Zum Inhalt: Der Prolog führt uns in das Jahr 1946. Im Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes sitzen ein paar Jungs aus einer Schule in Potsdam. Die mochten keinen Russischunterricht und schwänzten diesen darauf mehrmals. Darauf wurden sie verhaftet und bis einen durch ein sowjetisches Militärgericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der eine, der jüngste, Frieder, wurde begnadigt zu zwanzig Jahren Gulag. Christoph, einer der Jungs hat eine Freundin namens Vera. Der soll Frieder irgendwann ausrichten, dass Christoph an sie denkt und dass sie Physik studieren soll. Vera gehört zu den tausenden Frauen, bei denen die Befreiung vor allem mit schrecklichen persönlichen Erlebnissen verbunden war. Christoph war zu ihrer Hoffnung geworden und hielt sie davon ab, sich selbst umzubringen.
Dem Fall der Jungs ist eine Journalistin auf der Spur, bei der eingebrochen wird...
Und ein Professor hat ein Buch geschrieben über einen Spionagefall aus dieser Zeit...
Vera kommt im Jahr 1949 in Kontakt mit dem britischen Geheimdienst. Da sie, das kommt im Laufe der Geschichte raus, russische Wurzeln hat, eignet sie sich als Dolmetscherin. So erhält sie eine Deckidentität in das Militärstädtchen Nr. 7 unweit des Schlosses Cecilienhof, da, wo einst die Potsdamer Konferenz stattfand...
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Das Buch: Abwechselnd, das ist die „Piepersche Methode“, die besonders in den Havelkrimis immer wieder angewendet wird, führt uns Tim Pieper „hin und her“, wechselt unregelmäßig zurück in die Jahre 1946 / 1949 und in die Gegenwart. Die Geschichte der hingerichteten Schuljungen findet sich allerdings im Prolog, danach geht es um Vera im Jahr 1949.
Von Beginn an hatte ich das Gefühl, ein sehr „schnelles“ Buch zu lesen. Zu Beginn erschien alles völlig logisch. Da gab es diese Vera der Nachkriegszeit und dann kommt Vera Sanftleben plötzlich in die Heimat. Allerdings geht es mit dieser Durchsichtigkeit nicht unbedingt weiter. Besonders der „Überläufer“ erzeugt Fragezeichen beim Rezensenten. So erzeugt man fortwährende Spannung. Als Vera DAS Angebot ihres Lebens erhält, dachte ich: Das wird nichts, wir haben erst die Hälfte des Romans gelesen.
Es gehört heute zu Krimis, dass der agierende Ermittler, an gewisse Grenzen stößt, dienstrechtliche oder persönliche, vielleicht psychische oder alles zusammen. Toni Sanftleben wurde einst nur Polizist, um die Möglichkeiten der Polizei für die Suche nach seiner verschollenen Frau zu nutzen (Dunkle Havel). Er findet sie und sie verlässt ihn wieder (Kalte Havel). Nun gerät die Frau die er liebt und seine ceigene Mutter ins Visier... Schon einmal quittierte er den Dienst und fuhr mit Caren, der Staatsanwältin, die seine Gefährtin wurde, auf dem Hausboot bis nach Skandinavien. Nun verlässt er erneut den Dienst, fast ausgebrannt. Doch vorher drückt seinem Kollegen Pong eine Ernennungsurkunde in die Hand, der eine sehr merkbare Entwicklung in den sechs Büchern durchmachte. Bringt Tim Pieper den Toni Sanfteren in einem siebenten Roman zurück?
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Nicht jeder der inzwischen sechs Romane, mit denen über Otto Sanftleben sind es acht, hat mich gleichermaßen überzeugt. Manchmal ging es sofort ab, gelegentlich fand ich erst im Laufe des Romans hinein. Dieser hier lies meine Gedanken in die Nachkriegszeit gleiten. Dass ein sowjetisches Militärgericht ein paar Schuljungen, die bis Mai 1945 höchstwahrscheinlich nationalsozialistisch erzogen wurden, verurteilte, weil es im Schwänzen des Russischunterrichtes eine antisowjetische Propagandatat bei angenommener Werwolf-Zugehörigkeit sah und hinrichteten ließ, will auch nach dreißig Jahren neuen Einblicks in die Geschichte nicht so richtig in meinen Kopf. Das gilt auch für die schier unglaubliche Menge an Vergewaltigungen, von denen Frauen und Mädchen betroffen waren. Gegen das Vergessen bedeutet auf alle Episoden in der Geschichte nicht nur des 20. Jahrhunderts aufmerksam zu machen, die von Unmenschlichkeit, Mord, Folter, staatliche Willkür zeugen.
In diesem Sinne verweist Tim Pieper im Nachwort auf den Originalprozess, nennt Quellen, auch zu dem originären Spionagefall. Zudem führt er uns ins Militärstädtchen Nr. 7, die sowjetische Geheimdienstzentrale nach Kriegsende. Das ist einen Spaziergang wert. Pieper hat in allen sechs Romanen solche Ausflugsziele im „Programm. Da waren mal die Beelitzer Heilstätten (Kalte Havel) Tat- oder Ereignisort, der Sternenpark Westhavelland (Finstere Havel), die Villa Bogensee, in der J. Goebbels kurz wohnte (Stille Havel). So kann man sich auf die Spuren seiner Figuren bewegen, das macht Spaß. Hätte ich vor einigen Jahren gewusst, dass die Lestikow-Strasse in Potsdam mal in einem Roman auftaucht, dann hätte ich mehr eigene Bilder geschossen.
So verweise ich hier auf die Webseite der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikow-Straße Potsdam.
Es bleibt das Cover des Buches. Ein klein wenig hebt es sich von den Vorgängern ab. Es zeigt einen Teil der „Bridge of Spies“, der Glienecker Brücke an der Grenze von Brandenburg und Berlin. Ich überlasse es den Leserinnen und Lesern zu prüfen, welche Rolle die Brücke, über die drei der bekanntesten Austauschaktionen von Spionen, Agenten, Kundschaftern abgewickelt wurden, spielt.
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Bleiben wir dran.
Vielen Dank, lieber Tim, für das Rezensionsexemplar und bis demnächst.
Tim Pieper auf Literat Artesque (AP = Anne Parden / UR = Dresdner Bücherjunge)
- Der Minnesänger (UR) - Historischer Roman
- Mord unter den Linden (UR - AP) / Mord im Tiergarten (UR - AP) - historische Kriminalromane mit Otto Sanfteren
- Dunkle Havel (UR - AP) / Kalte Havel (UR - AP) / Tiefe Havel (UR - AP) / Stille Havel (UR - AP) / Finstere Havel (AP - UR) - Kriminalroman mit Toni Sanfteren
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