Mittwoch, 14. Juni 2023

Timmermans, Felix: Pallieter

Mittlerweile sind es fünfundzwanzig Werke, die der INPUT-Verlag in seine Buchreihe Perlen der Literatur aufgenommen hat. Der sechste Band dieser Reihe stammt von einem flämischen Schriftsteller und Maler. Felix Timmermans, der wurde am 5. Juli 1886 in Lier bei Antwerpen geboren und starb da am 24. Januar 1947. Als junger Mann steckte er in seelischen Krisen, mit dem vorliegenden, äußerst lebensfrohen Buch überwand er im Jahre 1916 ein Krankheit. 

Timmermans schuf viele Gemälde und Zeichnungen, letztere lies er oft in signierten Büchern zurück. Seine Bücher hat er damit oft selbst illustriert.

Pallieter ist ein Bauer, der in Hülle und Fülle schwelgt, der das Leben bejaht, Flora und Fauna und die Menschen über alles liebt, eine Art Till Eulenspiegel. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt Susanne M. Farkas dass dieser Pallieter eine Art flämischer Nationalheld wurde, „hunderttausendfach gelesen, übersetzt, verfilmt und in Denkmälern verewigt.“ (Vorwort S. 5) Übersetzt wurde es auch in vierzig Sprachen. Pallieter könnte, so Farkas, ein europäisches Symbol werden, die Stimme der Natur findet sich doch überall auf unserem Kontinent.

Pallieter lebt mit seine Base Charlot auf einem Hof. Die fromme dicke Frau hat ein Patenkind, das Mariechen, welches sie gelegentlich besucht. Der Pastor der Gegend tritt mehrfach auf und ein Freund Pallieters, Franzoo. Sonst lesen wir meist nur von der Natur und ihrer lebensfrohen Personifizierung – Pallieter. 

Im Jahr 1916 dürften die Menschen in und rings um die Benelux-Staaten kaum einen Blick für die bunte Natur gehabt haben, ringsum tobt der große Krieg, wie man den ersten Weltkrieg lange Zeit nannte, bis er von einem größeren abgelöst wurde. Im doppelten Sinne schreibt sich Timmermanns ins Leben zurück, auch wenn er nicht selbst Soldat wurde; wäre er es gewesen, dann gäbe es die Geburt Pallieter vielleicht gar nicht.



Cover - Quelle Internet


Es ist die Sprache, die wieder einmal zeigt, wie Schriftsteller vor mehr als einhundert Jahren schrieben, in einer Fülle von Worten, von unzähligen Adjektiven gesäumt. Das ist sicher der Grund, weshalb dieses Buch in die Buchreihe aufgenommen wurde, geht es bei dieser doch um Autoren und deren Werke, „die bereits im 19. oder 20. Jahrhunderts in Europa erschienen sind und zeitweise sehr erfolgreich waren oder sprachliche Besonderheiten aufweisen...“ (Seite 7) So beschreibt der Herausgeber, Ralf Plenz, diese „Perlenreihe“.

Eine derartig blumige und farbenreiche Sprache findet sich heute kaum noch, selbst musste ich dabei an FLÜGEL DER MORGENRÖTE von Kurt Arnold Findeisen (um 1955), DAS PARFÜM von Patrick Süßkind, oder Uwe Tellkamps DIE SCHWEBEBAHN denken.

Im Sommer liest sich das dann folgendermaßen:

„Er lief durch den Garten, blieb aber stehen, betroffen von dem feinen Duft und den schönen Farben der Blumen.
Seht nur die Hunderten von Rosen, faustgroß, aufgerollt und aufgebrochen zu Schneeweiß oder Weinrot, rosig wie der Morgen, oder safrangelb in Milch gebleicht.
Wer wagt es, die samtenen Stiefmütterchen zu zählen, die dunkellila oder mit weißen und gelben Klabautermannsgesichtchen ganze Beete füllten! Rund um den Mühlenhügel stachen ihm die goldenen Sonnenblumen Tränen in die Augen, und aus einer breiten Umrandung von blühenden Geranien sprühte das Springbrünnlein, strahlend wie ein Schwert,  seinen Perlenschwanz auseinander.“ (Seite 113)

Leser und Leserinnen der Perlenbücher werden vielleicht an PROSERPINA von Elisabeth Langgässer erinnert, ebenso wortreich geschrieben aber mit bunten und düsteren Gartenbeschreibungen - im ersten Band der Reihe.



Wikipedia


Es fehlt auch nicht an erotischen Momenten, als er Mariechen im Sommerregen sieht, oder, auf dem Weg sie zu besuchen, das Mädchen samt zweier Gespielinnen beim Baden findet und dem davonrennenden splitternackten Mariechen folgt. Das Bild hier zeigt auch eine Besonderheit der „Perlenbücher“, nämlich die Betonung durch herausgehobenen Kalligrafien. 



Gelegentlich feuern die Menschen überschäumende Feste, wobei gewaltig getrunken wird, was wir in „Ein dionysischer Tag erleben“ – hier das dazu passende Bildchen, die bestimmte Szenen oder Jahreszeiten kennzeichnen. Diese Bildchen stammen von Felix Timmermans.

Es ist ein Vergnügen, in das man sich vielleicht erst reinlesen muss um wiederholt den Anspruch des Verlage, „sprachliche Besonderheiten“ zu erkennen.

Das Buch zwingt zum langsamen lesen, es entschleunigt förmlich. Die ungewohnt vielen Verniedlichungen in den bunten Sätzen zeigen dabei das lebendige frohe und einfache Gemüt des Helden, der durchaus auch philosophisch werden kann. Ein Jahr erleben wir dabei, ein Jahr der blühenden und welkenden Natur und ein Jahr im Leben von Pallieter und Mariechen, die am Ende in die Welt ziehen... 

Ja der hat was vom Till Eulenspiegel, die Narreteien des Schalks stehen hier aber nicht so sehr im Fordergrund, auch wenn er die Menschen gern neckt. Elenspiegel hatte mehr die Obrigkeit im Ziel... 

Der am Ende der blauen, fadengehefteten Leinenbücher mit der „Silberprägung“ angefügte bibliophile Rückblick rundet das Buch wie gewohnt ab, auch die „Lesezeichenbinde mit dem Wortscrabble fehlt natürlich nicht.

Auch das sechste Buch bringt Spannung auf die Fortsetzung der interessanten Bücherreihe, auf die ich im letzten Jahr am Stand des INPUT-Verlages der kleinen Messe BuchBerlin aufmerksam wurde. 


* * *

Diesmal wurde das Buch für die Reihe nicht neu übersetzt sondern folgt der Übersetzung von Anna Valeton-Hoos (1890 - 1980).

Der Trailer des Films lässt das bunte, überschäumende des Textes vermissen, dafür aber bekommt ihr mit hier verlinkten Postcast eine kleine Leseprobe.



Pallieter - Trailer



Postcast - Leseprobe



  • Bildquellen:
  • Bild Pallieter und Mariechen; Von Heinz Kiwitz - Heinz Kiwitz : Druckgraphik ; 28. Juni bis 9. August 1992, Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg, Europäisches Zentrum Moderner Skulptur, Duisburg : Wilhelm-Lehmbruck-Museum 1992, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107206529
  • Pallieter - Denkmal: Von BrianKgs, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3167707

© Der Bücherjunge



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