Mittwoch, 13. Februar 2019

GUNDERMANN

GUNDERMANN - "Material"
Erinnerung: Irgendein Pressefest in Dresden. Die Brigade Feuerstein tritt auf – ein Theaterstück für Kinder. Dabei so ein schlaksiger Typ mit großer Brille und langen blonden Haaren. Als Clown. 

Klar kannte ich die Brigade Feuerstein. Ich kannte so ab 1979 alle, sagen wir mal, alle wichtigen und bekannten Gruppen, die da „Rote Lieder“ machten in der DDR. Zu Beginn der achten Klasse gründeten ein paar Klassenkameradinnen und ich (!) eine Singegruppe. Den Schulchor empfanden wir als was für Kinder. Oder aber, was für Pioniere – wir waren ja jetzt in der FDJ...



Wir lernten ganz schnell ein bisschen Gitarre spielen und mit F / C / G / G7 ging es los mit den üblichen FDJ-Liedern. Da die sogenannte Singebewegung ja durch die Freie Deutsche Jugend organisiert war, bekamen wir Kontakt zur „Singeszene“ im Stadtbezirk bzw. in der Stadt. Da gab es im Bau- und Montagekombinat eine Gruppe namens PODIUM und in die traten wir ein. Also S. und ich. Da war alles etwas professioneller, alle Leute älter als wir zwei 15/16jährigen, richtig mit Technik, regelmäßigen Proben und Wochenendproben und Singewettstreiten...


Im Musikschrank stapeln sich seitdem die Liederbücher aus der Zeit, ich kann einfach nichts wegschmeißen. Eine Reihe hieß 'DDR konkret'. In Band 4 und 6 taucht neben Rump, Magister, Wenzel, Andert, Demmler auch der Name Gerhard Gundermann auf. Das waren die Jahre 81-83. 


„Wenn du ein altes Haus hast,
mit innendrin viel Platz,
für Esel, Hund und bunten Hahn
eine graue Katz,
die singen ihre Räuberlieder und du spielst Klavier,
ja dann bleibe ich, dann bleibe ich, dann bleibe ich bei dir.“

Text: Gerhard Gundermann / Musik: Traditionell


Das finden wir in GUNDERMANN. In einer Szene, in der Connys Ehemann begreift, dass da was läuft zwischen Conny und GUNDERMANN, Gerhard, dem alten Kumpel aus der BRIGADE FEUERSTEIN.




Womit wir beim Thema wären, bei GUNDERMANN. Im letzten Jahr, im August, kam ein Spielfilm ins Kino, der von seinem Leben erzählt. Gespielt hat ihn ganz wunderbar Alexander Scheer, die Regie führte Andreas Dresen nach dem Drehbuch von Laila Stielers.

Die Premiere am Dresdner Elbufer verpasste ich leider. Wochen später im Kino wunderte ich mich über den vollen Saal nach Wochen. Schau an...

* * *

Vorher aber noch ein paar Blicke zurück, Rückblicke sozusagen...

Die Programme der Brigade Feuerstein, ab und zu hab ich mal eins gesehen, waren nicht mein Ding, ich hielt das für Klamauk, denke ich. Die Programme in der eigenen, wenn auch weniger professionellen Gruppe und die Lieder gefielen mir mehr. Über Dresden zum Beispiel...

„Wenn ich in sechs Wochen dann bei den Soldaten bin,
werd ich euch vermissen und mich nach euch sehnen bestimmt.
und es wird Verlass auf mich sein...“ 

schrieb Gundermann Ende der 70ziger. 

Nur hat er es bei den Soldaten nicht ausgehalten. Dazu später mehr, aber 1983 ging ich zu den „Soldaten“. Das es dort weiter ging mit Roten Liedern tut hier nichts zur Sache, denn Gundermann kam da nicht vor. Im Jahr 1988 wurde ich Leutnant und im selben Jahr kam die Platte Männer, Frauen und Maschinen heraus.

Ich hörte:
„Du hast uns immer beschützt vor jeden Geschoss, 
ach hättest du es nicht immer getan, 
ich wär‘ heut ein bessrer Genoss...‘“ 

(aus dem Lied „Vater“), Zeilen, die ich erst zwei Jahre später richtig begriff, als das Ende der DDR in Sicht war.



