Die inzwischen hinlänglich bekannten blauen Leinenbücher in ihrem charakteristischen Aussehen gehören durchaus zu einem wohl überlegten Leseplan. Der Plan folgt nicht dem Kalender, monatlich tatsächlich einen der mittlerweile 30 Bände zu lesen, zerschlug sich ziemlich schnell...
Warum aber machte ich dem Verleger des Input-Verlages einen „gebloggerten“ Vorschlag? In meinem gesamten Erwachsenenlesen fiel es mir immer schwer, die „Großen“ zur Hand zu nehmen. Damit meine ich weniger den Goethe, den Schiller oder den Shakespeare, mehr den Zola, den Balzac oder die Russen, die da Dostojewski, Turgenjew oder Tolstoi heißen. Wobei ich „Krieg und Frieden“ von Lew Tolstoi sehr gern las, unterstützt von diversen, davon zwei wirklich berühmten Filmproduktionen.
Diese Reihe nun, so versprach ich mir, sollte mich dazu bringen, Sachen zu lesen, die mir nie und nimmer in die Finger gekommen wären. Von den zwanzig Büchern, die inzwischen im Regal stehen, habe ich daher auch nicht die möglicherweise spannendsten zuerst gelesen, nein, es geht stur der Reihe nach. Ehrlich, würde ich das anders machen, kämen einige wohl erst im Greisenalter oder nie vor meine Augen.
Das welches nun hier an vierzehnter Stelle auf dem Blog vorgestellt wird, hätte dazu gehören können, obwohl es angenehm schmal ist mit seinen 160 Seiten.
Die Geschichte: Felix und Marie sind ein noch junges, vermutlich verheiratetes bürgerliches Paar in Wien während der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Welcher Profession Felix nachgeht, aus welchem Elternhause beide stammen, wird nicht erzählt.
Felix selbst scheint krank zu sein, eine fürchterliche Diagnose könnte der Professor Bernhard gestellt haben. Oder bildet der sich das nur ein? Auch sein Freund Alfred ist Arzt, ebenfalls besorgt und üblicherweise wortkarg, den Grund für die Zustände des Patienten deutlich zu benennen.
Jedenfalls scheint Felix, wenn das mit der Diagnose stimmt, noch ein halbes Jahr zu haben. Der von Selbstmitleid zerfließende, wehleidige Typ kann nur gelegentlich etwas aufgemuntert werden von der wesentlich aktiveren Marie, die, sollte der geliebte Mann tatsächlich sterben müssen, nicht allein auf dieser Welt bleiben möchte. Doch im Verlauf der Novelle und der „Anamnese“ wird sich so manches ändern.
Felix, egozentrisch, egoistisch denkt derweil darüber nach, Marie mit hinüber zu nehmen. Im Verlauf der Geschichte geht es ihm immer mieser, für seine Marie eine Tortur. Felix erscheint immer egoistischer, auch wenn der Begriff nicht so richtig passt...
Dass die Novelle nicht positiv ausgehen kann, dürfte jeder Leserin, jedem Leser irgendwann durch den Kopf gehen, es bleibt bis zum Schluss die Frage, wie denn der Mann aus dem Leben scheiden wird.
Was ich hier allerdings sehe, ist ein Paar aus dem reichen wienerischen Bürgertum, welches sich ums drumherum irgendeiner auch schweren Krankheit keine Sorgen machen muss. Ein Umstand, der so vielen Familien oder Paaren, die ein ähnlicher Schicksalsschlag geschieht, nicht gegeben ist. Wir lesen von einem Paar, welches gar nicht näher beschrieben wird, dessen Herkunft, Familie, sogar der Beruf des Mannes im Schatten bleibt. Verständnis für diesen Felix entsteht vielleicht durch den Verstand, durch das Lesen eher nicht. Eher noch für die Marie, aber auch die junge Frau bleibt letztlich blass, kann aber, wieder Verstand, neu anfangen. Das erkennt sie später schon selbst.
