Sonntag, 31. August 2025

Ramelow, Bodo und Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Neue Mauer

Ein Gespräch über den Osten.

Seit einigen Tagen kursieren Artikel und Beiträge im Netz, in denen Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow vorgeworfen wird, die schwarz-rot-goldenen Farben der Nationalflagge und die Nationalhymne ändern zu wollen. - Gleich vorweg: Am 05.06.2025 stellte die AFD im Bundestag einen Antrag, die Flagge und Farben besonders zu schützen, und „die traditionelle Beflaggung von Dienstgebäuden des Staates wiederherzustellen“. (BT - Drucksache 21 / 348)

Die Sitzung leitete Bodo Ramelow und zum Ende der Debatte verwies er auf den Bauernkrieg und die Verwendung der Flagge durch den schwäbischen Haufen, denn es ging nicht um eine Änderung der Nationalfarben, sondern letztlich darum, ob zu bestimmten Anlässen andere Flaggen auf dem Bundestag und staatlichen Behörden gehisst werden dürfen.

Wieso aber komme ich auf diesen Punkt, den ich gar nicht weiter und näher erörtern will? Bodo Ramelow und llko-Sascha Kowalczuk haben in ihrem Gespräch über den Osten und einer neuen Mauer in bestimmten Köpfen im Kapitel 7 über Verfassungsdebatten gesprochen und ob wir eine solche brauchen. Damit beginnend, möchte ich das Buch der beiden hier vorstellen.
Die Mauer wurde einst eingerissen, nachdem die Forderungen nach Demokratie und Freiheit so mächtig wurden, dass die Diktatur einer Partei nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Die Zeiten vor 35 Jahren waren vor allem schnelllebig und so wurde der schnellste von zwei Wegen zur deutschen Einheit gewählt: Der Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Danach war das Grundgesetz in anderen Teilen Deutschlands als der bestehenden Bundesrepublik nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.

Der andere Weg sollte nach Artikel 146 GG über eine neue Verfassung führen, sicherlich hätte das eine lange Debatte benötigt. Im Gegensatz zu Artikel 23, der in dieser Form nicht mehr nötig war, denn weitere Beitrittsgebiete konnte es nicht mehr geben, hat das deutsche Volk auch weiterhin die Möglichkeit, sich eine neue Verfassung zu geben, wenn es das denn will.

Neben einer Verfassung gelten Flagge und Hymne als Staatssymbole aller Länder dieser Welt. Die Flagge unseres Landes ist Schwarz-Rot-Gold und an diesen, auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgehenden Farben, rüttelt auch gar keiner.

Die Verfassungsdiskussion war als mit dem 03.10.1990 vorerst beendet, neu war mir, dass kurz vor Corona eine solche in der Regierungskommission zum 30. Jahrestag von Freiheitsrevolution und Deutscher Einheit vielleicht wieder angefacht worden wäre, Ilko-Sascha Kowalczuk gehörte dazu und machte in einer Runde mit der damaligen Bundeskanzlerin einen Vorschlag.

Jeder, der sich mit Text und Melodie der bundesdeutschen Hymne auch nur einmal näher beschäftig hat, weiß, dass man den Text des Deutschlandliedes auf die Eislersche Melodie der DDR-Hymne genauso singen könnte wie umgedreht den Text Bechers auf die Melodie von Haydn. Es gibt einen weiteren Text: Die Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“ von Berthold Brecht. Dieser Text ließe sich ebenso auf beide Melodien singen. Kowalczuk und Ramelow sind sich ganz sicher nicht immer einig, aber hier beschlossen sie, den Text mit abzudrucken und damit gegen eine neue Mauer in den Köpfen anzusprechen.

Bodo Ramelow, geboren in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen, war zehn Jahre lang der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, ein linker Christ und ehemaliger hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Genau diese Erfahrungen treten immer wieder zu Tage in diesem Buch. Ramelow hat die Erinnerungen, Kowalczuk das historische Wissen dazu. Das Buch wird zu einem Erinnerungsbuch, wenn ich über die Streiks der Kali-Kumpel in Bischofferode lese und darüber, dass deren Arbeitskampf letztlich nur wenig Erfolg hatte, obwohl, das wusste ich nicht, das dort geförderte Kali zu den reinsten und feinsten Vorkommen weltweit gehörte.

