Dieses Buch durfte ich im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks lesen, worüber ich mich sehr gefreut habe!
Dass eine Ehe immer nur reibungslos funktioniert, wird wohl niemand ernsthaft glauben. Und dass man dabei irgendwann an einen Punkt kommt, an dem man vielleicht eine Entscheidung treffen muss, werden zumindest diejenigen kennen, die selbst in einer langjährigen Ehe stecken. Das ganze literarisch aufgearbeitet zu sehen, empfand ich als einen interessanten Ansatz - und war neugierig, was hier obsiegen würde: die Liebe, die Risse in der Beziehung, die Träume oder die Gewohnheit? Ich habe Antworten erhalten - und wie mir der Roman selbst gefallen hat, könnt Ihr hier nachlesen:
Inhalt: (Quelle: Verlag C. H. Beck )
Mit einem verlängerten Wochenende in Amsterdam möchten Stella und Gerry
ihren Ruhestandsalltag in Glasgow unterbrechen. Die kleine Reise soll
die beiden aufmuntern, sie wollen die Stadt erkunden und etwas für ihre
Ehe tun. Sie lieben sich noch und ertragen gegenseitig ihre kleinen
Fehler – aber in den vier Tagen treten tiefe Risse in ihrer Beziehung
zutage. Und es wird klar, dass Stella einen ganz eigenen Plan verfolgt.
Dieser Plan hängt mit einem der bezauberndsten Orte in Amsterdam
zusammen, dem Beginenhof, und mit einem Gelübde,
das Stella einst getan hat. Gerry dagegen, ehemaliger Architekt, hat
weitgehend abgeschlossen mit seinem Leben, in dem der Alkohol eine zu
große Rolle spielt. Während ihrer Reise drängt allmählich ein Ereignis
aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit in Belfast, Nordirland, immer
stärker an die Oberfläche, etwas, das ihr ganzes Leben geprägt hat. Am
Ende zeigt sich, wie tief der Graben zwischen ihnen wirklich ist.
Ein dichter, bewegender und aufwühlender Roman voller Lebensklugheit, Komik und Tragik.
SZENEN EINER EHE...
Winter in Amsterdam - Quelle: Pixabay |
Der Klappentext verrät im Grunde genau, was der Inhalt des
Romans ist: ein lebenserfahrenes Ehepaar, im Laufe der Jahre perfekt
aufeinander eingespielt, doch im Alltagstrott oftmals
eher nebeneinanderher lebend, tritt im Winter eine gemeinsame Reise
nach Amsterdam an. Ein gemeinsames Hotelzimmer, die kleinen Macken und
Gewohnheiten des anderen respektierend, scheint diese Reise anfangs die
gewünschte Auszeit vom Alltag zu bieten, doch wird rasch deutlich, dass
Stella und Gerry zwar durchaus noch Zuneigung zueinander empfinden, hier
jedoch vornehmlich jeder für sich seine ureigenen Interessen verfolgt.
Raumfordernd
bricht sich hier Gerrys Alkoholismus zunehmend Bahn, hervorragend und
glaubwürdig geschildert in allen Facetten - der Verleugnung der eigenen
Sucht, dem Sich-Besser-Fühlen bereits nach dem ersten Schluck, der
wachsenden Maßlosigkeit, der heimlichen Beschaffungsmentalität, dem
Versteckspiel, den Verwirrungszuständen... Stella scheint dies nicht
fremd zu sein, doch wie schon zu Hause geht sie weitestgehend darüber
hinweg. Verblüffend genug, doch scheint ihr Schweigen darüber weniger
ein Ausdruck tiefen Respekts zu sein als vielmehr ein Zeichen der
Resigantion.
Stella
selbst macht sich heimlich auf an einen Ort in Amsterdam, über den sie
bei ihrem ersten Besuch in der Stadt vor etlichen Jahren rein zufällig
gestolpert war: den Beginenhof. Ein Ort, an dem Frauen zusammenleben in
der Nachfolgschaft derer, die nicht das Leben einer Nonne führten, nicht
in Klöstern sondern in Konventen lebten, die kein Gelübde ablegten,
aber ein religiös inspiriertes, eigenverantwortliches Leben führten und
dabei sozial wichtige Aufgaben übernahmen. Stella hat für sich einen
alternativen Lebensentwurf entwickelt, will die letzten Lebensjahre
nicht nutzlos an der Seite eines ihr immer fremder werdenden Mannes
verbringen, sondern mit ihrer verbleibenden Kraft noch Gutes bewirken.