Im Nachwort schreibt Carsten Tergast, dass Marie die erste große Frauengestalt des Autors ist, und dass der „Bonvivant Schnitzler“ bisher eher den „dekadenten Zeitgeistes des ausgehenden 19. Jahrhunderts im gehobenen Wiener Bürgertum dokumentierte.“ Die Novelle wurde erst später mehr beachtet und nun sei sie, „dem Sterben zuschauend, eine Feier des Lebens.“
Ich würde Letzterem zustimmen, wäre mir die Marie sympathisch geworden.
Was wir aber auch vor uns haben, ist das, was die Perlenbücher ausmacht, einen Text, der sich hervorragend lesen lässt. Die Dialoge der beiden Hauptfiguren erinnern zu Beginn an etwas Fröhliches, Buntes – so wie in der Novelle RHEINSBERG von Kurt Tucholsky. Allerdings lässt dass wegen der düsteren Handlung schnell nach. War ich von der Handlung her geneigt, schneller zu blättern, hielt mich der Stil und der Text davon ab.
Die Bücher der Reihe wurden ausgewählt nach bestimmten Kriterien, eine davon ist, dass der Text für diese Zeit, 1895, eine gewisse Bedeutung hat, dass sie richtungsweisend waren. Das muss in einer solchen Reihe natürlich kurz erläutert werden, daher sind hier Vor- und Nachwort hilfreich für die persönliche Einordnung. Bevor es zum Druck der Novelle kam, hatte sie als Fortsetzung in diversen Zeitungen bereits Erfolg.
Auf der charakteristischen Bauchbinde finden wir die Worte „Hypochondrischer Geliebter“ und „Naher Tod“, so sollte die Geschichte ursprünglich auch heißen. Ob Felix ein Hypochonder war, halte ich persönlich für nebensächlich, die Novelle ist keine psychologische Studie. „Die neue Zeit bricht an“, weil Arthur Schnitzer sich in eine neue Schaffensphase begibt und das Leben in der seiner Figur Marie über das Sterben hebt.
Die Beschäftigung mit Leben und Tod, Suizidgefahr, überhaupt psychische Probleme und Erkrankungen beschäftigen eine Reihe von Schriftstellern und Ärzten. Schnitzler selbst war Arzt und Sigmund Freud beschäftigte sich mit neurotischen Erkrankungen als Zeitgenosse. Auch Schnitzler hat psychologische Untersuchungen veröffentlicht. Orientiert hat er sich, so meine alte "Geschichte der deutschen Literatur" an Flaubert, Dostojewski und Maupassant - womit sich der Kreis zum obigen Einstieg schließt.
Die Beschäftigung mit Leben und Tod, Suizidgefahr, überhaupt psychische Probleme und Erkrankungen beschäftigen eine Reihe von Schriftstellern und Ärzten. Schnitzler selbst war Arzt und Sigmund Freud beschäftigte sich mit neurotischen Erkrankungen als Zeitgenosse. Auch Schnitzler hat psychologische Untersuchungen veröffentlicht. Orientiert hat er sich, so meine alte "Geschichte der deutschen Literatur" an Flaubert, Dostojewski und Maupassant - womit sich der Kreis zum obigen Einstieg schließt.
Die "Perlenreihe" - Meine Rezensionen:
Proserpina (Elisabeth Langgässer) / Seefahrt ist not! (Gorch Fock) / Einbahnstraße (Walter Benjamin) /
Kleine Stadt (Heinrich Mann) / Palmström... (Christian Morgenstern) / Die Weihnachtsuhr (Antje Thietz-Bartram) / Forschungen eines Hundes (Franz Kafka) / Das Fenster zum Sommer (Hannelore Valencak) / Bezaubernder April (Elisabeth von Arnim) / Eine blassblaue Frauenschrift (Franz Werfel)
- DNB / INPUT-Verlag / Hamburg, 2022 / ISBN: 978-3-941905-46-7 / 158 S.
- Arthur Schnitzler - Wikipedia
© Der Bücherjunge
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.
Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.