Hat sich die geneigte Krimi-Lesegemeinde schon einmal gefragt, warum die Ur- oder UrUrGroßeltern auf deren Hochzeitsfoto oder Silberhochzeitsfoto so ernst drein schauen?
So ein Foto war eine ernste Sache, es kostete nämlich viel Geld. Ein Fotograf musste bestellt werden. Auf dessen Gebot, sich ja nicht zu rühren, wurde angestrengt geachtet, sonst war das Bild im Eimer statt im Kasten. Zudem sollte der sonst sehr feierliche Anlass auch nicht ins Lächerliche gezogen werden. In so mancher, vor allem ärmeren Familie gab es deswegen gar nicht so viele Fotos. Im Nachwort zu diesem Buch vergleicht Ralf H. Dohrweiler diesen Umstand mit der heutigen Zeit, in der wir unzählige und unzählig ähnliche Familienfotos irgendwo gespeichert haben.
Heute wählen wir aus vielen Bildern meist eins aus, auf dem der liebe Verwandte lächelt und überhaupt freundlich schaut, so eines stellen wir auch vor oder auf dessen Sarg. Wir denken nicht gern daran, aber irgendwann wird es so sein. Mit uns selbst passiert dies ebenso.
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Wikipedia: Totenfotografie |
Was fällt einem dabei auf? Das Gesicht des verstorbenen Mädchens ist gestochen scharf. Die langen Belichtungszeiten verursachten die Unschärfe der Eltern wegen derer minimalen Bewegungen. Wegen der Technik und des hoffentlich pietätvollen Umgangs in der traurigen Situation war also Können gefragt. Besondere Wünsche der Hinterbliebenen inbegriffen.
Darum gehts also in dem 1887 in Hamburg handelnden Kriminalroman, in welchem Criminalkommissar Herrmann Rieker und Johanna, höhere Tochter des Richters Ahrens unfreiwillig zusammenkommen. Besagte Johanna betreibt nämlich heimlich eine Schule ärmere Frauen, denen sie Lesen, Schreiben und Rechnen beibringt. Überhaupt hängt sie augenscheinlich sozialistischen Ideen der Gleichberechtigung an, was in der Zeit, da Bismarck noch Reichskanzler war, einen Staatsanwalt die Stirn runzeln lässt. Dieser ist scheinbar eine gute Partie und die Eltern der jungen Frau, die mit 23 langsam zur "ältlichen" Jungfrau zu werden droht, hoffen doch, dass sie unter die Haube kommt, wie es einst so schön hieß.
Eines Tage kommt Ansje nicht zum Unterricht und Johanna beginnt zu ermitteln, bald ist es ein Fall für den besagten Criminalkommissar, welcher eine eher unübliche Vergangenheit für den Beruf aufweist, über deren Einzelheiten man vermutlich mehr im zweiten Fall DIE FARBE DES BÖSEN erfährt, wenn Dohrweiler nicht noch mehr mit den beiden vorhat.
Besagte Ansje wird nicht mehr lebend aufgefunden, und dann geht es um Fotos nebst Ehemann und Johanna. Wir lesen von den fachlichen Ideen des Fotografen Eilers, dem Rieker am liebsten eine Stelle als Tatortfotograf geben würde und dessen anatomischen Kenntnisse bemerkenswert sind.
Besagte Ansje wird nicht mehr lebend aufgefunden, und dann geht es um Fotos nebst Ehemann und Johanna. Wir lesen von den fachlichen Ideen des Fotografen Eilers, dem Rieker am liebsten eine Stelle als Tatortfotograf geben würde und dessen anatomischen Kenntnisse bemerkenswert sind.
Ralf H. Dohrweiler wäre in früheren Jahren vielleicht ein exzellenter Totenfotograf geworden, denn er dachte sich den Herzschlag der Toten aus - doch wie der funktioniert, werde ich nicht verraten. Verraten will ich nur noch, dass es etwas gruselig zugeht, mobide, fast schon gerichtsmedizinisch und gelegentlich detailversessen. Leserinnen und Leser besuchen mit Rieker und Johanna dunkle Hamburger Orte bis sie in ein unerhört aufregendes und lebensgefährliches Finale schlittern in Folge dessen...
Aber lest doch selbst...
Ich bin ja mal gespannt: Führungszeugnisse von heute hätten Riekers Beamtenlaufbahn vielleicht verhindert, aber er war mal beim Militär und das bedeutete damals mehr als heute. Die Frage wäre, ob ihm eine Karriere wie bei Gustav Heller beschert sein könnte...
Die gesellschaftlichen Ideen von Töchtern aus gut-bürgerlichem Hause wurden dazumal viel zu häufig ignoriert, heute machen wir mit solchen Geschichten an Ihnen etwas gut. Auch Anna Perbandt hat mit ihrer Gesche Petersen in den beiden Bänden zum Pensionat am Holstentor eine solche Figur geschaffen, eine bürgerliche, allerdings arme Lehrerin mit modernen Ideen, auch wenn diese die höheren Töchter unterrichtet. Wie ich darauf komme? Anna Perbandt war 2023 bei der Autorenlesung für den HOMER-Literaturpreis 2023 mit dabei..
Fazit: Spannend geschriebener, überaus fesselnder Roman mit interessanten und liebenswerten, teils noch undurchsichtigen Personenbei dem zwangsläufige Lesepause immer kürzer werden, denn irgendwann schielt man immer nach dem Buch, bis man es ausgelesen wieder hinlegt.
Aber den zweiten Band muss ich mir für später aufheben...
* * *
Mit Recht, lieber Ralf, hast du den Silbernen HOMER am 11. Oktober 2025 erhalten. Ich hatte den richtigen Riecher, habe dir zugehört und lies mir das Buch von dir signieren. Nun erfolgt hier die wärmste Empfehlung an weitere Leserinnen und Leser.
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