Montag, 29. Januar 2024

Perbandt, Anna: Das Pensionat am Holstentor

Was eigentlich hat mich so begeistert an den Frühlingsschwestern, die Anna Perbandt bei der abwechslungsreichen Lesung am 6. Oktober 2023 in Ingolstadt im Kreise weiterer Autorinnen vorstellte?

Das ist ziemlich schnell erklärt: Ich sah Lübeck vor mir. Das Holstentor, die von der Obertrave abgehenden Straßen in die Innenstadt, die schmalen Durchgänge zu den Hinterhöfen der Kaufmannshäuser wuchsen vor dem hörenden „Auge“ auf. Ich sah die Kutsche des Grafen Jago abbiegen in die Große Petersgrube (Straße in Lübeck), wo das Pensionat der Frau Eggers auf die Aufnahme seiner Schwester Nora wartet. Ich weiß nicht mehr, welche Szenen Anna Perbandt las, vielleicht die, in der Nora von Jago von ihrer zukünftigen Lehrerin Gesche Petersen in einem solchen Hinterhofgang in der Engelsgrube (Straße) in der Nähe des Hafenviertels gerettet wird...

Ich weiß, ich war begeistert, denn Lübeck ist eine Stadt zum Verlieben, seit ich dort vor neun Jahren endlich mal einen längeren Lehrgang im Sommer genoss und so die Altstadt kreuz und quer durchwanderte...


In der Großen Petersgrube finden wir das Pensionat.
Die Musikschule hat so einen Garten mit einem Baum, um dem die Mädchen in der Pause sitzen.


* * *

Ansonsten las, nein, hörte ich einen zweibändigen Frauenroman. Vermutlich wäre ich in einer Buchhandlung auf das Holstentor aufmerksam geworden, welches den Deckel ziert. Aber ob ich nach dem Lesen der Beschreibung zugegriffen hätte... So eine Lesung ist doch was anderes.

Jedenfalls erleben wir, wie die sehr selbstbewusste Comtess Nora, die völlig unstandesgemäß in ihren einstigen Spielkameraden und jetzigen Stallburschen Karl verschossen ist, in dem strengen Pensionat auf Fanny (Stipendiatin), Agnes (Kaufmannstochter) und Lotte (Senatorentochter) trifft. Sie werden in der Abschlussklasse in Deutsch und „Sport“ von Gesche unterrichtet. Deren Vergangenheit ist zu Beginn etwas geheimnisvoll und wenn sie diese Nora nicht rausgehauen und Graf Henry sich trotz ihres leicht zerzausten äußerlichen Zustandes nicht für sie verwendet hätte, dann wäre der Roman gar nicht erst entstanden...

Nora und Karl, Gesche und Graf Henry, um die geht es und Leserinnen wie Hörer wissen, das wird nicht leicht, auch wenn die Moderne an die Türen klopft im Jahre 1899.

„Mädchen in Uniform“ heißt ein Film mit Lili Palmer und Romy Schneider aus dem Jahre 1958 (1931 gab es schon mal eine Verfilmung), in der geht es um die Zuneigung einer adligen Schülerin zu ihrer verständnisvollen Lehrerin. Diese Gesche Peterson ist auch so eine verständnisvolle Lehrerin, aber ansonsten ist die Geschichte nicht vergleichbar, wenn auch die preußische Haltung gilt: „Wir sind nicht hier, um glücklich zu werden, sondern um unsere Pflicht zu tun“. Die Pflicht, dass ist das Dasein einer freundlichen, in Handarbeiten geschickten, in Konversationen aufmerksamen aber zurückhaltenden Ehegattin. Standesgemäß natürlich. Das Schicksal von Fanny wird dabei zum „Kolateralschaden“...

