Auf der kleinen Buchmesse Dresden (er)lesen steuerte ich zielgerichtet den Stand von Noack & Block an. Begierig, mehr zu erfahren, zum Beispiel darüber, ob der mittlerweile fünfundneunzigjährige Autor den dritten Teil der Saga, die sich gleichermaßen um seine Familie rankt, nun schreibt. Ich hatte mich durch das Internet gewühlt und fand zu Bergel eine Reihe Einträge, die mir nicht alle gefielen, auch aus Gründen der politischen Anschauungen, die dabei zu erkennen waren.
Die Wiederkehr der Wölfe hatte ich da gerade erst begonnen, das beflügelnde Gespräche führte mich zu Literatur über Hans Bergel aus der Frank & Timme GmbH, zu der die Edition Noack & Block gehört. Der Mann ohne Vaterland – Hans Bergel – Leben und Werk von Renate Windisch-Middendorf begleitete das Lesen der letzten einhundert Seiten und erhellte so manchen Aspekt zu einem Menschen, der mehr Beachtung im deutschen Literaturkosmos verdient. Die Rumänen schauen da mehr auf den 1968 in die Bundesrepublik Deutschland ausgereisten gebürtigen Kronstädter (Brasov). Der Tanz in Ketten wird das nächste Buch sein, doch nun geht es um die Wiederkehr der Wölfe.
Zu Beginn lernen wir im Jahre 1949 den Maler Waldemar Taucher kennen und die Resistance- Widerständlerin Yvonne Marchant. Zwei neue Figuren im Reigen um den Peter Hennerth. Trotz Besetzung lebt Paris. Sie unterhalten sich über Kunst. Und wechseln dabei in Jahrhunderte. Tauchers Besuch wird Folgen haben für die Französin...
Von Gerhard Göller, der im zweiten Kapitel auftritt, haben wir im Roman WENN DIE ADLER KOMMEN schon gelesen. Der wird von einem gewissen Heydrich einen Sonderauftrag bekommen, denn die deutsche Kriegsmaschinerie braucht zum Vormarsch vor allem eines: Öl. Und wo gibt es solches? In und „hinter“ Rumänien. Im verbündeten Rumänien des Marschalls Antonescu leben die Siebenbürger Sachsen, zu denen gehört auch Göller, der unterm „Grafensteiner“, dem letzten Familientreffen dabei war. Auf diesem Familientreffen war es, wo Großvater Hardt dem Rick Hennerth ins Gewissen redete und eine klare Einschätzung zu dem offenbarte, was mit Adlern am Rock etwas später durch Rumänien marschiert.
Im dritten Kapitel kommt man als Leser nicht zum ersten Mal auf den Gedanken, doch einmal in dieses Land zu reisen, welches die Freunde unseres Helden auf dem Rad durchstreifen – eine „argonautische Transilvanienbesichtigung“. Im vierten Kapitel treffen sie „die bersteinfarbene Burghüterin, die wahrsagenden Zigeunerin und das Judenmädchen am Fluss“ – so die Überschrift des Kapitels, schon diese Überschriften erscheinen „gedichtet“.
Diese Fahrradtour – über gleich drei Kapitel dauernd – ist eine zentrale Geschichte, die noch ein Bild auf das Vorkriegs-Siebenbürgen wirft:
Hier wird diese Lust am Beschreiben, diese aufgesogenen Bilder des Autors deutlich.
Im siebenten Kapitel erleben wir, dass der Nationalsozialismus unter den „Auslandsdeutschen“ angekommen ist. Ein Schultag von Peter Hennerth voller Propaganda und Rassengeschwätz.