Vielleicht ist der Beginenhof die Alternative, nach der sie schon lange
sucht?
"Ich
tu mich nur um." --- "Und wenn du findest, wonach du suchst?" --- "Es
wird gut sein." Sie zuckte mit den Achseln. "Aber ich weiß, dass es zu
anderen - schwierigeren - Fragen führen wird." --- Und wo stehe ich
dann? Wo wir?" --- "An verschiedenen Orten." (S. 110)
Szenen
einer Ehe präsentiert MacLaverty hier, seziert verbliebene
Gemeinsamkeiten und die Abgründe, die die Jahre und die Probleme wie der
steigende Alkoholkonsum Gerrys zwischen die Eheleute gemeißelt hat.
Dabei gibt er auch immer wieder in Rückblenden Einblicke in die
Vergangenheit des Paares, zu der auch einschneidende Erlebnisse in
Nordirland gehörten. Der Sprachstil wirkt einfach, direkt und
schnörkellos, wobei er eine gewisse Distanz zu den Charakteren bewahrt.
Trotzdem lotet MacLaverty kunstvoll die Einsamkeiten der Figuren aus,
was in manchen Szenen durchaus berührend ist.
Obwohl
beide Partner noch Zuneigung füreinander empfinden, denselben Humor
teilen und wohlwollend miteinander umgehen, dominiert hier lange die
Sprachlosigkeit. Wichtige Themen werden, wenn überhaupt, dann eher
flapsig angerissen und rasch wieder abgetan, Entscheidungen getroffen
ohne den anderen mit einzubeziehen. Alles vielleicht nachvollziehbar -
für mich als Leser jedoch stellenweise schwer auszuhalten. Die
Sprachlosigkeit, die Einsamkeit, der Alkoholkonsum: schwere Kost, trotz
aller sprachlicher Schnörkellosigkeit.
"Fühlst
du dich nahe?" --- "Dem Ende?" --- Er lachte. "Nein, fühlst du dich mir
nahe?" --- "Wir sitzen nebeneinander." --- Gerry lächelte. "Mach schon.
Antworte", sagte er. --- "Sagen wir mal so", antwortete Stella. "Wenn
mich jemand fragt, wie lange wir schon verheiratet sind, sage ich nur:
'Es zieht sich in die Länge.'" (S. 161)
Keiner
der Charaktere kam mir im Laufe des Lesens wirklich nahe, und doch
greift der Autor hier ein Thema auf, das viele langjährige Paare angeht
und dementsprechend möglicherweise auch zum Nachdenken anregt, zur
Bestandsaufnahme der eigenen Beziehung und der Offenheit miteinander
beiträgt. Der letzte Abschnitt belegt, wie treffend sowohl der englische
Originaltitel ('Midwinter Break') als auch der deutsche Titel gewählt
wurden, und das Ende fand ich sehr passend gestaltet.
Eine
ruhige, unaufgeregte, aber intensive Erzählung mit zeitweise etwas
anstrengenden Charakteren. Für mich mit 3.5 Sternen kein
Jahreshighlight, aber doch ein Roman, den ich gerne gelesen habe.
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
- Verlag: C.H.Beck; Auflage: 3 (9. November 2018)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Hans-Christian Oeser
- ISBN-10: 9783406727009
- ISBN-13: 978-3406727009
- ASIN: 340672700X
- Originaltitel: Midwinter Break
Informationen zum Autor: (Quelle: Verlag C. H. Beck)
Bernard MacLaverty, geboren 1942 in Belfast, erhielt u. a. den Scottish Arts Council Book Award und den Lord Provost of Glasgow’s Award for Literature für seine Erzählungen, Romane und Drehbücher. Seine Romane «Cal» und «Lamb – der Ausgeflogene» wurden erfolgreich verfilmt. Bernard MacLaverty lebt mit seiner Familie in Glasgow. Sein Roman «Midwinter Break» (Schnee in Amsterdam) wurde ausgezeichnet als Novel of the Year bei den Irish Book Awards 2017. Eine Verfilmung des Romans ist bereits in Planung.
Interessantes Buch. Klingt ja fast wie ein Fachbuch für dich. Ach, ich vergaß, du arbeitest ja für Kinder...
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