Mittwoch, 8. November 2023

Kafka, Franz: Forschungen eines Hundes / Der Bau

Kafka, Franz. 1883 – 1924. Oft hat er es bisher nicht geschafft in unseren Blog. Anne Parden schrieb 2015 über seinen BRIEF AN DEN VATER. Sie bemerkte dazu, dass der Diskurs zwischen Vater und Sohn dem Leser vor Augen führen könnte, was Kafkas Erzählungen und den drei Romanfragmenten zugrunde läge. Es wäre ein beunruhigender aber aufschlussreicher Einblick gewesen.

An Franz Kafka hatte ich mich gelegentlich versucht. Der schmale Band EIN LANDARZT mit kleinen Erzählungen, den ich einst in Prag erworben hatte, steht auch nur „angelesen“ im Regal. Jetzt begegnete mir Kafka im zehnten Band der aufmerksamen Bloglesern bekannten Reihe Perlen der Literatur. Langsam steige ich dahinter. Zumindest, was es bedeutet, wenn einem Text das Prädikat „kafkaesk“ erteilt wird.

„Kafkaesk“, schreibt Charlotte Ückert im Vorwort des bekannt schönen Buches der Perlenreihe, ist ein Text, wenn „Absurditäten bis in die kleinste Gedankenzelle reicht.“ Dies würde man beim Lesen der Erzählung FORSCHUNGEN EINES HUNDES erfahren können. 


Es erscheint wirklich absurd, was der (alternde?) Hund da so von sich gibt, wenn er darüber „philosophiert, „woher die Erde denn die Nahrung nehme“. Auch seine Gedanken zu den „Professionen“ anderer Hunde, die da zum Beispiel Lufthunde und Musikhunde sind, sind deswegen absurd, weil der Erzähler, also Franz Kafka, jede Überlegung unmittelbar widerlegt um gleich darauf das Gegenteil zu behaupten. 

Es fällt nicht schwer, darin immer wieder Analogien zu den Menschen zu erkennen und deren Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft.

Kafka muss über seinen Sinn des Lebens ständig gegrübelt haben. So lässt er den Hund sinnieren:


„IMMER MEHR IN LETZTER ZEIT überdenke ich  mein Leben, suche den entscheidenden, alles verschuldenden Fehler, den ich vielleicht begangen habe, und kann ihn nicht finden. Und ich muss ihn doch begangen haben, denn hätte ich ihn nicht begangen und hätte trotzdem durch die redliche Arbeit eines langen Lebens, das, was ich wollte, nicht erreicht, so wäre bewiesen, dass das, was ich wollte, unmöglich war, und völlige Hoffnungslosigkeit würde daraus folgen.“ (Seite 31)

Hier ergibt sich vielleicht ein kleiner Eindruck dieses „kafkaesken“ Stiles, denn damit lässt es Kafka nicht bewenden, er macht mit solchen Gedanken aus vermeintlich immer neuen Blickwinkeln weiter. Letztlich kommt er, der Hund, auf folgenden Gedanken zu den Hundegenerationen: um letztlich seinen Zweck darin zu sehen, dass er die Ankunft der Nahrung nicht verschlafe.




Ganz ähnlich absurd erscheinen die Gedankengänge eines anderen Tieres, es könnte sich um eine Dachs handeln. Ausgedehnte „Unterkünfte“ schaufeln sich diese im Waldboden an Hängen. Jedoch nennt Kafka die Art des Tieres nicht, welches sich da hauptsächlich unter der Erde aufhält. Inmitten des Baus befindet sich der „Burgberg“ , die Zentrale. Alles dreht sich darum, um die Zugänge, sicher oder nicht, ob andere (gegnerische?) Tiere sich zu ihm durch buddeln könnten, um genügend und abwechslungsreiche Nahrung und immer wieder im Kreise drumrum.

Vermutlich steckt viel Kafka drin. Zum Beispiel wenn man diese Zeilen liest:
„Ich habe den Ort gewechselt, aus der Oberwelt bin ich in meinen Bau gekommen und ich fühle die Wirkung dessen sofort. Es ist eine neue Welt, die neue Kräfte gibt, und was oben Müdigkeit ist, gilt hier nicht als solche. Ich bin von einer Reise zurück gekehrt, besinnungslos müde von den Strapazen, aber das Wiedersehen der alten Wohnung, die Einrichtungsarbeit, die mich erwartet, die Notwendigkeit, schnell alle Räume wenigstens oberflächlich zu besichtigen, vor allem aber eiligst zum Burgberg vorzudringen, das alles verwandelt meine Müdigkeit in Unruhe und Eifer....“ (Seite 117)

Angesichts dessen, was man als Nicht-Kafka-Kenner in der Kürze so liest, fragt man sich, woher der Mann seine Beobachtungen nimmt, oder ob er vor allem ein ständiger Grübler ist, was ich oben schon einmal erwähnte. 
Wenn viel Kafka im Hund und im Untergrundwesen zu finden ist, dann wirkt der Mann nicht sonderlich zielorientiert. Im Ausgang des großen Krieges dürften das viele Menschen gewesen sein, aber beide Erzählungen entstanden (erst) 1931/1932. Oder schreibt sich Kafka hier die Seele herunter, sind das Beobachtungen an sich selbst, eine Rückschau auf das ganze bisherige Leben? 

