Sonntag, 8. April 2018

Pieper, Tim: Tiefe Havel


Auf der Leipziger Buchmesse stand es im Regal. Doch bereits zuvor war klar, an der bevorstehenden Leserunde auf Lovelybooks nehme ich teil. Schließlich muss die Geschichte um die Kriminologen und Kriminalisten namens Sanftleben weiter verfolgt werden. Diesmal führt uns Tim Pieper wieder an die Havel, welche diesmal vor allem tief sein soll...

Es ist bereits der Dritte Roman, in dem Toni Sanftleben an der Havel, einem Fluss, der bei Ankershagen in Mecklenburf-Vorpommern entspringt, ermittelt.



Es passt. Mal ist es kalt, dann mal dunkel  im Seelenleben des Kriminalhauptkommissars Toni Sanftleben Großneffe eines faszinierenden Kriminologen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, doch von Otto will ich hier nicht erzählen.


Ich weiß nicht ob die Havel, an deren Gestaden der KHK der Potsdamer Kriminalisten seine Fälle löst, tatsächlich am Tatort kalt, dunkel oder tief ist. Aber kalt läuft es einem den Rücken herunter, besieht man sich diverse Klientel, dunkel ist es in der Seele des Helden gelegentlich, ebenso erhält man tiefe Einblicke und ist entsprechend berührt. Ist er doch zur Polizei gekommen, um nach seiner Frau zu suchen, die spurlos im Dunkel der Havel verschwand, damals vor etwas mehr als sechzehn Jahren. Er hat sie wiedergefunden, aber wie tief ist ihre Liebe zu ihm?

Sofie wohnt nicht mehr auf dem alten Hausboot, sie ist ausgezogen und lebt mit einer Freundin zusammen. So wird die „familiäre Linie“ des Romans weitergesponnen, bis es genau in diesem Zusammenhang zu einem dramatischen Finale kommt, welches als filmreif beschrieben werden darf.

So viel erst einmal zur Hauptfigur des inzwischen dritten „Havel-Romans“ im emons: Verlag von Tim Pieper.

Im Prolog springt ein Unbekannter auf einen Frachtkahn, der da auf der Havel fährt und nähert sich dem Schiffer. Dieser greift sich eine Signalpistole und...
... verliert.
Er verliert sein Leben, welches etwas schwierig geworden war.

Frau und Sohn starben in Folge eines illegalen Autorennens. Die Enkeltochter ist schwer krank. Einzige Rettungsmöglichkeit ist eine sauteure Operation im Land der unbegrenzten (medizinischen) Möglichkeiten. Dass der Brückenspringer aus eben diesem Land kommt, hat nichts mit der Enkeltochter, wohl aber mit der Geldbeschaffung für das somit auch nicht legale Vorhaben des nunmehr toten Schiffers zu tun. Doch den Auftrag dazu bezog der Springer aus einem anderen Land hinter dem Großen Wasser.
Es hätte ja klappen können, was der Schiffer und sein Neffe, der keine weiße, soll heißen strafrechtlich saubere, Weste besitzt, da vorhaben. Der Neffe hat einen „Freund“ aus Knasttagen. Der mag ihn auf besondere Art und Weise, ist ziemlich durchgeknallt und kann seltsamerweise ganz mühelos mit dem Internet umgehen. Aus diesem hat er sich nämlich einen guten Pferdeverstand angeeignet. Das allerdings hilft ihm bei seinem geizigen Arbeitgeber nicht weiter.
Kurz, diese Umstände führen dazu, dass am Ende der Schiffer nicht der einzige Tote im Roman ist.

Der psychisch angeknackste Sandro wird letztlich für den Showdown sorgen, der ein klitzekleinwenig an das Remake von DER SCHAKAL mit Bruce Willis und Richard Gere erinnert. Keine Ahnung, ob Tim Pieper den im Sinn hatte, als das SEK beim Lösen einer Geiselllage...

Aber verraten wir mal nicht zuviel.


* * *


Tim Piepers Geschichten zeichnen sich unter anderem aus durch Regionalität. Regionalkrimis gibt es so viele wie TATORTE. Die Tatorte von Pieper liegen nun mal an der Havel, denn er lebt in Potsdam. Daher kommt es, dass er die Landschaft wirkungsvoll beschreibt, man sieht die Niederungen des Flusses förmlich vor sich, auch wenn diese Beschreibungen diesmal nicht so vielfältig sind wie in den vorangegangenen Büchern. Für die Leser hält der Autor auf seiner Webseite dann auch einige Bilder bereit.