Wenige Jahre später saßen wir, Kundi, der sich damals noch nicht so nannte, und ich bei VIZE und der spielte so einige Lieder von G.G. vor. Ich habe keine Ahnung mehr, was es für Lieder waren. Erinnerlich ist mir, dass sie sehr zornig, knallhart und für meinen Geschmack nur „Wutlieder“ waren. Zumindest habe ich das so empfunden. In einem ging es um Günter Krause, der mit einem gewissen Schäuble den Einigungsvertrag unterschrieben hatte. Zu diesem Zeitpunkt, also während des Treffens mit dem alten Singekumpel VIZE, war ich schon beim „Klassenfeind“ gelandet, dem Bundesgrenzschutz. (Dass der Einigungsvertrag ein paar Jahre später die Grundlage für einen unerwarteten zeitverkürzenden Karrieresprung bildete, gehört auch nicht hierher...). Kurz gesagt, der VIZE konnte mir den GUNDI Anfang der 90iger nicht schmackhafter machen. 

Vorhin las ich in Tankstelle für Verlierer von Hans-Dieter Schütt, dass die Journalistin Birgit Walter es so formulierte: "Seit er mit den Komponisten Uwe Hassbecker und Rüdiger Barton von Silly arbeitete, die seiner Musik das Brachiale und Krautige nehmen, sind ihm einige der schönsten deutschen Rockballaden gelungen." (Seite 12) 
Scheint zu stimmen...


Engel über dem Revier


Erst mit der Meldung des viel zu frühen Todes des Musikers fing ich an zu hören. Das wird, leider, vielen so gegangen sein. Dann sah ich die zwei Dokumentarfilme und besagter VIZE hatte eine Band, die sich der Lieder von GUNDI besonders annahm. AUFSTURZ trifft GUNDERMANN, damit sind sie heute gelegentlich noch unterwegs. 

Blicke ich auf die letzten zehn Jahre, dann sind die Lieder Gundermanns regelmäßiger Begleiter. Sie hatten sich ja auch verändert:

„Auf der Autobahn LKW an LKW,
die gehören eigentlich zu einer feindlichen Armee,
so sah der Gegner aus in meinem Offiziersbewerberbuch,
und jetzt kommen sie aus dem Einsatz im Oderbruch...“ 
(Auf der Straße nach Norden)

Das verstand ich hervorragend...

Lieblingslieder sind daraus geworden, und gelegentlich nehme ich sogar die Gitarre wieder in die Hand...

* * *

Zurück zu 2018 / 2019
Der Spielfilm war nicht der erste Film. Zwei Dokumentarfilme gab es, den Ersten, Gundi Gundermann aus dem Jahr 1982 von Richard Engel, und Ende der Eisenzeit 1999 von eben diesem Filmemacher. Ich weiß nicht, ob ich den ersten in den Achtzigern gesehen habe, vermutlich nicht, denn man hatte den im Spätfernsehen und vermutlich im zweiten Programm versteckt.

Von diesen Dokumentarfilmen heißt es treffend im Booklet: „Gerade beide Filme bieten einen tiefen Einblick in die beiden Gesellschaften: DDR und BRD, die Gundi zu Fuß, per Fahrrad, Motorrad, Skoda Octavia, Bagger, Raumschiff – schweigend, singend, schreibend, schuftend durchkreuzte, durchschaute, durcheinanderbrachte.“

Der Erste hätte bei mir ganz andere Fragen aufgeworfen als Jahre später dann der Zweite. Zwangsläufig. Den jungen Gundermann hätte ich einerseits nicht verstanden und ihm andererseits lauthals zugestimmt. So nach dem Motto: „Wenn es die Weltanschauung des Kommunismus nicht schon gäbe, hätte ich selbst drauf kommen können...“ Das Paket „Armeerauswurf – Hilfsarbeiter – Baggerfahrer – Parteiausschluss“ hätte ich nur schlecht zu verarbeiten gewusst im Kontext des Films. Allerdings waren die Jahre bei der Armee längst nicht so augenverkleisternd wie manchmal angenommen wird... 

