Donnerstag, 7. September 2023

Bergel, Hans: Die Wiederkehr der Wölfe

Eine neue Welt entstand vor meinen Augen, als ich begann, Hans Bergels autobiografisch hinterlegten Roman Wenn die Adler kommen las. Allein die Sprache, die die siebenbürgischen Karpaten beschrieb, die Menschen, mit denen Peter Hennerth, die Hauptfigur des Romans, in Berührung kam, die faszinierende Gestalt seines Großvaters Thomas Hardt, der den Enkel behutsam lenkt. Als die Adler kommen, geschieht ein großes Unglück und außerdem marschieren Soldaten mit dem Adler auf der Brust des Uniformrocks durch Europa und auch durch Rumänien.

Auf der kleinen Buchmesse Dresden (er)lesen steuerte ich zielgerichtet den Stand von Noack & Block an. Begierig, mehr zu erfahren, zum Beispiel darüber, ob der mittlerweile fünfundneunzigjährige Autor den dritten Teil der Saga, die sich gleichermaßen um seine Familie rankt, nun schreibt. Ich hatte mich durch das Internet gewühlt und fand zu Bergel eine Reihe Einträge, die mir nicht alle gefielen, auch aus Gründen der politischen Anschauungen, die dabei zu erkennen waren.

Die Wiederkehr der Wölfe hatte ich da gerade erst begonnen, das beflügelnde Gespräche führte mich zu Literatur über Hans Bergel aus der Frank & Timme GmbH, zu der die Edition Noack & Block gehört. Der Mann ohne Vaterland – Hans Bergel – Leben und Werk von Renate Windisch-Middendorf begleitete das Lesen der letzten einhundert Seiten und erhellte so manchen Aspekt zu einem Menschen, der mehr Beachtung im deutschen Literaturkosmos verdient. Die Rumänen schauen da mehr auf den 1968 in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten gebürtigen Kronstädter (Brasov). Der Tanz in Ketten wird das nächste Buch sein, doch nun geht es um die Wiederkehr der Wölfe.

Zu Beginn lernen wir im Jahre 1949 den Maler Waldemar Taucher kennen und die Resistance- Widerständlerin Yvonne Marchant. Zwei neue Figuren im Reigen um den Peter Hennerth. Trotz Besetzung lebt Paris. Sie unterhalten sich über Kunst. Und wechseln dabei in Jahrhunderte. Tauchers Besuch wird Folgen haben für die Französin...

Von Gerhard Göller, der im zweiten Kapitel auftritt, haben wir im Roman WENN DIE ADLER KOMMEN schon gelesen. Der wird von einem gewissen Heydrich einen Sonderauftrag bekommen, denn die deutsche Kriegsmaschinerie braucht zum Vormarsch vor allem eines: Öl. Und wo gibt es solches? In und „hinter“ Rumänien. Im verbündeten Rumänien des Marschalls Antonescu leben die Siebenbürger Sachsen, zu denen gehört auch Göller, der unterm „Grafensteiner“, dem letzten Familientreffen dabei war.  Auf diesem Familientreffen war es, wo Großvater Hardt dem Rick Hennerth ins Gewissen redete und eine  klare Einschätzung zu dem offenbarte, was mit Adlern am Rock etwas später durch Rumänien marschiert.

Im dritten Kapitel kommt man als Leser nicht zum ersten Mal auf den Gedanken, doch einmal in dieses Land zu reisen, welches die Freunde unseres Helden auf dem Rad durchstreifen – eine „argonautische Transilvanienbesichtigung“. Im vierten Kapitel treffen sie „die bersteinfarbene Burghüterin, die wahrsagenden Zigeunerin und das Judenmädchen am Fluss“ – so die Überschrift des Kapitels, schon diese Überschriften erscheinen „gedichtet“.  

Diese Fahrradtour – über gleich drei Kapitel dauernd –  ist eine zentrale Geschichte, die noch ein Bild auf das Vorkriegs-Siebenbürgen wirft:

Hier wird diese Lust am Beschreiben, diese aufgesogenen Bilder des Autors deutlich. 

