten vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft fasziniert. Leonidas aber bekommt wieder Oberwasser und im Gespräch mit seiner Jugendliebe Vera kann er von oben herab wirken: Keine Verantwortung gegenüber ihr und letztlich in allen Dingen. Ekelhafter Typus.  

Werfels Bücher waren in den zwanziger und dreißiger Jahren Bestseller, lesen wir in der Wikipedia, wo das Werk so charakterisiert wird: Die blassblaue Frauenschrift „ist die Geschichte über den Verrat einer Liebe, das Psychogramm eines Opportunisten und ein zeitgeschichtliches Dokument über den latenten Antisemitismus in der Ersten Republik Österreichs.“  

Daher erfolgte die Aufnahme in die Reihe Perlen der Literatur folgerichtig, denn in dieser erschienen bisher und werden in Folge erscheinen Bücher, die bedeutsam und richtungsweisend in der Zeit des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts gewesen sind. 

* * *

Verfilmt wurde der Stoff 1984 von Axel Corti. Darüber wird in Kürze eine Ergänzung hier finden sein. 

Wiederholt danke ich dem Verleger Ralf Plenz für das Rezensionsexemplar. Ein weiteres außer-gewöhnliches Buch, welches mir vermutlich nie in die Hände gefallen wäre ohne Kenntnis über und Spaß an dieser vielseitigen Reihe.


Die "Perlenreihe" - Meine Rezensionen:

Proserpina (Elisabeth Langgässer) / Seefahrt ist not! (Gorch Fock) / Einbahnstraße (Walter Benjamin) /
Die Schatzinsel (Robert Louis Stevenson) / 1984 (George Orwell) /  Pallieter (Frans Timmermans) /
Kleine Stadt (Heinrich Mann) / Palmström... (Christian Morgenstern) / Die Weihnachtsuhr (Antje Thietz-Bartram) / Forschungen eines Hundes (Franz Kafka) / Das Fenster zum Sommer (Hannelore Valencak) / Bezaubernder April (Elisabeth von Arnim)



© Bücherjunge




1 Kommentar:

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