Das Ende der Eisenzeit brachte anderes zu Tage: Zum Beispiel den Gedanken, dass die Stasi nie bei mir anklopfte und meine Mitarbeit haben wollte. Rückblickend bin ich heilfroh, denn ich wäre wohl wie Gundi Gundermann in eine „Falle“ getappt, die zehn bis zwölf Jahre später zugeschnappt wäre. Traurige Konsequenz: Tamara Danz verweigerte die weitere Zusammenarbeit, nachdem Gundermann gezwungenermaßen Freunde und Kollegen darüber informierte, was demnächst in der Zeitung stehen wird.




Zwanzig Jahre nach seinem plötzlichen Tod, er hatte sich buchstäblich zwischen Arbeit, Familie und Konzert verbraucht, denke ich, nun der Spielfilm. Schlüsselszenen erzählen aus seinem Leben. Da ist die Geschichte mit dem Vater, der sich von der Familie trennte, die Arbeit als Baggerfahrer, wie er zu seiner Frau Conni fand und das ziemlich beherrschende Thema Staatssicherheit. 

Eine Unterschrift
Filmbuch - Seite 147
Axel Prahl, selbst gelegentlich Interpret von Gundermann-Liedern, gibt einen verblüffenden Führungsoffizier - vor und nach der Wende. Wenn ich allerdings nicht in TANKSTELLE FÜR VERLIERER gelesen hätte, dass die im Film erwähnte Geschichte mit dem Kontakt zu einem Fluchthelfer in Budapest halbwegs stimmt, dann hätte ich gedacht: was für ein hanebüchener Mist. 
Dieses Buch wäre übrigens das Richtige, um Details des Spielfims zu hinterfragen. Es sind außerdem viele Szenen im Spielfilm,  die in den beiden Dokus bereits erwähnt wurden. 


Dem Film liegt eine umfangreiche Recherche zugrunde. Zwölf Jahre hat es gedauert von der Vorbereitung bis zur Aufführung. 

Doch ist es nicht ein Film über die Verstrickungen eines Musikers und Arbeiters mit dem Geheimdienst namens MfS. Es ist ein „Film über wunderbare Musik und Lyrik, genauso einer über Gundermann und _Conny, also über die Liebe. Und über Gundermann und seinen dauernden Kampf, auf der Arbeit gegen Missstände anzugehen.“ (Gundermann – Seite 165) 



Trailer


Filmbuch - Umschlag
Großartig, der alle Lieder selbst singende Alexander Scheer. Ebenso die Darstellung des Gundermann. Gesten, Mimik, ich habe das im Vergleich mit den beiden anderen Videos so empfunden. Irgendwann singt er „Linda“:

Jetzt komm die fetten Tage Linda,
wir ham so lang auf dich gespart.
Was sollen wir euch sagen, Kinder,
die Alten sind noch mal am Start.“

Besagte Linda, die Tochter von Gundi und Conny, hat dazu erklärt: „Ich schaue wie durch ein Zeitfenster. Ich habe Papa lange nicht mehr gesehen“ (Gundermann – Seite 136)

Vergleicht man die Personen in Dokumentation und Spielfilm, dann hat die Filmcrew gut ausgewählt.    


So mancher Film wird heute mit einem Filmbuch ergänzt. Meist überwiegen dann die Fotos in diesen Bilderbüchern. Dies ist nicht so in GUNDERMANN – Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse... Schon der Untertitel, eine Zeile aus einem Lied, sagt dem informierten Leser: Gut ausgewählt.

Viele Bilder drin, ja, aber die Interviews, ergänzt durch Dokumente wie seine Beschwerde über den Ausschluss aus der SED, Liedtexte, sind ein buntes informatives Kaleidoskop. Eine hervorragend gelungene Ergänzung zum Film.




* * *


Aktuelles: In den Gesprächen, die Hans-Dieter Schütt mit Gundermann führte und die in TANKSTELLE FÜR VERLIERER abgedruckt sind, erzählt Gundermann von seinen ökologischen Ansichten und den Konflikt von Tagebauerweiterung und Dörferbeseitigung. Hat er doch zuletzt mit seinem Bagger in Richtung seines eigenen Grundstücks gegraben. Eine der schönsten CD´s , Unplugged, beinhaltet das gemeinsame Konzert von Tamara Danz & SILLY und Gundermann & Seilschaft. Darauf auch das Lied von der grünen Armee.




