Mittwoch, 20. September 2023

Haas, Wolf: Eigentum

„Alles hin.“ Die Mutter, das Geld, das Leben. – Der neue Roman von Wolf Haas

„Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen." Mit liebevoll grimmigem Witz erzählt Wolf Haas die heillose Geschichte seiner Mutter, die, fast fünfundneunzigjährig, im Sterben liegt. 1923 geboren, hat sie erlebt, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. „Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin." Für sie bedeutete das schon als Kind: Armut, Arbeit und Sparen, Sparen, Sparen. Doch nicht einmal für einen Quadratmeter war es je genug.  (Verlagsbeschreibung)


DNB / Hanser Literaturverlage / 2023 / ISBN: 9783446278332 / 160 Seiten






Gelesen habe ich diesen schmalen Roman im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks - und es war für mich der erste Titel von Wolf Haas. Tatsächlich ließ mich diesmal das Cover genauer hinschauen, packpapiermäßig und puristisch, mit einem Titel, der wie mit einem Stempel aufgedrückt wirkt. Eigentlich kein Hingucker - aber genau deshalb eben doch. Wie es sich kurz darauf ergab: dieser Titel steht auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises. Na, wenn ich schon bisher keinen Titel der Longlist des Deutschen Buchpreises gelesen habe... Aber um Buchpreise soll es hier ja gerade gar nicht gehen, sondern um diesen einen Roman:




















EIN LEBEN IM DREIKLANG...




Auf gerade einmal 160 Seiten erzählt Wolf Haas von den letzten drei Tagen im Leben seiner 95-jährigen Mutter - und von ihren Lebenserinnerungen. Ich kenne es von meinem Vater, dass harte Erlebnisse in Kindheit und Jugend einen lebenslang nicht loslassen - so ist es auch bei der Mutter des Autors. Bittere Armut, ein Leben im Konjunktiv (es hätte was Besseres sein können, wenn der Vater der Mutter nicht in die Inflationsfalle getappt wäre), weggegeben mit 10 Jahren auf einen fremden Hof, 8 Jahre in der Schweiz, um der Familie den Hausbau zu ermöglichen, enttäuschte Gesichter, als sie plötzlich schwanger wieder vor der Tür steht. Und auch danach gelingt es der Mutter nicht, mit dem hart Ersparten ("sparen, sparen, sparen") irgendwann das heißersehnte Eigentum zu erwerben. Erst die Grabstelle auf dem Friedhof, die gerade einmal zwei Quadratmeter, kommt diesem Wunsch am nächsten.


Auf dem Friedhof traf man Leute, man traf andere Witwen, die dort ihre zu Tode gesoffenen oder zu Tode gerackerten oder zu Tode gerasten Männer liegen hatten, wenn man nach so vielen Jahren noch von liegen sprechen konnte. Man traf Motorradwitwen, man traf Krebsgeschwister, man traf Selbstmördermütter. Man ging mit der Gießkanne zum Wasserhahn an der Friedhofsmauer, ließ das frische Alpenwasser hineinprasseln, dass die blecherne Gießkanne klingelte, während die Sonne einen Regenbogen in die Tropfen strickte. (S. 46)


Trotz der oftmals eher bitteren Lebenserinnerungen gelingt es dem Autor, daraus keine bittere Lektüre zu machen. Gleichzeitig hatte ich zwischendurch den Eindruck, dass hier nicht nur das Leben der sterbenden Mutter nachgezeichnet wird, sondern eben auch Kindheit und Jugend des Autors - eine Art "Therapieschreiben" sozusagen. Aber nur passagenweise. Er selbst bezeichnet sich als externe Festplatte hinsichtlich der Erinnerungen der Mutter. Durch die oftmals wortgetreue Nacherzählung der Worte der Mutter (im Dialekt) hier im Roman verteilt der Autor diese "Last" nun gleichmäßig auch auf die Schultern der Leser:innen. Und stellt damit sicher, dass so auch zukünftig nichts Wesentliches verloren gehen kann. 

Entsprechend der Art der Mutter, alles gerne dreimal zu wiederholen, nutzt der Autor den Dreiklang hier konsequent als stilistisches Mittel. "Gießen, gießen, gießen" muss man auf dem Friedhof, die Mutter hatte oft Sorgen, Sorgen, Sorgen und musste meist arbeiten, arbeiten, arbeiten. So geballt liest sich das hier gerade etwas anstrengend, aber im Roman verteilt fand ich es ungemein passend.

Haas versteht zudem, das Ganze immer wieder auch aufzulockern durch teilweise bösen Humor (Stichwort: entfernte Verwandte) sowie durch ironische Einwürfe und Sprachspielereien. Die wiederkehrenden unangekündigten Zeitwechsel vom aktuellen Geschehen hin zu den Erinnerungen und zurück waren nicht anstrengend zu lesen und sorgten bei mir auch nicht für Verwirrung. Abgesehen von einigen langatmigeren Passagen wie einem essayhaften Ausflug in die Musiktheorie konnte mich der Roman daher tatsächlich gut unterhalten.

Auch wenn das Verhältnis zur Mutter nicht immer einfach und sie auch ein schwieriger Charakter war (mit ihren Beleidigungen und dem Hang dazu, Leute vor den Kopf zu stoßen), geriet die Erzählung für mein Empfinden im Verlauf eher versöhnlich. Offenbar ist es dem Autor gelungen, auf diese Art mit dem Leben und dem Tod seiner Mutter abzuschließen. Respekt.

Ein sehr persönlicher kleiner Roman, der zudem zu unterhalten weiß.


© Parden













Wolf Haas wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Für sein Werk erhielt er u. a. den Bremer Literaturpreis, den Wilhelm-Raabe-Preis und den Jonathan-Swift-Preis. Er veröffentlichte die Romane "Das Wetter vor 15 Jahren" (2006), "Verteidigung der Missionarsstellung" (2012) und "Junger Mann" (2017) sowie neun Brenner-Krimis, zuletzt "Müll" (2022). Bei Hanser erschien zuletzt "Eigentum" (2023). Wolf Haas lebt in Wien. 



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