Freitag, 15. September 2023

Brijs, Stefan: Taxi Curaçao

Curaçao, 1961. An einem Septembermorgen bringt der Taxifahrer Roy Tromp seinen zwölfjährigen Sohn Max zum ersten Mal in die weiterführende Schule zu Bruder Daniel. Max ist der erste in seiner Familie, der sie besuchen kann, und erweist sich als talentierter Junge, der davon träumt, Lehrer zu werden und den gesellschaftlichen Aufstieg aus der Armut zu schaffen. Bruder Daniel, der selbst von der Insel stammt, will ihm dabei helfen. Denn so prächtig der azurblaue Dodge Matador ist, mit dem Roy seinen Sohn zur Schule bringt, so bettelarm ist die Familie des Trinkers und Spielers. Vierzig Jahre später ist der Traum geplatzt und Max, der längst selbst Vater eines erwachsenen Sohnes ist, verschwindet aus heiterem Himmel in die Niederlande, womöglich für immer. (Verlagsbeschreibung)
 
DNB / btb / 2016 / ISBN:978-3442714728 / 288 Seiten







Auch wenn sich hier manch einer darüber mokieren mag - ich liebe Challenges. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mich zu Büchern greifen lassen, auf die ich sonst noch nicht einmal stoßen würde. Dieser Roman gehört definitiv dazu - kein Mainstream (gerade einmal 13 Sterne Bewertungen bei Amazon), aber in meinen Augen trotzdem unbedingt lesenswert. Geboten werden hier tiefe Einblicke in das Leben auf Curaçao, eingebettet in eine Familiengeschichte. Wie es mir damit erging, könnt Ihr hier nachlesen:

















MELANCHOLISCH UND EINDRINGLICH...


Die Spanne der hier erzählten Jahre umfasst vier Dekaden, beginnend von 1961 an. Der schwarze Ordensbruder Daniel, der auf Curaçao als Lehrer arbeitet, fungiert hier als beobachtender Ich-Erzähler, wobei er sich gelegentlich auch leise Emotionen gestattet. Im Fokus des Romans steht die Familie Tromp - zunächst der Taxifahrer Roy, dann sein anfangs 12jähriger Sohn Max und schließlich später auch dessen Sohn Sunny, der jedoch vergleichsweise wenig Raum einnimmt.


"Die Armut interessierte die Regierung schließlich wenig, denn sie hatte größtenteils eine dunkle Hautfarbe und blieb im Verborgenen in den Wohngebieten weit weg von der Macht..." (S. 52)


Roy ist ein grobschlächtiger Macho, der Treue nicht einmal buchstabieren kann, dem es aber immer wieder gelingt, bei den Frauen zum Zug zu kommen. Elf Kinder habe er auf ganz Curaçao, so wird er nicht müde zu behaupten, an eine einzelne Frau binden lasse er sich jedenfalls nicht. Immerhin besorgt er für Max und seine Mutter eine Bleibe, schäbig zwar und ohne jeden Komfort, aber doch ein kleines Häuschen. Und er fährt Max mit seinem Taxi an dessen erstem Schultag in Barber zur Schule, stolz in Uniform mit Mütze und Handschuhen und sehr darauf bedacht, dass keine dreckigen Kinderhände den glänzenden Lack seines nagelneuen Dodge Matador betatschen. Auffallen ist Roys Devise, an seinem Macho-Ruf arbeiten und alle Tricks auf Lager haben, um nie um Fahrgäste verlegen zu sein. Roy hat sehr eigene Vorstellungen und wird auch nicht müde, diese jedem zu verkünden.

Max dagegen ist ein eher schüchternes, sensibles Kind, dem das Auftreten seines Vaters eher unangenehm ist. Ihm fällt das Lernen leicht, und mit Unterstützung seiner Mutter sowie vor allem von Bruder Daniel, der nicht müde wird, den Jungen zu ermuntern, nimmt bald schon ein Zukunftsplan im Kopf von Max Gestalt an. Er will auch Lehrer werden und damit der Armutsschlaufe entrinnen. Doch sein Vater hat andere Pläne für seinen Sohn...