„Wir flicken das Ozonloch
Wir filtern den Rhein
Wir ziehen den Wald hoch
Wir machen uns klein
Den Kindern süße Sahne
Für die Kühe den Klee
Steht auf der Fahne der
Grünen Armee“


Vor zwanzig Jahren kam die CD heraus. In den letzten Monaten ist das Thema wieder aktuell geworden durch den Hambacher Forst. Ein letzter Rest uralter Wald soll einem Braunkohletagebau von RWE zum Opfer fallen. Über 20 Jahre nach Schließung des Lausitzer Reviers. Seit Jahren wird der Wald von Gegnern der Rodung besetzt. Ein Thema für Gundermann? Sicherlich.

In LINDA sang er:

"Ich wusste, wie die Kugel rollt
und war nicht mehr interessiert.
Wenn der Sensenmann mich abgeholt,
hätt ich mich nicht geziert.
Meine Pistole war geladen
mit dem allerletzten Schuss.
Ich hab sie unterm Kirschenbaum vergraben,
weil ich doch hier bleiben muss."

Der Hambacher Forst hätte ihn elektrisiert, denke ich. Und die Pistole wäre auch nicht ausgegraben worden.

Am 21. Februar wäre er 64 geworden. 
Uns bleibt etwas, was man Discografie nennt. Und ein paar DVD´s und Bücher. Nicht zu vergessen, die Bands, die die Erinnerung wachhalten: Seilschaft, Randgruppencombo, Aufsturz und weitere...

(GUNDERMANN geht einfach nicht ohne ein wenig Selbstreflektion. Diese wird, nachdem ich inzwischen länger in der Bundesrepublik lebe als ich in der DDR gelebt habe, immer einfacher.)





► GUNDERMANN:  DNB / Ch. Links Verlag / Berlin 2018 / ISBN: 978-3-96289-011-7 / 184 S.
► TANKSTELLE... : DNB / DIETZ Verlag / Berlin 2006 / ISBN: 978-3-320-02091-0 / 173 S.


Das Buch Tankstelle für Verlierer beinhaltet Gespräche mit Gerhard Gundermann. Diese waren ursprünglich in dem vergriffenen Band Gerhard Gundermann: Rockpoet und Baggerfahrer bei Schwarzkopf & Schwarzkopf gedruckt. In diesem waren auch noch Liedtexte und kurze Prosa Gundermanns enthalten. Hier die Gespräche als Erinnerung.

PS:

  • Besagter Kundi betreibt Mission Bühnenrand, das alternativlose Forum zu Muggen nicht nur ostdeutscher Manier.
  • Zur Webseite von Aufsturz-die-Band




© Bücherjunge




3 Kommentare:

  1. Ich bin geplättet, alter Freund. Ich habe diesen Beitrag regelrecht verschlungen. Dein Lebensweg und Dein Weg zu GUNDI sind mir ja nicht unbekannt. Aber das mal so ausführlich und in aller Ruhe als Lesestoff genießen zu können, ist schon eine großartige Sache. Beim Lesen purzelten auch bei mir die Erinnerungen und ich habe so manchen Vergleich zu eigenen Sichtweisen, Gedanken und Bildern im Kopf gezogen. Danke für diese kleine Sternstunde. Herzliche Grüße Kundi

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  2. Hui, ein Beitrag, der mir Gänsehaut verschafft. Bietet er doch Einblick in eine vergangene Zeit und gleichzeitig in eine sehr persönliche Geschichte. Der erste Kommentar hier dazu zeigt auch: das gehört zu Deinem Leben dazu. Schön, dass Du das hier mit uns teilst!

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  3. Im 30sten Jahr der Einheit hat es GUNDERMANN ins Fernsehen geschafft. Arte, ARD, die Mediatheken...
    Mehrfach habe den Film nun 1,5 Jahre später gesehen und ihn auch der „Westverwandschaft“ gezeigt. Das war sehr interessant. immer noch sehe ich den Musiker und Liedermacher. der Eindruck, dass das Thema Staatssicherheit etwas zu vordergründig erscheint, verstärkt sich plötzlich. Das ändert aber nichts an der Klasse dieses Films, der nicht diese DDR, aber einen Teil wiederspiegelt.

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