Und so findet sich in einer Kurzen Geschichte der deutschen Literatur* die Bemerkung, dass Kafka, anders als zum Beispiel Heinrich Mann, nicht "die Gesellschaft bis in ihre Herrschaftssphäre kritisch betrachtete", sondern eben mehr das eigene Umfeld, familiär und beruflich: Kafka betrieb Selbstanalyse.
"Kafkas Darstellung des labyrinthisch gefangenen Menschen wurde zum Synonym für unentrinnbare, bedrückend-absurde, 'kafkaeske' Zustände" **
Die hier besprochenen Erzählungen unterstreichen das, denn sowohl der Hund und vor allem der Dachs oder Maulwurf stehen für dieses labyrinthische Gefangensein.

Überzeugt von sich war er dann sosehr wohl nicht, sein Nachlass sollte sein Freund Max Brod verbrennen, was der allerdings unterließ.




* * *

Der Input-Verlag überlegt sich bei jedem Buch der Reihe Perlen der Literatur Fragen für Literaturgruppen und Lesekreise:

Scheint Ihnen dieses Buch klassisch kafkaesk?
Finden sie dieses parodistische Pendant zur Wissenschaft begründet?
Empfinden Sie den Hund im Buch als schlau?
Welche Handlungen in Ihrem Leben ist aus der Sicht eines Haustieres am merkwürdigsten?
Haben diese beiden Erzählungen viele (und welche) oder wenig Gemeinsamkeiten? 

Allerdings scheinen mir diese Erzählungen nun klassisch kafkaesk, da sie wirklich absurd das unterste zu oberste kehren, dieses ständige wiederholen ohne wirkliches Ergebnis. Das „Wissenschaft“ hier parodiert wird, sehe ich schon, das Geschwätz ist aber letztlich unwissenschaftlich und damit unbegründet.
Nein, der Hund ist nicht schlau, er hält sich dafür. Wie war das eben? Parodie...
Merkwürdig? Mehr Freizeit durch weniger Schlaf... 
Beide Erzählungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Unterschiedliche Aussagen sind, bei zugegebenermaßen gelegentlich oberflächlichem Lesen nicht erkennbar.

Die Diskussion ließe sich ausweiten...


* * *

Es ist nicht unbedingt die Literatur, die ich mir persönlich aussuchen würde. Aber ein Verständnis für verschiedene Literatur fördert der Input-Verlag durchaus, wenn er Franz Kafka in die Reihe einordnet, denn sicher handelt es sich hier und „sprachliche, teils richtungsweisende Besonderheiten“ der Literatur des 20. Jahrhunderts.

In diesem Band erklärt zum Schluss der Herausgeber sehr anschaulich an einer Kafka-Ausgabe buchdruckerische Aspekte. Das ist doch interessant: Broschuren mit Fadenheftung und Papierdeckel, die Leser sollten das Produkt zum Buchbinder bringen, der es nach Wahl des Besitzers einbinden sollte. Die Druckbögen sollten auch erst nach diesem Schritt aufgeschnitten werden.

Die Bauchbinde, mit der jedes Buch der mittlerweile 25 Bände umfassenden Perlenreihe versehen ist, bildet auf der Rückseiten den Schriftsteller ab. Erkennbar ist das abgestimmte Vorsatzpapier, ein zusammengekringelter Hund und eine Röhre, die in den "Bau" führen könnte. Die obigen Bilder zeigen die kalligrafischen Hervorhebungen; alles Merkmal einer Buchreihe, die die Aussage des Herausgebers, er "mache schöne Bücher" unterstreichen.




* * *

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

* Kurze Geschichte der Literatur, Verlag Volk und Wissen, Berlin, 1981, S. 551
** Faszination Weltgeschichte, Band Literatur und Musik, Wissen Media Verlag, München 2004, Seite 165
Perlenreihe auf Litterae-Artesque: Proserpina / Seefahrt ist not / Einbahnstraße / Schatzinsel / 1984 / Pallieter / Kleine Stadt / Palmström / Weihnachtsuhr / 


© Der Bücherjunge



2 Kommentare:

  1. Kafka und ich werden in diesem meinem Leben wohl keine Freunde mehr...

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    1. Der Verleger freute sich, einem Kafka - Verweigere die Texte etwas näher gebraucht zu haben.

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