Während Bruder Daniel im Jahr 2001 auf den Anruf von Max wartet, dass er gut angekommen ist in den Niederlanden, springt er in seinen Erinnerungen an die letzten vierzig Jahre von Episode zu Episode und gewährt so einen intensiven Einblick in das Familiengefüge der Tromps. Stolz und Armut, Hoffnungen und Niederschläge sind die Widersprüchlichkeiten, in denen sie sich bewegen. Kurze Augenblicke des Glücks weichen nur zu bald schon den Widrigkeiten des Alltags, denen man kaum entkommen kann.


"Curaçao ist zu einem Patienten geworden, der sich wundgelegen hat, weil er sich schon seit Jahren selbst vernachlässigt und jede Pflege verweigert." (S. 187)  


Eingebettet in die Familiengeschichte sind auch die Gegebenheiten der niederländischen Insel in diesen vier Dekaden - der Maiaufstand von 1969, in dem Schwarze für gleiche Rechte und Entlohnung kämpften und dabei schnell in eine Gewaltschleife gerieten; die große Armut, die oft die Schwarzen betraf; der wirtschaftliche Niedergang, als Shell sich in den 1980er Jahren aus Curaçao zurückzog und die Erdölraffinerie (samt Altlasten) für einen symbolischen Gulden an die Inselregierung verkaufte, weiter verpachtet an eine staatliche venezolanische Ölgesellschaft, die jedoch keine Investitionen tätigte; die steigende Arbeitlosigkeit auf der Insel, v.a. auch der Jugendlichen; und die steigende Kriminalität, als die Drogenbosse z.B. aus Kolumbien und Venezuela entdeckten, dass Curaçao ein guter Umschlagplatz und Transitmarkt für ihre Drogen ist - allein diese Gegebenheiten verschaffen dem Ganzen schon einen pessimistischen Anstrich.

Gerade an diesen äußeren Bedingungen scheitern viele Hoffnungen v.a. von Max immer wieder. Er, der so klare Pläne für sein Leben hat, muss stets aufs Neue der Tatsache ins Auge sehen, dass diese nicht zu verwirklichen sind. Wenn er einmal zu dieser Erkenntnis gelangt, hadert er jedoch nur kurz mit dem "Schicksal" und beugt sich dem, was eben nicht zu ändern ist. Hinfallen und aufstehen, immer wieder. Aber Stefan Brijs lässt trotzdem eine Beklemmung aufkommen, der man sich beim Lesen nicht entziehen kann. Und wie weit diese reicht, zeigt sich erst ganz am Schluss - mit einem letzten Hammerschlag. Ich war ehrlich gesagt richtig geplättet.

Ein häufig leise melancholischer Roman, der sich beim Lesen irgendwie im Hirn festfrisst und einen kaum wieder loslässt. Ein eindringlicher Blick hinter die Kulissen des karibischen Traums...


© Parden












Stefan Brijs, Jahrgang 1969, gelang mit seinem Roman "Der Engelmacher" in Belgien und den Niederlanden ein Sensationserfolg. Er wurde dafür u. a. mit der "Goldenen Eule" für das beste Buch des Jahres ausgezeichnet sowie mit dem Preis der Königlichen Akademie für Literatur der Niederlande. Die Auslandsrechte wurden in zahlreiche Länder, darunter auch England und die USA, verkauft. Bei btb ist außerdem sein von der Kritik hochgelobter Roman "Post für Mrs. Bromley" erschienen, die Geschichte eines jungen Mannes, der in Kriegszeigen versucht, menschlich zu handeln. (Quelle: Penguin Randomhouse Verlagsgruppe)
 

1 Kommentar:

  1. Interessanter Challenge-Fund ;)
    Für Challenges lese ich viel zu langsam... ich würde nie etwas gewinnen...

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