„Es war gar nicht der exaltierte, wirrsinnige Inhalt der Reden des auf „Hitler-Jugend-Führerlehrgängen“ im „Reich“ zur blitzenden Einpeitscherphrase geschulten Herwart Zupfenhügler und des ‚Volksgruppenführers‘ Andreas Schmidt... was uns packte, mitriss und in Begeisterung versetzte. Nein, wir waren zu jenem Zeitpunkt schon so weit, daß wir gar nicht mehr hinhören mußten, um uns in der Gewißheit bestätigt zu fühlen, vor Gott und den Menschen das Rechte zu tun. Wie, wann es gekommen war – keiner von uns hätte es sagen können. Doch beherrschte uns längst die blinde Entschlossenheit, hinter der wir begonnen hatten und vor aller Welt zur Schau stellten, nicht mehr zurück zu können noch zu wollen, gleichviel, welches unser Schicksal und das aller anderen sein würde. Die Masse, der wir uns überlassen hatten und die wir waren, erlaubte keine Umkehr, jeder von uns war zur Masse und als einzelner hemmungs- und urteilslos geworden. Das Gefühl der daraus erwachsenden Bereitschaft mündete von selbst den Rausch und in dessen höchste Steigerung ein – ins dumpf empfundene Glücksgefühl kollektiver Todessehnsucht.“ (Seite 277)
Verstehen wird man Hans Bergel aber nur, wenn man weiterliest. Man muss etwas zurückblicken: 1976 erschien Der Tanz in Ketten. Das Buch, welches die erlittene Haft in der Volksrepublik Rumänien behandelt. Auch in diesem Buch haben die handelnden Personen eine reale Entsprechung. Auf dem Weg zur Vollendung der Trilogie, Die Stunde der Schlangen, wäre dieser Rückgriff vielleicht günstig. Davon wird noch zu erzählen sein, denn diese Bücher werden sicherlich auf diesem Blog noch besprochen werden.
Die Ostpolitik der siebziger Jahre, die Öffnung gegen die sozialistischen Staaten, machte es dem Bundesverdienstkreuzträger wohl etwas schwer, sich vollständig zur Bundesrepublik zu bekennen.
Hans Bergel ist weit über neunzig Jahre alt geworden, die Beschäftigung mit den unzähligen Werken wird sicherlich unterstützt durch den schmalen Band Der Mann ohne Vaterland von Renate Windisch - Middendorf. So versteht man den Zorn und den Unmut des Mannes etwas besser und vielleicht sogar dessen Briefwechsel mit einem bekannten neu-rechten Verleger , der diesen in seiner Zeitschrift abdruckte. Dort geht Bergel auf die erwähnte Sicht auf die oben erwähnten Demonstrationen ein, wofür er aus dieser Richtung Beifall erhält. An dieser Stelle muss deutlich gesagt werden, dass der Deutsche, der Siebenbürgener Sachse, zwar ein klarer Antikommunist, aber keinesfalls ein nationalistischer, fremdenfeindlicher rechtsextremer Autor war. Seine Geschichten und Erzählungen sind voller Empathie für die Volksgruppen, denen er in deiner Jugend, behutsam geführt durch seinen Großvater, begegnete und unter denen er Freunde fand.
Mehr dazu gibt es sicherlich, wenn die nächsten Bücher hier vorgestellt werden. Erschienen sind diese in der Edition Noack & Block in der Frank Timme GmbH. Der Edition habe ich für das Rezensionsexemplar zu danken.
- Hans Bergel - Webseite / Autorenseite
- Bergel, Hans: Wenn die Adler kommen - Rezension / Verlag
- DNB / Noack & Block / Berlin 2015 / ISBN: 978-3-86813-029-4 / 778 Seiten
- Windisch Mittendorf, Renate: Der Mann ohne Vaterland - Hans Bergel - Leben und Werk / DNB / Frank Timme GmbH / ISBN: 978-3-86596-275-1 / 163 Seiten
Das klingt nach einem schweren Leben und nach einem, der sich den Mund nie verbieten ließ. Du wirst sicher weiter berichten...
AntwortenLöschenZumindest war das Leben des Schriftstellers zwischen 1950 und 1968 wirklich nicht einfach. Er hatte aber eine tolle Kindheit in einer Zeit, in der der europaweites Unheil am Horizont aufzog. - Der Bücherjunge
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