VON KRÄHEN UND VOM FREMDEN...
Wenn man nach erfolgreicher Krebstherapie und einem langen Krankenhausaufenthalt einfach nur nach Hause will, es aufgrund äußerer Umstände aber nicht kann - wie ergeht es einem da? Alexander Höch macht diese Erfahrung. Seine Frau hat die Grundrenovierung ihres gemeinsamen Hauses in Auftrag gegeben, viel Schutt, Staub, Unruhe und Lärm sind die Folge. Alles andere also, was ein Rekonvaleszenter braucht. Kurzerhand quartiert Eva ihren Mann nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in der Wohnung seines verreisten Bruders ein, eine persönliche Aufpasserin inklusive. Melitta Miller ist eine Nachbarin, die in der Wohnung des Bruders regelmäßig nach dem Rechten sieht und Alexander bei Bedarf zur Hand gehen soll.
Allerdings verliert Melitta Miller ihren eigentlichen Auftrag rasch aus den Augen. Es sind vielmehr die Krähen, die sich erdreisten, in der Platane neben Haus nisten zu wollen, die ihre Aufmerksamkeit binden. Immer radikaler gehen die Nachbarin und eine Truppe Gleichgesinnter gegen die schwarzgefiederten Vögel vor. Allerdings ohne Alexander Höch, der die Tiere sehr gerne und fasziniert beobachtet und im Internet spannende Wissenshäppchen über diese Vögel findet, die die Autorin immer wieder in den Text einstreut. Und auch andere Anwohner:innen boykottieren die Krähenabwehr von Melitta Miller und den anderen Gegner:innen, heimlich zunächst, dann zunehmend offener, bis der Streit eskaliert...
In diesem schmalen Roman, der 2023 auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises stand, schildert Christina Walker sehr eindringlich das Gefühl des Fremdseins - die Krähen als Fremdkörper in einer "der schönsten Straßen der Stadt"; allgemein die Entfremdung des Menschen von der Natur; Alexander, der sich nicht nur in der unbekannten Wohnung fremd fühlt, sondern nach der schweren Krankheit und dem drohenden Risiko eines Rezidivs auch in sich selbst; und schließlich auf einer weiteren Bedeutungsebene die Krähen als Metapher für "das Fremde", wodurch sich die Haltung von Melitta Miller und anderen Personen auch auf den Umgang z.B. mit Flüchtlingen und Asylanten übertragen lässt.
Alexander Höch entpuppt sich dabei auch als unzuverlässiger Erzähler. Ihm widerfahren immer wieder Dinge, die sich im Nachhinein als Traum, Hirngespinst, Halluzinationen oder zumindest als fragwürdiger Vorgang entpuppen, wodruch die Erzählung zwischendurch auch auf eine surreale Ebene gerät. Solcherlei verwirrt mich stets zuverlässig, und nicht immer habe ich hier wohl die Bedeutung einzelner Szenen verstanden. Am Ende bleib einiges offen, die Geschichte ist nicht eindeutig - und doch fand ich den Schluss passend.
Insgesamt jedenfalls hat mir der leise Roman mit seinen diversen Untertönen und dem großen Interpretationsspielraum wirklich gut gefallen. Gut genug, um die Autorin im Auge zu behalten...
© Parden
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