... Eine Lebensgeschichte aus dem Walde
Es ist der Anspruch der Reihe Perlen der Literatur aus dem Input-Verlag Hamburg, bedeutsame Texte, die am Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des vergangenen Jahrhunderts erschienen sind, den Leserinnen und Lesern neu zu präsentieren. Sicher fällt uns eine Menge an Literatur ein, die diesem Anspruch genügen könnte, einige der inzwischen fünfunddreißig Bände wurde hier bereits besprochen.
BAMBI würde dabei vermutlich den wenigsten einfallen, denn Bambi ist bekanntlich ein süßes Reh aus dem Disney-Universum, halt, dort ist es ein Weißwedelhirschkalb, weil es Amerika gar keine Rehe gibt. Selbst wer den bereits 83 Jahre alten Zeichentrickfilm nicht kennt, weiß, dass man einen Bambi gewinnen kann, wofür allerdings etwas Prominenz von Nöten ist.
Die lange Vorrede ist dem informativen Vorwort von Charlotte Ueckert geschuldet, das uns den Autor Felix Salten (Siegfried Salzmann – 1869-1945) vorstellt und den Text für ein Kinder- und Erwachsenenbuch einordnet. Es gehört zu den Merkmalen der genannten Reihe, dass die Vorwörter oft neugierig machen. Dies ist hier im Besonderen der Fall.
Wir folgen dem Bambi von der Geburt bis ins hohe Alter eines einsamen Rehbocks, eine Art König des Waldes, gäbe es da nicht noch die Hirsche. Seine Mutter führt ihn durch die Natur, begleitet von den Tieren des Waldes. Da ist Freund Haase, der Waldkauz, der andere gern erschrecken will und ein schwatzhaftes Eichhörnchen. Und natürlich die Verwandten. Wir lernen die Tante Ena mit Cousin Gobo und Cousine Faline kennen, die alte Netla und die junge Marena und die „Väter“, die etwas abseits stehen und sich am Familienleben nicht weiter beteiligen. Ronno und Karus werden den kleinen BAMBI noch schwer kennen lernen, dessen Ausbildung durch den „Alten“, gelegentlich auch „Fürst“ begleitet wird.
“Kannst du nicht allein sein? Schäm dich“ sagt der Alte bei ihrer ersten Begegnung zum kleinen Bambi, ein Satz, der am Ende eine Wiederholung erfährt.
Die Tiere gehen miteinander um wie die Menschen, wobei diese etwas weniger ängstlich scheinen, auch wenn im Jahre 1923 jüdische Menschen in deutschen Landen beginnen vorsichtiger zu werden; Felix Salten war Jude. Was den Tieren vor allem droht, ist ER – der Jäger mit der „donnernden Hand“, die Bambis Gefährten mehrfach treffen wird.
Vor allem aber war Salten selbst Jäger, und daher lesen wir eine „Lebensgeschichte aus dem Walde“, die auf der intensiven Beobachtung von Flora und Faune beruht und sich besonders einfühlsam aufgeschrieben vor uns aufblättert. Es sind nicht nur die Tiere, auch das Laub kommt zu „Wort“ wenn es leicht zu Boden fällt und dort zu schwerem, jeden Laut verschluckenden Waldboden wird.
Die „grausamen“ Ereignisse im Umfeld unseres Bambis gehen vom Menschen aus, Tiere, die den Rehen gefährlich werden, gibt es (noch nicht) in unseren Breiten. Nur einmal holt sich ein Fuchs die Mutter einer Entenschar, oder der Marder die Großmutter des schwatzhaften Eichhörnchens, der Waldkauz eine Maus...
Diese Szenen, in denen sich die Tiere des Waldes, aufgefordert durch die gefiederten Bewohner, in heillose, aber durchaus überlegte Flucht begeben, einschließlich einer Treib- oder Drückjagd, zeigen, dies ist kein reines Kinderbuch. Der Umgang der Tiere miteinander zeigen die Menschlichkeit des erfolgreichen Schriftstellers, der die Jahre der nationalsozialistischen Zeit in der Schweiz verbringen wird.
Es ist ein wunderbarer Text, man atmet die Natur, den Wald, die Wiese, man erlebt mit den Tieren die Angst, die Flucht wie Liebe und Freundschaft, natürlich auch Trauer und Tod.
* * *
Der Perlenreihe würde wohl etwas fehlen, wäre Bambi nicht als Band 17 ihr Bestandteil geworden. Als solcher hat der Band die berühmte kalligrafische Bauchbinde, einen blauen Leineneinband mit silberner Prägeschrift, kalligrafische Hervorhebungen – es sind einfach schöne Bücher.
PS: Der Verleger sagt von sich: „Ich mache schöne Bücher.“ Hinzu kommt, er beschreibt auch immer noch eine ältere oder eine Originalausgabe. Das macht er auch hier und erklärt zum Beispiel Verstöße gegen die Regeln der Typografie. Immer wieder interessant…
- DNB / Input Verlag / Hamburg 2022 / ISBN: 978-3-941905-48-1 / 158 Seiten
Perlen der Literatur:
Proserpina (Elisabeth Langgässer) / Seefahrt ist not! (Gorch Fock) / Einbahnstraße (Walter Benjamin) /
Kleine Stadt (Heinrich Mann) / Palmström... (Christian Morgenstern) / Die Weihnachtsuhr (Antje Thietz-Bartram) / Forschungen eines Hundes (Franz Kafka) / Das Fenster zum Sommer (Hannelore Valencak) / Bezaubernder April (Elisabeth von Arnim) / Eine blassblaue Frauenschrift (Franz Werfel) / Sterben (Arthur Schnitzler) / IDA und Im Rausch des Weines (Irène Némirovsky) Orlando (Virginia Woolf) Bambi (Felix Salten)
© Der Bücherjunge
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