Im siebenten Kapitel erleben wir, dass der Nationalsozialismus unter den „Auslandsdeutschen“ angekommen ist. Ein Schultag von Peter Hennerth voller Propaganda und Rassengeschwätz.

„Es war gar nicht der exaltierte, wirrsinnige Inhalt der Reden des auf „Hitler-Jugend-Führerlehrgängen“ im „Reich“ zur blitzenden Einpeitscherphrase geschulten Herwart Zupfenhügler und des ‚Volksgruppenführers‘ Andreas Schmidt... was uns packte, mitriss und in Begeisterung versetzte. Nein, wir waren zu jenem Zeitpunkt schon so weit, daß wir gar nicht mehr hinhören mußten, um uns in der Gewißheit bestätigt zu fühlen, vor Gott und den Menschen das Rechte zu tun. Wie, wann es gekommen war – keiner von uns hätte es sagen können. Doch beherrschte uns längst die blinde Entschlossenheit, hinter der wir begonnen hatten und vor aller Welt zur Schau stellten, nicht mehr zurück zu können noch zu wollen, gleichviel, welches unser Schicksal und das aller anderen sein würde. Die Masse, der wir uns überlassen hatten und die wir waren, erlaubte keine Umkehr, jeder von uns war zur Masse und als einzelner hemmungs- und urteilslos geworden.  Das Gefühl der daraus erwachsenden Bereitschaft mündete von selbst den Rausch und in dessen höchste Steigerung ein – ins dumpf empfundene Glücksgefühl kollektiver Todessehnsucht.“ (Seite 277)
Und während des eindringlichen, zu lange dauernden und nicht verlassbaren Appells macht sich Schulkamerad Ritschi in die Hose – Hans Bergels Art zu zeigen, was er davon hält: „Satirisch – parodistische Entlarvung lokaler Volkstumsfanatiker“ wie dies Renate Windisch-Middendorf in Der Mann ohne Vaterland beschrieb.

Peter Hennerth wird sich dem nicht weiter anschließen, Schulrelegation ist später die Folge. Er wird mit den „Zupfenhügler – Variationen“ - Eine Art Schmähgedicht - seine Verachtung im zwölften Kapitel deutlich machen. Als propagandistische Unterstützung aus Berlin in Gestalt des „Reichsjugendredners“ eine besondere Rede auf die Herrenrasse hält und dabei die vor ihm sitzenden Jungen der „DJ“ (Deutsche Jugend - ähnlich der Hitlerjugend) belehrt, sie selbst und vor allem nicht die Volksgruppen rund um Kronstadt und Siebenbürgen seien rassisch keineswegs gleichermaßen wertvoll wie die „ewig edlen Königsblonden“, erklärt Peter in der Aula aufstehend: „ Ich lasse mich, meine Freunde und meine Vorfahren von diesem Wahnsinn nicht länger beleidigen.“ (Seite 600)

Am Tag der Relegation stirbt der Hardt Großvater – der hat am Enkel seine Mission, wie man sieht, erfüllt.

Von der Großmutter bekommt Peter eine Mappe mit Aufzeichnungen und so erhält der Roman eine Art „Abstammungskapitel“ von knapp 70 Seiten, welches uns nach Spanien führt. Etwas ähnliches hatte Bergel mit der Geschichte um den Scharfrichter in WENN DIE ADLER KOMMEN getan.

* * *

Wieder haben wir es mit einem sprach- und bildgewaltigem Roman zu tun. Einer mit Aussagekraft. Ein Friedensroman, ein Roman gegen Fremdenhass und Krieg. Ein Roman gegen Rassismus, Faschismus und Diktatur. Hans Bergel ergreift auch eine besondere Art und Weise Partei für die Heimat seiner Kindheit und die Bewohner da drin und drumrum.Bergel nimmt dafür die eigene Familiengeschichte, die eigenen Rückblicke. Eine Autobiografie ist es nicht, dafür überwiegen die fiktiven Momente, eine autobiografischer Roman ist es schon.


