Ein weißes Kind bei den Lakota
Schon oft nahm ich mir vor, dieses oder jenes Kinder- oder Jugendbuch aus dem Traumfänger Verlag zu lesen. Hier liegt nun die Geschichte von Mary vor mir, deren Lakota-Name Taschunka-Gleschka-Win lautet. Das ich nun zu diesem und demnächst zu weiteren Kinderbüchern der hier schon bekannten Autorin Kerstin Groeper greife, hat nicht vordergründig, jedoch auch nicht zuletzt mit der Diskussion um das Kinderbuch Der junge Häuptling Winnetou zu tun, welches der Ravensburger Kinderbuchverlag kürzlich zurückgezogen hat. Zum Film, auf dem dieses Buch beruht, habe ich hier bereits geschrieben.
Inhalt. Mary, ein zehnjähriges Mädchen zieht im Jahr 1860 mit ihren Eltern und einem kleinem Bruder in Richtung Westen. Die kleine Farm, die der jähzornige Vater, der auch schnell zum Riemen greift, bewirtschaftete, wirft nicht genügend ab und viele Menschen von der Ostküste entschließen sich, ihr Glück im mittleren oder fernerem Westen zu versuchen. So ziehen sie auf den Oregon-Trail: 3500 Kilometer zu den Rocky Mountains.
Das Mädchen zieht allein durch die Prärie.
Sie folgt den Wagenspuren, die sehr zahlreich im Staub und Gras verlaufen. Doch während Tupfen, das Pony hat ein geflecktes Fell, natürlich genug Gras findet, ernährt sich das Mädchen von Pflaumen und Wasser. Nach einigen Tagen fehlt ihr die Kraft aufzustehen.
Oregon Trail |
Doch plötzlich wird sie aufgehoben. „Ohan, Wintschintschala kin kikta yelo!“ (Das Mädchen ist aufgewacht.) klingt es an ihrem Ohr, als sie erwacht. Indianer. zwei Indianer. „Schunka wakan nitawa ho?“ (Ist das dein Pferd?) fragt der eine. Ein Kind in der Prärie allein, die beiden Lakota nehmen Mary mit. Wambli (Adler) heißt der jüngere, Inyan-ska (Weißer Felsen) der ältere Indianer.
Als sie einen Jungen rettet, der abseits des Zeltdorfes vom Pferd gestürzt war, wird die Anerkennung und die Familie noch viel größer.
Doch dann geschieht ein Unglück und das Mädchen wird entführt. Plötzlich ist sie wieder unter Weißen und in einem Waisenhaus. Wird sie zurück zu ihren Lakota-Eltern finden?
* * *
Als Mary auf ihren zukünftigen indianischen Vater Inyan-ska und den älteren Bruder trifft, vernimmt sie Lakota-Worte. Kerstin Groeper hat in diesem Buch eine Vielzahl von Begriffen, Namen und ganze Sätze verwendet. Diese sind im Text oder in einem angehängten Glossar übersetzt. Allein dies macht schon eine gewisse Authentizität aus. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Zusammenleben der Familien der Stammesgruppe, der Beziehung unter den Verwandten und Umgangsweisen untereinander. Nicht unbekannt dabei ist, dass Kinder nicht geschlagen wurden. Kerstin Groeper geht auch darauf ein, dass die Erwachsenen darauf vertrauten, dass die Kinder Ermahnungen oder Belehrungen verstanden und wiederholtes Fehlverhalten vermieden. Da es ein Kinderbuch ist, legt die Autorin auch Wert auf das Verhalten zwischen Jungen und Mädchen beziehungsweise Schwestern und Brüdern. Die Arbeitsteilung von Männern und Frauen wird mehr aus Sicht der Frauen erzählt, wie die Büffel gejagt werden ist angedeutet, wie sie verarbeitet werden, wird stärker hervor gehoben. Holzsammeln, kochen und das Herstellen von Kleidern ist die Aufgabe von Frauen und Mädchen. Zu beachten ist dabei sicherlich, dass die Gruppen in der freien Natur lebten, Büffeljagd gefährlich war, Kraft und Behändigkeit erforderte und dies den Männern oblag. Kerstin Groeper zeigt die Gefährlichkeit, als ein Puma die Pferdeherde angreift.
Es wird zudem zwar angedeutet, dass die Krieger um Taschunka withko gemeinsam mit dem Volk der Cheyenne gegen die weißen Eroberer und Soldaten kämpfen müssen, dies steht aber nicht im Vordergrund der Geschichte um ein weißes Mädchen bei den Lakota.