Der Norddeutsche scheint mit Leib und Seele Thüringer geworden zu sein, und in solch einem Buch geht es (Kapitel 3) auch um Antifaschismus und um das Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar, die Probleme mit dem Nachfolgelager bis einschließlich Nacht unter Wölfen und die Rolle der kommunistischen Lagerorganisation.

Das Buch ist ein Gespräch. Man könnte denken, die beiden kommen vom hundertsten ins tausendste, denn dieses Kapitel trägt die Überschrift Antifaschismus und Antiamerikanismus, es kommen Themen vor wie Verhältnis von DDR zur Sowjetunion, Reparationen, Ukrainekrieg, Trump und Putin und Die Linke und der Wehretat.

Wir sehen, es gibt wahrscheinlich nichts was es nicht zu diskutieren gibt zwischen Vereinigungsprozess, Befindlichkeiten Ost – West, Frieden und Friedenssehnsucht, dem Traum einer gerechten Gesellschaft und der Überlegung, ob Ostdeutschland eine Art Frühwarnsystem sein könnte.


Das Buch
Das Buch ist ein Sachbuch, es könnte auch ein Podcast sein, ein Gespräch in Fortsetzungen. Man kann es lesen in einem Rutsch, man kann drin stöbern und man kann es immer wieder zur Hand nehmen. Im umfangreichen Inhaltsverzeichnis finden sich die Einzelthemen detailliert aufgeführt.

Es ist ein „Vor und zurück“ – Gespräch, welches kurzweilig und durchaus spannend verläuft. Im Herbst 2024 begonnen, habes es die Autoren im Frühjahr 2025 um einige aktuelle Gesprächsthemen ergänzt.


Die Autoren
Bodo Ramelow ist ein „besonderer“ Linker in seiner Partei, der ist nämlich schon als Gewerkschafter Pragmatiker und als Ex-Ministerpräsident gleichfalls ein Macher, einer der nach Wegen sucht. Dem gegenüber steht mit dem in Berlin geborenen Ilko-Sascha Kowalczuk, ein zehn Jahre jüngerer streitbarer Historiker, der erst langsam dazukommt, der Partei des Gesprächspartners zuzugestehen, dass die mit der alten SED/PDS nicht mehr soviel gemein hat. Er bekommt ja auch Gegenwind, doch muss sich der Politiker gleichen ins Gesicht wehen lassen.

Beide lassen keinen Zweifel daran, um was es ihnen geht: Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit – im eigenen Land, in Europa und der ganzen Welt. Sie streiten nicht, sie reflexieren gemeinsam über die deutsche Einheit, deren Brüche und Spannungen. Ein produktiver Dialog, der unbequeme Wahrheiten ausspricht.

„Ost-West-Bücher“ gibt es so einige. Diesem hier möge beschieden sein, dass es zu anderen, zu gewichtigen und wirksamen Diskussionen führt, anders als die Bücher von Hoyer oder Oschmann. Es verändert Vorstellungen und Auffassungen, zum Beispiel in Teilen meine zu den eben genannten Autoren.

Es wäre zu hoffen, dass dies vielen anderen so gehen möge. Vielleicht liest man, so man das noch nicht getan hat, den Freiheitsschock von Kowalczuk gleich hinterher oder wiederholt.

* * *

PS: Vorsicht mit den Behauptungen in Medien und Online-Medien: Bodo Ramelow betont dezeit häufig, dass er überhaupt kein Problem hat mit Schwarz-Rot-Gold. Dummerweise wird ihm unterschwellig unterstellt, dass er seine auch in diesem Buch als Mensch, als linker Politiker, als ehemaliger Gewerkschafter geäußerten Auffassungen und Meinungen auch im Bundestag verbreitet hätte, wo der Vizepräsident zur Neutralität verpflichtet ist. Das ist falsch. 

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

  • DNB / C.H.Beck / 08/2025 / ISBN:978-3-406-83831-6 / 239 Seiten

© Der Bücherjunge

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