Verstehen wird man Hans Bergel aber nur, wenn man weiterliest. Man muss etwas zurückblicken: 1976 erschien Der Tanz in Ketten. Das Buch, welches die erlittene Haft in der Volksrepublik Rumänien behandelt. Auch in diesem Buch haben die handelnden Personen eine reale Entsprechung. Auf dem Weg zur Vollendung der Trilogie, Die Stunde der Schlangen, wäre dieser Rückgriff vielleicht günstig. Davon wird noch zu erzählen sein, denn diese Bücher werden sicherlich auf diesem Blog noch besprochen werden.

Hans Bergel hat mehrfach davon gesprochen, dass er entsetzt und mit völligem Unverständnis auf die linke Bewegung der 68ger Jahre und Generation geblickt hat. Dabei dürfte es sich nicht um den Teil gehandelt haben, der unter dem Ruf "Der Muff von 1000 Jahren unter den Talaren" demonstrierte. Bergel war entsetzt, dass junge Studenten den Lehren Mao Tsedungs, Ho Chi Minhs, Lenins folgen wollten, wohlgemerkt im Westen Europas, vor allem in der Bundesrepublik, in die in 1968 ausreisen durfte.

Hans im Glück oder der Mann ohne Vaterland war ein verschollenes Romanmanuskript, welches die rumänische Securitate bei einer Verhaftung beschlagnahmte. Damals lebte Bergel noch in Rumänien. Bergel war Gegner der kommunistischen Partei, hatte er doch bereits mit dem Kriegsende Partisanen gegen diese Gesellschaft unterstützt. Das "ohne Vaterland" bezog sich auf das sich verändernde Siebenbürgen und Rumänien, welche der der siebenbürgener Sachse liebte; Deutschland stand noch nicht zu Debatte. 

Später scheint es, als ob sich die Geschichte wiederholte, denn in der Bundesrepublik konnte er auch nicht richtig heimisch werden, in den letzten Jahrzehnten lebte der mit 95 Jahren verstorbene Schriftsteller viel in Italien. Zwanzig Jahre war er Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung, am Konflikt zum Umgang mit den real-sozialistischen Staaten komplizierte sich das Verhältnis mit zum Teil schon länger in Deutschland lebenden Landsleuten. 

Die Ostpolitik der siebziger Jahre, die Öffnung gegen die sozialistischen Staaten, machte es dem Bundesverdienstkreuzträger wohl etwas schwer, sich vollständig zur Bundesrepublik zu bekennen. 

Hans Bergel ist weit über neunzig Jahre alt geworden, die Beschäftigung mit den unzähligen Werken wird sicherlich unterstützt durch den schmalen Band Der Mann ohne Vaterland von Renate Windisch - Middendorf. So versteht man den Zorn und den Unmut des Mannes etwas besser und vielleicht sogar dessen Briefwechsel mit einem bekannten neu-rechten Verleger , der diesen in seiner Zeitschrift abdruckte. Dort geht Bergel auf die erwähnte Sicht auf die oben erwähnten Demonstrationen ein, wofür er aus dieser Richtung Beifall erhält. An dieser Stelle muss deutlich gesagt werden, dass der Deutsche, der Siebenbürgener Sachse, zwar ein klarer Antikommunist, aber keinesfalls ein nationalistischer, fremdenfeindlicher rechtsextremer Autor war. Seine Geschichten und Erzählungen sind voller Empathie für die Volksgruppen, denen er in deiner Jugend, behutsam geführt durch seinen Großvater, begegnete und unter denen er Freunde fand.

Mehr dazu gibt es sicherlich, wenn die nächsten Bücher hier vorgestellt werden. Erschienen sind diese in der Edition Noack & Block in der Frank Timme GmbH. Der Edition habe ich für das Rezensionsexemplar zu danken. 


©️ Der Bücherjunge





2 Kommentare:

  1. Das klingt nach einem schweren Leben und nach einem, der sich den Mund nie verbieten ließ. Du wirst sicher weiter berichten...

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    1. Zumindest war das Leben des Schriftstellers zwischen 1950 und 1968 wirklich nicht einfach. Er hatte aber eine tolle Kindheit in einer Zeit, in der der europaweites Unheil am Horizont aufzog. - Der Bücherjunge

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