Dienstag, 2. September 2025

Aufbau wird 80 - Ein Gesprächsabend

 

Im Neustrelitzer Kulturquartier 
aus Anlass des 80. Geburtstages des Berliner Aufbauverlages (16.08.1945) am Weltfriedenstag ein

Podiumsgespräch

Die vielen Zuschauerinnen und Zuhörer werden unterhalten von 

Kathrin Matern, nicht nur Neustrelitzern als umtriebige Buchhändlerin (Frau Rilke) bekannt

Nele Holdack, Lektorin und Herausgeberin beim Aufbauverlag und

Professor Dr. Carsten Gansel (Universität Gießen), der ein besonderes Händchen für zum Beispiel wiedergefundene Bücher hat.

* * *

Der Verlag: In der Sowjetischen Besatzungszone gründete sich kurz nach Kriegsende der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, den Auftrag dazu erhielt der Dichter Johannes R. Becher. Gegen die Ideologie des Nationalsozialismus gerichtet, brauchte man einen Verlag, der im zertrümmerten Berlin eigentlich nur AUFBAU Verlag heißen konnte. Der Verlagsbuchhändler Kurt Wilhelm, der Verlagskaufmann Otto Schiele und die Kommunisten Heinz Willmann und Klaus Gysi gründeten dann den Verlag. Die Sowjetische Militäradministration erteilte mit der Lizenz Nr. 301 die Genehmigung, mehr noch, sie stellte eine derartige Menge Papier und Druckmaterial bereit, dass der Verlag im ersten Jahr seines Bestehens 1,5 Millionen Bücher von über 50 Autoren veröffentlichen konnte.

Ein Start-Up, ein bewusst gefördertes Kulturprojekt mit politischer Rückendeckung und kluger Programmpolitik.

Unter den ersten Autoren finden wir  zum Beispiel *:

  • Heinrich Mann – Symbolfigur des Exils, mit Werken wie Der Untertan.
  • Anna Seghers – Mit Das siebte Kreuz und später Transit eine zentrale Stimme.
  • Arnold Zweig – Bekannt für seine Antikriegsromane wie Der Streit um den Sergeanten Grischa.
  • Lion Feuchtwanger – Mit historischen Romanen wie Jud Süß und Die Geschwister Oppermann.
  • Theodor Plievier – Sein Roman Stalingrad wurde ein früher Bestseller.
  • Johannes R. Becher – Dichter und Kulturpolitiker, prägte das Verlagsprofil ideell.
  • Heinrich Heine – Klassiker wie Deutschland. Ein Wintermärchen wurden neu aufgelegt.
  • Maxim Gorki – Als sowjetischer Autor Teil des frühen Programms.
  • Leo Tolstoi – Werke wie Krieg und Frieden erschienen in Neuübersetzungen.
  • Alexander Puschkin – Russischer Klassiker, ebenfalls früh vertreten.

Und nicht zu vergessen Hans Fallada, den Johannes R. Becher nach Kriegsende bis zu seinem frühen Tod sehr unterstützte. 

Ohne Ideologie ging das nicht ab, 1947 verbieten die Amerikaner und Briten den genannten Kulturbund in ihren Besatzungszonen als "kommunistische Agitationsplattform". (Deutschlandfunk) Was der Verlag  in Web-Kürze zur eigenen Geschichte vermeldet, findet sich hier.

Eine Menge der ins Exil gegangenen Autorinnen und Autoren wurden aber, eines der großen Verdienste des Verlages, so einem breiten Publikum bekannt gemacht oder in Erinnerung gerufen. So kamen unmittelbar nach dem Krieg verbrannte Bücher wieder zur Welt.

Das ist der Ausgangspunkt für das anekdotenreiche Gespräch der drei Büchermenschen im Neustrelitzer Kulturquartier. Es geht um Fallada und seine Romane JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN und KLEINER MANN, WAS NUN? und darum, wie Nele Holdack in Carwitz in einem heißen Sommer und termingehetzt recherchiert und "Originales" findet.

Natürlich darf die Geschichte nicht fehlen, wie Brigitte Reimanns DIE GESCHWISTER im Original in ihrem ehemaligen Haus in Hoyerswerda gefunden wurde. Carsten Gansel hat die neue Biografie herausgegeben. 

Die Geschichten werden nicht weniger: Wie geht ein Verlag mit einer Nobelpreisträgerin um (Han Kang), wie erfährt man davon und wie schnell bekommt man die notwendige Neuauflage hin? Genauso interessant und sicherlich wird hier einmal davon geschrieben werden, ist, wenn eine 89jährige Autorin nach jahrzehntelanger Pause wieder beginnt zu schreiben. Gerit Tetzner und ihr Roman Karen W.

Eines der ersten Hefte, die ich um 1989/90 erwarb war SCHWIERIGKEITEN MIT DER WAHRHEIT von Walter Janka, der Name darf natürlich hier nicht fehlen und Anna Seghers ist oben bereits genannt. 

Verblüffend fand ich, das Pleviers STALINGRAD zum ersten Bestseller wurde. Ein solches Buch fand seine Leser so kurz nach dem Krieg? Vielleicht aber wollten doch viele wissen, was sich hinter der Tragödie der 6. Armee verbarg. Herausgegeben hat die Neuauflage ebenfalls Prof. Gansel, der für seine umfangreichen und exquisiten Nachworte bekannt ist.




Literatur der DDR und in der DDR. Ohne Aufbau Verlag nicht denkbar. Heute jedoch ist er mit vielen Marken immer noch unabhängig und publiziert unentwegt mit großem Erfolg und einer Nobelpreisträgerin. (Han Kang mit DIE VEGETARIERIN). Heute ist der Verlag eines der wenigen unabhängigen Häuser, dank der Mitarbeiter und den Eigentümern, die im Zuge der Privatisierung eines Staatsbetriebes notwendig wurden. 

"Neben dem humanistischen Erbe, hochwertigen Übersetzungen von Literatur aus aller Welt und den neuen deutschsprachigen Stimmen im Land versammelte Aufbau die emigrierten Schriftsteller:innen, von denen etliche dem Ruf des Kulturbunds, nach Ost-Berlin zurückzukehren, gefolgt waren.

»So hat auch uns, in welche Länder wir auch verschlagen wurden, die deutsche Sprache Trost und Hilfe gegeben. Ich hoffe jetzt nach meiner Rückkehr mit dieser Sprache ein neues Lebensgefühl, ein neues Freiheitsgefühl im Menschen anzufachen.« Anna Seghers" (Verlag)

 

Wer nun das Themenkreis DDR-Diktatur-Staatssicherheit vermisst, dem sei gesagt, es ging um Bücher und eine 80jährige Verlagsgeschichte und dessen Autorinnen und Autoren. Das Thema vergisst der Verlag selbstverständlich nicht. Denn warum der bereits 1974 erschienene Roman Karen W von Gerti Tetzner in der Versenkung verschwand nach anfänglich großem Erfolg, hat damit zu tun. Carsten Gansel hat mit der Autorin ein Interview geführt, welches in der Neuauflage in ganzer Länge abgedruckt iat, hier findet sich ein Auszug auf der Verlagsseite.

 * * *

Der Literaturprofessor ist der sachliche, der rationale Typ, die beiden Frauen sprühen vor literarischer Begeisterung. Kathrin Matern führt gewohnt gekonnt durch den Abend, bei Lektorin Nele Holdack ist die Freude an ihrer Arbeit in jedem Satz zu hören. Unterhaltsam war der Abend, gespickt mit Leseideen fährt man nach Hause.


* KI Copilot

© Der Bücherjunge



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