Im Jahr 2011 wurde das Buch verlegt und zu erwähnen ist unbedingt, dass die Illustrationen von der damals 17jährigen Eugenie (Pauline) Pierschalla gestaltet wurden.
Das Buchcover betreffend erzählte mir Kerstin Groeper einmal, dass durch die Buchhändler das oben gezeigte Cover als "ungünsig" empfunden worden wäre und man lieber richtige Fotos hätte. So kam es zu diesem Buchdeckel.
* * *
Die Autorin. Kerstin Groeper hat eine ganze Reihe von Romanen, Jugend- und Kinderbüchern geschrieben. Sie kennt die aktuellen Bedingungen in den Reservationen, spricht Lakota und stellt indianische Musiker und Tänzer auf verschiedenen Veranstaltungen vor, zum Beispiel auch während der Karl-May-Festspiele in Radebeul.
Seit einiger Zeit beklagt sie, bzw. der Verlag, dass realistische moderne Indianerliteratur wenig gefragt wäre. Das läge zum einen daran, dass der konsequent verwendete Begriff „Indianer“ einer „Verwendungsdiskussion“ unterliegt und Buchhandelsketten insgesamt zurückhaltend sind. Zum anderen daran, dass anscheinend realistische Literatur, Romane wie Sachbücher gegenüber Winnetou und Yakari weniger nachgefragt werden. Vielleicht, dies ist eine Hypothese meinerseits, gibt es eine gewisse Flucht aus der Realität in eine Fantasywelt, zu der im weiteren Sinne auch die beiden genannten Figuren gehören, obwohl Karl Mays Winnetou unter jüngeren Lesegenerationen weniger oder gar keine Rolle spielt, Yakari - Geschichten für kleinere Kinder geschrieben wurden.
Für ein den indigenen Völkern vor allem Nordamerikas seit James Fenimore Cooper und Karl May interessiert und positiv gegenüberstehenden Leseland erscheint dies schade.
Selbst die, die die, inzwischen auch 50 bis 70 Jahre alten Bücher einer Liselotte Welskopf-Henrich lieben, greifen eher selten zu moderneren und intensiv recherchierten Büchern.
Wieso eigentlich?
Statt dessen wird über Bezeichnungen wie „Indianer“ diskutiert, Ausdrücke wie Native Americans oder Indigenous eingefordert und für ältere und jüngere Literatur sogar Geschichtsrevisionismus und Verherrlichung von Kolonialismus und Völkermord behauptet. Ganz albern wird es, wenn man weißen Europäern das Recht abspricht, über die indigenen Völker zu schreiben, weil man ja von deren Lebensumständen (Armut, Drogen, Arbeitslosigkeit) nicht betroffen wäre.**
Ich sehe die Bücher des Traumfängerverlages in der Tradition einer Liselotte Welskopf-Henrich (LWH-Projekt) und von Filmen wie „Der mit dem Wolf tanzt“ und viel mehr noch von In To The West, einer sechsteiligen Miniserie aus den USA.
Mit Büchern wie Taschunka-Gleschka-Win können Kinder an das Thema Eroberung, Unterdrückung aber ebenso Kultur, Bräuche, Glauben und Zusammenleben der verschiedenen indianischen Völker insbesondere heran geführt werden. Die Begeisterung, die einst Oma und Opa mit Chingachgook (J.F. Cooper), Winnetou (Karl May) und Harka – Tokei-ihto (L.Welskopf-Henrich) erwarben, kann durch solche, realistischen Geschichte erzählenden Bücher bestimmt weitergegeben werden.
* Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146973
** vergleiche dazu: Winnetou - Ein Abgesang? - Teil 1
- DNB / Traumfänger / Hohenthann 2011 / ISBN: 978-3-941485-30-3 / 217 Seiten
Bücher von Kerstin Groeper auf Litterae-Artesque
Im fahlen Licht des Mondes / Der scharlachrote Pfad / Donnergrollen im Land der grünen Wasser / Abenteuer in der Lübecker Bucht
weitere ausgewählte Bücher aus dem Traumfänger-Verlag auf Litterae-Artesque- Ein Leben für die Freiheit – Michael Koch / Michael Schiffmann
- Ich werde mich nie ergeben – Mitch Walking Elk (Autobiografie)
- Sitting Bull - Sein Leben und Vermächtnis - Ernie LaPointe
- Mord auf Pine Ridge - Brita Rose-Billert
- Tanz mit Schlangen . Ulrich Wißmann
- Es musste getan werden - Mack Stephen
- ...
Das Interview ist eine interessante Ergänzung!
AntwortenLöschenFand ich natürlich auch. Ich bleibe am Thema auch dran.
LöschenDanke sehr;)
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