Sonntag, 7. September 2025

Fritsch, Valerie: Zitronen

 

August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner liebevollen Mutter. Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich ihre Zuwendung: Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen, die ihn schwach und krank machen; von seiner Pflege erhofft sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung. Es sind quälende Jahre, bevor es August gelingt, sich von der Mutter zu befreien und ein selbständiges Leben zu führen. Die erste Liebe zu erfahren. Kann er das Trauma seiner Kindheit überwinden, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammengehörten? (Verlagsbeschreibung)

DNB / Suhrkamp / 2024 / ISBN: 978-3-518-43172-6 / 186 Seiten
 

Kurzmeinung: Poetisch nüchterner Bericht über eine grausame Kindheit und deren Folgen für das weitere Leben - sprachlich eindrucksvoll, bedrückend...

 









EIN SPRACHGEWALTIGER ROMAN ÜBER DAS MÜNCHHAUSEN-STELLVERTRETER-SYNDROM...



Geschildert wird hier eine grausame Kindheit und deren Folgen für das weitere Leben. Ein intelligenter Junge, ein gewalttäiger Vater, die Mutter psychisch labil und am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidend. Klingt nüchtern, es wird auch recht nüchtern geschildert, dabei aber sprachlich überaus eindrucksvoll und eindringlich. Eine Diskrepanz, die stellenweise für Gänsehaut sorgt. Böses wird poetisch geschildert, präzise gefeilt und mit bildhaften Metaphern gespickt präsentiert.


"Für die Gewalt des Vaters musste man einander nahestehen, vom gleichen Schlag sein, er meinte es persönlich: Man musste um seine Zuneigung buhlen, scheitern, so lange Fehler machen, bis einem als Trost nur die Intimität der Zerstörung blieb." 


In Episoden begleitet der Leser / die Leserin den Jungen August Drach in Kindheit und Jugend, später auch  zeitlich geraffter im Erwachsenenalter. Seine frühe Kindheit wird geprägt von dem gewalttätigen Vater, der seine Welt regelmäßig in Scherben schlägt. Die Mutter schützt und verteidigt ihn nicht, überschüttet ihn nach den Exzessen des Vaters aber mit Liebe und Zuwendung. Als der Vater eines Tages verschwindet, sorgt nun die Mutter dafür, dass August weiterhin extremer Zuwendung bedarf - sie macht ihn schwach und krank, indem sie ihm heimlich Medikamente verabreicht, so dass er kaum noch aus dem Bett herauskommt. Die Mutter ist es dann wiederum, die ihn dabei liebevoll und aufopferungsvoll pflegt. Kleine Hoffnungsschimmer wie ein sonniger Sommerurlaub in Italien voller reifer Zitronen zerstieben ebenso schnell wie sie auftauchen. Und selbst als sich August mit seinem Auszug endlich aus der toxischen Familiendynamik befreit, haben ihn die Erfahrungen so geprägt, dass sie sich in seinen eigenen Beziehungen widerspiegeln...

Ein intensives, düsteres, bedrückendes Leseerlebnis, das vor allem durch die Sprachgewaltigkeit an das Geschehen bannt. Dieser kurze Roman stand nicht zu Unrecht auf der Long- und Shortlist des Österreichischen Buchpreises 2024... 


© Parden




Valerie Fritsch, geboren 1989, arbeitet als freie Autorin und bereist die Welt. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015 wurde sie mit dem Kelag-Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet. 2020 erhielt sie den Brüder-Grimm-Preis für Literatur. Sie lebt in Graz und Wien. (Quelle: Suhrkamp)



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