Dafür aber bekommt der Leser gewinnbringend recherchierte und nicht zu umfangreiche Einblicke in tiermedizinische sowie juristische und ermittlungstechnische „Sachverhalte“. „Polizeifachlich“ hat er sich wirklich weiter entwickelt.

Die Geschichte ist fortlaufend fesselnd und treibt auf den Höhepunkt unaufhaltsam zu. Ein Teil dieses Höhepunktes war zwischendurch zu erwarten, da es eine Begegnung zwischen Personen gab, die „dramaturgisch“ zwangsläufig eine Bedeutung erhielt.




Wieder einmal fährt Tim Pieper aber Figuren auf, die auf mich nicht so erfreulich wirkten. Gleichsam irre und einfallsreich, liebevoll und gewalttätig. Diesen Umstand hatte ich in KALTE HAVEL noch viel mehr wahrgenommen. Dass der Chefermittler mit Alkohol ein Problem hat, ist hier mal ein Punkt, den ich akzeptiere. Normalerweise mag ich die vielen Ermittler, die da im Laufe ihres Berufslebens einen Knacks bekommen haben und zum Beispiel Alkoholiker sind, in abgerissenen Klamotten rumlaufen und ständig ihre eigenen „Ermittlungsvorschriften“ aufweisen, nicht so gern. Die meisten Kriminalisten arbeiten bekanntlich eher normal und verbringen zwangsläufig mehr Zeit im Büro. Nun ja, da aber in heutigen Romanen die tatsächliche Kriminalstatistik nicht abgebildet wird, muss man vermutlich damit leben. Zumal der Blogger hier ja durchaus von einen gewissen Harry Hole angetan ist, ein Typ gegen den Schimansky ein Waisenknabe war.



* * *


Und jetzt hat Toni Sanftleben sein Hausboot vom Kai gelöst und schippert samt Sohn und dessen Freundin durch die Lande. Wo schippert er hin? Er denkt an französische Gerichte, an seine E-Gitarre...


© URDD



© URDD

„Er würde bleiben, wo es ihm gefiel, er würde weiterziehen, wenn ihn das Fernweh packte... Er war für vieles offen, aber nichts konnte den Schmerz lindern, der ihn ständig und überall begleitete. Toni umfasste das Steuerrad fester und schaute auf die glitzende Wasseroberfläche, die ständig in Bewegung war. Momentan wusste er nicht viel. Momentan wusste er nur eines: Er würde sie immer lieben.“



Wenn er aufwärts schippert, dann kommt er vielleicht auch hier vorbei und besucht seinen Kollegen in Neustrelitz.





Was bleibt vorerst? Ich mag die Romane von Tim Pieper und würde mir wünschen, dass dieser Toni Sanftleben irgendwo eine Mappe mit außergewöhnlichen Fällen seines Großonkels findet - Verbindung zu einem generationsübergreifenden Roman und eine Möglichkeit, den alten Otto wieder auftreten zu lassen.

PS: Natürlich bin ich der Havel sehr verbunden. Ich wohne ja nicht allzu weit weg von der Quelle.


© URDD

  • Rezensionen zu den Havelkrimis von Tim Pieper auf Litterae-Artesque von Anne Parden und Uwe Rennicke
  • Dunkle Havel (UR / AP) / Kalte Havel (UR / AP) / Tiefe Havel (UR / AP) / Stille Havel (UR / AP) / 
  • Finstere Havel (AP / UR) / Raue Havel demnächst


© Bücherjunge (26.08.22)


4 Kommentare:

  1. Eine tolle Darstellung und Rezensions eines tollen Buches, was uns wieder etwas vereint hat ;-)

    Gruß an dem Dresdner Bücherjungen
    von Regina

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    1. Waren wir denn je entzweit?. Und so ganz ohne Kritik ist Tim ja auch nicht weggekommen.
      Viele Grüße nach Berlin.

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  2. Hallo!
    Ich war auch bei der Leserunde dabei und es ist schon mein dritter Havelkrimi....als Österreicherin ist mir die Gegend unbekannt, aber Tim Pieper beschreibt sie so toll, dass man denkt man ist mittendrin! Seine Krimis gefallen mir sehr...
    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Ja, die Leserunden sind schon gut. Die Bände 1 und 2 waren aber beiden Landschaftsbeschreibungen intensiver.
      Vielen Dank für deinen Kommentar und viele Grüße nach Österreich.

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