Dorothea Eggers, die Pensionatsvorsteherin, lässt der jungen Lehrerin und Nora so manches durchgehen, weil sie ja meint, die Anerkennung hochadeliger Herren zu brauchen, auch die Oberin in den genannten Filmen wirft die Schülerin wegen Verbindung zu einer Prinzessin nicht hinaus... (Das beide Filme, der ältere noch mehr, noch eine ganz andere Liebe thematisieren, spielt hier keine Rolle. Die Handlung kam mir aber beim Hören der beiden Bände in den Sinn)



Doch es ist eine neue Zeit, in der die preußische Schulbehörde einerseits zwar naturwissenschaftlichen Unterricht einer Lehrerin nicht zutraut, andererseits aber mehr Mathematik, Geografie, mehr Sport und weniger Handarbeiten fordert. Der Beamte der Schulbehörde lobt, dass die Bibliothek genügend Bücher und sogar einen Globus besitzt (Gesche hat alles von Henry bekommen), er ist positiv erstaunt, dass die Mädchen einer Prüfung so gut standhalten, trotz einer mathelehrenden jungen Frau.

Die modernere Zeit kündigt sich an durch den Automobilbau und gewisse neue Erfindungen dazu und in den Gesprächen zwischen der Lehrerin und dem Grafen, welcher ihr Thomas Mann zu lesen gibt, an dem kommt man in Lübeck ja nicht vorbei. So blättert sich die Zeit der Buddenbrooks (1896-1900) vor uns auch in diesem Buch auf, obwohl die Romanhandlung bereits 1871 endet.




Backfische, Trotzköpfchen und Nesthäkchen? Mädchenbuch?
Ja, Nein! Sicher nicht, obwohl „Backfische“ oft passt. Anna Perbandt führt uns in ein unbekanntes Milieu zurück, in welchem aber das neue Zeitalter schon angedeutet wird. Seltsam dabei erscheint vielleicht, dass sowohl der ehemalige Stallbursche Karl als auch die Lehrerin nicht von Gesellschaftsideen sprechen, die im Ausgang des 19. Jahrhunderts bereits allgegenwärtig diskutiert werden. Gelegentlich deutet sie gegenüber den Schülerinnen an, dass deren Rechte als Frauen in das Blickfeld geraten, aber es noch Zeit braucht.

Kein historischer Roman mit großer Geschichte, umwälzenden Ereignissen und historisch bedeutsamen Persönlichkeiten. Trotz eines Grafen und einer Baronin ist der Kaiser weit weg, er wird nicht einmal erwähnt. Aber wir befinden uns in hanseatischen Kreisen. Oft bemerkte ich schon, dass die in historische Ereignisse eingebetteten Romane von mir bevorzugt werden. Hier hörte ich mal wieder den Beweis: dies gehört nicht zwingend zum Erfolg eines historischen Romans.

Schönes Buch, schöne Geschichte, liebe Anne Perbandt und vielleicht sehen wir uns ja zum nächsten HOMER wieder.


* * *

PS: Während 1899 so eine Badeszene wie auf dem Einband von Band 1 - Frühlingsschwestern - denkbar ist, schließlich lud der Graf die Freundinnen der Schwester nebst Lehrerin als Anstandsbegleitung (und für ein paar Schulstunden) auf das Gut bei Travemünde ein, ist von einer solchen Schlittenfahrt wie auf Band 2 nirgends die Rede. Auch die Sturmschwestern dürfen das Pensionat höchst selten verlassen.

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  • Anna Perbandt bei Rowohlt
  • Frühlingstöchter: DNB / Rowohlt / Reinbeck - 13.06.2023 / ISBN: 978-3-499-01121-4 / 364 S. / audible / 11 Std. 
  • Sturmschwestern: DNB / Rowohlt / Reinbeck - 17.10.2023 / ISBN: 978-3-499-01122-1 / 400 S. / audible / 11 Std. 10 min
  • Kartenbilder: googlemaps 
  • Fotos: © Uwe Rennicke

© Bücherjunge

2 Kommentare:

  1. Lübeck ist wirklich eine schöne Stadt, wäre eine Wiederholung wert!

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    1. Sind ja sc
      hon zwei Bücher und ein dritter Band ist meines Wissens nicht geplant...

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